Im Kino

Differenzen, Exzesse, Energieschübe

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Sebastian Markt
16.11.2017. Michael Showalters "The Big Sick" ist eine virtuos inszenierte Komödie - die sich allerdings gelegentlich, im angesicht des Realen, ihrer stärksten Waffen verweigert. In "Happy Death Day" von Christopher Landon stolpert eine großartig aufgelegte Jesica Rothe immer wieder aufs Neue über ihren Uni-Kampus.


Es gibt einen Witz in "The Big Sick", oder vielleicht besser, eine Routine, ein bit, eine Nummer, die ein Stand-Up-Comedian auf einer Bühne erzählt: Es geht um eine neue Droge, von der er gehört hat, einer Droge namens Cheese, die das große neue Ding sei, Geißel der Jugend und so. Und dass dieses Cheese, das hat er recherchiert, aus Paracetamol und Heroin bestünde, und dass das ein bisschen affig wäre, wenn die Medien da eine Modedroge draus machen, weil es ist halt Heroin drin, und da sei ja klar was der Wirkstoff sei.

Die Nummer ist witzig, wohl nicht, wenn ich sie jetzt so nacherzähle, aber sie ist witzig, so wie sie einer erzählt, der das kann, Kumail Nanjiani, als riff, der eine Absurdität entwickelt, und sie variiert und weitertreibt, so dass sie mit jeder Wiederholung lustiger wird. Es gibt noch einen anderen Witz, vom selben Kumail erzählt, jetzt nicht als ausgewiesener Komiker auf der Bühne, sondern in der Kantine eines Krankenhauses, dem Vater seiner Freundin - genauer gesagt, zu diesem Zeitpunkt seiner Ex-Freundin. Der Vater, der so wie seine Tochter weiß ist, fragt den aus einer muslimischen Familie kommenden Kumail, was er denn über den 11. September denken würde. Schrecklich, antwortet der, wir haben 19 unserer besten Männer verloren. Und macht keinen riff drauf, sondern fängt den Witz gleich wieder ein, kaum hat er ihn losgelassen, entschuldigt sich dafür.

Es gibt natürlich viele Witze in "The Big Sick", der Film ist immerhin eine Komödie, und, das sei schon mal vorausgeschickt, eine lustige. Witze von unterschiedlicher Art, ausgearbeitete Nummern, die auf der Bühne ziehen, und solche, die ohne Wiederhall versacken, Dinge, die Menschen zueinander sagen und es witzig meinen, oder eben gerade nicht. Komik, die aus dem Unterschied entsteht, wie sich Leute in Situationen selbst wahrnehmen, und wie sie wirken. Witze, die lustig sind, weil sie etwas verkleiden, das eigentlich Unsicherheit ist, oder Wut, oder Schmerz.

"The Big Sick" erzählt von einem begabten Komiker, dem Dinge widerfahren, die eigentlich nicht lustig sind. Der Film erzählt von Kumail, einem jungen Mann, der sich in Chicago als Uber-Fahrer durchschlägt, während er versucht, als Stand-Up-Komiker Fuss zu fassen. Er lernt eines Abends eine junge Frau (Zoe Kazan) in einem Comedy Club kennen, sie verbringen eine Nacht zusammen, bei der es auch bleiben könnte, aber nicht tut. Es ist die wahre Geschichte von Nanjiani und seiner Frau Emily V. Gordon, die die beiden, unter der Ägide von Judd Apatow als Produzent über Jahre als Drehbuch entwickelt haben.



