Im Kino

Sinn gefunden

Die Filmkolumne. Von Janis El-Bira, Nikolaus Perneczky
29.01.2020. Der österreichische Bauer Franz Jägerstätter bezahlte seinen Mut zur Freiheit unter den Nazis mit dem Leben. Terrence Malick setzt ihm mit "Ein verborgenes Leben" ein Denkmal. Greta Gerwigs "Little Women" erzählt vor historischem Setting moderne Emanzipationsgeschichte. Und spendiert seiner Heldin die Flucht aus ihrem literarisch verbürgten Schicksal.


Kein Heulen, ein Knurren kommt über den Himmel. Franziska Jägerstätter (Valerie Pachner) schaut und hört ihm hinterher. Wir sehen ihren Blick, nicht aber die Kampfflugzeuge selbst, die das Knurren und mit ihm den Krieg ins österreichische Bergdorf St. Radegund tragen. Es ist die erste Infiltration der kleinen Welt durch die große, des Privaten durch das Politische. Zuvor schon waren diese Welten in Terrence Malicks neuem Film "Ein verborgenes Leben" zwar aufeinander, aber eben noch nicht ineinander gestoßen. Im 4:3 der Schwarzweißbilder aus Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" war ganz zu Beginn der Anflug Hitlers auf das noch unzerstörte Nürnberg zu sehen gewesen, hatten sich jubelnde Menschenmassen am Straßenrand gedrängt, den Arm zum Hitlergruß gehoben. Dann, nach einer kaum mehr nötigen Ankündigung, dass diese Geschichte auf wahren Begebenheiten basiere, hatte sich die Leinwand zu ganzer Breite gestreckt, war der Blick über grüne Wiesen hinab ins Tal gegangen. Ein Mann, es ist Franz Jägerstätter (August Diehl), schwingt seine Sense. Man sieht die Dorfkirche und das Gebirgsmassiv, die dieser Welt ihr Gepräge geben. Und bald hört man eben jenes Knurren, den Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit, auf das schlummernde St. Radegund.

Aus dieser Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen entfaltet sich Malicks Film, wie auch sein Hauptprotagonist selbst auf einer ganz anderen Stufe zu stehen scheint als die ihn umgebende Gegenwart. Franz Jägerstätter, Bauer, Märtyrer und Seliger der katholischen Kirche, weigerte sich 1943 im vollen Bewusstsein der Konsequenzen, für Hitler in den Krieg zu ziehen. Weil er sich nicht diesem, nicht seinem Land, seinem Dorf oder seiner Kirche, deren Treppen er fegt und deren Glocken er läutet, ja nicht einmal seiner Frau und den gemeinsamen Kindern, sondern einzig seinem Gewissen und seinem Gott verpflichtet sieht. Der Preis dafür ist das eigene Leben, das die Nazi-Richter ihm im Juli 1943 unter dem Fallbeil nehmen.

Jägerstätter ist darin gewissermaßen eine typische Malick-Figur. Ein gerechter Outlaw und radikaler Individualist in einer Welt, die das Individuum ersticken und zum Teil jener Massen formen will, die am Straßenrand den Arm recken. Anders jedoch als die allermeisten Figuren in Malicks bisherigen Filmen ist Jägerstätter kein Suchender, der sich Schale um Schale zum Kern des eigenen Seins hin häutet, sondern einer, der den Sinn längst gefunden hat. Dass Jägerstätter, den August Diehl mit der edlen Einfalt eines bäuerlichen Stoikers spielt, sich für den Widerstand entscheiden wird, daran lässt "Ein verborgenes Leben" keinen Augenblick lang Zweifel aufkommen. Auch die wie stets bei Malick oratorisch versammelten Stimmen seiner Umwelt, die vor Stolz, Eigensinn und Verantwortungslosigkeit gegenüber Jägerstätters Familie warnen, können nichts daran ändern. Fest steht sein Glaube, dass es vielleicht doch ein richtiges Leben im falschen geben könnte.



