Im Kino

In dämonischer Untersicht

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Patrick Holzapfel
09.12.2020. David Fincher greift mit "Mank" über den Hollywood-Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz virtuos die komplexe erzählerische Struktur von dessen "Citizen Kane" auf. Mankiewicz schrieb auch das Drehbuch zu Robert Siodmaks wagnerianischem Noir "Christmas Holiday" mit Gene Kelly in der Rolle des Bösewichts.


Filme, die die Filmindustrie über sich selbst dreht, sind in einem gewissen Sinne fast immer affirmativ. Zu tun hat das mit unserem Wissen über die Kontinuität von Filmgeschichte. Wir sehen Leuten dabei zu, die versuchen, ihre Träume zu verwirklichen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht, aber am Ende steht so oder so der unausgesprochene Schlusssatz: "...und das Kino geht weiter." Das gilt eben nicht nur für klassische Innovationserzählungen wie "Singing in the Rain" oder "The Artist", sondern auch für die meisten der vermeintlich pessimistischen bis zynischen Variationen, von Vincente Minellis "Two Weeks in Another Town" über Godards "Le mepris" bis zu "Hail, Caesar!" von den Coen-Brüdern. Letztlich läuft es stets auf dasselbe hinaus: Das Kino geht weiter, der nächste Film kommt bestimmt und den Fortschritt kann auf die Dauer niemand aufhalten. Uns bleibt nur die Wahl, darüber zu jubeln, zu trauern oder zu lachen.

Die auf den ersten Blick nicht unbedingt sichtbare Radikalität von "Mank", als Netflix-Produktion nicht mehr wirklich Teil der (oder jedenfalls nicht mehr derselben) Filmgeschichte, besteht nun darin, dass Regisseur David Fincher diesen Konsens aufkündigt, und zwar indem er in seiner eigenen Kinoselbstreflexion die Filme selbst an den Rand drängt. Das mag sich erst einmal absurd lesen angesichts einer Produktion, die auf den ersten Blick wie kaum eine zweite in Old-Hollywood-Nostalgie badet. Es geht in "Mank" schließlich um die goldene Ära des amerikanischen Kinos, um das Studiosystem der 1930er Jahre, dessen Glamourproduktion auch auf die edel designten (und allerdings ahistorisch cinemascope-breiten) Schwarz-Weiß-Bilder des Fincher-Films übergreift. Es geht, insbesondere, um den singulären Kinomeilenstein "Citizen Kane", um dessen Drehbuchautor Herman Mankiewicz vor allem, der, während er alkoholkrank im Bett liegend seine Schreibmaschine bearbeitet, seine bisherige Karriere in der Traumfabrik und insbesondere seine Jahre bei MGM, dem erfolgreichsten Studio der klassischen Ära, Revue passieren lässt.

"Mank" erzählt nicht nur von "Citizen Kane", sondern weiß auch um unser Wissen um "Citizen Kane", greift dessen komplexe erzählerische Struktur ebenso auf wie einzelne Motive und visuelle Kompositionen - aber gleichzeitig gelingt es dem Film, sich vom überlebensgroßen Vorgängerwerk zu emanzipieren. Gemeint ist damit freilich nicht die in der Vorberichterstattung über Finchers Film, angeheizt von ein paar eher unglücklichen Interviewsätzen des Regisseurs, ziemlich aufgeplusterte revisionistische Schlagseite des Projekts, die Tatsache insbesondere, dass nicht Welles, sondern eben Mankiewicz, genannt Mank, in dessen Zentrum steht. Ein paar - nicht allzu bösartige - Spitzen wider den Geniekult um Welles finden sich schon auch im fertigen Film, aber insgesamt geht es Fincher kein bisschen darum, endlich "die Wahrheit über Citizen Kane" ans Tageslicht zu befördern. "Citizen Kane" ist nach "Mank" jedenfalls genauso monumental isoliert in der Filmgeschichte verankert wie vorher.



In gewisser Weise ist "Citizen Kane" für "Mank", was das Rätselwort "Rosebud" für "Citizen Kane" ist - eine bloße Chiffre, die benötigt wird, um unsere Aufmerksamkeit zu binden, die aber letztlich gar nichts erklärt. "Mank" ist weder Abrechnung noch Hommage noch Making Of, allgemeiner kein Film übers Filmemachen, und auch nicht wirklich einer über die Filmindustrie; kein Film, zum Beispiel, der sich für die ökonomischen und institutionellen Mechanismen interessiert, die das klassische Hollywoodkino ermöglicht haben. Stattdessen geht es, wie letztlich in jedem Fincher-Film, in erster Linie um soziale Beziehungen. In erster Linie ist "Mank" eine - über weite Strecken hochkomische - Comedy of Manners.

