Im Kino

Auf Unsicherheit gebaut

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Jochen Werner
23.08.2018. Spike Lees neuer Film "BlacKkKlansman" ist auf eine sehr grundlegende Art auf Unsicherheit gebaut. RP Kahl schreibt in "A Thought of Ecstasy" auf konsequente Art ein im deutschen Kino einmaliges autorenfilmerisches Projekt fort.



Ron Stallworth (John David Washington) geht zur Polizei. Mitte der 1970er Jahre macht ihn das zum ersten schwarzen Polizisten in Colorado Springs, Colorado. Gleich in der ersten Einstellung, in der er auftaucht, sieht man ihn, die Kamera filmt das zunächst senkrecht von oben, die Polizeistation betreten, für das Vorstellungsgespräch. Er hatte den Entschluss, Polizist zu werden, also bereits gefasst, bevor der Film beginnt. Das passt zu einem Film, der seine Figuren nicht primär psychologisch denkt, sie nicht nach ihren inneren Motivationen befragt, sondern über ihre Funktion definiert. Was aber keineswegs in einer simplifizierenden Figurenanlage resultiert. Denn die Frage, was es genau heißt, eine Funktion zu erfüllen, ist, das zeigt der Film eindrücklich, komplex genug. Erst recht, wenn die Figuren irgendwann beginnen, sie sich selbst zu stellen.

Ron will also Polizist werden. Seine Kollegen sind alle weiß, nicht alle sind rassistisch, aber die, die es sind, machen ihm das Leben in Windeseile zur Hölle. Eher durch einen glücklichen Zufall landet Ron schließlich in der Intelligence-Division, die für Undercoverermittlungen zuständig ist und die von einem angenehmeren, ein wenig nerdig anmutenden Typus Polizist dominiert wird. Und wiederum eher aus einer Laune heraus wählt Ron eines Tages die Telefonnummer der lokalen Niederlassung des Ku-Klux-Klan, die er einer Anzeige in der Lokalzeitung entnimmt. Er möchte, erzählt er seinem Gesprächspartner, etwas unternehmen gegen das rassenfremde Gesindel, das sich auf amerikanischen Straßen herumtreibe und dabei immer frecher werde.

Spike Lees "BlacKkKlansman" basiert auf Black Klansman, der Autobiografie des echten Ron Stallworth. Die Filmversion nimmt wohl einige Änderungen vor, die insbesondere die Rolle der Polizei in ein günstigeres Licht rücken, was zum Beispiel Lees Kollegen Boots Riley missfällt. Im Allgemeinen hat die Kritik die Adaption jedoch bejubelt. Häufig wird "BlacKkKlansman" als "wütende Satire" beschrieben. Das passt nicht ganz auf den Film. In ihm steckt zwar Wut und der Grundmodus seiner Erzählung ist satirisch, aber man kann, glaube ich, beides nicht so einfach zusammenziehen. Die Satire speist sich nicht aus Wut. Eher ist die Wut dasjenige, das über die Satire hinaus weist. Jedenfalls ist die Geschichte, die Spike Lee entwirft, eher als eine hintersinnige, ironische, dialektische und gar nicht einmal unbedingt pessimistische Komödie beschreibbar, denn als ein wütendes Traktat. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt, ab dem alles anders wird.

Der eigentliche Konflikt des Films ist nicht der zwischen dem jungen schwarzen Cop und dem Ku-Klux-Klan. Sondern der zwischen zwei unterschiedlichen Strategien im sozialen Kampf: Ist es möglich, wie Ron glaubt, rassistische gesellschaftliche Strukturen von innen heraus, also auch, zum Beispiel, vom Inneren eines Polizeireviers aus, aufzubrechen? Oder kann, wie ihm die junge, Black-Power-bewegte Studentin Patrice Dumas (Laura Harrier), in die er sich verliebt, beizubringen versucht, nur die Radikalopposition mitsamt zumindest der Option des bewaffneten Kampfes die Fesseln sprengen, die schwarze Amerikaner auch ein gutes Jahrhundert nach Abschaffung der Sklaverei noch binden?

