Im Kino

Reinszenierte Natur

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Friederike Horstmann, Ekkehard Knörer, Fabian Tietke
06.05.2015. All das, was Wald und Wiesen hergeben und noch viel mehr enthält der Dokumentarfilm "Pădurea e ca muntele, vezi?" von Christiane Schmidt und Didier Guillain. Außerdem: 3 von 500 aus Oberhausen.


Ein Dorf in den rumänischen Karpaten. In einer hübschen Hügellandschaft. Fernab des städtischen Lebens führen die Menschen ein karges, geradezu archaisches Leben, das vom Rhythmus der Jahreszeiten geprägt ist. Ihre Kleidungsstücke sind zerschlissen, ihre Häuser einfach, die Straßen unbefestigt, Bretterbeschläge dienen als Zäune, Pferdegespanne als Transportmittel. In ihrem Dokumentarfilm, der als Abschlussfilm an der Hochschule für Film und Fernsehen in München entstand, porträtieren Christiane Schmidt und Didier Guillain eine Gruppe von Roma, filmen ihre spezifischen Lebens- und Arbeitsweisen, zeigen die dörfliche Gemeinschaft: Wie einem Jungen draußen von einem Nachbarn die Haare mit einem helllila Plastikkamm und einer kleinen Kinderschere geschnitten werden, wie Kinder und Jugendliche in einem tümpelhaften, selbst gebauten Stauplantschsee baden. Wie immer wieder Holzstämme geschlagen, zusammen Pilze und Beeren gesucht werden. All das, was Wald und Wiese hergeben.

Neben idyllischen Landschaftspanoramen, die das das Dorf von einem gegenüber liegenden Hügel in den Blick nehmen, bestimmen den Film Bilder von der Arbeit, von Holz- und Feldarbeit. Aron - der stolze Dorfpatron - organisiert den alljährlichen Kartoffelernteeinsatz: Erst trampt er frisch rasiert zu Verhandlungen in die Stadt, danach geht er durchs Dorf, um die Bewohner einzeln nach ihrer Teilnahme zu befragen und eine handschriftliche Liste zu erstellen. Gemeinsam bricht man um sechs Uhr morgens auf der offenen Pritsche eines Traktors auf - vorsichtig und leise, denn der Transporter hat keine Lizenz. Die Strafgebühr würde von allen gemeinsam getragen. Auf dem Acker erntet man Kartoffeln mit aufgeschnittenen Kanistern, alten Blechbüchsen und bunten Plastikeimern. Auch Kinder helfen bei der Ernte. Doch wird es immer schwieriger, bezahlte Arbeit zu finden. Nur noch selten werden Felder mit der Sense bestellt, wird manuelle Arbeit benötigt. Man beklagt den strukturellen und gesellschaftlichen Wandel, zwar konnte man in der Metallschmelze des kommunistischen Kombinats eine Quarzstaublunge und andere Vergiftungen bekommen, aber man hatte wenigstens Arbeit und ein gutes Einkommen. Heute reicht das wenig verdiente Geld kaum zum Leben.



Der Film dokumentiert eine im Verschwinden begriffene Lebensweise. Auch archaisch starker Glauben bricht mal mehr, mal weniger beiläufig in den Alltag: Beim Abschied wird ein kurzes Gebet gemurmelt, Zuhause werden Kirchenlieder gesungen, aus der Bibel gelesen. Eine Abtreibung wird von den anderen Frauen mit schwachem Glauben begründet. Einerseits nimmt der Film die kulturellen, sozialen und ökonomischen Umstände präzise in den Blick. Anderseits scheint er der Zeit enthoben, oder besser aus der Zeit gefallen zu sein: In der nicht chronologischen Montage wird der Zyklus der Jahreszeiten immer wieder gebrochen. Die Vorgänge scheinen sich permanent zu wiederholen. Darüber hinaus entwerfen Schmidt und Guillain eine Poesie des Alltags: Die Kamera schaut den alltäglichen Arbeitsabläufen minutenlang zu, beobachtet Handreichungen und Bewegungen: In langen Einstellungen zeigt sie die Bewohner auf ihrer Pilz- und Holzsuche, folgt ihnen in zurückhaltenden Rückenansichten. In seinem Wahrnehmungs- und Erzähltempo passt sich der Film den Bewegungsstrukturen der Bewohner an, macht sich den entschleunigten Rhythmus des Dorflebens zu eigen.