Die komplizierende Retardierung des gefundenen Glücks, auf das eine solche Geschichte den Regeln der Kunst und des Genres nach zusteuert, ist im Falle von "The Big Sick" gleich eine doppelte. Von Kumail erwarten seine manchen Traditionen nachhängenden, mit ihm aus Pakistan emigrierten Eltern (Anupam Kher und Zenobia Shroff) dass er einen anständigen Beruf ergreift und eine pakistanisch-muslimische Frau heiratet. Zum einen Zweck soll er Jura studieren, zum anderen präsentiert ihm seine Mutter in enervierender Ausdauer Kandidatinnen für arrangierte Ehen. Kumail erträgt das in doppelter Charade, das Jurastudium als nur aufgeschobenes Ziel hochhaltend, das Heiratsspiel mitspielend, und er geht in den Keller "um zu beten", auch wenn er dort den Wecker stellt und auf dem Handy Youtube schaut. Die weiße Freundin verschweigt er seinen Eltern ebenso, wie er Emily nichts von dem kulturellen Konflikt erzählt, den er als assimiliertes Immigrantenkind am eigenen Leib erfährt. Als die Sache auffliegt, ist der Vertrauensbruch so groß, dass Emily ihn verlässt.

Just da, und das ist die zweite Komplikation, wird Emily von einer mysteriösen Infektion befallen, die bald in einem medizinisch induzierten Koma endet, und Kumail in die reichlich seltsame Situation bringt, plötzlich als Notfallkontakt am Krankenbett seiner bewusstslosen Ex-Freundin und an der Seite von deren Eltern (Holly Hunter und Ray Romano) zu wachen, die wiederum, von Emily in alle Details ihrer Beziehung eingeweiht, nicht allzu gut auf ihn zu sprechen sind. Und in dieser Notlage beginnt Kumail zu überdenken, was ihn, als Held der Reise, die der Film genretreu ist, daran hindert, ans Ziel zu gelangen.

Michael Showalter, der Regisseur, hat zuvor zwei Filme gedreht, beides romcom-Variationen: "The Baxter", der jene Figur ins Zentrum stellt, die normalerweise zugunsten des Protagonisten verlassen werden muss, und "Hello, My Name Is Doris", in dem Sally Field als Mitt-Sechzigerin sich in einen deutlich jüngeren Kollegen verliebt. Als Autor, Produzent und nicht zuletzt als Schauspieler war Showalter an "Wet Hot American Summer" und mittlerweile zwei Serien-Spin-Offs beteiligt, einer im besten Sinne unfassbaren Parodie auf Teenie-Summercamp-Komödien, deren groteske Volten auszubreiten hier zu weit führen würde. "The Big Sick" inszeniert er in gekonntem Fokus auf die Talente seines (bis in die kleinsten Nebenrollen fantastisch besetzten) Ensembles, in einer Form, die wenig mehr sein möchte als transparent in Bezug auf die Bühne, die sie ihrem Spiel bietet.

In "The Big Sick" dreht der Humor nicht frei, sondern entwickelt sich um diese doppelte Problematik: eines Mannes, der in einer rassistischen Gesellschaft in einem Elternhaus aufwächst, dass anders als er versucht, an Traditionen festzuhalten, und eines Mannes, der im Angesicht einer tödlichen Krankheit lernt, dass er die Frau, die ihn verlassen hat, vielleicht doch liebt. Es gibt gleich zwei Höhepunkte, in denen Nanjiani auf der Bühne steht, und ihm der Witz versagt, angesichts dessen, was ihm gegenüber steht. Die Momente stehen symptomatisch für ein Ringen, das den Film umtreibt, ein Ringen darum, was Witz werden kann, und was unmittelbarer erschütternd bleiben muss, worüber man, wie das Sprachspiel geht, trotzdem lacht, und was in ein Register der Rührung eingefasst bleibt - als ob der Film im Angesicht des Realen sich seiner stärksten Waffen verweigert.

Franz Müller, die wohl weltgrößte Hoffnung der deutschen Komödie, habe ich in einem Publikumsgespräch einmal (sinngemäß) sagen hören, dass man Komödien nicht über die Dinge schreibt, die zum leichtesten Lachen tendieren, sondern über die Dinge, über die man, wegen ihre Schwere, gar nicht anders sprechen kann. "The Big Sick" lebt von diesem Stachel, zeigt aber zugleich, was passiert, wenn ein wie virtuos auch immer umgesetztes Genre die Irritationen und Verunsicherungen einhegen zu müssen meint, um noch kathartisch reüssieren zu können. Worüber man noch lachen kann und darf, das ist, im Kino wie im Leben, eine Frage, die ums Ganze zielt.

