Im Kino

Totally LOVED that Africa moment

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
19.12.2018. James Wans "Aquaman" zeigt, dass dem Blockbusterkino der Gegenwart der "Sense of Wonder" gründlich verloren gegangen ist. Jafar Panahi spielt in seinem klugen neuen Film "Drei Gesichter" mit dialektischen Metaphern.










"Jules" und "Verne" sind die ersten beiden gesprochenen Wörter in "Aquaman". Wenige Momente später rückt eine Ausgabe von H.P. Lovecrafts "The Dunwich Horror" erst unauffällig, dann mit Nachdruck ins Bild. James Wan (Regie) und Will Beall (Drehbuch) machen um ihr Referenzsystem keinen Hehl: Die beiden Säulenheiligen und zentralen Stichwortgeber der modernen Fantastik bilden den Rahmen für den mittlerweile sechsten Beitrag zum arg krisengeschüttelten "DC Expanded Universe": Jules Verne führte uns einst in die unzugänglichen Welten tiefster Tiefen und höchster Höhen, um uns dort so fremde wie wunderbare Welten aufzuzeigen, Lovecraft hingegen fürchtete im Allgemeinen nichts so sehr wie die gegenüber den Menschen indifferenten Leeren, in denen Weißgottwas schlummert, und erzählte im "Grauen von Dunwich" im Besonderen von okkulten Hinterwäldlerexperimenten mit Familienlinien, die genetisch nicht ganz einwandfrei abliefen - gerade so wie der Titelheld (Jason Momoa) des vorliegenden Films aus der Liaison zwischen der eigentlich am Meeresboden beheimateten, zu Beginn des Films aber wie Aphrodite an die Küste von Maine gespülten Königin von Atlantis (Nicole Kidman) und einem einsamen Leuchtturmwärter (Temuera Morrison) hervorgegangen ist. (Wobei Lovecrafts Fischmenschhorrorgeschichte "Schatten über Innsmouth" als Referenz vielleicht noch naheliegender gewesen wäre, aber lassen wir das fürs Erste)

Sprößlinge aus monarchischen Nebenlinien sind die Leib- und Magenspeise für zünftige Königsdramen - und so geht es auch in "Aquaman" alsbald um königliche Machtanspruchs-Tändel. Die Welt von Atlantis, erfahren wir, ist in etwa so etwas wie das afrikanische Zauberland Wakanda aus dem Marvel-Erfolgsfilm "Black Panther": Eine vor den Menschen verborgene Welt zwischen Archaik und High-Tech, die sich von der Monarchie nie emanzipiert hat und wo Herrschaftsansprüche unter den Betreffenden direkt ausgehandelt werden. So auch jetzt gerade, da die Menschen an der Erdoberfläche das Meer zusehends verdrecken. Doch zwischen den unterseeischen Königreichen herrscht kaum Einigkeit über das gemeinsame Vorgehen. Heißspund König Orm etwa (Patrick Wilson) giert nach Alleinherrschertum und plädiert für eine triumphale Rückkehr auf die Oberfläche, um den dort verbliebenen Menschen ihre Grenzen aufzuweisen. Dass diese Form radikaler Ökorevenge zu nichts Gutem führen kann, wird einigen rasch klar - weshalb sich eine Delegation aufmacht, um den unter seinem bürgerlichen Namen Arthur Curry auf der Erdoberfläche seine Superkräfte erst langsam erkundenden Aquaman, Orms Halbbruder und eigentlicher Herrscher über Atlantis, für den Kampf um die gute Sache zu gewinnen - ein Kampf, der nicht etwa auf dem Parkett der ozeanisch-höfischen Politik ausgefochten wird, sondern im Wettlauf darum, wer zuerst einen mythischen goldenen Dreizack aufstöbert.

Nach einem Cameo in "Batman v Superman" (2016) und einer tragende(re)n Rolle in "Justice League" (2017) hat Aquaman in dem ihm selbst gewidmeten Film bereits seinen dritten Auftritt im "DC Expanded Universe", das seit seinem so furiosen wie umstrittenen Auftakt "Man of Steel" (2013) sonderbar orientierungslos mal in die eine, mal in die anderen Richtung taumelt, stets verkniffen auf der Suche nach der Gunst des Publikums. Dieses flutet die Säle zwar, verlässt das Kino aber nur selten voll zufrieden, während es den Filmen des direkten Konkurrenten und "Shared Universe"-Vorreiters Marvel scheinbar spielend gelingt, nicht nur ein Heidengeld einzuspielen, sondern auch die Fans zu euphorisieren.











