Im Kino

Trotzdem tiefenentspannt

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky
15.09.2016. Fatih Akins Herrndorf-Verfilmung "Tschick" trifft den Tonfall der Vorlage gut - vor allem wegen der beiden ausgezeichneten Hauptdarstellern. Rick Alverson schickt in "Entertainment" einen abgehalfterten Comedian auf einen road trip der elendigeren Sorte.


Schwer zu sagen, ob "Tschick", der 2010 veröffentlichte, von Publikum wie Kritik gleichermaßen gefeierte vorletzte Roman des Autors Wolfgang Herrndorf ein einfach zu verfilmendes Buch ist. Zwar gibt die Erzählhandlung - eine Reise durchs ländliche Brandenburg, unternommen von den beiden jugendlichen Hauptfiguren Maik Klingenberg und Andrej "Tschick" Tschichatschow in einem gestohlenen Lada - mit dem road movie und der buddy comedy gleich zwei naheliegende, vielfach erprobte und eminent filmische Genres vor; aber gleichzeitig besteht der eigentliche Reiz des Buchs nicht in seinem narrativen Gehalt, sondern in der spielerischen, wendigen, den Schwung und gelegentlich auch die Inkonsequenz adoleszenten Denkens evozierenden, trotzdem tiefenentspannten und außerdem niemals auch nur irgendwie anbiedernden sprachlichen Gestalt, in die Herrndorf die Erfahrungs- und Gedankenwelt seiner Figuren kleidet. Ihr größter Reiz besteht vielleicht darin, dass sie diese beiden Welten stets zusammendenkt, dass Erleben nie zu trennen ist von Reflexion.

Der nach dem überwältigenden Erfolg des Buchs unvermeidbaren Verfilmung von "Tschick" muss es deshalb nicht zuletzt darum gehen, den Tonfall der Herrndorf'schen Prosa zu treffen - soweit ein Film das überhaupt kann. Soweit sich ein Sprachfluss überhaupt in etwas (weitgehend) nicht-Sprachförmiges übersetzen lässt. Dass das komplett hätte schiefgehen können, ahnt man in einigen Passagen, in denen der Film versucht, das Sprachmaterial der Vorlage direkt zu integrieren, in Form einer Voice-Over-Erzählstimme. Diese Sätze werden nie ganz zu einem organischen Element des Films, legen sich auf etwas ungelenke Art über die Bilder, sind immer schon zu präzise für die im Vergleich ungeformt anmutenden Bilder.

Ansonsten fühlt sich der von Fatih Akin nach einem von Hark Bohm und Lars Hubrich adaptierten Drehbuch inszenierte Kino-"Tschick" freilich ziemlich rund an, was in erster Linie an den beiden Hauptdarstellern liegen dürfte. Die Besetzung ist bei einem Film wie diesem die halbe Miete. Und was die beiden zentralen Rollen angeht, haben die Produzenten zwei Volltreffer gelandet: Tristan Göbel als der verstockte, aber höchstens als Selbstschutz arrogante Maik und Anand Batbileg als der vor noch fast kindlicher Energie nur so überschäumende Tschick haben sichtlich Spaß an ihren Figuren, auch, weil die Regie den beiden genug Raum dafür lässt, ein Verhältnis zueinander zu finden.



Beziehungsweise: weil sich die Reise, auf die sie sich begeben, am Ende als dieser Raum erweisen wird. Denn selbstverständlich geht es von Anfang an nicht darum, in die Walachei zu gelangen, wo Tschick Verwandtschaft vermutet; es geht noch nicht einmal so sehr darum, der tristen Vorstadt-Kleinfamilienwelt zu entkommen, die der Film mit etwas allzu grobem Pinsel zeichnet (nebenbei: Wie wäre es in dieser Hinsicht mit einem Moratorium? Man könnte dem deutschen Kino gerne einmal für mindestens zehn Jahre verbieten, die "Unterdrückungszusammenhänge von Kleinfamilien in satirischer Manier offen zu legen" oder dergleichen...); sondern es geht darum, dass sich zwei Menschen aufeinander einlassen, ohne die Sicherheit eines geteilten Milieus oder irgendwelche vorgeschalteten Interessen.

Schön ist auch, dass der Film höchstens am Rand an dem durchaus vorhandenen Skurrilitätspotenzial der Vorlage interessiert ist. Man kann sich nur zu leicht eine sehr viel schwächere "Tschick"-Verfilmung vorstellen, die auf niedlich-verschrobene Hinterwäldlereien und albernen Pennälerhumor abgezielt hätte. Akins im Großen und Ganzen werktreue, lediglich leicht geraffte Version lässt dagegen einige der absurderen Episoden der Vorlage ganz weg, und auch die, die vorkommen - zum Beispiel die aristokratische Jugendgruppe "Adel auf dem Radel" - stehen nicht als isolierte Pointen in der Gegend herum, sondern bleiben dem Erzählfluss, und vor allem der Subjektivität der Protagonisten nachgeordnet. Es geht diesem seltenen Glücksfall eines gelungenen deutschen Mainstreamfilms einfach nur darum, nachfühlbar zu machen, wie es wäre, mit zwei noch durch und durch unfertigen Jungs - einer trägt pubertären Flaum auf der Oberlippe, der andere einen aufgeklebten Hitlerbart aus Isolierband - durch Brandenburg zu tuckern.