Gerade aus dieser Stasis, der provozierenden Nicht-Entwicklung seiner Hauptfigur, zieht Malicks Film seine ungeheure Faszination. Malick lässt Jägerstätter seine Gründe nicht verhandeln, nicht erklären, denn - das ist der antifaschistische Kern dieses Films - sie liegen ja auf der Hand. Keine Handbreit gehen Jägerstätter und mit ihm Malicks Film auf die Logik des Mördersystems ein, keine anderen Entscheidungsgründe als solche des Gewissens lassen sie zu. Das mag viel weniger ambivalent und teils auch weniger aufregend sein als Malicks freidrehende vorherige Filme, in seinem moralischen Rigorismus jedoch ist es so radikal wie berührend. Christus habe keine "Anhänger" mehr, bloß noch "Bewunderer", sagt einmal im Film ein Kirchenmaler. Jägerstätter aber will Anhänger sein. Ein Fundamentalist, an dem der Kelch nicht vorübergeht, der Angst und Folter leidet, aber schlichtweg nicht gebrochen werden kann. Dadurch verwandelt sich sein Leben in Malicks Deutung zu einem Kreuzweg, gegenüber dem selbst Bruno Ganz (in seiner letzten Rolle als Richter, der das Todesurteil spricht) wie Pontius Pilatus die Hände zwar nicht in Unschuld waschen kann, aber betreten auf die Knie sinkt.

Einzige Gefährtin von Jägerstätters immer rigiderer Verhärtung zum Guten ist seine Frau Franziska, die seine Entscheidung mitträgt, obwohl ihr das die Ächtung der Dorfgemeinschaft einbringt, die Nachbarn fortan vor ihr ausspucken und die Früchte vom Acker stehlen lässt. Valerie Pachner bündelt das ganze Leiden ihrer Figur in den Händen, wie sie den Boden pflügen und die Kinder liebkosen, aber auch das Seil umklammern, das ihrem Mann um den Hals gelegt werden könnte. Mit dem Moment von Jägerstätters Verhaftung sind es beider Briefe, die einander tragen und eine Brücke schlagen zwischen den fernen Leidens- und Lebenswelten. Hier, in der Schroffheit der Berge, zieht der Wind an den Kleidern und beseelt Jörg Widmers schwerelose Kameraarbeit noch die zufälligsten, selbst die grausamsten Berührungen unter Menschen und Dingen. Dort, im Gefängnis, fällt ein Licht wie von anderen Sternen zwischen die kahlen Mauern und spricht Franz' verschrobener Zellennachbar (Franz Rogowski) von Weinbau und Obstbäumen, als sei er schon in einer anderen Wirklichkeit zu Hause. Eine geheimnisvolle Verwandtschaft scheint bald zwischen diesen Mauern und Bergen zu bestehen. Das Dorf ist kein Himmel mehr, die Zelle kein Orkus. Der Mut zur Freiheit verwandelt beides. Das ist seine Schönheit und sein Preis.

Janis El-Bira

Ein verborgenes Leben - USA, Deutschland 2019 - OT: A Hidden Life - Regie: Terrence Malick - Darsteller: August Diehl, Valerie Pachner, Michael Nyqvist, Jürgen Prochnow, Matthias Schoenaerts, Bruno Ganz - Laufzeit: 174 Minuten.

---



"Little Women" ist ein vielgeliebter Klassiker der englischsprachigen Literatur. Louisa May Alcotts autobiografisch inspirierter Roman über die vier Schwestern Jo, Meg, Beth und Amy March, die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs in der idyllischen Kleinstadt Concord, Connecticut, zu jungen Frauen heranwachsen, ist mehrfach für die Leinwand adaptiert worden, von George Cukor (1933), Mervyn LeRoy (1949) und zuletzt Gillian Armstrong (1994) - das "modern retelling" des Stoffs aus dem Jahr 2018, vertrieben durch die christlich-fundamentalistische Produktionsgesellschaft Pureflix nicht eingerechnet. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass sich Greta Gerwigs "Little Women" an ein Publikum richtet, das mit der Materie vertraut ist. Ihre Neuverfilmung ist emphatische Nacherzählung: Sie schildert die Geschehnisse nicht transparent und wie zum ersten Mal, sondern mittelbar und aus der Perspektive einer begeisterten Leserin, die sich an Lektüre und Re-lektüren erinnert.