Diese Opposition erinnert ein wenig an die beiden divergierenden Zitate, die Lee am Ende seines bekanntesten Films "Do the Right Thing" platziert hatte: "Violence as a way of achieving racial justice is both impractical and immoral. (...)" (Martin Luther King) und "(...) I don't even call it violence when it's self- defense, I call it intelligence." (Malcolm X). Wie in "Do the Right Thing" geht es Lee auch in "BlacKkKlansman" letztlich weniger darum, eine der beiden Optionen triumphieren zu lassen, als darum, ein politisches Spannungsfeld zu skizzieren, auf dem verschiedene Positionierungen möglich sind. Wobei, wiederum in beiden Filmen, die Option "black radicalism" zumindest filmisch die attraktivere ist; in "BlacKkKlansman" zeigt sich das insbesondere während einer Rede des von Malcolm X beeinflussten Bürgerrechtlers Kwame Ture (gespielt von Corey Hawkins), die Lee mit einer berückend schönen Collage junger, schwarzer, aufmerksamer Gesichter unterlegt.

Allerdings kommt im neueren Film eine weitere Komplizierung hinzu: Der schwarze Klansman ist gar nicht schwarz, oder zumindest nicht nur. Denn weil es für Ron doch ein wenig zu selbstmörderisch wäre (und auch dem Ermittlungserfolg eher entgegenwirken würde), seinen neuen White-Nationalist-Kameraden von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten, wird an seiner Statt sein Kollege Flip Zimmerman (Adam Driver) zu den KKK-Meetings geschickt. Wo er keineswegs verraten darf, dass er zwar weiß ist, aber gleichzeitig (und das ist eine jener poetischen Freiheiten, die sich der Film nimmt) jüdisch.



Der Ron Stallworth, der den Klan infiltriert, dort alsbald, auch aufgrund der eher tumben Konkurrenz recht problemlos, Karriere macht und sogar mit dem "Grand Wizard" David Duke (Topher Grace) Kontakt aufnimmt, ist also ein schwarz-jüdisches Komposit. Dieselbe Koalition einer schwarz-jüdischen, habituell dezidiert unmartialischen, stattdessen ironiebegabten Außenseiterschaft setzt auch innerhalb des Polizeireviers eine kleine Revolution in Gang und könnte vielleicht, das ist die nie konkret ausformulierte utopische Dimension des Films, auf die Dauer sogar den Widerspruch zwischen inner- und außersystemischer Opposition beseitigen.

Soweit, so wie gesagt eigentlich recht optimistisch. Aber das ist noch nicht der gesamte Film. Der enthält zahlreiche Widerhaken ganz unterschiedlicher Art. Das betrifft zunächst die filmische Form: Es hätte nahegelegen (und zahllose schlechtere Regisseure hätten zweifellos diesen Weg gewählt), Ron Stallworths Geschichte als eine grelle, überdrehte Politgroteske, als ein Schaulaufen diverser Freaks zu inszenieren. Zwar hat Lee tatsächlich viel Spaß daran, in den Klanszenen eine Typologie rassistischer Dummheit zu entwerfen (insbesondere Paul Walter Hause legt als grenzdebilder "Ivanhoe" eine grandiose Show hin); aber insgesamt ist der Tonfall des Films keineswegs besonders aufgekratzt.

Eher hat er einen melancholischen Grundton, der die satirische Intention auf interessante Weise unterläuft. Bemerkenswert ist insbesondere Terence Blanchards Filmmusik: ein dichter, warmer Seventiesscore, kein bisschen aggressiv, besonders aufgefallen ist mir ein mehrmals auftauchendes, elegisches Bläserthema. Washingtons zurückgenommenes, teils fast schon lethargisches Spiel (besonders toll ist seine dezente Awkwardness, die am deutlichsten in den Szenen mit Harrier durchschlägt) und vor allem Lees Bildsprache sind von einer ähnlichen, nicht kalt-abstrahierenden, eher sanften, fast schon resignierten Distanziertheit geprägt. Viele Szenen rufen eine spezifische Nostalgie auf, die sich auf die Politthriller New-Hollywoods bezieht, besonders deutlich während eines konspirativen Treffens vor einem Wasserfall, aber zum Beispiel auch in einer sehr langen Einstellung, in der Ron und Patrice über eine lange Holzbrücke spazieren und sich dabei ganz langsam der Kamera nähern.

