Im Kino

Rammbockmäßig in die gute Stube

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Lukas Foerster
27.09.2017. Im Kino übersehen, jetzt auf DVD erhältlich: Denise Di Novis "Unforgettable", ein schöner Film über zwei Frauen und ihre Selbstbilder. Andy Muschietti verwandelt Stephen Kings meisterlichen Roman "It" in State-of-the-Art-Effektkino.


Der Gegensatz steckt schon in den Vornamen: Tessa (Katherine Heigl) gegen Julia (Rosario Dawson) - hart, spitz und kerzengerade gegen sanft, wendig und sensibel. Jeweils mit eigener Textur und Farbigkeit: Tessas Style ist, wie ihre ganze Welt, erst einmal ganz Pastell, Weiß und blasses Rosa, hell, licht, steril, dazu natürlich ultrablonde, flache Haare; aber das ist nur die Grundierung, auf der dann klare, aggressive Akzente gesetzt werden können, am effektivsten in einer Szene, in der urplötzlich ein glänzend roter Lippenstift in ihr Gesicht und in den Film hineinknallt. Der exakt abgezirkelte Farbfleck hat etwas Obszönes, in der Art in der er den Blick anzieht sogar fast etwas Pornografisches. Julia hat hellbraune Haut (die ethnische Differenz muss der Film nicht betonen, weil um Julia herum eh alle weiß, weißer, am weißesten sind), und sie trägt bunte, farbige Kleider, die harmonischen, weichen Muster fügen sich in geschwungene Linien, die Hippie-Mode der 1970er klingt noch dezent an, aber sie ist gezähmt, proper, geblieben ist nur eine leise Ahnung von Flattern und Extravaganz. Anders als Tessa trägt Julia ihre Kleider nicht wie eine Rüstung, im Gegenteil sind sie als natürliche Fortsetzung ihrer Innerlichkeit gedacht, passend dazu fallen ihr die dunklen, geschwungenen, manchmal leicht derangierten Haare freundlich vor den Schultern herunter. Aber das Zentrum ihres Gesichts, ihres ganzen Wesens ist fast den gesamten Film über ein besorgtes, gestresstes Stirnrunzeln.

Es geht um die Bilder zweier Frauen, aber mehr noch geht es um ihre Selbstbilder (besonders im Fall von Tessa ganz wörtlich, beim Blick in den Spiegel). Und es geht darum, wie sie diese Selbstbilder erst von anderen, älteren Frauen übernehmen, und dann an andere, jüngere Frauen weitergeben: Tessa hat ihre Rüstung, die äußere wie die innere, von ihrer Mutter ererbt, und möchte sie an ihre Tochter Lilly weitergeben. (Nicht einfach eine upper-class-, sondern eine regelrecht aristokratische Rüstung ist das; wann habe ich zuletzt in einem amerikanischen Film ein Kind gesehen, das Französisch lernt?) Lilly wird nun aber leider hauptsächlich von Julia erzogen, der neuen Freundin von Tessas Ex (und Lillys Vater) David. Lilly ist eine werdende Frau zwischen zwei Frauenbildern. Ein anderes Leben hat sie nicht, kein einziges Mal sieht man sie mit Gleichaltrigen spielen.



Um Männer geht es in "Unforgettable" höchstens in dritter Linie, es gibt eh nur zwei, beide eher funktionale Planstellen denn runde Figuren: Zum einen ist da der grundgute, aber etwas tumbe, konventionell hübschen David, eine beruhigende, unproblematische, muskulöse Anwesenheit; und zum anderen lauert irgendwo der grundböse, auf eine gefährliche Weise gutaussehende Michael (Simon Kassianides), der allerdings fast durchweg geisterhaft, beziehungsweise virtuell bleibt, sich nur gelegentlich materialisiert, als die verdrängte anarchische Gewalt, die durch die nicht ganz versiegelten Ritzen der saturierten Häuslichkeit eindringt. Michael ist Julias Ex, ihre Vergangenheit, von der sie sich emanzipieren will; aber eigentlich ist er das energetische Äquivalent zu Tessa.

Tessa entwirft einen Plan, um in erster Linie Lilly, in zweiter Michael zurückzugewinnen. Zunächst durch Sticheleien - die allerdings nicht besonders effektiv sind, dazu ist sie zu steif und statuesk. Ihre Anspielungen gehen nicht unmerklich unter die Haut, sondern donnern einem rammbockmäßig in die gute Stube. Eine bessere Figur macht sie wenig später als Online-Stalkerin: Mit einem Glas Rotwein sitzt sie genießerisch vor dem Laptop und klickt sich, von den persönlichkeitszersetzenden (beziehungsweise: -ersetzenden) Möglichkeiten des Internets sichtlich angetörnt, durch Julias Datenspur. Und im schon beknackten, aber auch denkwürdigen Finale verwandelt sie sich, bekleidet nur noch mit einer schmucklosen Robe, in eine düstere Priesterin, die einem längst ausgestorbenen Kult huldigt.



