Im Kino

Keusch kussfrei

Die Filmkolumne. Von Sebastian Markt, Fabian Tietke
28.03.2019. Bernhard Sallmann streift für den dritten Teil seiner Doku zu Fontanes "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" durchs Spreeland und mit der Landschaft eine Gesellschaftsgeschichte. Flapp, flapp: Dumbo fliegt wieder. Diesmal lässt ihn Tim Burton von der Leine und stellt ihm männliche Männer und anschmiegsame Frauen zur Seite.


Bilder aus Brandenburg: Landschaften am Wasser, Flüsse, Seen und Kanäle, Schleusen und Stege, Wald, Wiesen und Felder, Bauwerke; Kirchen und Denkmäler, Schlösser und Hütten, mal isoliert und zeitlos, mal ragen Strommasten ins Bild, kreuzen Straßenbahnen im Hintergrund. Texte aus dem Off: die Schilderung eines Schiffsausflug, ein kurzes Traktat über die Gurkenproduktion im Spreewald, die Beobachtung eines wendischen Begräbnisses, Landschaftsbeschreibungen, Schlossgeschichten und Dorfanekdoten. Ein Film aus dem Zusammenspiel und dem Abstand der beiden Ebenen: "Spreeland. Fontane" ist der dritte Teil von Bernhard Sallmanns tetralogischer filmischer Bearbeitung der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" Theodor Fontanes, aus dessen Textkorpus sich der Kommentar des Films ausschließlich speist.

Fontane, dessen Geburtstag sich dieses Jahr zum zweihundertsten Mal jährt, hatte das Werk in vier Bänden zwischen den 1860er und 1880er Jahren veröffentlicht, einzelne Teile davon erschienen zuerst als Reisefeuilletons in Zeitungen. Sallmann hält sich in der Verfilmung - die beiden ersten Teile "Oderland. Fontane" und "Rhinland. Fontane" erschienen 2016 und 2017, der vierte und letzte Teil "Havelland. Fontane" soll diesen Herbst folgen - nicht an die Reihenfolge der Publikation, wohl aber an die Einteilung nach Himmelsrichtungen, die auch Fontane gewählt hatte. (Ein fünfter Band, "Fünf Schlösser", ist ein Text anderer Struktur und wurde den Wanderungen posthum eingemeindet.)

Aus dem gewaltigen, mäandernden Text montiert Sallmann Vignetten, die sich an der Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit des Materials orientieren: zwischen anekdotischem Reisebericht, literarischer Landschaftsbeschreibung und kenntnisreicher Kulturgeschichte, mit ausschweifendem, zitierendem Rückgriff auf zum Sprechen gebrachte Quellen. In der Textmontage, von Judica Albrechts Stimme unnachahmlich in zugeneigter Distanz vorgetragen, schimmert dabei nicht zuletzt eine eigentümlich hybride Modernität durch die preußische Romantik des Textes.



Sallmanns Kamerablick beschreibt innerhalb des weitgehend gleichbleibenden Konstruktionsprinzips bewegter Standbilder mit starren Einstellungen eine verwandte Differenzierung und nimmt Objekte in sachlichem Abstand in den Blick, streift gelegentlich touristische Postkartenmotive, nähert sich immer wieder der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts an, in der Komposition, in der Gestaltung von Lichtverhältnissen und Nebelschwaden. Die resultierenden Bilder versuchen dabei den geschichtlichen (wie technischen) Abstand zu Fontane nicht zum Verschwinden zu bringen, sondern gewinnen eine spezifische Geschichtlichkeit aus dem Malen mit den digitalen Texturen zeitgenössischer Videobilder.

Eine verblüffende Seherfahrung entsteht aus diesen Bildern und ihrer Konfrontation mit Fontanes Texten, eine Suchbewegung wird angestoßen, im Versuch, ein Verhältnis zwischen Bild und Wort herzustellen. Der Film lässt dem Publikum die Zeit dafür, wandert wie Fontane gemächlich durch die Landstriche (oder nimmt wie Sallmann bei den Dreharbeiten das Fahrrad), Zeit, um sich dem suggestiven Sog der Bilder hinzugeben und wieder zu entziehen, den Texte zu lauschen, um nach Übereinstimmungen zu suchen, und den Abstand zu vermessen. Die Schlichtheit in der Bauart der Filme täuscht nicht lange über die Komplexität des Spiels von Bezügen hinweg.



