Im Kino

Wirkliche Monstereien

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Sebastian Markt
22.03.2018. Ein chinesisch-amerikanischer Übernahmeblockbuster mit einer Überdosis Kampfroboter ist Steven S. DeKnights "Pacific Rim: Uprising". Joachim Triers Coming-out-Drama "Thelma" versetzt die Welt in ein Zittern, lässt sich aber leider nicht auf das wilde Denken des Genrekinos ein.


Als der Blockbuster "Pacific Rim" vor knapp fünf Jahren in die Kinos kam, wurde der Film - ähnlich wie Marc Forsters Zombie-Spektakel "World War Z" - als Symptom einer Zeitenwende in Sachen Filmproduktion und -distribution betrachtet: Während Guillermo del Toros Hommage ans japanische Monsterkino in den westlichen Märkten weit unter den Erwartungen blieb, entwickelte sie an Chinas Kinokassen eine so gewaltige Zugkraft, das man trotz lauer Umsätze in den eigenen Märkten bald öffentlich über ein Sequel nachdachte. Damit festigte sich ein Trend im invesitionsintensivsten Segment des amerikanischen Kinos: Holte man zuvor seine Filme schon im eigenen Territorium ins Plus, um sich die goldene Nase dann im Export zu verdienen, ist heute für die Amortisierung der Produktionsḱosten ein Erfolg im Ausland unerlässlich, während sich der wahre Erfolg schlussendlich erst in China manifestiert - dem dortigen Kinoneubau-Boom ist's gedankt. Auf die Strahlkraft der eigenen Produkte kann sich die amerikanische Filmindustrie daher nicht mehr ohne weiteres verlassen: Längst kalkuliert man die Bedürfnisse des chinesischen Marktes mit ein.

Im nunmehr vorliegenden, ohne kreative Beteiligung del Toros entstandenen "Pacific Rim: Uprising" zeigt sich das konkret. Bereits mit Zhang Yimous "The Great Wall" (2016) hatte Legendary einen sino-amerikanischen Blockbuster gedreht, der das neue wirtschaftliche Verhältnis der beiden Großmärkte narrativ zumindest verklausulierte - in "Pacific Rim: Uprising" findet dieses Verhältnis nun direkt seinen Niederschlag.

Zehn Jahre, nachdem die aus einem Dimensionsspalt im tiefen Ozean zu uns gekommenen "Kaiju"-Riesenmonster (benannt nach "Kaiju Eiga", dem japanischen Wort für "Riesenmonsterfilm") durch eine Allianz von "Jägern" (gigantischen, an die Transformers erinnernden Super-Robotern, die über eine neuronale Verbindung von zwei menschlichen Piloten gesteuert werden) zurückgeschlagen wurden, stehen die Zeichen der Zeit in der post-apokalyptischen Welt auf Wiederaufbau. Jack Pentecost (John Boyega), der Sohn des im Einsatz verstorbenen Admirals des heldenhaften Jäger-Geschwaders, verdingt sich unterdessen mehr oder weniger kleinkriminell, landet aber auf diese Weise wieder bei den Jägern - eine Art Resozialisierungsmaßnahme. Den genialisch-überkandidelten Wissenschaftler Newton Geiszler (Charlie Day), dessen Erkenntnisse maßgeblich zum Sieg über die Kaijus beigetragen haben, steht mittlerweile beim chinesischen Großkonzern Shao unter Vertrag, wo er unter der Fuchtel der herrischen Vorgesetzten Liwen Shao (Jing Tian) eher schlecht als recht an einer neuen Jäger-Generation arbeitet, die es gestatten soll, die Hi-Tech-Wunderwerke von jedem beliebigen Ort der Welt aus zu steuern.

Und dann ist da noch die jugendliche Amara (Cailee Spaeny), die sich aus Schrott ihren eigenen Jäger zusammengebaut und gemeinsam mit Jack im Militär gelandet ist, wo sie zur Jagdpilotin ausgebildet werden soll. Als bei einem rein repräsentativen Akt ein altgedienter Jäger von einem plötzlich auftauchenden, neuen, "bösen" Jäger angegriffen und halb Sydney dem Erdboden gleichgemacht wird, zeigt sich, dass es eine neue Bedrohung gibt: Der Verdacht fällt auf den Shao-Konzern.