Vielleicht könnte man auch sagen: Es geht um die Unternehmenskultur von MGM. Nur, dass die sich nicht grundlegend von der Unternehmenskultur anderer großer Firmen unterscheidet. In einer Schlüsselszene früh im Film führen Studioboss Louis B. Mayer und dessen Adlatus Irving Thalberg Mank übers Studiogelände. Fincher filmt das wie eine bösartige Parodie auf die "Walk and Talk"-Szenen in den Serien und Filmen Aaron Sorkins. Die flüssige Kameraarbeit ist im Bunde mit dem wortgewandten Impresario Mayer, der freilich nicht, wie seinerzeit President Josiah Bartlet in Sorkins "The West Wing" die institutionelle Vernunft der demokratischen Ordnung verkörpert (lang ist's her), sondern, gefilmt in dämonischer Untersicht, jeden und alles solange nach Strich und Faden manipuliert, bis er seine Angestellten soweit hat, dass sie ihre eigene Lohnkürzung beklatschen.

Wie in jedem großen Unternehmen sind die Chefs reaktionäre Arschlöcher, talentierte Zyniker (wie Thalberg) machen Karriere und talentierte Exzentriker (wie Mank) werden höchstens als Pausenclowns geduldet. Die Frage, was das für die Filme, die in den MGM-Studios entstehen, bedeutet, stellt Fincher nicht einmal, es ist den Leuten, die hier arbeiten, nicht anzusehen, ob sie Meisterwerke oder belanglose Ausschussware produzieren. Überhaupt spielen nur sehr wenige Szenen an Filmsets, deutlich mehr in den Hinterzimmern des Studioapparats, auf Empfängen, Galas, politischen Fundraisern. Es geht um Politik inner- wie außerhalb des Studios, um die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Entertainmentindustrie und ziemlich ausführlich um die konservative, maßgeblich von Hearst und MGM-Boss Louis B. Mayer mitbestimmte Propagandakampagne gegen Upton Sinclairs Kandidatur zum Gouverneur von Kalifornien im Jahr 1934. Es geht um verletzte Eitelkeiten und um Kompromisse, die man immer gleichzeitig mit seiner Umgebung und mit sich selbst schließt und die über kurz oder lang noch fast jeden von uns zermalmen.



Mittendrin Mank, verkörpert von Gary Oldman, einem Showman alter Schule, der manieriert und effekthascherisch jede einzelne Szene an sich zu reißen versucht. Eine Performance, die einem leicht auf die Nerven gehen kann, der aber stets ein Moment von Schwäche und Melancholie beigemischt ist. In den Rückblenden in die MGM-Zeit werden Oldmans Ticks, Grimassen und ironischen Witzeleien lesbar als psychische Schutzmechanismen, mit deren Hilfe sich einer ein Platz in einem System sichern möchte, das er innerlich verachtet; in der Erzählgegenwart wiederum hat seine Exaltiertheit etwas Rührendes, Hilfloses. Mank hat die klaustrophobische Machowelt des Studios hinter sich gelassen, sein Meisterwerk "Citizen Kane" schreibt er fernab von Los Angeles auf dem Land, eine resolute Haushälterin macht die Küche. Um ihn herum und vielleicht auch in ihm drin ist plötzlich alles weich und weiblich: Kopfkissen, Alkohol, Weitwinkelfotografie.

Die schönsten Momente des Films gehören allerdings nicht Oldman, sondern Amanda Seyfried. Die spielt Marion Davies, die Geliebte des Medienmoguls William Random Hearst, dessen lediglich oberflächlich fiktionalisierte Filmbiografie "Citizen Kane" ist. Davies nimmt Mank einmal mit auf einen Spaziergang durch die Gärten und den Zoo des bizarren Hearst Castle. Das Anwesen des Millionärs, bei Welles zum expressionistischen Alptraum Xanadu verdüstert, wird bei Fincher zur Kulisse eines platonischen Flirts, Oldman wird von der entspannten Fröhlichkeit Seyfrieds angesteckt und lässt sich für ein paar kostbare Minuten tatsächlich auf sein Gegenüber ein. Gemeinsam bewundern die beiden eine Gruppe Elefanten und Seyfried fällt fast in einen Brunnen. Eine Szene wie aus einer Screwballkomödie der 1930er. Dass sie wie aus dem Nichts kommt, macht sie nur noch schöner.

Lukas Foerster

Mank - USA 2020 - Regie: David Fincher - Darsteller: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Lily Collins, Tom Pelphrey, Arliss Howard, Ferdinand Kingsley, Tom Burke - Laufzeit: 131 Minuten. "Mank" auf Netflix.

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Als eine Art Appendix zum doch etwas ungezwungen Umgang mit der geschichtlichen Wahrheit in David Finchers "Mank" kann es durchaus interessant sein, sich einige der Filme anzusehen, an denen Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz arbeitete, nachdem ihm seine Mitwirkung an "Citizen Kane" den Oscar eingebracht hatte. Obwohl er sich bei einem spontanen Gelage zur Feier des entfernten Gips', in dem er sein Oscardrehbuch verfasste, betrunken gleich wieder das Bein brach, schrieb er in den 1940er Jahren nämlich einige seiner besten Drehbücher.