In "Spreeland. Fontane" sind das etwa Passagen, die Fontanes Wiedergabe des höfischen Treibens in Königs Wusterhausen mit dem Schloss in seiner gegenwärtigen fremdenverkehrstauglichen Abendbeleuchtung zusammenbringen; eine Porträtminiatur über den ehemaligen Direktor der Akademie der Künste Johann Gottfried Schadow, die auch auf dessen Gedanken zur Entlohnung von Künstler*innen eingeht, während der Blick auf mit Treibhausplastikfolie bedeckten Gemüsefeldern ruht; Auszüge aus dem Fontane faszinierenden Kirchenbuch der Gemeinde Gröben, das unterschiedslos von großer Geschichte wie von den alltäglichen Vorkommnissen des Dorfs erzählt, treffen auf ein sowjetisches Kriegsdenkmal. Und immer wieder: Landschaften, die in unterschiedlichen Phasen die Spuren eines Tagbaus tragen, der lange nach Fontanes Wanderungen stattfand, mal offen sichtbar, mal nach Rückkehr der Vegetation oder nach Flutung.

Als tiefschürfende Landschaftsstudie reiht sich das Fontane-Projekt in einen weiteren Kreis in Sallmanns Werk ein, das bereits eine lose Trilogie von Filmen über die Lausitz umfasst. 2011 hatte er in "Das schlechte Feld", ausgehend vom familiären Bauernhof im oberösterreichischen Ansfelden, einen filmischen Essay vorgelegt, der im Blick auf das gegenwärtige Erscheinungsbild eine materialistische Historiografie anvisiert, die in der Gewordenheit einer Landschaft Gesellschaftsgeschichte sichtbar machen kann.

Sallmans Fontane-Filme dehnen diesen Zugang in mancher Hinsicht aus, und verbinden eine kongeniale Adaption des spezifischen literarischen Dokumentarismus Fontanes mit einem eigensinnigen filmischen Dokumentarismus, der die Texte als kulturgeschichtliche Betrachtungen nicht nur bebildert und aktualisiert, sondern in den Spannungsfeldern zwischen Bild und Sprache eine filmische Geschichtsforschung in Szene setzt, die nicht auf die Metaphorisierbarkeit von Bildern zielt, sondern auf informierte Bewegung der Differenzen: ein Weltkino, das seine Kraft nicht zuletzt aus seiner lokalen Präzision zieht.

Sebastian Markt

Spreeland Fontane - Deutschland 2018 - Regie: Bernhard Sallmann - Laufzeit: 79 Minuten.

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Der Elefant fliegt wieder. Kleiner Elefant, Riesenohren und zum Ende lassen wir ihn fliegen. Mehr Story brauchte Disney 1941 nicht für "Dumbo". Sieht man den Animationsfilm heute wieder, fällt auf, wie kurz er ist (kaum mehr als eine Stunde), wie wenig Handlung der Film hat (siehe oben) und dass die Leerstellen der Handlung nicht Nebenprodukt, sondern zentral dafür sind, der Animation Raum zu geben. Tim Burton, der sich 2010 bei Disney mit seiner Adaption von "Alice im Wunderland" bewährte, musste am Dumbo-Stoff ganz schön herumschrauben, um ihn als Live-Action-Film zu adaptieren.

1919: kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs kehrt der ehemalige Zirkusreiter Holt Farrier zurück. Seine Frau ist der Spanischen-Grippe-Epidemie zum Opfer gefallen, seine beiden Kinder erwarten ihn sehnsüchtig und rennen bei jedem Zug, der in den Bahnhof einfährt, zum Bahnsteig. Farrier (unspektakulär: Colin Farrell) steht vor den Trümmern seines bisherigen Lebens: Er hat einen Arm im Krieg verloren, Zirkusbesitzer Max Medici hat die Pferde verkauft, und Farrier hadert damit, seine Rolle als Vater wiederzufinden. Medici (ganz bei sich selbst: Danny DeVito) lässt Farrier Elefantenscheiße schippen. Elefantenmutter Jumbo ist Medicis Stolz, er hat sie als Schnäppchen von einem Elefantenhändler (immerhin nicht wie bei jeder Berlinaleparty am DJ-Pult: Lars Eidinger) gekauft. Der Clou: Jumbo ist schwanger. Nach der Geburt verbirgt sich im Stroh des Elefantenwagens ein Häufchen Riesenohren mit Minielefant darunter. Zirkusdirektor Medici flucht, das Publikum lacht, die Elefantenmutter tobt, das Zirkuszelt stürzt ein.