Ein Übernahme-Film: Wenn Liwen Shao die Relevanz und Macht ihres Konzerns deutlich macht, fällt es schwer, darin nicht auch Notizen zum neuen Machtverhältnis hinter Hollywoods Kulissen zu sehen. Ähnlich wie in Steven Spielbergs "Ready Player One", der in zwei Wochen in die Kinos kommt und die globalisierte, in Auflösung ihrer Bestandteile begriffene Pop- und Medienwelt einerseits euphorisch aufgreift, andererseits zum Ausgangspunkt einer melancholischen Rückschau macht, artikuliert sich auch hier ein diffuses Unbehagen, das zwischen einerseits Faszination, andererseits Sehnsucht nach einer Rückkehr in alte, bessere Zeiten changiert. Doch anders als "Ready Player One", der das diplomatische Angebot eines paritätisch organisierten Zeitmanagements auf den Tisch legt, mündet "Pacific Rim: Uprising" in eine Geste der Umarmung und überwindet die Gegensätze.

Damit empfiehlt sich "Pacific Rim: Uprising" als ideales Produkt einer frisch globalisierten Unterhaltungskultur, die gezielt Makro- und Mikro-Märkte anspricht und miteinander an einen Tisch setzt, respektive in einem Kinosaal zusammenführt: Die Monster stammen aus Japan, der militärische Gung-Ho-Drill und die Spezialeffekte-Effizenz aus den USA, Geld und Schurken aus China, die Vorarbeit hat ein Mexikaner geleistet und die Schauplätze entnimmt man dem globalen Jet-Set. Dazu passend setzt sich auch das Ensemble vorbildlich divers zusammen: Das (diesmal auffällig junge) Jäger-Geschwader umfasst alle Geschlechter und Herkünfte in neu konfigurierten Zusammenhängen unter Berücksichtigung momentaner Sensibilitätslagen (allerdings unter Ausschluss queerer Kritik), in-, beziehungsweise exklusive Schauspieler Scott Eastwood, der als kernig-soldatischer Held alten Zuschnitts am Ende die Biege macht und vornehm anderen den Vortritt beim Weltretten lässt. Was angesichts der Tatsache, dass Scott seinem berühmten Vater Clint in manchen Einstellungen zum Verwechseln ähnlich sieht, eine eigene kinobildpolitische Dimension öffnet.

Kann man alles ohne weiteres gut finden, ist allerdings in seinem Kalkül auch ziemlich durchsichtig. Wie überhaupt dem Film mitunter ein wenig das Herz fehlt, das Guillermo del Toro als passionierter Monsterfilmliebhaber in den ersten Teil gesteckt hatte. Der kindliche "sense of wonder" der Entdeckung einer phantastischen Welt geht in einem Sequel dank etablierter Erzählwelt naturgemäß flöten, und leider fällt "Pacific Rim: Uprising" wenig ein, wie sich dieser Verlust ersetzen ließe. Dass sich der Film lange auf die Roboter als Spektakel verlässt, scheint merkwürdig schlecht informiert: Als ob in einer globalen, Transformers-übersättigten Bildwelt Kampfroboter der Kern der awesomeness eines Monsterfilm darstellen würden. Wirkliche Monstereien gibt es erst zum Schluss zu sehen, als sich drei Kaijus zu einem Mega-Kaiju amalgamisieren - anders als im ersten, nächtlich-diesigen Film finden die meisten Rangeleien allerdings in klarem Tageslicht statt, was den visuellen Effekten in ihrer Entblößung doch einiges an Wucht nimmt: Gelang es "Pacific Rim" noch, physische und digitale Welt nahtlos und glaubhaft zu verschmelzen, sieht man hier doch wieder eher Monster aus dem Computerspiel vor sich. Dass Nacht und Nebel Monsterfilmen gut tun, wusste Genre-Experte del Toro besser.

Immerhin: Die säuische Lust daran, mit Riesenmonstern und Riesenrobotern das urbane Zentrum spätkapitalistischer Akkumulation nach Herzenslust zu pulverisieren, ist zum Ende hin gewohnt ungebrochen. Anders als bei Gewaltbrummern wie Zack Synders "Man of Steel" steht nicht das heilige Pathos der versuchten Zuschauerzertrümmerung im Vordergrund, sondern die augenzwinkernde Gaudi als solche. Dass man sich bis dahin durchs lange Tal der mühseligen Plot-Plausibilisierung schleppen muss - warum nun eigentlich steht da am Ende wieder dieser Riesen-Kaiju, wo man den Spalt  zwischen den Welten doch geschlossen hat -, ist neben dem durchsichtigen Reißbrettcharakter seiner Marktinteressen allerdings ein weiterer Grund dafür, dass "Pacific Rim: Uprising" ein eher überschaubares Vergnügen bleibt.