Sebastian Markt

The Big Sick - USA 2017 - Regie: Michael Showalter - Darsteller: Kumail Nanjiani, Zue Kazan, Holly Hunter, Ray Romano, Anupam Kher, Zenobia Shroff - Laufzeit: 120 Minuten.

---



"Happy Death Day" ist eine einzige Jessica-Rothe-Show. Die Schauspielerin reißt in ihrer ersten High-Profile-Hauptrolle den Film, durch den sie sich bewegt (ganz wörtlich: sie ist wirklich andauernd in Bewegung), mit einer derartigen Wucht an sich, dass man sich ziemlich sicher sein kann: es wird nicht ihre letzte gewesen sein. Alles ist auf sie zugeschnitten, sie ist nicht nur in jeder Szene, sondern beinahe in jeder Einstellung zu sehen und bekommt dabei auch einiges zu tun. Strukturell ist "Happy Death Day" eine Acting-Showreel: Der Film besteht im Kern daraus, dass Rothe in konstanten Standardsituationen wechselnde Gemüts-, Gesundheits- und Wahrnehmungszustände ausagiert, jeweils mit vollem Körpereinsatz.

Erzählerisch ist das als Zeitschleifenfilm organisiert: Rothe spielt Tree Gelbman, eine Studentin, die sich eines Morgens im Bett eines ihr unbekannten Kommilitonen wiederfindet, anschließend mehr schlecht als recht durch ihren Tag (der dann auch noch ihr Geburtstag ist) stolpert und abends auf dem Weg zu einer Party von einem maskierten Unbekannten ermordet wird. Nur um gleich nach dem Ableben wieder im selben Bett desselben Kommilitonen aufzuwachen. Prinzip "Groundhog Day", oder, zuletzt, "Wenn Du stirbst, zieht das ganze Leben an Dir vorbei, sagen sie".

Zeitschleifenfilme sind fürs Kino deshalb besonders interessant, weil sie direkt im Bild, beziehungsweise in der Differenz zwischen fast identischen Bildern, nachvollziehen lassen, wie filmische Bedeutungszuschreibung funktioniert, wie sich die Kontingenz der Welt im Akt des Filmens in eine fixierte Zeichenmasse verwandelt; und wie diese Zeichenmasse dann wiederum, im nächsten Schritt, poetisch mobilisiert werden kann. Oder anders ausgedrückt: Gleiche Zutaten führen im Kino gerade nicht stets zum gleichen Ergebnis. Trees morgentlicher Gang einmal quer über den Kampus, vom Schlafraum des Kommilitonen zu ihrem eigenen, ist beim ersten Durchlauf einfach nur Teil ihrer Lebenswelt, beim zweiten ein einziges Deja-vu, und ab dem dritten verwandelt er sich in einen Parkour, der exakt vorausberechnet werden kann: Erst wird der Typ mit der komischen Brille an mir vorbei laufen, dann wird mich jemand um eine Unterschrift für den Naturschutz bitten, im Hintergrund wird eine Autoalarmanlage lärmen und die Sprinkler-Anlage wird ein Pärchen von der Rasenfläche vertreiben.

Rothe kann sich jedes Mal neu und anders zu dieser vorprogrammierten Ereigniskaskade verhalten, und sie tut das auch ausgiebig. Es geht dabei nicht um Subtilität des Ausdrucks, sondern um wuchtig gesetzte Gesten (und auch stets um Rothes jedesmal ein wenig anders zelebrierte schlacksige, ein wenig arrogante Eleganz). Ob sie nun, wie in den ersten Durchläufen, verstört und verschreckt durch ihren eigenen Albtraum huscht, oder später, mit mehr Übung, souverän, jede Geste antizipierend und wie eine Dirigentin orchestrierend, über den Kampus tänzelt, oder noch später, einfach weil sie es kann, auch mal komplett nackt ins Freie tritt: Sie verschreibt sich jeder neuen Rollenversion mit Haut und Haaren, ihr Spiel ist durchdrungen von einer Euphorie und gesteigerten Lebendigkeit, der, das ist von Anfang an klar, kein Killer auf die Dauer gewachsen sein kann.