Es liegt natürlich nahe, einen solchen Plot auf den Konkurrenzkampf zweier Frauen um einen Mann zu reduzieren. Aber die psychologische Dynamik ist komplizierter: Davids Zuneigung stellt sowohl für Julia als auch für Tessa nur eines unter mehreren mehreren Elementen dar, das sie in ihrer jeweiligen Selbstkonstruktion bestätigt - oder, wenn es ausbleibt, verunsichtert. Tatsächlich geht es auch in fast allen Sexszenen in erster Linie ums Selbstverhältnis der Frau: Julia möchte schon, dass David sie wild und ungestüm begehrt - aber in erster Linie deshalb, weil ihr damit bestätigt würde, dass sie selbst eine Frau mit animalischer, unersättlicher Sexualität sein kann.

Tessa gegen Julia, aber auch: Tessa und Julia, zwei Frauen, die sich nicht zuletzt deshalb bekämpfen, weil sie etwas von sich in der jeweils anderen erkennen. "Unforgettable" wurde (eher erfolglos) als Erotikthriller vermarktet, aber das Erotikthrillergenre ist tot und wird nicht so schnell wiederbelebt, auch nicht von "Unforgettable" - ein schöner Film, aber die Spannungserzeugungsversuche sind lahm (eine breit ausgespielte Szene, in der eine Subjektive für Verunsicherung sorgen soll, ist sogar regelrecht ungelenk) und einen Begriff vom Verruchten, Schmierigen, Schwitzigen hat er erst recht nicht. Da ist nichts zu holen in dem aufgeräumten Fitness-Outdoor-Micro-Brewery-Kalifornien, einer Welt, in der der Film nicht nur spielt, sondern die im Modus der Alternativlosigkeit präsentiert wird, die keine lebbare Differenz zulässt. (Julias ganze "weltbildnerische" Ambition beschränkt sich denn auch darauf, ein paar wenige, scheue Farbtupfer in sie einzutragen.) "Erotikthriller" - das heißt heutzutage weder Thrill, noch Erotik, sondern nur, dass das ein Film ist, in dem es um Frauen und um Sex geht. Das ist nicht wenig.

Lukas Foerster

Unforgettable - USA 2017 - Regie: Denise Di Novi - Darsteller: Rosario Dawson, Katherine Heigl, Geoff Stults, Isabella Kai Rice, Sarah Burns, Whitney Cummings, Simon Kassianides - Laufzeit: 100 Minuten.

"Unforgettable" wurde diesen Frühjahr anlässlich seines Kinostarts kaum beachtet. Ab dieser Woche ist der Film auf DVD und BluRay erhältlich.


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Stephen Kings Roman "It" aus dem Jahr 1986 erzählt auf knapp 1400 Seiten die älteste Geschichte der Welt, nämlich die vom Kampf zwischen Gut und Böse. Das entscheidende daran ist aber, wie er das tut, nämlich mit einer schier unendlichen Komplexität in allen Bereichen: der Erzählung, der Figuren und ihrer Verstrickungen, des sozialen Gefüges, das er abbildet. Beim Lesen tauchen wir ein in einen ganz eigenen, gigantischen Kosmos, der aber auf jeder Seite Anknüpfungspunkte an die Welt hat, in der wir leben - auch heute noch. "It" ist letztendlich nicht weniger als ein Roman über das gesamte Wesen des Menschen, das Gute und das Böse in ihm und die unzähligen Abstufungen dazwischen, die uns so komplex machen.

Eine Welterzählung zwischen zwei Polen. Da ist das Böse, das titelgebende Es. Es lebt unter der fiktiven Kleinstadt Derry, Maine. Zur Zeit der Erzählung des Romans, der zwischen der Gegenwart der Achtziger und den Fünfzigern hin und her springt, hat Es es sich dort in der Kanalisation gemütlich gemacht, aber Es weilte in irgendeiner Form wohl schon auf diesem Planeten, lange bevor es Menschen gab. Es hat viele Gestalten, von denen der Mörderclown Pennywise nur die bekannteste ist. Es nimmt für verschiedene Menschen die Erscheinung dessen an, wovor sie jeweils die größten Angst haben. Es ist also auch die Angst selbst, die bekanntlich laut Franklin D. Roosevelt das einzige ist, was es zu fürchten gilt. Es hat eine übernatürliche Form, steht aber letztlich für ein weltliches Grauen, für das Grauen dieser Welt. Es sind prügelnde Kinder, Väter und Ehemänner, aber auch bigotte und überfürsorgliche Mütter, die ihre Kinder zu Hypochondern und schließlich Medikamentenabhängigen machen. Es ist der Lynchmob, der das Feuer eröffnet, der Klan, der den örtlichen afroamerikanischen Club in ein flammendes Inferno verwandelt, in dem unzählige Menschen den Tod finden, der Mann, der in eine Bar geht, um alte Rechnungen zu begleichen - mit der Axt.