Vom ursprünglichen Anspruch, in Abgrenzung zu den quirligen Bubblegumfilmen aus dem Hause Marvel auf düster-pathetische Stoffe mit einer dezidiert filmischen Optik zu setzen, hat man sich bei DC mittlerweile verabschiedet: In "Suicide Squad" mündete die urbane Ästhetik bereits ins Schallali pulpiger Fantasy, "Wonder Woman" (2017) - der einzige wirkliche Konsenshit der DC-Produktionsreihe - setzte konsequent darauf und mit all seinem Poseidon- und Atlantis-Nimbus kommt dieser Stil bei "Aquaman" quasi schon eingebaut ab Werk. Sowohl der Neon-Pop-Pulp der Batman-Filme der 90er, als auch der erdig-urbane Realismus von Christopher Nolans Batman-Interpretation gelten im DC-Kino-Universum mittlerweile offenbar als obsolet: Es geht um feenartige Königinnen, Soldaten-Armadas wie aus "Herr der Ringe" und um magische Items wie einen goldenen Dreizack. Die ganze motivische wie ästhetische Misere zeigt sich in "Aquaman" vielleicht am eindrucksvollsten in Dolph Lundgren, dem man in seiner Rolle als atlantischer Aristokrat mit rot gefärbten Haaren vor digitalem Pappmaché in ein liebloses "Barbarella"-Gedächtniskostüm gesteckt hat, aus dem heraus er dann mit den Augen rollen darf. Der Fantasyschmalz der 80er ist in irgendeinem alten Buttertopf wieder aufgetaucht und klebt wieder auf der Leinwand.

Kultur heute schlägt alles nicht nur mit Ähnlichkeit, sondern auch mit Dämlichkeit: Mit "Aquaman" wollen Warner Films, Legendary Pictures und DC nach all den Shitstorms einen Publikumshit geradezu erzwingen - Fantasy-Gedöns, Marvel-Quirkiness in Sachen Witz und -Flatness in Sachen Optik, dazu am Ende noch der wirre Gastauftritt eines Riesenmonsters, das auffällig jenen Viechern aus den "Pacific Rim"-Filmen ähnelt, die Warner/Legendary Pictures praktischerweise ohnehin im Porfolio hat. Wenn es für eine Szene nach Afrika geht, wirft man schnell eine öde Coverversion von Totos "Africa" ins Kino, weil sich herumgesprochen hat, dass der Song im ironischen Nostalgie-Seitenarm des Internets derzeit steil geht, dreht den Regler rasch rauf, dreht ihn rasch wieder runter - soweit also "Africa". Irgendwer wird schon "OMG totally LOVED that Africa moment" twittern. Bitte habt uns lieb.

Vor dem Konzept eines minutiös aufgebauten "Shared Universe" (das man als solches nicht mögen muss, im Fall von Marvel aber als Strategie immerhin stimmig und konsequent durchgezogen wurde) hat DC mittlerweile offensichtlich kapituliert. Nicht nur gibt es in der vorliegenden Quasi-Origin- bzw. Selbstfindungsstory kaum eine Ahnung davon, dass Aquaman bereits in "Justice League" seine Feuerprobe als Held durchlaufen hat. Auch dass sich die in "Man of Steel", "Suicide Squad" und "Aquaman" gezeigten Welten noch einigermaßen widerspruchsfrei unter einen Hut bringen lassen, scheint zweifelhaft. Spätestens wenn eine kataklysmische Schlacht um das Wohl und Wehe der Menschheit tobt, fragt man sich, wo um alles in der Welt sich eigentlich Superman als Wächter der Erde gerade herumtreibt, der nach seiner Wiederbelebung in "Justice League" wieder integraler Bestandteil dieses Erzählkosmos sein müsste und dank Supergehör von einem solchen Spektakel doch sicher Wind bekommen müsste.

