Im Kino

Hexerei, Schabernack, Drama

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer, Karsten Munt
18.03.2021. Wo das plötzlich herkommt? Netflix überrascht mit einem Packen schwedischer Filme, darunter einigen Stummfilmklassikern in bester Qualität von Carl Theodor Dreyer, Mauritz Stiller und Victor Sjöström. Der Empfehlungsalgorithmus schmollt. In Dimitri Logothetis' "Jiu Jitsu" ist Kampfkunst ganz altmodisch noch erste Bürgerpflicht. Das riskiert auch die Kamera schon mal einen Tritt.
Szene aus "Terje Vigen" von Victor Sjöström, 1917


Netflix, 1997 gegründet, war (und ist in den USA noch immer) eine DVD-Versand-Videothek im Abo-Format, und war als solche attraktiv nicht zuletzt für all jene, die in Gegenden wohnten, in denen das Angebot an Filmen in Kinos und Brick-and-mortar-Videotheken schmal war. Im größeren, gar nationalen Maßstab sind auch eher nischige Angebote ökonomisch darstellbar, für die die Nachfrage lokal zu gering ist, als dass sich Ankauf und Vorhaltung rechnen. Die Vielfalt, die Netflix als DVD-Verleih bot (und nach wie vor bietet), war durchaus beachtlich.

Irgendwann, genauer gesagt ziemlich früh, hat Netflix-Chef Reed Hastings, wie es sich für einen halbwegs visionären CEO gehört, aber begriffen, dass der Filmverleih noch einmal ganz anders skaliert, wenn man das lästige Hin-und-Rück-Versenden einzelner DVDs mit der Post weglässt und stattdessen die Filme als digitale Streams (aber nicht: Downloads) im Internet für die Abonnent*innen vorrätig hält, solange man die befristeten Rechte daran besitzt. Als Hastings damit anfing, zu Zeiten deutlich begrenzter Internet-Bandbreiten nämlich, war keineswegs klar, dass so, und nur so, die Zukunft der Videothek aussehen wird.

Fast Forward in die Gegenwart. Aus dem DVD-Versender ist etwas geworden, das nicht nur größer, viel größer, sondern auch etwas anderes, etwas ganz anderes, ist. Wie riskant und schwierig der Weg dahin war, kann man nachlesen, auch wenn die teils existenzbedrohenden Krisen, wie bei Erfolgsgeschichten üblich, heute eher vergessen sind, und vieles, über das einst die meisten den Kopf schüttelten, im nachhinein als einzig logische Entwicklung erscheint. Auch für die Netflix-Zukunft sind die Risiken groß, aber es handelt sich eher um die Sorte Probleme, die andere nur zu gern hätten. Sie haben mit der Größe zu tun und damit, dass die Konkurrenz längst nicht mehr aus Videotheksketten besteht, im übrigen auch nicht aus Arthouse-Streamern wie Mubi & Co, sondern aus den globalsten Playern der Bewegtbildproduktion, vertikal integrierten Konzernkonglomeraten wie Disney, Amazon, Apple.

Der wichtigste, und im nachhinein wiederum nur zu logische Schritt, bestand darin, vom bloßen Anbieter der Bewegtbildproduktion anderer Studios selbst zum Produzenten zu werden - schon deshalb, weil diese Studios, sobald sie auf die Idee kommen würden, das Netflix-Geschäftsmodell in Gestalt eigener Streaming-Angebote zu reduplizieren, ihren Content vom Konkurrenten zurückziehen werden. Diese Entwicklung trat mit der Eröffnung von Plattformen wie Hulu, Disney+ etc. auch ein. Netflix investiert darum seit Jahren vielstellige Milliardenbeträge in die Produktion von Bewegtbildern, an denen es die Ausstrahlungsrechte dann dauerhaft hält.

Szene aus "The Nurrtul Gang" von Per Lindberg, 1923


Die dafür notwendigen finanziellen Möglichkeiten besitzt Netflix seit dem Börsengang 2002, also, verkürzt gesagt, in Form von Wetten der Anleger*innen auf seine mehr als glorreiche Zukunft. Türöffner waren Serien wie "House of Cards", sehr schnell aber hat sich die Produktion vervielfältigt und beschleunigt und auch globalisiert: Kaum jemand überblickt noch (vom Ansehen ganz zu schweigen), was Netflix im Rückgriff auf Talente und Strukturen diversester Märkte in riesiger Zahl und enormem Tempo für sein internationales Angebot produziert.

