Im Kino

Zwischen Siegessäule und Preußenpark

Die Filmkolumne. Von Rajko Burchardt, Patrick Holzapfel
27.05.2020. Frank Ripplohs "Taxi zum Klo" von 1980 ist ein Film über homosexuelle Subkultur und ihre Widersprüche in Westberlin kurz vor Ausbruch der Aids-Pandemie. Klaus Wildenhahn zeigt in seiner Doku "Die Liebe zum Land" den harten Alltag einer Bauernfamilie 1973. Kino zum Streamen.


Westberlin Ende der 1970er Jahre, zwischen Regenbogenkiez und Oberbaumbrücke. Brandwände reißen willkürlich Lücken ins Straßenbild, Nieselregen drückt die verschmutzte Luft zu Boden. Es ist das hässliche, das aufregende Berlin, ein Berlin der Erinnerungen. Die Kreuzberger Wohnung hat Außenklo und Ofen, kostet dafür aber nur 60 Mark. Zuhause möchte ja sowieso kaum jemand sein. In den Bars wird viel getrunken, in den Herrensaunen kräftig geschwitzt. Und auf den öffentlichen Toiletten, genannt Klappen, kommt es zum unbeschwerten Sex unter Männern. Einige fahren ganze Touren, von der Siegessäule bis zum Preußenpark am Fehrbelliner Platz. Wer nicht fündig wird, lässt sich weiterkutschieren.

Das ist die Welt von "Taxi zum Klo", die Welt von Frank Ripploh. "Sie wollen mich auf meinen Streifzügen begleiten?", fragt der Autor, Hauptdarsteller, Produzent und Regisseur zu Beginn seines autobiografischen Films. Gedreht hat er ihn 1980 ohne Förderung, ohne Kompromisse, gewissermaßen auch ohne Grenzen der Eitelkeit. In der ersten Einstellung streckt Ripploh der Kamera seinen blanken Arsch entgegen, bevor er sich beim Klauen der Nachbarszeitung aussperrt und splitternackt über den Balkon nebenan in die Wohnung zurückklettert. "Rachegelüste" habe dieses Debüt befriedigen sollen, sagte Ripploh damals, nachdem er wegen einer Cover-Story des Magazins Stern mit der Schulbehörde aneinander geraten war. Weil er und andere Männer sich darin als offen schwul lebend präsentierten, war die Beamtenkarriere des damaligen Lehrers Ripploh vereitelt worden.

Für einen Rachefilm allerdings ist "Taxi zum Klo" ausgesprochen liebenswert, wenn nicht gar versöhnlich geraten. Die Darstellung subkultureller Praktiken - darunter reichlich explizite Szenen, wie sie dem breiten Publikum seinerzeit auch Rosa von Praunheim kaum zu zeigen gewagt hätte - wechseln mit Szenen aus Franks beruflichem Alltag als Grundschullehrer. Wobei es dem Film weniger darum geht, Kontraste zwischen homosexuellen und heteronormativen Erfahrungen zu ziehen. Vielmehr bringt er noch die scheinbar widersprüchlichsten Lebensbereiche augenzwinkernd zusammen: Eben noch stellt Frank das morgendliche Balkonabenteuer vor der Schulklasse pantomimisch dar, schon blendet der Film wieder zum Feierabend-Cruising auf der Toilette über - und auch hier holt Frank schon mal das Notenheft heraus und trägt Zensuren ein.



Zur spielerischen Vermittlung gehört andererseits der Rekurs auf die Stigmatisierung homosexueller Männer im Lehr- und Erziehungswesen. In der vielleicht bemerkenswertesten Szene von "Taxi zum Klo" gibt Frank einem Schüler daheim Nachhilfe, während im Nebenzimmer Ausschnitte des sogennanten Aufklärungsfilms "Christian und sein Briefmarkenfreund" (1972) laufen. Der jahrelang an westdeutschen Schulen gezeigte Film handelt von einem Lehrer, der unter Vorwand einen Jungen in seine Wohnung lockt, um sich an ihm zu vergehen - die elterliche Horrorvorstellung schlechthin, nicht zuletzt durch die vordem mindestens implizit übliche Gleichsetzung von Pädo- und Homosexualität. Bei Ripploh prallt das bizarre Stück Film einfach an der eigenen Lebenswirklichkeit ab: Seinen herumalbernden Schüler mahnt Frank zur Konzentration, bevor es ihn selbst wieder auf die Straße zieht.

Im Berliner Nachtleben sucht Frank nicht ausschließlich Sex, es geht auch um eine Sehnsucht nach Verbindlichkeiten ("so ein alter Pissbudenschwuler möchte ich nicht werden"). Auftritt Bernd, Filmvorführer im Yorck-Kino. Ein verbindlicher Typ, der sogar vom Selbstversorgerleben auf dem Bauernhof träumt ("jeden Tag frische Eier"). Das lässt sich mit Frank wiederum nicht machen. Und so folgt auf die süße erste Begegnung schnell das Beziehungsgezänk über Aufgabentrennung, Fernweh, Monogamie. Das ist figurenpsychologisch einigermaßen schwer nachzuvollziehen, glücklicherweise. Es gehört zur sympathischen Rotzigkeit des Films, dass Frank, Bernd und die im Vorspann pragmatisch benannten sonstigen Charaktere ("fremde Frau", "eine Mutter", "erster Lederjunge") offen für Widersprüche bleiben.