Im Grunde ist dies nur Ausdruck der Wurschtigkeit, die Filme solchen Schlags mittlerweile auszeichnet. Der "Sense of Wonder", der mit Spektakel-, Blockbuster- und phantastischem Genrekino einmal einherging, ist längst totgeschlagen und den Hitzetod gestorben, alles wirkt beliebig zurechtgestutzt, das Haben von Spaß - jetzt aber bitte wirklich - mit Nebelhörnern von der Leinwand herab ins Kino deklariert, die Referenzen willkürlich zusammengeschustert. Irgendwem wird das mit Toto, Jules Verne und Lovecraft schon auffallen. Und uns dafür ganz sicher lieben. Und was darüber twittern. Oder was darüber schreiben. Beim Perlentaucher zum Beispiel. Passt ja. Perlen, tauchen, Aquaman. Meh.

Thomas Groh

Aquaman - USA 2018 - Regie: James Wan - Darsteller: Jason Momoa, Amber Heard, Willem Dafoe, Patrick Wilson, Nicole Kidman, Dolph Lundgren - Laufzeit: 143 Minuten.

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Jafar Panahis "Drei Gesichter" beginnt als metafilmische Investigation. Panahi spielt sich selbst, genau wie Behnaz Jafari, eine im Iran äußert populäre Kino- und Fernsehregisseurin. Die beiden machen sich auf in ein abgelegenes Dorf, auf der Suche nach Marziyeh (Marziyeh Rezaei), einem Mädchen, das ein Schauspielstudium in Teheran beginnen möchte. Ausgangspunkt der Investigation und auch der Reise ist ein Handyclip im grobpixeligen Hochformat, er zeigt Marziyeh, sie filmt sich selbst aus einer paranoid anmutenden Perspektive, von schräg unten, bewegt sich durch eine Art Höhlensystem, erzählt dabei von ihrer existenziellen Verzweiflung, kommt schließlich vor einer Schlinge zu stehen, die an einer Art Balken befestigt ist und scheint sich dann vor laufender Kamera umzubringen.

Oder gibt es da, kurz vor Schluss des Clips, einen Schnitt? An diese erste Unsicherheit schließen sich für Jafari, der dieser furchterregende Film zugesendet wurde, weitere Fragen an: Handelt es sich um ein Testament, um einen Hilferuf oder um einen schlechten Scherz? Wer ist überhaupt der Absender? Und wie soll sie selbst nun reagieren? Panahi begleitet sie zwar auf ihrer Reise, hält sich mit eigenen Spekulationen aber zurück. Aber natürlich ist bereits seine bloße Anwesenheit eine weitere metafilmische Pointe: Schließlich hat der Regisseur einerseits seit 2010 im Iran Berufsverbot, andererseits gelangt dennoch alle paar Jahre ein neues Panahiwerk in den Festivalzirkus. Einmal wird er von seiner Mutter angerufen, der er vor laufender Kamera versichert: Nein, es ist nichts dran an den Gerüchten, dass ich gerade einen neuen Film drehe.

Solch hyperreflexive Volten führen jedoch eher in die Irre. Fragen nach filmischer Autorschaft, nach der Verteilung von Sicht- und Unsichtbarkeit und auch nach der performativen Kraft des filmischen Bildes sind letztlich nur einer unter vielen Themenkomplexe, die durch den Film vagabundieren. Und die zumeist zu Metaphern gerinnen, dabei aber angenehm fluide bleiben, nicht als direkte, eindimensionale Repräsentation sozialer Zwänge sondern dialektisch gedacht und außerdem laufend miteinander oder auch gegeneinander in Beziehung gesetzt werden. So zum Beispiel der Weg, der das Dorf, in dem Jafari und Panahi recht bald ankommen, mit der Außenwelt verbindet. Weil nur ein Auto gleichzeitig die engen Kurven passieren kann, müssen sich die Fahrer vorab, wird den beiden erklärt, per Hupen über die Vorfahrt verständigen. Eine sinnvolle, pramatische Regelung, könnte man meinen, die zeigt, wie eine Gemeinschaft sich über Kommunikation selbst organisiert. Nur, dass sich später herausstellt, dass der Weg möglicherweise gar nicht so schmal sein müsste und dass das Hupgebot zumindest auch als ein Herrschaftsmittel der dörflichen Männerbünde angesehen werden kann.