Während die Produktion explodiert und proliferiert, was sie angesichts der teils sehr unterschiedlichen Geschichten, Gewohnheiten und Geschmäcker der verschiedenen nationalen und regionalen Märkte auch muss, wachsen die Ansprüche des Publikums mit. Martin Scorsese hat unlängst einen Text, in dem er eigentlich Federico Fellini feiert, zum Rant gegen die Netflix-Nivellierung von Filmen zu bloßem, unkuratiertem Content genutzt. Was auch mit der Eitelkeit zu tun haben könnte, dass einer wie er mit seinem Netflix-Film "The Irishman" (den keines der Studios produzieren wollte) nun neben Tausenden anderen Filmen, Serienfolgen, Formaten verschiedenster Herkunft, Machart, Qualität und Couleur steht.

Zu einem gewissen Grad tatsächlich unterschiedslos, denn Netflix setzt nicht auf Kuratieren, noch nicht einmal, wie die Videotheken früherer Zeit, auf gröbste Sortierung nach Genres oder Ländern, von Zusammenhängen irgendeiner historisch, kritisch oder durch Expertise gerechtfertigten Form (oder der Cinephilen teuren Regisseur*innen-Kategorie) ganz zu schweigen. Das entscheidende Prinzip, das die Aufmerksamkeit auf Filme lenkt, die die Nutzerin noch nicht kennt, ist der Algorithmus, der die Nähe- und Ähnlichkeitskriterien, die er in hoher Differenziertheit natürlich besitzt und mit denen jedes einzelne Stück Content von Menschenhand getaggt wird, komplett im Verborgenen hält.

Vorgeschlagen wird zum einen das, was dem konkret Gesuchten ähnelt. Und vorgeschlagen wird, was nach Ansicht des Algorithmus dem durch die bisherige Such- und Sichtungsgeschichte mehr oder minder gut erkennbaren "Geschmack" der Suchenden entspricht. Weil Algorithmen aber stets Zukunft aus Herkunft und also Prognosen aus vergangenen Entscheidungen errechnen, ist die Gefahr der Nivellierung ein Problem, mit dem Netflix umgehen muss. Schon weil es dem Image nachhaltig schadet, wenn die Nutzer*innen glauben, sie bekämen letztlich immer nur more of the same.

Szene aus "Prästänkan" von Carl Theodor Dreyer, 1920


Auch deshalb setzt Netflix auf Eigenproduktionen wie gerade David Finchers "Mank". Die vielfache Oscar-Nominierung ist Gold wert, ganz unabhängig davon, ob sich die Produktion in diesem Einzelfall betriebswirtschaftlich gerechnet hat oder nicht. Das ist dann, nebenbei gesagt, das für Freund*innen der Vielfalt Gute am Abo-Prinzip, das betriebswirtschaftliche Erwägungen für den Einzelfall aushebeln kann: Die Soft Power namens Renommée zahlt immer auf die Attraktivität der Gesamtmarke ein. Darum leistet sich Netflix jemanden wie Charlie Kaufman ("I'm thinking of ending things"), der bei den traditionellen Studios kein Geld mehr bekommt. Das Wissen, oder auch nur die Ahnung, dass Netflix auch schwieriger, kommerziell wenig aussichtsreicher Kunst gelegentlich eine Chance gibt, hebt das gesamte Markenprestige, was jedenfalls solange lukrativ ist, wie nicht der gegenteilige Eindruck entsteht, das Gesamtangebot sei nur noch was für Connoisseure. Aber da besteht bei Netflix nicht die geringste Gefahr.

Vielmehr ist in Sachen Filmkunst und Filmgeschichte noch mehr als genug Luft nach oben. Man könnte auch sagen, dass Netflix in der Hinsicht fast ein Totalausfall ist: Der Fokus liegt bislang fast bis zur Ausschließlichkeit auf neueren und neuesten Produktionen. Und damit wäre ich dann auch schon beim eigentlichen Gegenstand meines Texts. Denn gerade vor dem Hintergrund des bisher Gesagten ist es mehr als erstaunlich, eigentlich unerklärlich, dass in den letzten Wochen ein paar Dutzend schwedischer Filme aufgetaucht sind, alle Jahrzehnte alt, vor allem einige Klassiker des Stummfilms darunter.

