Im Kino

Ein herausfordernder Seitenblick

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Sebastian Markt
02.08.2018. Tom Cruise hat in Christopher McQuarries "Mission: Impossible - Fallout" die letzten lebensweltlichen Verbindungen zum Rest der Menschheit gekappt. Der Film ist dennoch - oder deshalb? - eine Wucht. Denis Côtés Body-Building-Dokumentarfilm "A Skin so Soft" bleibt, mit Ausschweifungen, am Körper hängen.



Hilflos und ängstlich liegt die Polizistin am Boden. Sie ist während einer Auseinandersetzung zwischen diversen Agenten, Doppelagenten und Terroristen zufällig zwischen die Fronten gekommen und hat eine Kugel abbekommen. Einer der Anwesenden richtet seine Pistole auf die unliebsame Zeugin. Ethan Hunt (Tom Cruise), ein Agent, der vorgibt, ein Terrorist zu sein, müsste die Hinrichtung eigentlich geschehen lassen, um seine Tarnung nicht zu verraten. Aber im letzten Moment greift er doch ein - anstatt die Polizistin sterben zu lassen, knallt er den potentiellen Schützen und gleich noch drei weitere bad guys ab. Anschließend beugt er sich herunter zur Polizistin, legt seine Hand auf ihre Wange und blickt sie kurz an.

Dieser kurze, intensive, aber streng genommen inhalts-, oder jedenfalls folgenlose Blick ist gewissermaßen der Gegenblick zu all den Blicken, die auf Tom Cruise geworfen werden in "Mission: Impossible - Fallout". Und zwar in zweierlei Hinsicht. Denn zum einen wird Cruise im Film andauernd angeblickt, insbesondere von Frauen, die ihm gerne näher wären, als sie es sind. Am vielleicht schönsten wird er von Vanessa Kirby angeschaut: ein neugieriger, herausfordernder Seitenblick im Auto, nach einer spektakulären Prügelszene auf der Männertoilette. Aber nicht Kirby, sondern einer anderen, im großen Ganzen des Films komplett nebensächlichen Frau schenkt Cruise momenthaft seine Gunst. Ein Akt der Gnade. Der, zum anderen, auch uns gilt. Denn natürlich erwidert Cruise, wenn er der Polizistin in die Augen schaut, auch unseren Blick, den Blick der Zuschauerinnen und Zuschauer, die ihn auf der Leinwand bewundern, in seinem neuesten - und einem seiner spektakulärsten - Abenteuer.

Nur noch selten erreichen Filme die Kinos, die so sehr auf ihren Star zugeschnitten sind, wie "Mission: Impossible - Fallout" es ist. Cruise ist das Zentrum nicht nur des - leidlich komplexen, für Kenner der Serie, oder irgendwelcher anderer Agentenfilme aber kein bisschen überraschenden - Drehbuchs, sondern auch jeder einzelnen Szene, das Lieblingsblickobjekt und -gesprächsthema aller übrigen Filmfiguren und so weiter. Diese Fixierung auf einen einzelnen Starkörper ist keineswegs eine Limitation. Weil der Cruise-Körper in "Mission: Impossible - Fallout" die Bildproduktion nicht fetischistisch stillstellt, sondern immer wieder neu, immer wieder anders in Gang setzt.

Auf der bereits erwähnten Männertoilette zeigt der Film erstmals, was in ihm steckt. Hunt und sein wenig vertrauenserweckender Kollege August Walker (Henry Cavill) sollen hier einen mysteriösen Gegenspieler namens Lark ausfindig und unschädlich machen. Schnell sehen sie sich in eine wüste, knochenbrecherische Prügelei verwickelt. Die ist punktgenau, auf Impact, inszeniert und gewinnt zusätzlich an Reiz durch das innenarchitektonische Design: Die Toilette ist komplett in Weiß gehalten, und zwar in einem derart reinen Weiß, dass es fast so wirkt, als würden sich die kämpfenden Körper durch einen dimensionslosen Raum bewegen, der freilich gleichzeitig durch Spiegeleffekte kaleidoskopisch zerfällt. Und in den bald außerdem die Spuren des Kampfes - insbesondere Blutspuren - eingetragen werden.



