Im Kino

Ein süßes Nichts

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Thomas Groh
14.01.2021. 006, bitte übernehmen Sie, ruft es aus dem Secret Service. Und schon saust der Spion auf Wasserskiern über den Atlantik. "Serenade für zwei Spione", eine Agentenparodie von Michael Pfleghar und Alberto Cardone aus dem Jahr 1965, ist eine B-Movie-Fantasie mit Ambitionen. Romy Schneider bringt 1971 in Claude Sautets "Das Mädchen und der Kommissar" die Leinwand zum Glühen.


Zur 007 hat es für John Krim (Hellmut Lange) nicht ganz gereicht. Aber wenn 007 gerade nicht abkömmlich ist (Weltretten, irgendwo in einem Rettungsboot auf dem Ozean schmusen), nimmt der Secret Service (Chef: Wolfgang Neuss) auch mit Agent 006 vorlieb. An verbaler Schlagfertigkeit ist er dem ranghöheren Kollegen dank der Sorgfalt des Drehbuchs durchaus ebenbürtig. Nur was die typische Allmacht betrifft, ist er ein kleines bisschen weniger gut ausgestattet - die Möglichkeiten einer westdeutschen Produktion aus den 60ern liegen eben doch etwas unterhalb denen eines Blockbusters von internationalem Format.

Aber immerhin: Weil er Flugangst hat, bewältigt 006 den Sprung über den großen Teich einfach auf Wasserski - und schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Produktion braucht ein teures Set Piece gar nicht erst einzukalkulieren und wenn man genau darüber nachdenkt, schlägt so ein Transit jeden Bond-Stunt um Längen. Erstaunt schauen auch die Leute am Kai von San Francisco drein, als der teutonische Agent an Land geht - man darf mutmaßen, dass der Dreh fürs Laufpublikum nicht angekündigt war. Ein leiser Running Gag ist das, weil sich auch sonst im Bildhintergrund regelmäßig neugierig guckende Passanten sammeln, und nicht zuletzt die passende Kulisse für einen Film, der immer wieder die vierte Wand durchbricht, als hätte Brecht sich im Genrekino der 60er ein zweites Standbein aufgebaut.

Aber okay, wo sind wir hier eigentlich? "Serenade für zwei Spione", eine westdeutsche Agentenfilmparodie von 1965, nach "Die Tote von Beverly Hills" (1963) der zweite in den USA gedrehte 60s-Krimi-Spoof des Teams Michael Pfleghar (Regie) und Hansjürgen Pohland (Produktion). Beide Filme waren lange Zeit gesuchte Raritäten - via einer sauberen DVD-Restauration sind sie nun wieder zugänglich und rufen damit ins Gedächtnis, dass das BRD-Kino der 60er mit Edgar Wallace, Karl May und Oberhausen nur unzureichend kartografiert ist. Der "Beverly Hills"-Film lief sogar im Wettbewerb von Cannes, im Vorfeld gab es sensationelle Presseberichte von den waghalsigen Guerilla-Dreharbeiten in den Staaten, entstanden ist bei alldem eine wild-verspielte Formen- und Genre-Collage, die sich unbekümmert mitten zwischen den damaligen Grabenkämpfen von Altbranche und Jungfilmern platziert - Krimi-Räuberpistole, Formenexperiment und Vaudeville-Slapstick aus der Stummfilm-Mottenkiste in einem.



"Serenade für zwei Spione" (hier der Trailer) ist demgegenüber schon merklich geradliniger. Die Gags spielen sich eher vor der Kamera ab als im gemeinsamen Konzert der filmischen Formenmittel. Die Handlung ist ein süßes Nichts, das nur als lose Schnur dient für eine Abfolge von Episoden, in denen Agent 006 mit mehr Glück als Verstand von einer Situation in die nächste taumelt und dabei einigermaßen willkürlich zwischen San Francisco und Las Vegas pendelt: Eine Truppe böser Buben hat Goldfingers Lasergewehr gestohlen, der auf den Fall angesetzte FBI-Mann steht im Verdacht, ein Überläufer zu sein, James Bond ist gerade anderweitig im Dienst - 006, übernehmen Sie!