An anderen Stellen dringt dann allerdings ganz massiv die trumpistische Gegenwart in den Film. Zum einen, als fast schon etwas plump gebauter Running-Gag, in den fiktionalen Klanszenen, wenn die historischen Rassisten wieder und wieder, fast zwanghaft, dasselbe Vokabular verwenden wie die gegenwärtige Administration. Zum anderen in der Schlussszene, die der letztjährigen Neonazi-Demonstration in Charlottesville gewidmet ist - und die sich keineswegs organisch aus dem Vorhergehenden ergibt, die vielmehr über den Film hereinbricht wie eine Naturkatastrophe.

Die Diskrepanz zwischen der fiktionalen Spielhandlung und dem dokumentarischen Epilog (der aus einer anderen Perspektive vielleicht gar kein Epilog, sondern eine Klimax ist), scheint mir den Kern des Projekts auszumachen. Vielleicht könnte man BlacKkKlansman als einen Film beschreiben, der von seiner ursprünglichen (und nach wie vor textuell dominanten) Anlage her noch der Obamaära zugehörig ist, der aber gleichzeitig von (anti-)trumpistischen Impulsen durchzuckt wird. Lees Leistung besteht darin, beides, die vorsichtig optimistische Obamadialektik und die wütende gesellschaftliche Disruption, für die Trump steht, zuzulassen, ohne das eine gleich wieder gegen das andere auszuspielen. Stattdessen ist ihm ein Film gelungen, der auf eine sehr grundlegende und reflektierte Art auf Unsicherheit gebaut ist.

Lukas Foerster

BlacKkKlansman - USA 2018 - Regie: Spike Lee - Darsteller: John David Washington, Adam Driver, Laura Harrier, Alec Baldwin, Corey Hawkins, Paul Walter Hause, Jasper Pääkkönen, Topher Grace - Laufzeit: 135 Minuten.

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Los Angeles, Stadt der Geister. Es gibt wohl keinen zweiten Ort auf der Welt, an dem die Gespenster des Kinos so omnipräsent sind; an jeder Straßenecke, in jeder Tankstelle, jedem Motel und jedem Drugstore, unter jeder Highwayüberführung spuken sie. Der Deutsche Frank (RP Kahl) kommt nach L.A., um ein Gespenst aus seiner eigenen Vergangenheit wieder einzufangen: Vor 20 Jahren ging Marie in die USA und verschwand dort ohne ein Lebenszeichen. Ein solches meint Frank nun in Form eines Buchs entdeckt zu haben, in dem eine geheimnisumwobene, anonyme Autorin vermeintlich ihre gemeinsame Vergangenheit erzählt. Auf der Suche nach seiner verschwundenen Liebe und der eigenen verlorenen Zeit sucht Frank die Literaturagentin Liz Archer (Deborah Kara Unger) auf, die jedoch bestreitet, dass sich hinter ihrer mysteriösen Autorin die verschwundene Marie verbirgt. Desillusioniert macht sich Frank auf den Weg aus der Stadt hinaus, in die Wüste, um den Spuren Maries auf dem letzten Weg vor ihrem spurlosen Verschwinden zu folgen. Er trifft auf die Stripperin Nina (Ava Verne), und unter der brennend heißen Sonne des Death Valley beginnen Story, Traum, Halluzination und Wirklichkeit zu verschmelzen …

Unter den Filmemacher*innen des deutschen Gegenwartskinos ist RP Kahl vielleicht der obsessivste. Sieben Jahre hat es nach "Bedways" gedauert, bis er mit "A Thought of Ecstasy" nun wieder einen Kinofilm gedreht hat - Jahre, in denen eine ganze Reihe experimenteller Kurzfilme und Videokunstarbeiten entstanden, die er in einer selbst herausgegebenen Künstleredition veröffentlichte. Filme, die nach eigener Aussage dazu dienten, einen Exorzismus an sich selbst durchzuführen, um die Obsession "Bedways" endlich wieder aus dem eigenen System zu vertreiben. Das mag bestenfalls zum Teil gelungen sein - Marie und Nina, so hießen bereits die Protagonistinnen von "Bedways", und auch sie zählen zu den Geistern des Kinos, die "A Thought of Ecstasy" durchspuken. An ihrer Seite, am Wegesrand schreitend, trifft man vielleicht auf den einsamen Wüstenwanderer und seine verlorene Liebe aus "Paris, Texas" oder auf die immer schneller den nächtlichen "Lost Highway" herunterrasenden, gepeinigten Protagonisten so vieler David-Lynch-Filme - going nowhere, fast.