Etwa "Terje Vigen", eine zu ihrer Zeit - 1917 - spektakuläre Produktion, der mit Abstand teuerste schwedische Film seiner Zeit. Victor Sjöström, der 1924 nach Hollywood ging und dort von Charlie Chaplin 1924 als "bedeutendster Regisseur der Welt" empfangen wurde, verfilmt darin ein episches Gedicht Henrik Ibsens, das in der Zeit der englischen Belagerung Norwegens während der napoleonischen Kriege erzählt. Es ist die Geschichte von einem Mann und dem Meer, aufwendig draußen gefilmt, die damals noch sehr schwerfälligen Kameras werden, auf mehr oder minder hoher See, zur quasi-subjektiven Teilnahme am Kampf gegen die Engländer und das Element mobilisiert. Ein typischer Sjöström, dessen oft folklorenahe Filme für ihre Naturaufnahmen berühmt sind.

Szene aus "Sir Arne's Treasure" von Mauritz Stiller, 1919


Oder, höchst sehenswert, "Die Frau des Priesters" (Prästänkan, 1920), ein frühes Werk von Carl Theodor Dreyer, der heute eher für seine als streng und spirituell wahrgenommenen Filme wie "Die Passion der Johanna von Orleans", "Ordet" und "Gertrud" bekannt ist. Dabei hat er in den Zwanzigern hinreißende Komödien gedreht, die ihre Klugheit und emotionale Tiefe auf grandiose Weise hinter Blödsinn verbergen. "Die Frau des Priesters", ein Film in fünf Akten, beginnt mit einem sehr komischen Wettbewerb um die vakante Stelle eines Priesters, auf die sich ein ambitionierter junger Mann bewirbt. Nur so, mit einem festen und angesehenen Job, bekommt er die Hand seiner Geliebten. Er reüssiert, nur stellt sich heraus, dass zur vakanten Stelle auch die betagte Witwe des verstorbenen Priesters gehört, die der Nachfolger nun heiraten muss. Es folgt Hexerei, Schabernack, Drama, aber vor allem eine Wendung der Dinge, die allen Beteiligten auf bewegende Weise die zwischendurch verlorengegangene Würde wiedererstattet.

Wie das angesichts des kunterbunten Netflix-Durcheinanders oft der Fall ist, hat sich ein Liebhaber auf einer externen Plattform, der sozialmedialisierten Filmdatenbank Letterboxd, die Mühe gemacht, das Konvolut der in vielen Ländern, aber offenbar gerade in Schweden nicht verfügbaren schwedischen Filme zu einer übersichtlichen Liste zu fassen. Es sind, das zeigt die Durchsicht der vorhandenen Kritiken, neben wenigen bis heute absolut sehenswerten Highlights (darunter etwa noch "Sir Arne's Treasure" von Mauritz Stiller oder "The Nurrtul Gang" von Per Lindberg) manche mediokre Werke darunter, gewiss von historischem Interesse, aber nichts, das man angesichts der Gesamtauswahl des heute auf Netflix Sichtbaren aus einem intrinsischen Grund bevorzugen muss.

Das macht die ganze Sache nur noch rätselhafter. Wie der Umstand, dass die digitalen Kopien im besten Zustand sind, vom Schwedischen Filminstitut restauriert. Die Stummfilme "laufen" noch dazu so, wie es auch historisch nicht war und wie es heute nur die absoluten Hardcore-Fans sonst ertragen, nämlich ganz ohne Musik. Meine Versuche, irgendetwas zu den Hintergründen dieser Schwedischer-Film-Dump-Aktion zu erfahren, blieben erfolglos. Auf den Seiten des Schwedischen Filminstituts: nichts. Auf den Seiten von Netflix: sowieso nichts. Netzweite Google-"Recherche": mehrfache Hinweise auf die Netflix-Aktion, aber keine Erklärung.

Ich habe eine Mail an die Pressestelle von Netflix geschrieben (genauer gesagt: ein Formular ausgefüllt, von dem man nicht weiß, an wen es wohl geht), und bislang keine Antwort erhalten. Es kann durchaus sein, dass das alles eine bizarre Zufallsaktion ist, ein günstig erhältliches Rechtepaket, das ohne große Hintergedanken zur Verfügung gestellt wird. Wahrscheinlicher wäre aber, dass es sich um einen Versuchsballon handelt. Die Wahl der Gegenstände für dieses Experiment wäre angesichts ihrer relativen Abseitigkeit wahrlich idiosynkratisch und ganz sicher auch zufallsbestimmt. Womöglich sind die Filme nach recht kurzer Zeit, wie viel anderer Content bei Netflix, auch wieder weg.

