Im Kino

Wiederaufstehen und Lasagneessen

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer, Fabian Tietke
01.08.2019. Russel Harbaugh folgt in seinem Langfilmdebüt "Love after Love" in lichten Bildern der Trauerarbeit einer Frau um ihren Mann und zweier Söhne um ihren Vater: Andie MacDowell brilliert als Witwe auf der Suche nach einem neuen Ich. Denys Arcand versucht sich in "Der unverhoffte Charme des Geldes" an witziger Finanzkapitalismuskritik und verirrt sich in sympathischer Gutartigkeit.

"Mein Vater war kaum zwölf Minuten tot und wir versenkten unsere Gesichter in Lasagne." Russell Harbaughs Langfilmdebüt "Love After Love" zeigt die Trauerarbeit einer Frau um ihren Mann und die zweier Söhne um ihren Vater. Die Familienfeste, mit denen der Film beginnt, weichen schon bald der bedrückenden Stimmung, die sich in einem Haus mit einem Sterbenden ausbreitet. Das Stöhnen vor Schmerzen und Ächzen füllt das Haus, Suzanne, die Mutter und ihre Söhne Nicholas und Chris tigern rastlos durch das Haus und ihr Leben. Als der Vater schließlich stirbt, übernimmt die Asynchronität ihrer Trauerarbeit ihre Leben. Suzanne und Nicholas werden teilweise von ihrer Arbeit aufgefangen. Chris bricht der ohnehin fragile Boden unter den Füßen vollends weg. Die Treffen der Familie sind voller Spannungen, die Bedürfnisse der Trauer sind zu unterschiedlich, die wunden Punkte zu nahe an der Oberfläche. Nicholas versucht es mit einer zweiten Ehe, die aber an seiner aktuellen Unausstehlichkeit wenig ändert, Chris trinkt zu viel, Suzanne scheint ihren Platz in der Welt verloren zu haben und muss ihn sich allmählich wiedererobern.

"Love After Love" lebt von seinen Schauspieler_innen. Vor allem Andie MacDowell als Suzanne und Chris O'Dowd als Nicholas tragen den Film. MacDowell spielt Suzanne als schweigsame Frau, etwas steif, die gut zur intellektuell-bürgerlichen Oberschichtssozialisation der Figur passt, aber zugleich mit gelassener Distanz zum Treiben ihrer beiden Söhne. Die ganze Größe ihres Schauspiels zeigt sich in der Suche nach einem neuen Ich nach dem Tod ihres Mannes. Bei ihrer Arbeit am College ist sie leicht reizbar, fährt in einer Prüfung eine Studentin lautstark an, beginnt eine Affäre, beendet diese, streift über eine Party nach einer Nacht im Hotel und beginnt schließlich ein neues Leben. O'Dowd gibt Nicholas bei aller Unausstehlichkeit, die dieser in seiner Trauerzeit zeigt, genug Zerbrechlichkeit und Verunsicherung mit, um die Figur für Entwicklungen offen zu halten. Dass er es seinem Umfeld nicht leicht macht, ist ihm durchaus bewusst. "Ich bin leicht zu hassen" sagt er seiner zweiten Frau nach einem hakligen Versuch Sex zu haben im Bett. Der Film gibt Chris, dem zweiten Sohn, bei weitem nicht so viel Raum wie Nicholas. Dennoch gelingt es James Adomian spätestens in einer späten Stand-Up-Szene, auch Chris als Figur plastisch werden zu lassen.


Russell Harbaugh lässt den Film mit einer mehr oder weniger linearen Erzählung der Zeit des Sterbens beginnen. Nach dem Tod des Vaters verliert der Film scheinbar an Dringlichkeit, zerfällt in Episoden, die teils ineinander verschränkt werden bis er schließlich gegen Ende wieder an Klarheit gewinnt. Geschickt führt Harbaugh die filmische Struktur parallel mit den Emotionen seiner Protagonist_innen. David Shire hat zu dem Film einen Soundtrack komponiert, der die Struktur des Film unterstreicht ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Chris Teague hat als Bildgestalter gemeinsam mit Harbaugh für den auf 16mm gedrehten Film wunderbar lichte Bilder mit gedämpften Farben gefunden.

"Love After Love" ist ein kleiner, intimer Film über Tod und Trauer und das Wiederaufstehen und Lasagneessen; ein beeindruckendes Langfilmdebüt und eine sehenswerte Perle des unabhängigen US-Kinos.

Fabian Tietke

Love After Love - USA 2017 - Regie: Russell Harbaugh - Darsteller: Andie MacDowell, Chris O`Dowd, James Adomian - Laufzeit: 91 Minuten.


