Im Kino

Mysteriöser Schweigetyp

Die Filmkolumne. Von Katrin Doerksen, Lukas Foerster
03.10.2018. "Filmworker" von Tony Zierra, gezeigt im Rahmend des Festivals DokuArts, widmet sich jenem Mann, der auf Setphotos stets zwei Schritte hinter Stanley Kubrick zu sehen ist. Eine eher betäubende denn erschütternde Menschenfeindlichkeit prägt "Hold the Dark", den neuen Horrorfilm von Jeremy Saulnier.


In "Filmworker" reden Männer in einer Tour durcheinander. Sie reden nicht wirklich durcheinander, denn die Interviews mit ihnen sind einzeln aufgenommen. Aber die Montage dreht einem Monolog gelegentlich die Lautstärke ab, die Lippenbewegungen des Sprechenden sind noch zu sehen, während aus dem Off schon die nächste Anekdote auf die Tonspur drängt. Dazu die aufgeregten Gesichter, glänzende Augen wie bei kleinen Jungen, gelegentlich wird sogar eine Träne vergossen. Da schwant es einem schnell, dass an dem zu Beginn des Films bemühten Vergleich mit Motten, die um ein Licht kreisen und sich daran zu verbrennen drohen, etwas dran ist.

Das Licht ist Stanley Kubrick. Die Motten sind Schauspieler, Produzenten, Crewmitglieder, die einst mit ihm zu tun hatten. Die Motte, die sich von allen am nächsten heranwagte, ist Leon Vitali, der einst "2001: Odyssee im Weltraum" sah und sich sagte: "Mit diesem Mann will ich zusammenarbeiten!" Er schaffte, was er sich vorgenommen hatte, und spielte Lord Bullingdon in "Barry Lyndon", Lady Lyndons Sohn aus erster Ehe, der sich vor den Augen zahlreicher Gäste bei einem Konzert mit seinem Stiefvater prügelt. Danach hing er seine vielversprechende Karriere als Schauspieler an den Nagel, um in Kubricks Dunstkreis bleiben zu dürfen. "You handled Stanley?" fragt ihn der Interviewer einmal und Vitali korrigiert sofort: "I never handled Stanley. I handled myself so that I could exist in the world of Stanley."

Leon Vitali trägt lange Haare, immer ein Bandana um den blonden Schopf geschlungen und weite Hemden aus grobem Stoff am Körper, Kleidung, die sich leicht als hippieske Eitelkeit missverstehen lässt, bei genauerem Hinsehen aber vielmehr als praktische Arbeitsuniform erweist, als Insignium geradezu protestantischer Arbeitsethik und eiserner Disziplin bis hin zur Selbstaufgabe. Als "filmworker" bezeichnet er sich selbst, wenn er bei Auslandsreisen einen Beruf in sein Visum eintragen muss, denn eine spezialisierte Bezeichnung deckt seine Aufgaben und Fähigkeiten nicht ab. Er ist auch ein filmischer Universalgelehrter. Die Augen rot umrandet, tiefe Falten, chronische Müdigkeit hat sich in sein Gesicht gegraben.



"Filmworker" von Tony Zierra benutzt unter anderem Fotografien, Behind-the-Scenes-Material und Zeitungsausschnitte, um die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der die Bedeutung alternativer Filmgeschichtsschreibung nicht prägnanter verkörpern könnte. Es geht um eine Geschichtsschreibung, die neben dem visionären Genie auch die Produktionsbedingungen berücksichtigt, die Tatsache, dass das Filmemachen eine oft ausbeuterische Gemeinschaftsarbeit ist.