Schon 2004 fuhren die Filmemacher zum ersten Mal nach Rumänien. Seitdem haben sie die Roma-Gemeinde immer wieder besucht, mit ihnen gelebt, ihr Vertrauen gewonnen. Erst viele Jahre später haben sie mit dem Film begonnen. Christiane Schmidt hat selbst die Kamera geführt und wurde nur von Didier Guillain, der auch für den Ton verantwortlich zeichnet, begleitet. Ihre diskrete Art, Bilder zu finden und zu rahmen, die Form ihrer Montage, die gegenüber der Wirklichkeit Integrität bewahrt, hat ein eindrückliches Porträt einer dörflichen Gemeinschaft, ihrer Geschichten und ihres Alltags erschaffen.

Friederike Horstmann

Pădurea e ca muntele, vezi? (The Forest is Like the Mountains) - Deutschland 2014 - Regie: Christiane Schmidt und Didier Guillain - Laufzeit: 101 Minuten.

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Ungefähr 500 Filme umfasste das Programm der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2015. Drei davon haben unsere Autoren gesehen.

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"Pai-ri dai-za, Paradies, die Umzäunung." "Paradies" vom Basler Videokünstler Max Philipp Schmid beginnt die Erkundung eines bislang wenig beachteten Pfeilers bürgerlich-kapitalistischer Kultur, der Gartenhecke, mit beruhigenden Worten des Sprechers, allein am Schreibtisch mit Leselampe. Kein Paradies ohne Hecke? Jedenfalls heute nicht mehr, weil, dass was draußen lauert, das will rein, drum errichtet die bürgerliche Gesellschaft, blöd ist sie schließlich nicht, eine Hecke. Könnte ja gefährlich sein, wer und was da rein will und wo der und das dann hin will, das ist ja unseres, weil: Wir haben doch extra eine Hecke drum gezogen! Schmids Film braucht nicht viel: ein paar Bilder von Hecken an denen sich Ordnungsfanatiker aller Art ausgelebt haben und einen Sprecher (Thomas Douglas), der sich vorsichtshalber zur Reflexion über die Natur im Gewächshaus verschanzt hat. Dort greift er scheinbar wahllos Karteikarten mit Zitaten aus einem Zettelkasten. Schmid arbeitet seit 2007 zum verschrobenen Verhältnis zur Natur und zum Naturverständnis als Ausdruck eines Weltbilds. "Paradies" ist durchzogen von einer Leichtigkeit, die durch Zitate und Bilder widerhallt. Den strengen Bildern absurder Reinszenierungen von Natur stellt er die Gewächshausschreibstube seines Sprechers und verspielte Bilder zur Seite, die nächtliche Hecken im spärlichen Licht tanzen lassen. In diesen Bildern sieht dann selbst der beblätterte Grünriegel gut aus.