Dazu gehören "Rise and Shine" von Allan Dwan, der wunderbare "The Pride of the Yankees" von Sam Wood mit Gary Cooper als Baseballspieler und auch Robert Siodmaks wagnerianischer Noir "Christmas Holiday". Trotz des Titels und der beiden komödiantischen Musicalstars Gene Kelly und Deanna Durbin in den Hauptrollen herrscht hier die für das Genre typische regendurchtränkte Dunkelheit.

Die Handlung basiert auf Somerset Maughams gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1939. Mankiewicz geht wie für ihn typisch recht frei mit dessen Figurenkonstellationen um und entwirft ein Hin und Her auf vier verschiedenen Zeitebenen. Gemeinsam mit Siodmak, dessen Schaffen in den 1940er Jahren einen absoluten Höhepunkt erreichte, destilliert er aus der Vorlage eine Auseinandersetzung mit dem Wesen einer wahrlich unerschütterlichen Liebe.



Alles beginnt mit dem äußerst braven, aber vom Beziehungspech heimgesuchten Lieutenant Charles Mason, der sich auf dem Weg nach San Francisco befindet, wo seine Partnerin mit einer neuen Flamme lebt. Das Flugzeug muss aufgrund schlechten Wetters in New Orleans zwischenlanden und in einem der vielen merkwürdigen Wandlungen dieses faszinierenden Films finden sich die Passagiere des Flugzeugs sogleich in einer Mischung aus Hotellobby und Nachtclub. Dort trifft Charles auf den dem Alkohol zugeneigten Simon Fenimore, für den sich Mankiewicz seinen berüchtigten Zynismus und Witz aufgespart hat. Wie die Sängerin Jackie Lamont später sagen wird: "He has been drinking himself into the gutters for a long time. They are running out of gutters.".

Dass dieser Fenimore den naiven Charles während eines Nachtclubbesuchs, bei dem er ein wenig Zeit mit einer Prostituierten verbringen möchte, zusammen mit der nur scheinbar fatalen Jackie in eine Nachtmesse schickt, gehört zu den grandiosesten Einfällen des Films (und des Romans, da diese Stelle eine der wenigen ist, die komplett übernommen wurde). Siodmak setzt diesem erneuten Stimmungswechsel vom sanften Noir zum harten Drama die Krone auf, indem er den Gottesdienst mit großem Pathos filmt. Die Tränen von Jackie über das gemeinsame Singen in der Kirche öffnen den Weg in den eigentlichen Film, denn Jackie beginnt von ihrer tragischen Beziehung zum aristokratischen Muttersöhnchen Robert Monette zu erzählen.

Dass dieser ausgerechnet von Gene Kelly gespielt wird, der hier wie Deanna Durbin komplett gegen den Strich besetzt ist, verleiht "Christmas Holiday" eine herrliche Merkwürdigkeit, in der man sich nie sicher sein kann, wohin die Reise geht. Monette wurde wegen Mordes verurteilt und Jackie erzählt nicht nur wie es dazu kam, sondern auch immer wieder von ihrer anhaltenden Liebe zu diesem Mann. "...as if you could stop loving because it's shameful to love", sagt sie.



Die womöglich erwartete Romanze zwischen ihr und Charles wischen Siodmak und Mankiewicz lässig beiseite. Vielmehr erzählt der Film von den Zufällen, den kurzen Begegnungen, den Geschichten, von denen wir an Nicht-Orten hören und die uns trotzdem für immer verändern können. Selbst wenn es im Finale des Films es zu einer gefährlichen Begegnung zwischen Jackie und Monette kommt, wartet bereits ein Taxi auf Charles, das ihn zum Flughafen bringt. In Anlehnung an Drafi Deutscher könnte man sagen: Alles in diesem Film ist flüchtig, nur die Liebe nicht.

Die aufrichtige Liebe von Jackie erzählt sich vor allem in jenen Sequenzen, in denen nichts gesagt wird. Der Konzertbesuch, bei dem sich Jackie und Monette zur Musik von Wagners "Tristan und Isolde" verlieben, verleiht dem recht ruppigen Stil des Films plötzliche Erhabenheit. Dass die Themen der Oper und des Films sich hier und da überlappen, liegt nicht zuletzt an Mankiewiczs Drehbuch. Produzent Felix Jackson sagte über seine Arbeit: "Mank war äußerst gebildet und wusste, wie mit der Vorlage umzugehen ist. Es ist sehr selten in Hollywood, dass jemand wirklich schreiben kann."

Patrick Holzapfel

Christmas Holiday - USA 1944 - Regie: Robert Siodmak - Drehbuch: Herman J. Mankiewicz - Darsteller: Deanna Durbin, Gene Kelly, Richard Whorf, Dean Harens, Gladys George - Laufzeit: 93 Minuten. "Christmas Holiday" ist in Deutschland als "Der Weihnachtsurlaub" auf DVD erschienen und über die üblichen Kanäle beziehbar.