Einmal ist die Straße komplett versperrt. Quer über der Fahrbahn liegt ein Zuchtbulle, von dessen Potenz Ehre und Wohlstand des Dorfes abhängen. Damit ist die Verbindung zu einem weiteren, mindestens ebenso komplex ausgearbeiteten Themenkomplex hergestellt: den Diskussionen rund um den männlichen Reproduktionstrakt beim Tier wie auch beim Menschen. Hier scheint es vor allem darum zu gehen, die realen Gewaltstrukturen einer patriarchal organisierten Gesellschaft mit den Fantasmen magisch besetzter Männlichkeitsrituale zusammen zu denken.














Arbeit an der Metapher: Das war ein zentraler Modus des iranischen Autorenkinos zu dessen Blütezeit in den 1980er und 1990er Jahren. "Drei Gesichter" ist eine fast schon nostalgische Wiederaufnahme dieser filmischen Form und außerdem eine weitere Hommage Panahis an seinen 2016 verstorbenen Freund und Mentor Abbas Kiarostami. Es ist gar nicht einfach zu beschreiben, wie sich die Werke der beiden Regisseure zueinander verhalten. Keineswegs macht Panahi Anstalten, sich von den Themen und der Methodologie Kiarostamis zu emanzipieren. Und doch sind gerade seine jüngsten, besonders "kiarostamiesken", weil stark vom Bild und insbesondere von der Plansequenz her gedachten Filme alles andere als epigonal. Paradoxerweise wird der Schüler dem Lehrer umso ähnlicher, je mehr er zu einer eigenen Stimme findet. So fehlt Panahis Filmen etwa, selbst da, wo es in ihnen buchstäblich um Leben und Tod geht, die existenzialistische Schwere Kiarostamis, sie sind leutseliger, haben stets einen Hang zur Groteske, sind gleichzeitig aber von einer melancholischen Ironie durchdrungen.

Konkreter: Wo der Vorgängerfilm "Taxi Teheran" Motive aus "Ten" aufgriff, schwingen diesmal "Und das Leben geht weiter" und "Der Geschmack der Kirsche" mit. Es sind vor allem Kiarostamis "Autofilme", die Panahi auf gleichzeitig respektvolle und eigensinnige Weise fortschreibt. Das Auto ist für all diese Filme nicht als Schauwert interessant, sondern weil es einerseits einen einigermaßen geschützten Begegnungs- und Kommunikationsraum zur Verfügung stellt und weil es andererseits ein spezifisches Blickdispositiv aufruft. Das Auto ist, anders gesagt, eine weitere Metapher, vielleicht sogar die Mastermetapher, die alle anderen Metaphern erst hervorbringt, oder jedenfalls sichbar werden lässt.

Denn nicht zufällig sitzt am Steuer - meistens - der Regisseur. Panahi ist, wie schon in "Taxi Teheran", der Fahrer, er bestimmt über die Richtung der Investigation und über die Konstellierung der Metaphern. Das heißt jedoch auch: Panahi ist nur der Fahrer. Seine Aufgabe ist es, Menschen miteinander in Kontakt und manchmal auch zum Reden zu bringen. Aber gleichzeitig bleibt er ein Beobachter, hinter oder zumindest in der Nähe der Windschutzscheibe, wenn es um direkte Konfrontationen geht, schreckt er zurück oder schickt Jafari vor, sein Auftreten vermittelt, bis hinein in die Körperhaltung, eine sympathische, tiefenentspannte aber auch etwas unverbindliche, ausweichende Passivität. In der schönsten Szene des Films versammeln sich spät am Abend drei Generationen iranischer Kinofrauen in einer kleinen Hütte etwas abseits des Dorfes. Panahi jedoch, und mit ihm die Kamera, bleiben draußen, auf Abstand. Und so beobachten wir, mehrere Minuten lang, ein schwach beleuchtetes Fenster, hinter dem sich die Konturen der Frauen abzeichnen. Nach einer Weile beginnen sie zu tanzen.

Lukas Foerster

Drei Gesichter - Iran 2018 - Originaltitel: Se rokh - Regie: Jafar Panahi - Darsteller: Behnaz Jafari, Jafar Panahi, Marziyeh Rezaei, Maedeh Ertegaei, Narges Delaram - Laufzeit: 100 Minuten.
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