Kopfüber stürzen wir in die Welt des Romans, rauschen wir von den Enden der Erzählung her zurück an ihre Ursprünge. Am Anfang des Films treffen wir die bereits erwachsene Jo March (Saoirse Ronan) in New York, wo sie sich als Autorin abenteuerlicher Spionagegeschichten verdingt. Amy, die jüngste, frönt in Paris der Malerei und der feinen Gesellschaft. Meg, die unverbesserliche Romantikerin, und Beth, die nichts will im Leben als im Kreis der Familie Klavier zu spielen, sind im bukolischen Concord geblieben, die eine frisch vermählt mit einem mittellosen Tutor, die andere todgeweiht im Krankenbett. Von hier geht es zurück zur gemeinsamen Kindheit, als die vier Schwestern arm, aber wohlauf unter einem Dach lebten, voll der Nächstenliebe und des Tatendrangs, an der Seite ihrer gütigen Mutter, genannt "Marmie" (Laura Dern), und in Erwartung der Rückkehr des Vaters aus dem Krieg.

Gerwig dekonstruiert und rekonstituiert den dramaturgischen Bogen der Romanvorlage als atemlose, atemberaubende Parallelmontage von weit auseinanderliegenden Räumen und Zeiten. Vertraute story beats werden aufgerufen, aber nicht immer auserzählt; Zukunft und Vergangenheit verschmelzen per match cut zu einem einzigen Augenblick, und dennoch hat das alles Hand und Fuß, kann auch folgen, wer den Ausgang nicht kennt. Hundert mal gelesen, gesehen und erinnert, wirkt die Geschichte der kleinen Frauen beinahe schicksalhaft. Umso erstaunlicher, dass Jo March, Louisa May Alcotts Stand-in und die eigentliche Heldin des Films, am Ende ihrem literarisch verbürgten Schicksal entkommt.



Alcott, eine Feministin und Abolitionistin, die Zeit ihres Lebens unverheiratet blieb, wuchs auf im intellektuellen Milieu des amerikanischen Transzendentalismus. Wie Jo schrieb sie in jungen Jahren unter einem Pseudonym Groschenromane, um ihre in finanzielle Schwierigkeiten geratene Familie zu unterstützen. An "Little Women" arbeitete Alcott nach eigener Auskunft ohne rechte Freude an der Sache vor allem deshalb, um damit Geld zu verdienen; vielleicht verhandelt der Roman auch darum so hellsichtig gesellschaftliche Zwänge und ihre ökonomischen Grundlagen. Gerwigs smartes Drehbuch wandelt auf Alcotts Spuren, auf dem Grat zwischen Auto- und Fiktion. Das historische Setting ist detailreich nachgebildet und in seiner Sittlichkeit dem neunzehnten Jahrhundert zugehörig, aber die Fragen, die Jo und ihre Schwestern stellen, sind von unverminderter Modernität. Dass die Mehrheit der Männer in diesem Film ahistorisch woke sind und ziemlich traumhaft obendrein, ändert nichts an der Problemlage, macht sie vielleicht sogar noch schlimmer. Bessere Argumente für die Paarform als die willigen Bachelors Timothée Chalamet und Louis Garrel müssen einem erst einmal einfallen, aber Jo/Alcott schlägt sie beide aus zugunsten ihrer Passion fürs Schreiben, der wir das Buch verdanken, das Gerwig nacherzählt.

Nach dem Erfolg von "Little Women" schrieb Alcott einfach weiter, erst "Good Wives" (den Titel oktroyierte der Verleger), dann "Little Men" und schließlich "Jo's Boys". Das Ende des Films spaltet die Protagonistin in zwei: Die eine Jo heiratet und gründet eine Schule in Concord, die andere bleibt allein und hält in der letzten Einstellung stolz den gebundenen Roman in Händen, der alles andere, auch die andere Jo, enthält. Sie lächelt, runzelt die Stirn, lächelt wieder: eine finale Ausdrucksbewegung, in der Verlust und Triumph ganz nah beieinander liegen.

Nikolaus Perneczky

Little Women - USA 2019 - Regie: Greta Gerwig - Darsteller: Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Laura Dern, Timothée Chalamet, Louis Garrell - Laufzeit: 135 Minuten.