Pierre-Paul Daoust (Alexandre Landry) ist ein Held als reiner Tor, Doktor der Philosophie zwar, aber mit den Dingen des Lebens sehr überfordert, selbst und gerade mit einem Wittgenstein-Zitat auf den Lippen. Er gerät, wie es Märchenhelden manchmal geschieht, an einen Klumpen Gold, in Form zweier zum Bersten mit Geldscheinen gefüllter Sporttaschen. Pierre-Paul hat einen Job als Postfahrer, "kein Bargeld an Bord" steht auf dem Klein-LKW. Das ist, als er sich von der Szene eines komplizierten Bandenverbrechens als lachender Dritter entfernt, glatt gelogen.

Natürlich steht er bei der Polizei sogleich unter Verdacht. Die Polizei, das sind: Eine Frau, die auf Frauen steht, aber mit dem gelegentlichen Sexismen und Rassismen nicht abgeneigten Kollegen ins Bett geht, wenn sonst nichts zur Hand ist. Und ein Mann, der Kollege, auch er bekommt, wie fast alle hier, eine schematisch sozialbiografische Vorgeschichte verpasst: fürs Mathematikstudium, von dem er geträumt hat, kein Geld, darum nun nur Polizist. Später, als der ermüdend aufwendig geschürzte Knoten wieder gelöst wird, kommt die Polizei zu spät. Eine Demo an der Uni hat alle Kräfte gebunden. Ein Loblied auf die Gesetzeshüter ist der Film sicher nicht.

Zu Pierre-Paul gesellen sich eine Komplizin und ein Komplize der unwahrscheinlichen Art. Da ist Aspasia (Maripier Morin), eigentlich Camille Lafontaine, die bildhübsche Edelprostituierte, auf die Pierre-Paul aus quasi-platonischen Gründen, wenn auch nicht mit platonischen Absichten verfällt. Schließlich verweist ihr Name auf die antike Rhetorin und Philosophin gleichen Namens, in deren Salon womöglich Sokrates, Sophokles und Kollegen verkehrten, von der keine Texte überliefert sind, aber in Platons "Menexenos" wird eine angebliche Rede von ihr kolportiert. Arcand stellt sich ganz passend in die antike Komödientradition, die Aspasia als Hetäre denunzierte. Neben Aspasia kommt noch Sylvain Bigras (Rémy Girard) ins Spiel, genannt "The Brain", pferdeschwanzwippender Oberganove von Gewicht, frisch aus dem Knast, von dem aus er noch Vorlesungen zur Ökonomie, Spezialgebiet: Steuerhinterziehung, besucht hat.


Passt auffällig gut, aber von allzuviel Wahrscheinlichkeitskrämerei haben sich Drehbuch und Film durch Verortung im Komödien- (oder Comedy-)Genre nach kurzer, aber blutiger Schießerei zu Beginn dispensiert. (Auch später spritzt noch mal Blut. Hirn, genauer gesagt.) Dafür sind alle Umständlichkeiten des Plots und seiner Ausfaltung in Nebenstränge unter Rechtfertigungsdruck: Sie sollten entweder im Dienst des Komischen stehen oder in dem des größeren gesellschaftsallegorischen Ganzen. Beides hat Denys Arcand hier im Sinn, nur steht dann das eine dem anderen seiner Natur nach im Wege.

Im Deutschen ist der Titel des Films nicht ganz verkehrt, wenn auch radebrechend ins Bunuelsche übersetzt und lautet: "Der unverhoffte Charme des Geldes". Mit dem Originaltitel schielte Arcand allerdings auf seinen großen Erfolg "Le déclin de l'empire Américan" von 1986, lang ist es her. Er versteht die Geschichte gewiss als sehr grundsätzliche Finanzkapitalismuskritik. Das Geld, das so unverhofft an die Falschen gerät, wird mithilfe eines mit allen Wassern gewaschenen Monsieur Taschereau auf verschlungenen Wegen über Steueroasen wie die Kanal- und andere Inseln via London etc. pp. in Richtung Schweiz geschickt, und also gewaschen, um nach der Reise auf diesen Umwegen zurück in der kanadischen Heimat Gutes zu wirken.

Die Sympathie des Films gilt den Schlawinern, die am horrenden finanziellen Ungleichgewicht der wirklichen Welt freilich kein Jota ändern. Die Steueroasenkritik ist fraglos valide, wenn auch in der Ausführung Malen nach Zahlen mit Comedy-Mitteln. Man könnte sagen, dass der Plot überumständlich die falschen Umwege geht, dafür auf dem Weg der Komödie immer wieder die verkehrten Abkürzungen nimmt. Der Kritik nimmt die Beliebigkeit des Komischen alle Spitzen. Die Komik steht anarchiefrei im Dienst der kritischen Botschaft. So bleibt das Ganze von einer sympathischen Gutartigkeit, die in letzter Instanz weder der Sache der Kritik noch der des Komischen nützt.

Ekkehard Knörer

Der unverhoffte Charme des Geldes - Kanada 2018 - OT: La chute de l'empire américain - Regie: Denys Arcand - Darsteller: Maxim Roy, Éric Bruneau, Maripier Morin, Vincent Leclerc - Laufzeit: 127 Minuten.
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