Im Kino

Männerbilder

Die Filmkolumne. Von Katrin Doerksen, Lukas Foerster
13.03.2019. Jean-Stéphane Sauvaires minimalistischer Film "A Prayer Before Dawn" zeigt das Gefängnis als einen Extremzustand des Körperlichen. In Adam Shankmans "Was Männer wollen" bleiben die Körper dagegen hübsch unter Bettdecken und BHs verborgen. Hier zählt nur die Brieftasche.


Ein nackter Körper in Rückenansicht, Haut, die über sich wölbende Muskeln spannt, wuchtige, aber nicht ausufernde Wölbungen, kein Stiernacken, vielmehr ein drahtiger, durchtrainierter Rumpf, kein Gramm Fett zuviel, und auf der Brust sprießen, das ist gleich darauf in der Vorderansicht zu sehen, keine Haare. Zunächst, in den ersten Sekunden des Films, ist der Körper außerdem unbewegt, in Wartestellung, dann wird er mobilisiert, geknetet, eingeölt, durchgewalkt, auch auf das zugehörige blasse, schmale Gesicht wird Creme aufgetragen. Der Kopf ist, nicht anders als der Rest des Körpers, eine weitere zu bearbeitende Oberfläche, aber die Creme allein genügt nicht, um ihn in Form zu bringen; damit die Gesichtzüge dieselbe aggressive Agilität erhalten wie die Muskelmassen darunter, wird anderer, härterer Stoff benötigt: Heroin, schnell über der Folie erhitzt und inhaliert.

Dann geht es, die zuvor zu Boden blickenden, fast in sich gekehrten Augen nun weit aufgerissen, in den Ring, in einen wüsten Boxkampf. Die Haut des Gegners ist dunkler und tätowierter, seine Aggression jedoch ist dieselbe und sie speist sich, so steht zu vermuten, aus denselben Substanzen. Die agile, nervöse, stets nur an der Hauptattraktion des jeweiligen Moments interessierte Kamera klebt fast auf den beiden Körpern, die sich da aufeinander stürzen, malträtieren, gegenseitig aus der Balance zu bringen versuchen. Der hellere, nicht tätowierte Körper verliert den Kampf, blutüberströmt wird er aufgerichtet, im Anschluss attackiert er die Ringrichter. Er degeneriert endgültig zu einem bloßen Haufen unbeherrschter Muskulatur, Bewegungsenergie im nihilistischen Zerstörungsmodus. Dann wieder Drogen, raus aus der Boxarena, rein in einen Stripclub, neue, andere Körperwelten, ein haltloses Driften durch die thailändische Nacht, bis irgendwann die Polizei vor der Tür steht.

Kaum ein Wort ist bis zu diesem Zeitpunkt gefallen, allzu viele werden auch im Folgenden nicht gesprochen, die Tonspur wird durchweg dominiert von soghaft monotonen Drone-Klängen, die sich anhören wie etwas, das direkt den dargestellten Körpern entspringt, in ihnen widerhallt, wie in stumpfen, kunstlosen Tongefäßen. Der blasse Boxer heißt jedenfalls, erfahren wir auf der Polizeistation, Billy Moore, er behauptet, keine Verwandten zu haben, viel mehr gibt er nicht von sich preis. Er ist offensichtlich ganz unten angekommen, keiner interessiert sich dafür, warum, er selbst erst recht nicht. Die vielen Männer und wenigen Frauen um ihn herum sprechen etwas mehr, freilich meist (nichtuntertiteltes) Thailändisch. Insgesamt und erst recht im Gefängnis, wo Billy und wir den Rest des Films verbringen, dominieren jedoch nichtsprachliche Formen der Kommunikation.



Hier im Gefängnis gilt es, sich körperlich zu arrangieren. Meist liegen die Gefangenen dicht an dicht beieinander, auf dünnen Stofffetzen - abgeschlaffte Muskelpakete, dem aktiven, dynamischen Bewegungszusammenhang der Welt draußen entrissen. Aber natürlich entstehen zwischen den Körpern doch wieder Kräfteverhältnisse, Hierarchien, die mithilfe einer Zigarettenökonomie aufrecht erhalten werden, die aber dennoch regelmäßig aus der Balance geraten (nicht zuletzt auch hier: aufgrund von Drogen) und sich dann in brutaler, auch sexueller Gewalt entladen.