Nach dem Desaster wird Dumbos Mutter in ihrem Wagen eingesperrt und schließlich zurückverkauft an den Elefantenhändler. Holt Farriers Kinder, die wissenschaftsbegeisterte Milly und der eher praktisch veranlagte Joe, versuchen Dumbo zu trösten und entdecken dabei durch Zufall, dass er fliegen kann. Als Dumbo schließlich durch das Zirkuszelt fliegt, liest der Entertainmentmagnat V.A. Vandevere (Michael Keaton being Michael Keaton) davon in der Zeitung und sein Gehilfe Skellig fährt den Wagen vor. Der kleine Provinzzirkus wird nach Coney Island verfrachtet. Dumbo fliegt durch eine ungleich größere Kuppel.

Burtons zentrale Entscheidung bei der Live-Action-Adaption besteht darin, Dumbo anders als im Animationsfilm mit Menschen zu umgeben. So kann er eine deutlich komplexere Geschichte erzählen als der Animationsfilm, die an dem Punkt, an dem dieser endet, erst wirklich beginnt: Während Dumbo 1941 im Luxuswagen, der an den Zirkuszug angehängt war, gen Hollywood juckelt, verschlägt es ihn 2019 mit dem Umzug nach Coney Island in die sinistre Geschäftswelt des skrupellosen Vandavere. Nicht umsonst trägt dessen Gehilfe Skellig Schuhe aus Elefantenhaut.



Burton greift immer wieder zentrale Motive des Animationsfilms auf, setzt diese jedoch neu zusammen. Die Bilder von Dumbos eingesperrter Mutter, nachdem sie ihr Kind bei dessen ersten Auftritt gegen den Spott des Publikums verteidigt hat, sind sehr nah an denen des Animationsfilms. Der virtuosen Traumsequenz des Originals, in der Dumbo nach einigen Schlücken Alkohol von rosa Elefanten halluziniert, erhält Burton ihre Magie und verlegt sie in das Vorprogramm von Vandaveres Show. Die rassistischen Stereotype, die die Animationsfilme Disneys fast von Anbeginn durchzogen, entsorgt er hingegen. Von den Liedern des Animationsfilms bleibt nur "Baby Mine" erhalten. Herausgekommen ist eine entschlackte, modernisierte Version von "Dumbo", die trotz der eher holzschnitthaften Handlung unter den Menschen das zentrale Faszinosum beibehält: jedes Mal wenn Dumbo abhebt und mit den Ohren schlagend in die Luft steigt, ruft es in einem drin beim Zusehen "Huuuiii".

Neben dem Hui gibt es aber auch ein Huch. Vandaveres Show ist Teil eines Unterhaltungsparks. In diesem findet sich, zur Freude von Holt Ferriers Tochter Milly, auch eine Ausstellung, die mithilfe mechanischer Figuren die Verheißungen der Wissenschaften präsentiert. Neben einem Interieur des Labors von Marie Curie gibt es auch eines mit einer Zukunftsvision: eine weibliche Figur im Anzug am Frühstückstisch, während ihr ein Mann mit Kittelschürze Kaffee eingießt. Mit dieser Zukunftsprojektion weht auf einmal der Muff der 1950er Jahre durch den Film. Das Bizarre ist: Während die Vision als Teil von Vandaveres größenwahnsinniger Unterhaltungswelt schwer zu greifen ist, ist das Rollenverständnis von Burtons Film kaum anders. Männliche Männer der Tat stehen anschmiegsamen Frauen gegenüber, die unvermeidliche Lovestory bleibt keusch kussfrei. Man erinnert sich, dass Disney vor kurzem Fox übernommen hat und zuckt bei der Vorstellung eines weiteren konservativen Medienkonglomerats kurz zusammen, während über einem eine elefantenförmige Seifenblase platzt und ein wackerer Minielefant tapfer mit den Ohren schlägt.

Fabian Tietke

Dumbo - USA 2019 - Regie: Tim Burton - Darsteller: Colin Farrell, Michael Keaton, Danny DeVito, Eva Green, Alan Arkin, Nico Parker - Laufzeit: 112 Minuten.