Alle 27 Jahre erwacht Es aus seinem Schlaf und ermordet auf grausame Art Kinder. Und Kinder sind auch die ProtagonistInnen des Romans und seiner Verfilmungen, der andere Pol der Welterzählung: der stotternde Bill Denbourgh (Jaeden Liebherr), der schwarze Mike Hanlon (Chosen Jacobs), der übergewichtige Ben Hanscom (Jeremy Ray Taylor), der jüdische Stan Uris (Wyatt Oleff), der vorlaute Brillenträger Richie Tozier (Finn Wolfhard), der kränkliche Eddie Kaspbrak (Jack Dylan Grazer) und schließlich Beverly Marsh (Sophia Lillis), die nicht nur ein Mädchen ist, sondern auch aus einer armen Familie mit einem gewalttätigen Vater kommt. Sie eint, dass sie stigmatisiert sind oder zumindest ein "Handicap" haben. Gemeinsam bilden sie den Losers Club, aber sind auch die Guten, die den Kampf aufnehmen gegen das Böse.



Nachdem "It" bereits 1990 als recht gelungener TV-Zweiteiler von Tommy Lee Wallace verfilmt wurde, gibt es nun also eine neue Adaption fürs Kino, inszeniert von Andy Muschietti. Von der Romanvorlage weicht die Verfilmung zunächst dadurch ab, dass sie streng chronologisch erzählt, und nur den ersten Teil der Geschichte erzählt, der aus den 1950ern ins Jahr 1988 verlegt wird. Der Film geht ziemlich vielversprechend los: Regen prasselt auf eine Straße nieder und die Musik tut das Übrige, um eine Atmosphäre größter Melancholie zu entfalten. Der erste Mord, dem Bills jüngerer Bruder Georgie Pennywise zum Opfer fällt, stimmt auf die erstaunliche Härte des Films ein (auch wenn es nur an drei Stellen richtig blutig wird). Wie im Roman und anders als im Wallace-Film, wird dem Jungen hier, bevor er endgültig auf nimmer Wiedersehen in der Kanalisation verschwindet, ein Arm abgerissen. In den folgenden Szenen in der Schule entwickelt der Film ein schönes Gespür dafür, wie grausam die Welt sein kann, wenn man elf Jahre alt ist, und dann auch noch ein sozial benachteiligtes Mädchen ist, oder schwarz, oder fett.

Der Film ist klug genug, um zu wissen, dass auch in einem Horrorfilm Affekte nicht nur durch Spannung, Grusel und Splatter erzeugt werden, sondern zum Beispiel durch Blickwechsel zwischen den Geschlechtern, bei einem Bad im See samt Mutprobe oder natürlich bei der legendären Steinschlacht zwischen dem Losers Club und den Bullys. Zu einem Großteil besteht der Film aber doch aus Horrorszenen, die verdammt effektiv in Szene gesetzt sind. So effektiv, dass man sich von den exzessiv eingesetzten jump scares so richtig durchgerüttelt fühlt, was eine Weile lang Spaß macht, aber irgendwann - vor allem im letzten Drittel - eher zu Ermüdung und Übersättigung führt. Für den Abgang von Pennywise findet der Film zum Glück wieder ein sehr eindrückliches Bild. Überhaupt ist gerade der hier von Bill Skarsgard gegebene Killer-Clown ordentlich creepy. Unterm Strich ist "It" ein Film geworden, der den State of the Art des Mainstream-Affektkinos im Jahr 2017 mit Bravour erfüllt, es aber kaum jemals schafft, ihn zu transzendieren. Wo der Roman große Kunst war, ist der Film leider nur recht ordentliches Handwerk.

Nicolai Bühnemann

It - USA 2017 - Regie: Andy Muschietti - Darsteller: Jaeden Lieberher, Jeremy Ray Taylor, Sophia Lillis, Finn Wolfhard, Chosen Jacobs, Jack Dylan Grazer - Laufzeit: 135 Minuten.