Fabian Tietke

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Die Geschichte einer Annäherung, Quasi-Ethnografie des äußersten Inlands: Die Filmemacherin Eva Könnemann begibt sich nach Emmelsum, das ist ein Ort, den kennen Sie nicht. Auch sie kennt ihn nicht, aber als sie auf der Website die Selbstauskunft las, war sie fasziniert: "Über den Ort Emmelsum lässt sich nicht allzuviel sagen." Das Wappen ist hübsch, gelbe Biene auf grünem Grund. Aus dem Nebel des ersten Bilds schält sich der Ort. Man sieht dies, erfährt das. Es gibt keine Kirche in Emmelsum, kein Geschäft. Aber die Schleuse. Man sieht und man hört. Nur kommt das Gesehene und Gehörte selten direkt zur Deckung. Die Stimme berichtet, dass sie, die Filmemacherin, die Schwelle zu Privathäusern übertritt. Die Kamera geht derweil andere Wege. Statische Einstellungen meist, ein Herantasten, ein Abtasten, ein Hinstellen. Und nicht nur zwischen Bild und Ton bleibt eine nicht ostentative, aber doch spürbare, nie ganz aufgelöste Schere. Denn es ist nicht Könnemann selbst, die da spricht, herantastend, abtastend, als formte sie den Gedanken manchmal im Sprechen. Sie lässt sich vertreten durch die Filmemacherin und Schauspielerin Kathrin Resetarits. Diese spricht mit österreichischer Tönung, eine weitere Spur der Fremdheit, die sich so ins Spiel zwischen Annäherung und bleibender Fremdheit hineinmischt - dieser Spielraum ist im Titel "Das offenbare Geheimnis" markiert. In der Vertretung durch eine andere Stimme liegt auch ein Schritt, oder zumindest ein halber, in Richtung Fiktion. Emmelsum existiert, Eva Könnemann auch. Am Ende aber konstatiert die Erzählstimme selbst: Sie könnte mit einem Boot, das sie so literal wie metaphorisch davonträgt, von Emmelsum aus auch ganz woanders hin fahren oder erzählen.

Ekkehard Knörer

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Das Saallicht geht aus, die Zuschauer setzen sich, nachdem sie sich gerade kurz gestreckt hatten oder ein wenig im Kinosessel zusammengesackt waren (Kurzfilmprogramme sind anstrengend) wieder zurecht, der digitale Projektor läuft an. Kino zentriert Aufmerksamkeit und stabilisiert Körper - nur, dass das diesmal hinten und vorne nicht funktioniert. Die mehrfach wiederholte Kamerafahrt entlang einer urbanen Straße, vorbei an einem parkenden Polizeiwagen, mit der "Red Capriccio" von Blake Williams beginnt, verschwindet hinter einem rot-blauen Lichtgewitter. Irritiert setzen sich die Zuschauer weiße Pappbrillen auf und wieder ab, fangen an, als die Lichtattacken immer aggressiver werden, nervös zu lachen. Aber es hilft nichts, der Film gibt, auch als die Szenerie wechselt und andere Konfigurationen von Stadt, Auto, Bewegung, Polizei auftauchen (ausprobiert, vorgeschlagen, verworfen, denunziert werden?), keine Ruhe. Rot und Blau haben sich miteinander verbündet, um die Welt und ihre Betrachter zu terrorisieren. Williams arbeitet mit farbanaglyphem 3D. Dieses auch bei "normalem" Gebrauch perzeptuell herausforderndste aller stereoskopischen Verfahren bringt in "Red Capriccio" endgültig keinen Illusionsraum mehr hervor, sondern resultiert in unlesbaren Bildern (wobei: noch in der Negation passt das "lesbar" nicht; was misslingt, ist etwas Grundsätzlicheres, und vielleicht eher über eine haptische Analogie greifbar - man fühlt sich, als wolle man unbedingt etwas zu fassen bekommen und greife doch andauernd nur ins Leere). Über die weitergehenden Implikationen dieser Bilder kann man sich einige Gedanken machen; Williams selbst verweist auf die Kunst- und Musikgeschichte, auf Giovanni Paolo Panini, Tom Cole und Stravinsky. Michael Sicinski auf die erst einmal deutlich näher liegenden politischen Implikationen einer polizeilich induzierten Wahrnehmungsverzerrung. Aber erst einmal gibt es da nur: Sieben Minuten, in denen die Welt selbst nach den Maßstäben des Avantgardekinos nicht mehr in Ordnung ist. Dafür alleine hat sich das in Oberhausen viel und zwischendurch auch von mir und nicht immer, aber im Großen und Ganzen vielleicht doch eher zu Unrecht gescholtene Themenprogramm "Das Dritte Bild - 3D-Kino als Experiment" gelohnt.

Lukas Foerster


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Paradies - Schweiz 2015 - Regie: Max Philipp Schmid - Laufzeit: 15 Minuten.

Das offenbare Geheimnis - Deutschland 2015 - Regie: Eva Könnemann - Laufzeit: 29 Minuten.

Red Capriccio - Kanada 2014 - Regie: Blake Williams - Laufzeit: 7 Minuten