Eine Art Nullpunkt des Actionfilms. Es geht nicht darum, Körper im Raum zu verorten, sondern: Die reine Bewegungsenergie aufeinanderkrachender Körper bringt den Raum, bringt die Welt erst hervor. Und wenn die Welt einmal da ist, kann sie im nächsten Schritt mobilisiert werden. Wenig später (dazwischen: Kirbys aufregender Blick) geht es hinaus auf die Straßen von Paris, eine nächste, noch spektakulärere Actionszene steht an, eine Verfolgungsjagd. Nachdem er den zumindest optisch ein wenig an einen jüngeren, durchtrainierten Slavoj Zizek erinnernden Terroristen Solomon Lane (Sean Harris) entführt hat, sind die Schergen diverser legaler und illegaler Organisationen auf Hunts Fersen. Er entkommt ihnen im Lastwagen, auf dem Motorrad, im Auto. Jede Etappe dieser Flucht hat ihre eigene Textur, ihren eigenen Rhythmus. Der wuchtige Lastwagen brettert mit unwahrscheinlicher Eleganz durch sich immer weiter verengende Gassen; das Motorrad findet im Straßenverkehr Lücken, die den physikalischen Gesetzen zufolge eigentlich gar nicht existieren dürften und flutscht, in einer besonders spektakulären Einstellung, entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung durch den Kreisverkehr rund um den Arc de Triomphe; während der Fahrt im Auto wiederum geht es vor allem darum, das Fahrgefühl, das Aufheulen des Motors, das Ächzen der Federung, das Quietschen der Reifen nachfühlbar zu machen.

Die Kamera verliert bei alldem nie die Übersicht; am liebsten bewegt sie sich vor dem Fahrzeug, in oder auf dem Ethan Hunt gerade unterwegs ist. Und immer wieder rückt sie ganz nah an ihn heran, blickt ihm direkt ins Gesicht. Das hat zum einen den Effekt, dass die Welt doch wieder zur Funktion der Bewegung dieses einen Körpers wird; zum anderen dient es als visueller Beweis dafür, dass dieser eine Körper tatsächlich der von Tom Cruise ist. Denn wie schon die Vorgängerfilme wird auch der sechste Teil der "Mission: Impossible"-Serie damit beworben, dass Cruise (genau wie Jackie Chan; zwei total Filmmaker des Actiongenres) seine Stunts selbst durchführt.

Und auch sonst wird so wenig wie möglich getrickst. Cruise, der sich vor seinen Drehs vertraglich zusichern lässt, dass zumindest er selbst nur mit analogen 35mm-Kameras gefilmt wird, und sein derzeitiger Lieblingsregisseur Christopher McQuarrie, dem kinetisches Bewegungsspektakel nach wie vor mehr liegt als die (De-)Maskierungsspielchen, die ebenfalls zum "Mission: Impossible"-Standardprogramm gehören, haben die Agentenfilmreihe in ein letztes Hurra des handgemachten Big-Budget-Actionkinos verwandelt. Spätestens, wenn Cruise im aberwitzigen Finale - aufs Geratewohl würde ich behaupten: das beste Hollywood-Action-Set-Piece in diesem Jahrtausend - ein weiteres Mal das Verkehrsmittel wechselt und mit dem Hubschrauber abhebt, wird klar: Diesmal ist die Rechnung voll aufgegangen.

Insbesondere Cruise hat den durchschlagenden Erfolg, der "Mission: Impossible - Fallout" bereits eine Woche nach US-Start ist, bitter nötig. Die vielerorts geäußerte Behauptung, dass das Konzept "Filmstar" in den letzten Jahren an Zugkraft verloren habe, wurde nicht zuletzt durch den schleichenden Niedergang des Konzepts "Tom Cruise" plausibilisiert. Tatsächlich hatte Cruise zuletzt keine allzu glückliche Hand bei der Wahl seiner Projekte, insbesondere der Versuch, mit der Hauptrolle in "The Mummy" das Cinematic-Universe-Franchise-Geschäft zu erobern, scheiterte geradezu katastrophal.

Wenn er jetzt wieder triumphiert, dann folgt daraus sicherlich nicht, dass damit gleichzeitig das Starsystem gerettet ist. Auf seine Art ist auch "Mission: Impossible - Fallout", wiewohl nahe am Meisterwerk, ein Krisensymptom. Ein Filmstar, der sich seiner Sache, beziehungsweise seiner Stellung im Machtgefüge Hollywoods, sicher ist, müsste nicht derart viele Transzendenz- und Einzigartigkeitsmarkierungen über seine Filme verteilen. Ethan Hunt hat in seinem neuen Abenteuer noch die letzten lebensweltlichen Verbindungen zum Rest der Menschheit gekappt, er schwebt in seinen eigenen Sphären. Die Mitglieder seines Teams sind keine Kollegen, sondern Fans, und so ziemlich alle Frauen im Film sind verhinderte Groupies. Verhindert, weil Cruise, anders als die Götter der Antike, inzwischen nicht einmal mehr für ein Sexabenteuer in die Welt der Sterblichen herabsteigt. Es bleibt bei dem einen, kurzen Moment der sexlosen Intimität mit der verletzten Polizistin.