In der restaurierten Fassung, die jetzt neu auf DVD erschienen und auf dem Streaming-Kanal des Verleihs Salzgeber zu sehen ist, kommt dieser spezielle Charme noch einmal besonders zur Geltung. Da wird in der qualitativen Aufgeputztheit gerade das Ungestüme sichtbar, die Lakonie der Form und der grobe Strich, die reizende Impertinenz und der schöne Berlinschmutz. Dass "Taxi zum Klo" vor 40 Jahren ein unerwarteter Welterfolg wurde (sogar in den USA füllte er Kinos), dürfte jedenfalls viel mit seinem selbstbewussten, eine unwiderstehliche Komik produzierenden Dilettantismus zu tun gehabt haben. Im Rückblick ergibt sich daraus eine Zeitkapselästhetik von nicht zuletzt großer Wehmut: Am Vorabend der Aids-Pandemie feierte Frank Ripploh das schwule Leben wie kaum ein anderer.

Rajko Burchardt

Taxi zum Klo - BRD 1980 - Regie: Frank Ripploh - Darsteller: Frank Ripploh, Bernd Broaderup, Orpha Termin, Peter Fahrni, Dieter Gödde - Laufzeit: 98 Minuten. "Taxi zum Klo" gestreamt bei Salzgeber.

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"Es gibt zwei Wege: alles auf Kredit und auf einmal schön, oder so langsam und malochen", spricht eine Bäuerin in Klaus Wildenhahns "Die Liebe zum Land". Der Film porträtiert den Bauernhof der Familie Petersen im Kreis Flensburg 1973. Es ist ein brutaler Film über das Überleben in einem System, dem nichts an diesem Berufszweig liegt. In einer Welt, in der wir wieder verstärkt darüber sprechen müssen, woher unsere Nahrung kommt und wie sie hergestellt wird, ist er ein dringlicher Fingerzeig.

Wildenhahn begegnet der Bauernfamilie mit großer Offenheit und Direktheit. Er steht mitten unter ihnen, filmt diese Menschen, die immer in Bewegung sind, die mit ihm sprechen während sie arbeiten. Es gibt keine Pause, die Körper müssen weiter, immer weiter, sie müssen funktionieren, weil sonst alles zusammenbricht. Das erinnert manchmal an die Fiktionen der Gebrüder Dardenne oder Safdie, aber Wildenhahn versteckt sich nicht nur hinter den Körpern, er sucht nach einer Ratio.

64 Kühe gibt es auf dem Hof, die versorgt werden müssen. Mehrfach wird betont, dass es keinen freien Tag gibt. Eine Kuh muss auch an Weihnachten gemolken werden. Die Kamera möchte registrieren, aber sie möchte auch verstehen. Auf der Tonspur hört man eine Rede des Bauern Petersen. Er will sich wehren, für sein Recht einstehen. Petersen erkennt, dass die Wirtschaft lieber auf Exporte setzt und er hängengelassen wird. Doch er weiß, dass er ganz auf sich allein gestellt ist und trotzdem immer weiter wachsen muss. Selbst die Kühe bekommen keine Rast. Sie sind ständig in Bewegung. Dazu rumoren die Traktoren, die Kamera registriert den Dreck unter den Fingernägeln und die müden Augen. Plötzlich donnert es und ein Gewitter schwemmt den Ertrag eines ganzen Sommers aus der Welt.



Einmal hält Bauer Petersen es nicht mehr aus. Er wendet sich an die Kamera und sagt, dass er die Politiker notfalls mit Fäusten überzeugen würde. Das wäre ein sozialer Akt. Er spricht über ungerechte Bezahlung und nicht berücksichtigte Risiken. Aus seinen nervösen Augen spricht noch Hoffnung, auch wenn sich manchmal Verbitterung in seinen Ton mischt. Im Gegensatz zu seinem Vater, der sich mit einer kaputten Hüfte über den Hof schleppt, ist er noch gesund. Es gab keine wirkliche Berufswahl für ihn, aber er beschwert sich nicht, ein Bauer zu sein.

Wildenhahn geht es um den Wert der Arbeit. Er zeigt, wie Menschen, die essentielle Arbeit für unsere Gesellschaft leisten, von einer Politik erdrückt werden, die nur auf Gewinnmaximierung, nicht aber auf Qualitätssicherung aus ist. Eine Politik, die wir kennen. Sie argumentiert mit Zahlen und ignoriert Menschen.

Bei aller politischer Dringlichkeit vergisst Wildenhahn nicht zu zeigen, was diese Menschen ausmacht. Was "Die Liebe zum Land" besonders macht, sind die beiläufig eingefangenen Zwischentöne, die von einem möglichen Alltag jenseits der Arbeit erzählen. So sieht man die Tochter der Familie die Holztreppen im Haus herunterrutschen oder die Kinder beim Frühstück sitzen. Einmal marschiert eine Blaskapelle vorbei, die Rinder werden aufgescheucht. Ein anderes Mal unterhält sich der Filmemacher mit dem Jungen der Familie über die Bücher, die dieser gelesen hat.

Am Ende zeigt Wildenhahn stumme Standbilder der Bauern. Es wirkt andächtig, man weiß nicht, ob man da Helden sieht oder Opfer. Im Sommer 1973 bekommt Bauer Petersen eine Grippe. Er hat 40 Grad Fieber. Der Arzt verschreibt Petersen ein halbes Jahr Kur. "Was soll ich darauf sagen?", entgegnet dieser und arbeitet weiter.

Patrick Holzapfel

Die Liebe zum Land - BRD 1975 - Regie: Klaus Wildenhahn - Laufzeit: 150 Minuten. "Die Liebe zum Land" zusammen mit anderen Wildenhahn-Filmen in der ndr-Mediathek