Es gibt nicht nur in diesem Zeitschleifenfilm eine innertextuelle Spannung: Einerseits geht es, narrativ betrachtet, darum, ein aus der Bahn geratenes Leben wieder zu begradigen. Die Wiederholung wird zum Medium der Selbstreflexion, und so erkennt Tree eben irgendwann, dass ihre Affaire mit einem freilich immerhin hübschen Professor keine so gute Idee ist, dass sie sich mal wieder mit ihrem Vater treffen und dem Oberrüpel ihrer Sorority Einhalt gebieten könnte. Glücklicherweise ist der Film in dieser Hinsicht nicht allzu preachy, einen Keuschheitsgürtel muss sich die Protagonistin nicht anlegen (was auch deshalb wichtig ist, weil der Film nebenbei durchaus die Diskussionen der letzten Jahre über sexuelle Gewalt auf amerikanischen Unikampussen aufgreift; die entsprechenden Szenen machen stets klar, dass das Problem keineswegs auf der Opferseite zu suchen ist).

Andererseits wollen Zeitschleifenfilme, strukturell betrachtet, gerade nicht auf einen Lernprozesse und auf Begradigungen heraus; ihr eigentlicher Motor (beziehungsweise: das genuin Filmische an ihnen) ist ganz im Gegenteil ein anarchischer Spieltrieb. Was wäre, wenn… wir diesen oder jenen Baustein unserer fiktiven Welt umkippen, was passiert, wenn Tree gleich nach dem Aufwachen eine Überdosis Schmerzmittel einwirft oder wenn sie den Studenten, in dessen Zimmer sie aufwacht, in die Zeitschleifenproblematik einweiht? Und auf wie viele verschiedene Arten kann sie dessen Mitbewohner, der Morgen für Morgen mit demselben sexistischen Spruch auf den Lippen das Schlafzimmer betritt, demütigen? Noch die beknackteste Idee ist zugelassen, weil die Situation ein paar Minuten später ohnehin wieder auf Null zurückgesetzt sein wird. So gesehen sind die Wiederholungen gerade nicht pädagogisch zielgerichtet, sondern fröhlicher Selbstzweck. Zumindest im Fall des nicht durchweg sorgfältig gestalteten (das Drehbuch insbesondere sollte man nicht allzu genau unter die Lupe nehmen), aber eine angenehme Balance aus spätadoleszentem Psychoexzess, satirischen Spitzen und einigen Takten Horrorgeisterbahn haltenden "Happy Death Day" triumphiert das hedonistische Spaßkino mit Leichtigkeit über seine eigene moralistische Erzählprämisse.

In diesem Sinne sind Zeitschleifenfilme auch stets Reflexionen aufs Genrekino. Wer viele College-Komödien oder Slasherfilme schaut (und in gewisser Weise vereint "Happy Death Day" das Beste aus beiden Welten), der erlebt dabei nur allzu schnell ein Deja-vu nach dem nächsten und weiß über jede Plotwendung schon eine halbe Stunde im Voraus Bescheid. Aber anstatt dass man sich langweilt (oder gar zu einem besseren Menschen wird), erfreut man sich an den vielen kleinen Differenzen, Exzessen und Energieschüben, die gerade diese gesteigert formatierten Formen des Kinos ermöglichen. Das Genrekino zu lieben heißt, sich für die ungerichtete Vielgestalt der Welt zu öffnen.

Lukas Foerster

Happy Death Day - USA 2017 - Regie: Christopher Landon - Darsteller: Jessica Rothe, Israel Broussard, Ruby Modine, Charles Aitken, Laura Cliffton - Laufzeit: 96 Minuten