Die Zutaten entstammen dem Fundus des Genres: Internationale Kulisse vom Format "große Welt", schön mit den Wimpern klimpernde, aber durchaus ihr eigenes Spiel spielende Frauen (Heidelinde Weiss, Barbara Lass), das eine oder andere erotische Abenteuer (bzw., naja, zumindest der Versuch), Schlägertypen mit Marotten (ihr Kommen kündigen sie stets mit klackernden Kastagnetten an), schmarrige Fallen (die Bombe steckt im Frühstücksbrötchen), abenteuerliche Gadgets (die Armbanduhr als Funkgerät), Chef-Ganoven nach Dandyformat (Tony Kendall, der damals als Titelheld der heute fast vergessenen "Kommissar X"-Reihe in einem weiteren deutsch-italienischen Bond-Spoof reüssierte) und dazu immerhin zwei dramatische Action Set Pieces: Das erste davon, eine Verfolgungsjagd quer durch die Wüste von Nevada, ist immerhin eine wirklich beeindruckende Umsetzung des Industrie-Credos "Stuntman-Knochen kosten nicht die Welt" - nach bewährter italienischer Maßgabe (aus wenig viel machen, Schauwerte durch Draufhalten) von Co-Regisseur Alberto Cardone, ein in seiner Heimat oft gebuchter Second-Unit-Regisseur, waghalsig in Szene gesetzt.

Das zweite Set Piece ist demgegenüber allerdings nur noch gaga: Die Autos stürzen von einem Abhang in einen Fluss, die Hatz geht dann in Form eines Schusswechsels weiter - unter Wasser wohlgemerkt. Gefilmt wurde mit einem Aquarium vor der Kameralinse (auf der Tonspur gibt's Geblubber), während die Schauspieler in betont langsamen Bewegungen so tun, als wäre ein minutenlanges Duell auf dem Grund eines Flusses das normalste auf der Welt. Agent 006 fängt währenddessen sogar ein Techtelmechtel an - diese Lungen möchte man, gerade heutzutage, haben.



Damit ist "Serenade für zwei Spione" gut beschrieben: Der Film ist ein einziges, sich seiner selbst voll bewusstes "so tun als ob". Als würde man erwachsenen Menschen beim Verkleiden zusehen. Entsprechend ausgelassener Frohsinn herrscht vor: Fährt Agent 006 mit der Straßenbahn durch San Francisco, holt er sich einen Telefonapparat aus dem Aktenkoffer, um mit der Zentrale zu telefonieren. Die Cessna ist ein bewährtes Verkehrsmittel in den Straßen von Las Vegas und der Stützpunkt der Schurken ein verlassenes Hüttenensemble in der Wüste von Nevada, ein tristes, braungraues Nichts, in dem aber eine Rock'n'Roll-Band mit weiblichem Tanzensemble für den obligatorischen Glamour sorgt. Am Ende hängt der Agent im Frack am Seil.

Kurz: Eine von Francesco de Masi musikalisch säuselnd-entrückt umschmeichelte B-Movie-Fantasie mit Ambitionen - anders als bei "Die Tote von Beverly Hills" liegen diese weniger im Bereich der Kunst als im smarten Klamauk. Mit der TV-Revue "Klimbim" und der Nonsense-Serie "Zwei himmlische Töchter" - zwei zwischen von der Muse geküsstem Irrsinn und brutalst stählerner Nervensägerei oft im Sekundentakt wechselnden Formaten - würde Michael Pfleghar, der aus dem TV-Showgeschäft der 50er kam, nach diesem Kino-Doppelausflug in die USA schließlich seine wahre Bestimmung im BRD-Fernsehen der 70er finden. Anders als sein Held brauchte er für diesen Sprung keine transatlantische Wasserskireisen.

Thomas Groh

Serenade für zwei Spione - BRD/Italien 1965 - Regie: Michael Pfleghar, Alberto Cardone - Darsteller: Hellmut Lange, Barbara Lass, Heidelinde Weiss, Tony Kendall, Wolfgang Neuss, Mimmo Palmara, u.a. - Laufzeit: 87 Minuten. "Serenade für zwei Spione" ist auf DVD  und auch auf Youtube verfügbar.

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Der Kommissar und ehemalige Richter Max (Michel Piccoli) steht unmittelbar vor seiner Pensionierung. Als verdeckter Ermittler trifft er sich mit der Prostituierten Lily (Romy Schneider), deren Freund Abel (Bernard Fresson) Anführer einer Bande kleiner Ganoven ist, die auf einem Schrottplatz in einem Pariser Armenviertel ihren Geschäften nachgehen. Max trachtet danach, den Kleinkriminellen eine Falle zu stellen, indem er sich als Bankier ausgibt, um sie zu einem großen Coup zu verleiten.