Aber vielleicht stehen doch Pläne dahinter, dem eigenen Angebot nach und nach eine filmhistorische Tiefendimension zu verleihen. Viel zu verlieren hätte Netflix dabei nicht. Natürlich ist das Publikum für schwedische Stummfilme mehr als begrenzt. In den Ruf zu geraten, dass sich auch für eher cinephil Interessierte auf Netflix Entdeckungen machen lassen, hätte für den Konzern aber einigen Nutzen. Spartenanbieter wie Mubi, das mit einigem Werbeaufwand neugegründete Sooner oder rein deutsche Streamer wie Alleskino sind für Netflix nicht im ökonomischen Sinn Konkurrenz. Es gibt aber zugleich keinen Grund, diese Zielgruppen ganz aufzugeben. Wie sehr also hinter dieser bislang, soweit ich weiß, einmaligen filmhistorischen Aktion etwas wie eine Strategie steckt, ist im Moment nicht abzusehen. Die Zukunft wird es weisen. Und bis dahin kann man in aller Ruhe die so unerwartet greifbar gewordenen Klassiker des frühen schwedischen Kinos genießen.

Ekkehard Knörer

"Terje Vigen". Stummfilm - Schweden 1917 - Regie: Victor Sjöström - Darsteller:  Victor Sjöström, August Falck, Edith Erastoff, Bergliot Husberg - Laufzeit: 65 Minuten.

"Prästänkan". Stummfilm - Schweden 1920 - Regie: Carl Theodor Dreyer - Darsteller: Hildur Carlberg, Einar Röd, Greta Almroth u.a. - Laufzeit: 94 Minuten.

"The Nurrtul Gang". Stummfilm - Schweden 1923 - Regie: Per Lindberg - Darsteller: Tora Teje, Inga Tidblad, Renée Björling u.a. - Laufzeit: 76 Minuten.

"Sir Arne's Treasure". Stummfilm - Schweden 1919 - Regie: Mauritz Stiller - Darsteller: Erik Stocklassa, Bror Berger, Richard Lund u.a. - Laufzeit: 106 Minuten.

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Alles ist Spezialeffekt: die außerirdischen Wurfscheiben; die Wunde des Schultergürtels, den sie aufschlitzen; der Komet, der am Himmel steht, und der kiffende Eremit, der später erklärt, was es mit all dem auf sich hat. Selbst die Untertitel sind bunt. Auf der Zeitleiste des Films sortiert, den Dimitri Logothetis nach seiner eigenen Comicvorlage um diese Spezialeffekte herum gebastelt hat, sieht das in etwa so aus: Ein Alien-Krieger in Tarnanzug, bewaffnet mit Wurfscheiben und diversen Speeren, stattet der Welt alle sechs Jahre, wenn ein grün leuchtender Komet am Himmel steht, einen Besuch ab, um gegen eine Gruppe von irdischen Krieger zu kämpfen. So jedenfalls berichtet es der alte Krieger Wylie, gespielt von Nicolas Cage, der mittlerweile selbst zu einer Art von Spezialeffekt für alle Genres avanciert ist. Der Mann, der all das nach seiner ersten, fast tödlichen Begegnung mit dem "Predator"-Klon vergessen hat, ist Jake, gespielt von Alain Moussi, der, ein bisschen an den jungen Van Damme erinnernd, sichtbar bemüht ist, aber letztlich konsequent nur diverse Varianten von "verdutzt" spielt.

Der angeblich mächtigste unter den auserkorenen Kämpfern ist nach seinem Gedächtnisverlust primär der Prellbock des Teams von Kriegern, das in diesem Zyklus den Kampf gegen den Einzelinvasoren aufnehmen soll. Kueng (Tony Jaa) rettet den in Südostasien angespülten Jake aus den Händen des US-Militärst. Auf die Umarmung seiner Geliebten Carmen (JuJu Chan) und die nie endenden Zurechtweisungen des inoffiziellen Anführers Harrigan (Frank Grillo) reagiert er, wie bereits erwähnt, verwirrt. Die Gruppendynamik erinnert, wie die dazugehörige Erzählung, am ehesten an ein ordentlich überfrachtetes Abenteuer der Power Rangers. Die einzige Regel des interplanetaren Duells: Wenn die Auserwählten nicht gegen das von Stunt-Coordinator Ryan Tarran gespielte Alien antreten, beginnt es den unschuldigen Rest der Menschheit umzubringen. Kampfkunst bleibt erste Bürgerpflicht.