Leon Vitali wird in der Kubrick-Ausstellung, die seit Jahren durch die Museen der Welt tourt, mit keinem Wort erwähnt, obwohl er auf den meisten Setfotos wie ein Schatten zwei Schritte hinter dem Maestro steht. Er begann als Locationscout, wurde zum Coach von Danny-Torrance-Darsteller Danny Lloyd in "The Shining" und kam auf die Idee, statt eines gruseligen Kindes im Drehbuch Zwillinge zu casten. Er sorgte dafür, dass R. Lee Ermey in "Full Metal Jacket" als Ausbilder besetzt wurde, obwohl es schon einen Vertrag mit einem anderen Schauspieler gab. Vitali machte Notizen über alles und jeden, fertigte Filmtrailer für aller Herren Länder an und layoutete VHS-Hüllen, er vermittelte zwischen Stanley Kubrick und Warner Bros., arbeitete im Labor, im Archiv und baute ein Kamerasystem, mithilfe dessen sich die kranke Katze des Regisseurs auf Monitoren in jedem Zimmer rund um die Uhr überwachen ließ. Auch seine Kinder kommen zu diesem in vielerlei Hinsicht aufgeopferten Leben zu Wort, aber nie drängt sich Vitalis Rolle als ständig abwesender Vater in den Vordergrund des Films. Seine Identität bleibt auf Gedeih und Verderb an Stanley Kubrick gekettet.

Zwei Elemente in "Filmworker" erscheinen mir besonders wichtig. Das sind zum einen die Gespräche als Herzstück des Films, die bei allen Beteiligten beinahe kathartische Wirkung zeigen. Leon Vitalis Gesicht ist zum ersten Mal richtig zu sehen, als er erzählt, wie er Kubrick kennenlernte; da bekommen seine Augen einen treuherzig lächelnden, regelrecht verliebten Ausdruck. Zum anderen sind es Ausschnitte aus den Filmen Kubricks, aber auch aus "Terror of Frankenstein" (1977) von Calvin Floyd, in dem Vitali die Hauptrolle mit der Hoffnung übernahm, nach dem Dreh im Schnittraum jenes Handwerk zu erlernen, durch das er eines Tages Kubrick von Nutzen sein könnte. Tony Zierra nutzt diese Filmausschnitte manchmal als Reaction-Shots - da umklammert Victor Frankenstein wie ein Getriebener die lederne Tasche, die seine Erkenntnisse enthält und Tom Cruise reißt erschrocken über Vitalis Arbeitspensum die Augen auf. Es ist, als würde die Fiktion auf die Wirklichkeit reagieren, weil die noch viel unglaublicher erscheint.

Katrin Doerksen

Filmworker - USA 2017 - Regie: Tony Zierra - Laufzeit: 94 Minuten.

"Filmworker" ist am Samstag, 6.10., um 19 Uhr im Zeughauskino Berlin zu sehen, als Teil der Reihe DokuArts. Mehr Informationen hier.

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"Die natürliche Ordnung garantiert keine Rache", sagt Russell Core (Jeffrey Wright) zu Medora Sloane (Riley Keough), seiner Auftraggeberin. Ihr Sohn wurde, das behauptet sie zumindest, von Wölfen verschleppt und getötet. Russell, Wolfexperte oder zumindest Autor eines einschlägigen Wolfbuchs, soll nun seinerseits die wilden Tiere jagen und erlegen. Und stellt freilich gleich am Anfang klar: Auf das Naturrecht kann sich der Rachefeldzug nicht berufen. "Hold the Dark" spielt zwar im eiskalten, waldigen, weltabgewandten Alaska, aber die Schrecken, die sich hier entfalten, sind dennoch kulturellen Ursprungs. Naturmystik hat mit Natur nichts zu tun. Der Mensch ist dem Menschen gerade dann kein Wolf, wenn er, bevor er zum "animalischen" Killer wird, Zeit findet, eine Wolfmaske aufzusetzen. Auch Medora wird nicht zum Wolf, wenn sie des Nachts Russells Zimmer betritt, ihr Körper nackt und fast dimensionslos im Dunkel glänzend, und sich zu ihm ins Bett legt. Wenn, dann wird sie nur metaphorisch zur Wölfin. Und echte Wölfe (die in Jeremy Saulniers viertem Spielfilm leider weitgehend beschäftigungslos sind) kennen keine Metapher. Vielleicht ist das, ist man nach "Hold the Dark" geneigt zu sagen, ein bewahrenswerter Zustand.