Lukas Foerster

Mission: Impossible - Fallout - USA 2018 - Regie: Christopher McQuarrie - Darsteller: Tom Cruise, Henry Cavill, Ving Rhames, Simon Pegg, Rebecca Ferguson, Vanessa Kirby, Sean Harris - Laufzeit: 147 Minuten.

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Dinge, für die mir die Namen fehlen
: Dieser Muskel oder jener, mit klar konturierten Umrissen sich wölbend, wo an anderen Körpern - und am eigenen - nur amorphe Form ist. Und die scharfen Kanten, die einen Muskel vom nächsten trennen. Oder die Art, wie sich Haut über Muskeln spannt, die deutlich schneller gewachsen zu sein scheinen, als das, was ihre Grenze zur Welt ausmacht. Das Hervortreten der Adern in der Anspannung, von dem ich auch nach dem Film nicht so recht weiß, ob das nun gut ist oder schlecht. Routinen, die die Haut straffen und glätten und sie zum Glänzen bringen. Bewegungen und die Haltungen, in denen sie enden, die eine jeweils spezielle Kombination von Muskeln zum Hervortreten bringen und sie dem Blick präsentieren. Dieses präzise einstudierte, in Gegensatz zum angespannten Körper stehende, Mühelosigkeit suggerieren wollende Lächeln, das zu den Posen gehört. Eine immer wieder schöne dokumentarische Erfahrung: in eine Welt gestoßen zu werden, die einem nicht vertraut genug ist, um eine Sprache für das zu haben, wofür es doch eigentlich Bezeichnungen geben müsste, angesichts der Bedeutung, die es darin einnimmt. Denis Côtés jüngster Film "A Skin So Soft" erzählt aus der Welt des Bodybuildings, anhand von sechs Männern in Quebec, die ihre eigenen Körper zum Objekt eines skulpturalen Kunsthandwerks erheben. Was aber macht man mit solchen Körpern, wenn sie einem nicht selbst gehören?

Man kann zum Beispiel, wie Michael Bay in "Pain & Gain" - einer grellen Verfilmung einer Geschichte von drei Bodybuildern auf Abwegen, die mal wahr war -, auf das Groteske ihrer Proportionen fokussieren. Drei Männer, die das Raumgreifende ihrer Körper unersättlich ausdehnen, die Größe ihrer Physis mit ihrem Platz in der Welt in subjektive Passung bringen wollen, Reichtum und Ruhm auf dem kürzesten und damit natürlich kriminellen Weg suchen. Ein Film, dem die Metaphernträchtigkeit seiner aufgepumpten Körper auf ein sich leer gesiegt habendes Amerika nach dem Fall des Sowjetblocks schon in den ersten Momenten auf die Stirn, bzw. in den inneren Monolog seiner Hauptfigur geschrieben steht. Wohlwollend lesbar als Übung in Drastik und Deutlichkeit und als Versuch, aus der Verachtung seiner Figuren eine Kunst zu machen.

Man kann aber auch, wie Elfriede Jelinek in "Death of a not for Ladies Man" - einer 1996 in der Wiener Filmzeitschrift Meteor veröffentlichten Exegese des Lebens und vom Konsum allerlei Steroide, Anabolika und anderer Substanzen beschleunigten Sterbens eines steirischen Bodybuilders - in den semantischen Feldern der äußeren Härtung und inneren Verflüssigung nach Wahrheiten schürfen, die jenseits des Körpers liegen. Ungefähr zur selben Zeit wie "Ein Sportstück" entstanden ("Die Hieroglyphe der Gegenwart ist der Sport: er wird in den jeweiligen eingraviert. Gleichzeitig zerstört er ihn, diesen lieben Wirt, von innen heraus." lautet sein erster Satz) vollzieht der Text einen klugen Sprachwirbel, der an den binär codierten Unterscheidungen einer Kultur das Drama eines Mannes nachzeichnet, der im Streben danach, gegen die Natur ganz Kraft zu werden, sich selbst aushöhlt und darin scheitert, was seinem großen Vorbild Arnold Schwarzenegger das Kino erlaubt hat: vom Körper wieder Person zu werden. Dabei lässt er das Bild einer auf Leistung gepolten Gesellschaft erahnbar werden, ohne sich selbst aus dem Blick zu verlieren. ("Ich selbst zum Beispiel bin lächerlich, aber immerhin noch am Leben.")