All diesen ganz offen und sehr bewusst herbeizitierten Reisegefährten zum Trotz bleibt "A Thought of Ecstasy" in jedem Moment RP Kahls ganz eigener, persönlicher Film. Das mag auch daran liegen, dass er sich selbst so deutlich ins Zentrum des Geschehens rückt. "A Thought of Ecstasy" ist, darin schreibt er "Bedways" unmissverständlich fort, ein sehr körperlicher Film, und er spielt sich am Körper des DirActors RP Kahl ab. Missgünstigere Kritiken geißelten den Film als eine in die Weiten der Wüste wie der Filmgeschichte hinein verlängerte heterosexuelle Männerfantasie, und rein faktisch haben sie nicht einmal Unrecht. Aber Kahl steht als Auteur wie Hauptdarsteller seiner eigenen Obsessionen stets mit allem, was er hat, mit dem eigenen Leib, der eigenen Haut und noch dem letzten Knoten in den eigenen Hirnwindungen ein für seinen Film und seine Visionen. Das mag hier auch als ein Ergebnis aus seinen den "Bedways"-Stoff immer wieder aufs Neue brechenden, spiegelnden, auf den eigenen Körper oder in den eigenen Kopf rückprojizierenden Videoarbeiten der letzten Jahre stehen: die Erkenntnis, dass man sich einem so radikal idiosynkratischen Kino wie diesem selbst in Gänze, mit Haut und schütterem Haar, ausliefern muss.

In den meisten Kinos war "A Thought of Ecstasy" in einer kürzeren, softeren Fassung zu sehen - nur wenige zeigten, oft im Rahmen von Spätvorstellungen im Geiste der schmerzlich vermissten Midnight-Movies, in deren Tradition sich der Film gut einreiht, die explizitere, drei Minuten längere Fassung. Ein Director's Cut ist das nicht, genauso wenig wie die Kurzfassung jedenfalls -Kahl denkt pragmatisch und betrachtet beide Schnittfassungen als alternative, gleichberechtigte Variationen desselben Filmes. Gleichwohl sollte man nun, da die BluRay-Veröffentlichung zumindest in der aufwändigeren Collector's Edition die Wahl lässt, unbedingt zur längeren Fassung greifen - welcher künstlerischen Obsession hätte eine Zähmung im Hinblick auf die Sensibilitäten von Filmfreigabeinstitutionen oder Kinobetreibern schon jemals wirklich gut getan?

Zuletzt bleibt noch anzumerken, dass dem bisher stets komplett unabhängig arbeitenden Kahl für "A Thought of Ecstasy" erstmals Fördermittel der deutschen Filmförderung wie auch TV-Geld zur Verfügung standen, was man dem Film jedoch überhaupt nicht ansieht - das darf explizit als Kompliment verstanden werden. Kahl verfügt über eine, ob man sie nun schätzt oder ablehnt, im deutschen Kino ganz einmalige Handschrift, und in der Inszenierung von "A Thought of Ecstasy" hat er nicht einen einzigen erkennbaren Kompromiss gemacht. Dies hier ist durch und durch sein eigener Film, sein eigener Traum - ein böser, ein Fiebertraum, vom Kino, von der Stadt und von der Wüste.

Jochen Werner

A Thought of Ecstasy - Deutschland 2017 - Regie: RP Kahl - Darsteller: Deborah Kara Unger, RP Kahl, Ava Verne, Lena Morris, Buddy Giovinazzo - Laufzeit: 90 Minuten.

"A Thought of Ecstasy" erscheint am 23.8. auf DVD und BluRay.