Auf die Dunkelmalerei der metaphorischen Wolfswerdung folgt, durchaus effektiv, ein harter Schnitt in die grelle Helligkeit der irakischen Wüste. Hier ist Medoras Mann Vernon (Alexander Skarsgård) unterwegs, als Teil der amerikanischen Truppen. Als er einen Kameraden bei einer Vergewaltigung überrascht, sticht er ihn ab und drückt anschließend dem vor Angst erstarrten Vergewaltigungsopfer das blutige Messer in die Hand. Mich hat die Szene abgestoßen, weil sie zwar einerseits komplett einer Exploitationlogik der spekulativen, exzessiven Verschränkung von Sex und Gewalt folgt, Saulnier sie aber andererseits inszeniert wie den "character-defining-moment" einer Qualitätsserie: Schaut her, sagt die die Wucht seiner Bewegungen flüssig aufnehmende Kamerafahrt, dieser Vernon, das ist ein mysteriöser Schweigetyp, unberechenbar, raubtierhaft und doch mit einem moralischen Kodex versehen. Ab diesem Moment weiß ich, dass mir Saulniers jüngster Streich nicht gefallen wird.



Eine gewisse motivische Geschlossenheit kann man "Hold the Dark" nicht absprechen: Es zieht den Film - die Handlung verlagert sich schnell und dann endgültig wieder nach Alaska - in Richtung Wald, Höhle und Ursuppe. Das Problem ist nicht die gleichwohl schon ziemlich beknackte Handlung (basierend auf einem Roman von William Giraldi), sondern eine aufgeplusterte, nuancenarme filmische Form, die keinen Sinn für jene Überschüsse des schlechten Geschmacks hat, die alleine esoterisch angehauchte Pulperzählungen dieser Art erträglich machen oder gar in ein inspirierendes Flirren versetzen würden. Gleichförmig durchdesignte düstere Stimmungsbilder und ein kaum einmal auch nur für eine Minute Ruhe gebender Drone-Soundtrack drücken aufs Gemüt, absolut alle Figuren des Films sprechen, oder besser murmeln, im exakt identischen, quasi tonlosen Tonfall. Und sie sprechen allesamt vor sich hin eher als miteinander; die Bereitschaft, sich von irgendjemand oder -etwas überraschen zu lassen, ist auf eine sehr grundsätzliche Weise nicht vorhanden.

Nur einmal, während eines ausgiebigen und hemmungslosen, vom Italowestern abgeschauten Shootouts, zieht sich der ansonsten im blutigen Leerlauf vor sich in dräuende Bilderfluss zu einer wuchtigen Spannungsszene zusammen. Plötzlich geht es um die Verteilung von Körpern im Raum, um Sichtlinien und Taktik, um die Erfahrung einer radikalen Hilflosigkeit; um all das, was Saulniers Vorgängerfilm "Green Room" zu einem der stärkeren Vertretern der aktuellen und insgesamt doch eher überschätzten Welle des amerikanischen Autorenhorrorkinos gemacht hatte. Für ein paar Minuten findet der Nihilismus des Films eine prägnante Form, aber sobald der Kugelhagel abklingt, macht sich wieder eine Atmosphäre der unspezifischen und letztlich betäubenden eher denn erschütternden Menschenfeindlichkeit breit.

Lukas Foerster

Hold the Dark - USA 2018 - Regie: Jeremy Saulnier - Darsteller: Jeffrey Wright, Riley Keough, Alexander Skarsgård, Julian Black Antelope, Michael Tayles - Laufzeit: 125 Minuten.

"Hold the Dark" ist seit dem 28.9.2018 auf netflix verfügbar.