Der Weg, den Côté einschlägt, führt anderswo hin. Er bleibt, mit Ausschweifungen, am Körper hängen. "A Skin So Soft" beginnt mit einer Montage morgendlicher Routinen, des Abwiegens von Kohlenhydraten und Proteinen, des prüfenden Blicks in den Spiegel, der Pflege und Arbeit am Körper. Dass diese Körper in jene Form zu bringen ein Resultat von Arbeit ist, mühe- und liebevoller, das macht der Film in seinen ersten Momenten klar, und er läßt es nie vergessen. Stellt die Montage der gelassen faszinierten Beobachtungen zunächst eine Verbindung zwischen Männern her, die eine spezielle Leidenschaft eint, treten im nächsten Schritt Unterscheidungen hervor, die zur Präzisierung führen: Der eine etwa, dem es sichtlich nicht um Form, sondern um Kraft bestellt ist, der Lastwägen zieht und in Wrestlingkämpfen antritt, die Mann gegen Mann und nicht Bild gegen Bild stellen, der andere, der seine Karriere hinter sich hat und als eine Art spiritueller Kinesiologe arbeitet: die Kamera verfolgt seine klopfenden, knetenden, streichelnden Berührungen und Umkreisungen der Körper anderer, der Ton greift seine Einflüsterungen auf, eine Praxis, die, auch wenn man sie nicht versteht, sichtlich um Wohlbefinden und Ganzsein kreist. Ein dritter, der von der Schwierigkeit spricht, Training und Familienleben unter einen Hut zu kriegen.

Es wäre naheliegend, den Blick, den der Film auf die Männer wirft, voyeuristisch zu nennen, doch erscheint das wenig präzise für das In-Betracht-Nehmen von Körpern, die ganz auf den Zweck des Gesehen- und Bestauntwerdens ausgerichtet sind. Der Blick auf den Körper bildet ein Zentrum des Films, in den Blicken in den Spiegel, den Blicken auf die Körper anderer, den abschätzenden, im Trainingsraum und in der Umkleide, den therapeutischen und beratenden, die nach Verbesserung suchen, und in der Ausrichtung auf den Blick selbst, wenn Côté sich Zeit und Raum nimmt, die Umgebung des Moments und des Ausdrucks zu erfassen, die das Fotoshooting festschreibt. Dazwischen immer wieder sinnfällige Irritationen, wenn einer der Männer unter merkwürdigem Schnaufen Youtube kuckend sein Frühstück in sich hineinschaufelt, und dabei in Tränen ausbricht, wenn ein anderer schnell und heimlich in der Küche ein Steak verschlingt, um dann zur traditionellen Familiendinnertafel zurückzukehren, wenn die zerspannten Tattoos ins Bild rücken, auf einer Haut, die einen Körper umspannt, der das, was er ist, erst geworden ist, wenn auf die Selfieposen in der zur Kraftkammer umfunktionierten Garage das Babyschaukeln auf der Schulter folgt. Die Haltung, die der Film einnimmt, ist die Verdopplung eines Blicks der anderen auf sie selbst, prismatisch gebrochen, wie in dem Bild des zähneputzenden Muskelbergs vor dem gekippten Badezimmerspiegelschrank, der den Körper zerteilt und neu zusammenfügt.

"A Skin So Soft" bemüht sich nicht, die Kontexte, in denen die austrainierten Leiber stehen, zum Verschwinden zu bringen, er interessiert sich aber nur soweit dafür, als sie die Körper plastisch und affektiv werden lassen, und nicht für deren Eignung als Gegenstand oder Schauplatz von Metaphern. Markant ausgespart bleibt in der Umkreisung, die der Film vollzieht, der Wettkampf, die soziale Vermessung der Arbeit am physischen Selbst. Seinen Höhepunkt findet der Film woanders, in einer erkennbar Côtéschen Geste des fiktionalen Durchbruchs im letzten Akt, wenn der Regisseur (dessen arrangierende Hand freilich durchgehend spürbar bleibt) seine Protagonisten auf einen Road-Trip in die Natur schickt, und auf einer improvisierten Bühne im Grünen für sich selbst und füreinander posieren läßt. Ein treffendes Bild für einen Film, dessen Faszination einer seltsamen Obsession für eine Schönheit gilt, an der man charakteristisch finden kann, dass sie von Zwecken befreit ist. Eine Faszination, der folgen wird können, wer sich damit zufrieden gibt, dass das, was nicht zur Sprache kommt, im Bild gerinnt.

Sebastian Markt

A Skin So Soft - Kanada 2017 - OT: Ta peau si lisse - Regie: Denis Côté - Laufzeit: 93 Minuten.