Thomas Groh

Pacific Rim: Uprising - USA, China 2017 - Regie: Steven S. DeKnight - Darsteller: John Boyega, Scott Eastwood, Cailee Spaeny, Burn Gorman, Charlie Day, Jing Tian - Laufzeit: 111 Minuten.

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Als Thelma vielleicht sieben oder acht ist, stapft sie mit ihrem Vater auf der Jagd durch die menschenleere norwegische Natur, über einen gefrorenen See, durch dessen dicke Eisdecke sie den verschwommenen Konturen von Fischen nachsieht. Ein gespenstisch anmutender Gegenschuss fängt ihren Blick von unten durch das Eis ein. Später, im Wald dann, der erschreckende Augenblick, als der Vater das Gewehr für einen Moment statt auf das Reh auf die nichtsahnend vor ihm stehende Tochter zu richten scheint. Als Thelma gerade am Erwachsen werden ist, findet der Film sie wieder, in einer weiten, aus dem Himmel herabblickenden Totalen, er isoliert sie langsam aus der Menge auf einem Osloer Universitätscampus und folgt ihr in eine Vorlesung.

Thelma (Eili Harboe) ist aus der Provinz in die Stadt gezogen und studiert dort Biologie. Mit ihren streng gläubigen Eltern ist sie in engem Kontakt, sie rufen täglich an, und kommen alsbald auf Besuch. Thelma indessen steckt mitten in einem mal euphorischen, mal schmerzhaften Übergang, lässt ideologische Distanz zum Elternhaus spüren, tut sich, gerade noch die Unschuld vom Lande, nicht immer leicht, den Draht zu ihren abgeklärten Generationsgefährt*innen zu finden. Etwas Anderes, und davon künden im Film sowohl die diegetischen Zeichen, als auch jene, die aus der Handlung bis weit in den Publikumsraum herausragen, ist die Begegnung mit der gleichaltrigen Anja (Kaja Wilkins), neben der sie eines Tages in der Bibliothek zu sitzen kommt. Aus dem über der Bibliothek pulsierenden Vogelschwarm löst sich eine einzelne Krähe, die sich an der Fensterscheibe zu Tode knallt, während drinnen Thelma ein Zittern ergreift, das sich zum epileptischen Anfall auswächst.



Es wird nicht der letzte gewesen sein. Thelmas wiederkehrende Anfälle, die sie vor den Eltern verschweigt, stoßen Türen zu bisher verschlossenen Trakten der Familiengeschichte auf. Indessen entwickelt sich zwischen ihr und Anja eine zaghafte Anziehung, die Thelma nicht nur vor dem Hintergrund ihrer bigotten Erziehung in Konflikte stürzt. Zur dichtesten Überkreuzung kommt es beim Opernbesuch mit Anjas Mutter, als Anja erst Thelmas Hand nimmt und sie dann an der Innenseite des Knies berührt. Thelma, sichtlich erregt, versucht den heraufziehenden Anfall zu unterdrücken und versetzt dabei den Deckenbehang der Osloer Oper bedrohlich in Schwingung.

Ein Unterdrücktes Begehren, das vom Körper Besitz ergreifen will, sich an der Außenwelt Bahn bricht und damit den filmischen Raum affiziert. Entlang dieser, im Kino immer wieder gerne an Frauenkörpern entlang entworfenen Achse, treibt Trier seine doppelsinnige Geschichte voran, ein queeres Coming Of Age, das die übersinnlichen Momente seines Universums, in nicht zu übersehender Deutlichkeit, stets auch metaphorisch gelten lassen will. Dass derlei Versprechen sich hier nur teilweise einlösen, liegt weniger an der psychologischen Eindimensionalität seiner Figuren, die für den Film eh nur als Affektträger interessant sind, als daran, dass in Triers zurückhaltenden Anleihen an die Formensprache des Horrorfilms und deren Einlassung in einen in sich ruhenden Entwurf eines wohltemperierten Autorenkinos die wilderen Teile des Denkens des Genrekinos und damit auch seine erzählerische Klugheit auf der Strecke bleiben. Der Wille zur geschlossenen Form ist am Ende zu groß, als dass die immer wieder eindringlichen Körperbilder die Welt ins große Zittern versetzten könnten.

Sebastian Markt

Thelma - Norwegen 2017 - Regie: Joachim Trier - Darsteller: Eili Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen, Ellen Dorrit Petersen - Laufzeit: 116 Minuten.