Deshalb, und nicht aufgrund der in Buch wie Film peripheren Migrationsthematik, erweist sich Akin als gute Regisseurswahl: Weil er, wie schon sein zweiter Film "Im Juli" gezeigt hatte, eine Affinität zum road movie besitzt, weil er das Genre nicht als ein Mittel missversteht, disparates Material in eine halbwegs eingängige Form zu pressen, sondern weil er sich tatsächlich für die innere - in diesem Fall eher zwischenmenschliche als psychische - Bewegung interessiert, die in der äußeren eine Form findet.

Lukas Foerster

Tschick - Deutschland 2ß16 - Regie: Fatih Akin - Darsteller: Anand Batbileg, Tristan Göbel, Nicole Mercedes Müller, Aniya Wendel, Bella Bading, Max Kluge - Laufzeit: 93 Minuten.

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Rick Alversons "Entertainment" begleitet einen namenlosen Comedian (Gregg Turkington) auf einer Tournee durch die amerikanische Wüste. Für seine allabendliche Performance schlüpft er in ein Alter Ego: die groteske Karikatur eines klassischen Entertainers. Mit dauerfeuchtem comb-over, schlecht sitzendem Anzug und mindestens drei Drinks im Arm, die er ungeschickt rotiert, keucht und krächzt er infantile Oneliner in die traurige Welt, als wären es Schmerzensschreie. Seine Zuschauer: Gefängnisinsassen, Spiegeltrinker und schlecht gelaunte Kleinstädter on a night out. Als opener hat er einen jungen Mann im Schlepptau, der, angetan mit Bowler und Clownsnase, den obszönen Hampelmann gibt. Zusammen sind die beiden so unlustig, dass es weh tut. Ein ums andere Mal sieht man ihnen beim Scheitern zu, wobei die spezifische Unart ihres act in der Sprache des Scheiterns kaum zu bezeichnen ist: Was wäre eigentlich das Ziel, das hier verfehlt würde?
 
Tim Heidecker, der am Drehbuch mitgeschrieben hat, ist ein wesentlicher Akteur dessen, was man in Anlehnung an die geistes- und formverwandte Kunstströmung "post internet comedy" nennen könnte. Seine gemeinsam mit Eric Warehouse konzipierte Fernsehserie "Tim and Eric Awesome Show, Great Job!" gilt als paradigmatische Überführung von Witzfiguren und Anschauungsformen des Internet ins Medium Fernsehen. Die Kunstfigur des abgehalfterten Entertainers, der in "Entertainment" durch die Wüste tingelt, hat Gregg Turkington in "Tim and Eric" erprobt (dort hieß sie Neil Hamburger). Auch John C. Reillys Auftritt als wohlmeinender Cousin, dem der Comedian unterwegs Besuch abstattet (der Entrepreneur als Gegenfigur zum Entertainer), nimmt Anleihen an Dr. Steve Brule, dem komplett desartikulierten Fernsehdoktor, den Reilly für "Tim and Eric" entwickelt hat.
 


Beide Figuren - dem Fernsehen entlehnt, das seinerseits das Internet belehnt hat - verpflanzt "Entertainment" in ein weitgehend realistisches Kinoszenario, nah an Wahn und Traumlogik gebaut zwar, aber doch als räumlich und zeitlich einigermaßen kohärentes Narrativ nachvollziehbar, als road-movie-Reisebewegung ohne Angst vor dramaturgischen Klischees. Im Effekt fühlt sich das oft wie eine Zähmung der ungerichteten Potenziale an, die in diesen genuin durchgeknallten Figur(ation)en schlummern. Müssen wir wirklich wissen, was für ein deprimiertes Häufchen Elend Neil Hamburger im wirklichen Leben ist? Was für eine vereinsamte Existenz er kultiviert, wenn er jeden Abend der (womöglich eingebildeten) Tochter aufs Tonband spricht, ohne je Antwort zu erhalten?
 
Trotz der surrealen Postkartenansichten, die "Entertainment" angestrengt auf seiner Reise durch die Americana-Vorhölle anhäuft, befinden wir uns dramaturgisch gesprochen überall auf festem Boden. Hin und wieder gelingt es Regisseur Rick Alverson tatsächlich, das profunde Unbehagen zu mobilisieren, um das es ihm offensichtlich zu tun ist. Aufs Ganze besehen sind die weirden Einzelzutaten aber weitaus interessanter und allseitig anschlussfähiger als die fade Indie-Rezeptur, in die sie hier eingeknetet wurden - und aus der man sie kaum mehr herausschmecken kann.

Nikolaus Perneczky

Entertainment - USA 2015 - Regie: Rick Alverson - Darsteller: Gregg Turkington, Annabella Lwin, Tye Sheridan, John C. Reilly, Mike Hickey, Susan Cernas - Laufzeit: 103 Minuten.

Außerdem diese Woche neu: "Rudolf Thome - Überall Blumen" von Serpil Turhan. Hier unsere Kritik von der Berlinale 2016.