Eine Frau, die zwischen zwei Männern auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes steht, und ein Banküberfall: der Stoff, aus dem Film Noirs gemacht sind. Allerdings dreht der seit den Fünfzigern aktive Regisseur und Drehbuchautor Claude Sautet nach "Die Dinge des Lebens" (1970) nicht mehr eigentliche Genrefilme, sondern eine sehr spezifische Art von Beziehungsfilmen, in denen er die Intensität und die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Populären des Genrekinos für seine eigenen Zwecke nutzte. Insbesondere die fünf Filme, die er in den Siebzigern mit Romy Schneider dreht, bilden dabei einen eigenen kleinen Kosmos. Einiges mag an diesen Filmen heute problematisch erscheinen, insbesondere die Art, wie Schneiders Figuren die Gewalt ihrer Filmpartner erdulden. Aber mit vereinfachender Ideologiekritik ist den Ambivalenzen dieses Kinos kaum beizukommen. In keinem Sautet-Film ist Schneider "nur" eine der größten Diven und Stilikonen ihrer Zeit; sie ist immer auch eine großartige Schauspielerin, die vielleicht nie besser war. Bei aller Tragik sowohl ihrer Figuren als auch ihrer eigenen Biographie behält Schneider ein Lachen, das die Leinwand zum Glühen bringt - und scheint immer wieder für Momente ganz und gar in sich zu ruhen.



In ihrer ersten Einstellung sieht Max sie durch ein Fernglas an einer Straßenecke stehen und auf Freier warten. Ihr schwarz glänzender Lackmantel zieht die Blicke nicht nur an, sondern scheint sie zugleich auch zu brechen und zu reflektieren. Durch das Gewühl in der Stammkneipe der Gangster, wo jede*r sie kennt, bewegt sie sich energisch und euphorisch, die Aufmerksamkeit in vollen Zügen genießend. Die Bar und der Schrottplatz sind typische Sautet-Soziotope. Orte mitunter ausgelassener Geselligkeit, aber zugleich durchsetzt mit der Melancholie von Menschen, die zwischen Autowracks von einem besseren Leben in fremden Ländern träumen.

Auf der anderen Seite steht Max, finanziell durch seine Herkunft abgesichert, aber dennoch durchs soziale Raster gefallen: seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen, seine Kollegen respektieren ihn zwar, wissen aber letztlich mit dem Einzelgänger und seinem fanatischen Kampf für Recht und Gerechtigkeit nicht viel anzufangen.

Bei seinen Treffen mit Lily geht es zunächst nicht um Sex. Sie sitzen zusammen, reden, rauchen, spielen Karten und trinken Wein. Einmal sieht sie ihm dabei zu, wie er einen Wecker repariert. Die Intimität, die sich langsam anbahnt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es eben nicht die Suche nach Geborgenheit ist, die die beiden zueinander führt, sondern sie jeweils ihren Job machen. So müssen die Momente des gemeinsamen Glücks flüchtig bleiben: eine Trennung im Streit, ein Wiedersehen, ein Kuss. Dann nur noch ein finaler Blickwechsel durch regenverhangene Scheiben.



Max muss schließlich sein totales Scheitern einsehen, weder kann Lily ihn aus seiner Einsamkeit retten, noch er sie aus ihrem Halbweltdasein. Mit dem diese Frau, die eben immer mehr ist als nur der Fluchtpunkt von Männersehnsüchten, prinzipiell eh nicht haderte. Auch Abel steht immer ein bisschen in ihrem Schatten. Von ihr Geld anzunehmen, ihr Zuhälter zu sein, verbietet ihm sein Ehrgefühl. Sautets moderner Zugriff auf das klassische Genrekino besteht vor allem darin, dass die leidlich bekannten Machtverhältnisse zwischen den Figuren bei ihm sonderbar gebrochen sind.

Dabei scheinen immer wieder alternative Lebensentwürfe als Möglichkeiten kurz auf, werden dann aber letztlich nicht ergriffen. Bei einem ihrer Treffen machen Max und Lily ein spontanes Photo Shooting, bei dem sie sich in der Badewanne seinen Hut aufsetzt, sich für seine Kamera in Szene setzt. Zum Abschluss sagt sie lachend: "Beim nächsten Mal fotografiere ich dich!"

Nicolai Bühnemann

Das Mädchen und der Kommissar - Frankreich 1971 - OT: Max et les ferrailleurs - Regie: Claude Sautet - Darsteller: Michel Piccoli, Romy Schneider, François Périer, Georges Wilson - Laufzeit: 112 Minuten. Justwatch listet auf, wo der Film online geliehen werden kann.