Das ist, was von "A Prayer Before Dawn" am nachhaltigsten im Gedächtnis bleiben dürfte: das Gefängnis als ein Extremzustand des Körperlichen, als ein Ort, der sichtbar werden lässt, was passiert, wenn der Körper nicht mehr gekoppelt ist an ein Konzept persönlicher Autonomie, sondern sich nur noch über sein Verhältnis zu anderen, konkurrierenden Körpern definiert. Regisseur Jean-Stéphane Sauvaire hat den Film in Thailand und auf den Philippinen gedreht, viele Extras sind ehemalige Strafgefangene und Gangmitglieder. Billy - verkörpert von dem großartigen Joe Cole, der der Versuchung widersteht, die monomanische Aggressivität und Engstirnigkeit seiner Figur in exaltiertes Psychopathenschauspiel zu übersetzen - ist zwar das Zentrum des Films, kaum einmal löst sich der Film von seiner Perspektive; aber lange Zeit bleibt er ein weitgehend leeres Zentrum. Keineswegs ist das ein klassischer Spielfilmprotagonist mit Hintergrundgeschichte und Zielen. Die hellere Hautfarbe und - fast wichtiger - das Fehlen von Tattoos heben ihn von seiner Umgebung ab, aber das ist nur ein optischer Effekt. Billy ist kaum mehr als eine Markierung im Meer der Körper, eine Art Orientierungshilfe, die es uns erlaubt, einen uns fremden, chaotischen, abjekten Raum zu vermessen und eine Zeit lang mitzubewohnen.

Zumindest in der ersten Filmhälfte. Wenn "A Prayer Before Dawn" sich nach der ersten Stunde Laufzeit zu verändern beginnt, wenn die Aussicht auf einen Boxwettbewerb dem Film, dessen Rhythmus und Textur vorher wie eine bloße Funktion seines Schauplatzes anmuteten, plötzlich eine halbwegs stringente erzählerische Struktur verleiht, wenn im Anschluss daran Billys ungestüme Bewegungsenergie durch Boxtraining kanalisiert wird, wenn sich schließlich sogar noch eine Liebesgeschichte mit einer Transgenderfrau anbahnt - dann ist das einerseits ein wenig enttäuschend, weil der vorher radikal minimalistische Film sich normalisiert, weil die Körper nicht länger mysteriöse, unkontrollierbare Objekte aus Fleisch sind, sondern funktionalisiert werden (und auch, weil die gegen Ende überhand nehmenden Kampfszenen für sich selbst keine Schauwerte bieten, vielmehr durchweg zu hektisch inszeniert sind). Andererseits denkt der Film diese durchaus auch tröstliche Wendung, die, wie die vorherigen Torturen, auf wahren Begebenheiten beruht, ebenfalls strikt vom Körper her: "A Prayer Before Dawn" verwandelt sich in einen Bildungsroman der Muskeln, in eine Erlösungsgeschichte aus Fleisch und Blut.

Lukas Foerster

A Prayer Before Dawn - GB 2019 - Regie: Jean-Stéphane Sauvaire - Darsteller: Joe Cole, Vithaya Pansringarm, Panya Yimmumphai, Somluck Kamsing, Pornchanok Mabklang - Laufzeit: 116 Minuten.

A Prayer Before Dawn ist seit dem 8.3. Auf BluRay und DVD erhältlich.

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Im Abspann von "Was Männer wollen" singt Aretha Franklin einen ihrer bekanntesten Songs - "it don't take too much high IQ's / to see what you're doing to me" - vordergründig über eine zum Scheitern verurteilte Beziehung und zugleich über ein noch viel größeres Unrecht. Bis heute gilt "Think" als feministische Hymne. Im Soundtrack zu "Was Männer wollen" findet sich aber auch das Lied einer Jahrzehnte später regierenden Queen: Als Teil von Destiny's Child verfluchte Beyoncé 1999 in "Bills, Bills, Bills" einen Mann, der ihr Geld verschleudert: "Can you pay my bills / I don't think you do / So you and me are through." Noch einmal 20 Jahre später sind wir, im Zeitalter des Beyoncé-Feminismus, eigentlich bei "Apeshit" angekommen. Der Song kommt zwar nicht im Film nicht vor, seine Philosophie bildet aber seinen Überbau. Freedom bedeutet darin im Kern, sämtliche Marken aufzuzählen, die man sich leisten kann. "Best revenge is your paper", sang Queen B schon in "Formation".