In einer Zeit, in der aufrichtige B-Ware kaum noch eine Plattform findet oder von ihren durchgestylteren, selbstironischeren Verwandten verdrängt wird, wirkt die Ernsthaftigkeit, mit der Logothetis diese Vision vorträgt - ohne je Angst davor haben, sich lächerlich zu machen - geradezu erfrischend. Als fast nostalgischer Gegenentwurf zum derzeit ebenfalls ins Heimkino verbannten Blockbuster erinnert "Jiu Jitsu" an die unausgegorene Ästhetik der klassischen Genre-Billigproduktion. Die schönen Nebeneffekte des Nachfrageüberhangs offenbaren sich in den zahllosen animierten Gimmicks. Die sind billig genug, um nicht nur ihre wichtigsten analogen Gegenstücke (Blut, Staub und Patronen) zu ersetzen, sondern schummeln sich obendrein noch als Möbelstücke mit ins Bild. Die werden dann kurzerhand hinter den taumelnden Protagonisten gesetzt, um ihre aus Pixeln generierten Einzelteile zu zerbrechen. Das sieht, wie so vieles, erst einmal furchtbar aus, ist aber gerade deswegen Teil des Faszinosums, das diesen Film ausmacht. Logothetis' Welt will mit unserer Realität nichts zu tun haben und wird entsprechend nicht subtil oder elegant mit Rechenpower aufpoliert, sondern mit grob gerenderten Strichen auf Effekt gekritzelt. So grob, dass alle animierten Teile des Films, ob Wurfscheiben, Geschosse oder Möbel, ihre ganz eigene Physik mitbringen, die sich ohne Rücksicht auf Seh- und Geschmacksgewohnheiten über die analoge Welt legt.

Das fehlende Budget, das dem straight-to-video-Charme des Films in die Hände spielt, lässt natürlich auch das ein oder andere Loch im production value. Am härtesten trifft es das Sound-Design: Den Schlägen, Tritten und Schüssen, die ohnehin nach einem blechernen Soundboard klingen, das einige Updates ausgelassen hat, fehlt schlichtweg der nötige Druck. Ungeachtet derartiger handwerklicher Schwächen sind die Choreografien, mit denen sich das Who-is-Who der B-Actionstars durch die jederzeit theatralische Masse von Stuntmen wühlt, um es mit dem außerirdischen Invasoren aufzunehmen, durchaus ambitioniert. Logothetis presst unaufhörlich Ideen in die Dauerschlägereien - mal gute, oft schlechte, immer aber ausgefallene und unterhaltsame. Wenn Tony Jaa und der kaum weniger athletisch und akrobatisch begabte Moussi sich mit Ellenbogen, Knien und Fäusten in einer Plansequenz durch ein ganzes Platoon von Marines wühlen, gleitet die Steadicam nicht leichtfüßig nebenher, sondern rumpelt solange knirschend hintendrein, bis sie einen Tritt vor die Linse bekommt. Ein kurzes Schütteln und sie verschmilzt mit Protagonist Jake, um sich per Faustschlag zu revanchieren.

Ein cholerischer Habitus, der sich auf narrativer Ebene fortsetzt. "Jiu Jitsu" ist ein reizbarer Film, der sich beim Erzählen seiner Geschichte so regelmäßig verhaspelt, dass er aus Wut darüber gleich die nächste Schlägerei anzettelt. Zu Subtexten, allegorischen, realweltlichen oder sonstigen Bezüge dringt die Geschichte entsprechend gar nicht erst vor. Und die Topoi aus Science-Fiction und Fantasy existieren nur so lange, bis der Predator mit Froschgesicht auf die Welt gebracht, ein Team, das gegen ihn kämpft, gefunden ist und ein B-Movie-Ritual zelebriert werden kann, dessen fast verschwundene Tradition der Aufrichtigkeit es verdient hat, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Karsten Munt

Jiu Jitsu - USA 2020 - Regie: Dimitri Logothetis - Darsteller: Alain Moussi, Nicolas Cage, Raymond Pinharry, Mary Makariou, Tony Jaa, Frank Grillo, JuJu Chan, Ryan Tarran - Laufzeit: 102 Minuten.