"Was Männer wollen" ist eine Neubearbeitung der romantischen Komödie "Was Frauen wollen" mit Mel Gibson aus dem Jahr 2001. Auch der neue Film wird als RomCom vermarktet, eigentlich wäre aber Corporate Comedy (oder Capitalism Romance?) ein treffenderes Etikett. Einen Mann zu finden, ist der hübsche, kleine Bonus, das erklärte Ziel von Anfang an aber ist beruflicher Erfolg, Ruhm und Reichtum. Ali Davis (Taraji P. Henson) ist eine erfolgreiche Sportagentin und rechnet fest mit der Beförderung zur Partnerin in ihrer Agentur. Jedoch wird ihr ein jüngerer, weißer und männlicher Kollege vorgezogen. Das ist der zentrale Konflikt. Dass sie bei einer Party einen Schlag auf den Kopf bekommt und danach die Gedanken von Männern hören kann, gerät fast zur Nebensächlichkeit, zum witzigen Gimmick.

Protagonistinnen, die durch Schläge auf den Kopf ihnen lange verborgene Wahrheiten erkennen, sind derzeit keine Seltenheit. Zumindest findet sich eine solche auch in der kürzlich auf Netflix erschienenen RomCom-Satire "Isn't It Romantic" mit Rebel Wilson. Unter optischen Gesichtspunkten würde ich mir wünschen, dass die beiden Filme ihre Vertriebswege tauschten. "Isn't It Romantic" würde sich mit seinen ausladenden Musicalsequenzen gut auf der großen Leinwand machen, "Was Männer wollen" fällt vor allem durch überbelichtete TV-Ästhetik auf.



"Isn't It Romantic" spielt mit den Konventionen der romantischen Komödie, etwa, wenn Rebel Wilson nie mit ihrem heißen Typen schlafen kann. Der Film springt vom Kuss direkt zur postkoitalen Unterhaltung. In "Was Männer wollen" passiert genau dasselbe ohne satirische Überspitzung. In den ohnehin nur knapp angeschnittenen Sexszenen bleiben die Figuren fast vollständig unter BHs und Bettdecken verborgen, die Kamera erfreut sich nicht an Körpern, schwelgt stattdessen in glänzenden Stoffen, eleganten Schuhspitzen, funkelndem Schmuck. Den eigenen Reichtum auszustellen, gehört in der gehobenen Mittelklasse von Atlanta zum guten Ton, aber es muss geschmackvoll dezent sein. Als die männlichen Kollegen aus der Sportagentur dem nächsten großen Basketballstar anbieten, mit einem Spot für ihn zu werben, in dem halbnackte Frauen um Dollarzeichen herum tanzen, erntet der übertriebene 90er-Jahre-Hip-Hop-Look nichts als Spott.

Unbedeckte Körper sind in "Was Männer wollen" genauso unerwünscht wie Körper, die auf irgendeine Art zu viel sind, die aus der nach wie vor weiß dominierten Norm fallen. Am Natürlichsten wirkt noch die in ihrer Frizzigkeit trotzdem irgendwie glatte Haarmähne von Erykah Badu in der Rolle des Weed vertickenden Mediums. In dieser heruntergedimmten Atmosphäre könnte Taraji P. Hensons extrem körperliches Spiel ihre Figur nicht deplatzierter wirken lassen. Ali gestikuliert wild und spricht laut und schrill, begräbt ihre Männer im Bett aggressiv unter sich und in der finalen Eskalation werden bei Handgreiflichkeiten Perücken von Köpfen gezogen und Kleider zerfetzt. Wortwörtlich kämpft sie mit ihrer Kleidung, weil sie in scharf geschnittenen, zweireihigen Blazern und knallengen Bleistiftröcken Läufe, Sprünge und sogar ein Boxtraining absolvieren muss. Mir fällt kaum ein passenderes Wort ein, als sie "hysterisch" zu nennen, weil sie derart verzweifelt versucht, den Raum mit ihrem Körper zu dominieren und dabei immer und immer wieder gegen (unsichtbare) Barrieren rennt.

Obwohl der Humor des Films gelegentlich funktioniert, fühlt sich "Was Männer wollen" fast tragisch an. Das lästige Problem mit den gehörten Gedanken verschwindet gottlob, ihre angesäuerten Freundinnen lassen sich zur Versöhnung herab, als Ali anbietet, von nun an alle Margherita Mondays zu bezahlen. Einem Leben wie auf dem Magazincover steht nichts mehr im Weg. Wenn Ali triumphiert, tut sie das vor allem, weil sie sich in die vorgegebenen Bahnen einpasst. Am Ende ist sie die gleiche Figur wie zu Beginn - nur mit mehr abgehakten Posten auf der To-Do-Liste.

Katrin Doerksen

Was Männer wollen - USA 2019 - OT: What Men Want - Regie: Adam Shankman - Darsteller: Taraji P. Henson, Tracy Morgan, Aldis Hodge, Wendi McLendon-Covey, Josh Brener, Erykah Badu - Laufzeit: 117 Minuten.