Im Kino

Nicht unter drei

Die Filmkolumne. Von Stefanie Diekmann, Patrick Holzapfel
14.05.2021. Christophe Honorés "Die Liebenden - von der Last, glücklich zu sein" erzählt von der unerklärlichen Zirkulation des Begehrens und spielt dabei mit den Genres: vom Musical über das Melodram bis zur Tragödie. Catherine Deneuve spielt außerdem mit.  Der Dokumentarfilm "Soldaten" von Willem Konrad und Christian von Brockhausen, der gerade beim Dok.fest München lief, begleitet das Coming-of-Age dreier neuer Rekruten, er erzählt weniger von der Bundeswehr.
Szene aus Les Bien-Aimes


Wenn dann, irgendwann demnächst, die Zeit der großen Häuslichkeit vorbei ist, wenn die Kinos wieder geöffnet sind, die Theater, die Restaurants etc., wird sich auch das Programm auf arte.tv ändern. Arte wird weniger zeigen, und das, was gezeigt wird, wird weniger großzügig ausgewählt sein; aber mit etwas Glück könnte es so laufen, dass die kuratorischen Standards, die im Verlauf eines sehr langen Jahres vor allem für die Filmprogrammierung entwickelt worden sind, auch dann nicht verschwinden, wenn die Frage nach aktuellen Streaming-Angeboten (und deren Zugänglichkeit) nicht mehr ganz so dringlich ist.

Wo in den Monaten April, Mai, Juni 2020 noch das TV-Dispositiv der gesetzten Namen und der kanonisierten Œuvres regierte: ein Film von X, zwei von Y, und dann noch einer von Z, weil den auch alle kennen, lässt sich das Programm, das ein Jahr später auf arte in der Rubrik Kino abrufbar ist, als eine ziemlich interessante Auswahl von Filmen beschreiben, von denen viele durch das Motiv der affektiven Ökonomien verbunden und einige explizit unter dem Stichwort "Liebe, Sex und Verführung" versammelt sind. (Zum Titel kein Kommentar). Das Prinzip "Play it safe" ist dabei keineswegs verabschiedet, aber statt von Rohmer, Rivette, Chabrol sind die Filme jetzt von Arnaud Desplechin, Christophe Honoré, Bruno Podalydès, Philippe Garrel. Immer noch ist dies ein sehr männlicher Line-up, mit nur einer Regisseurin, Danielle Arbid, deren Film nicht in die Auswahl passt und entsprechend undankbar platziert ist. Indes erscheint es nicht mehr ganz abwegig, dass auf die Hommage an einen Regisseur wie Emmanuel Mouret (Amouren in ihrer heterosexuellsten Form; aber mit viel Sinn für Kontingenz und kontraintuitives Handeln) irgendwann eine Filmreihe zu Céline Sciamma oder Axelle Ropert folgen könnte, gerne auch zu Claire Denis, von der immerhin noch das Video einer Masterclass aus dem Jahr 2017 zu finden ist.

Christophe Honoré, der in der Reihe gleich mit zwei Filmen vertreten ist ("Dans Paris" von 2006 und "Les Bien-aimés" von 2011), ist zweifellos ausgewählt, um im Tableau der normativen Paarbildungen und der Variationen auf das Thema Boy-meets-loves-loses-Girl (und vice versa) eine Perspektive zu repräsentieren, die in mehrfacher Hinsicht als queer bezeichnet werden kann. Nicht allein, weil dieser Regisseur sich als ein Spezialist für affektive Konstellationen von nicht unter drei etabliert hat. Sondern auch, weil Honorés Figuren in ihrer sexuellen Orientierung ambivalent sind, was auch bedeutet: immer wieder anders positioniert, sowohl von Film zu Film als auch innerhalb ein und desselben Films, in dem sie nicht dieselben bleiben und am besten durchkommen, wenn sie sich bereit finden, gegen die unerklärliche Zirkulation des Begehrens nicht allzu viel Widerstand zu leisten.

Die Filme wiederum, durch die Honorés Figuren sich bewegen, haben zum Konzept des Genres ein zugleich interessiertes und unverbindliches Verhältnis. Was tragisch verläuft, wird auf jeden Fall Momente von Albernheit enthalten; wo Melodrama ist, ist auch Boulevard und Burleske; die Darstellung von Sex (explizit) wird dem, was davor und was danach kommt, immer nur bedingt angepasst, und dass ein Film Beziehungen zum Musical unterhält, heißt noch lange nicht, dass die Geschichte gut für die Figuren ausgeht. (Hier, wie in Fragen des Dekors, des Kostüms, der Wahl von Schauplätzen ist Honoré sehr nahe an Jacques Demy, weniger an "Les Demoiselles de Rochefort" als an "Les Parapluies de Cherbourg" und vor allem an dessen schneeverwehtem Ende.)

Szene aus Les Bien-Aimes


Für "Les Bien-aimés" (dt., etwas grobmotorisch: "Die Liebenden - von der Last, glücklich zu sein"), gilt dies noch mehr als für den vielfach ausgezeichneten "Les Chansons d'amour" (Fr 2007), auch wenn Honoré in beiden Filmen (und einigen davor und danach) mit dem Komponisten Alex Beaupain zusammengearbeitet hat. Während der Konflikt und die Trauer in "Les Chansons d'amour" von Anfang an gegenwärtig sind, beginnt "Les Bien-aimés" beinahe demonstrativ als Komödie, auf hohen Absätzen, in einer Palette von Bonbon- und Rosatönen und mit fast überhellen Bildern. Die Liebe ist leicht, 1964, als eine junge Frau (Ludivine Sagnier), die gelegentlich als Prostituierte arbeitet, und ein junger Mann (Rasha Bukvic), der höchstens im Nebenberuf Arzt ist, sich in Paris auf der Straße begegnen, um von dort erst ins Bett zu gehen und später nach Prag, wo sie eine Tochter (Chiara Mastroianni) zeugen, die man für die Hauptfigur des Films halten könnte, hätte der Regisseur Honoré nicht auch Catherine Deneuve, Louis Garrel, Milos Forman und Michel Delpech besetzt.

Der Übergang von der Komödie, die als Möglichkeit (nicht zuletzt: des glücklichen Ausgangs) lange präsent bleibt, zur Tragödie und zur Trauer, die irgendwann ausschließlich sein werden, vollzieht sich in "Les Bien-aimés" so verhalten, dass niemand zu sagen weiß, wann eine Tonart durch die andere abgelöst, die Hoffnung, die fast bis zum Ende besteht, endgültig aufgegeben worden ist. Die Figuren bleiben in Bewegung: zwischen Paris und Prag, zwischen Reims und Paris, Paris und London, London und New York, als bliebe ihnen nichts anderes übrig. Das Glück, wenn es an dem einen Ort nicht gefunden werden kann, könnte vielleicht noch am anderen warten. Die Sehnsucht, die sie umtreibt, ist hartnäckig und unhintergehbar. Wenn sie lügen, was sie häufiger tun, wird ihnen selten geglaubt; und wenn sie die Wahrheit sagen, was sie doch eigentlich gar nicht wollen, lässt Honoré sie ein weiteres Lied singen, von denen es in diesem Film nicht weniger als 14 gibt.

Stefanie Diekmann

Die Liebenden - von der Last, glücklich zu sein - Frankreich 2011 - Regie: Christophe Honoré - Darsteller: Chiara Mastroianni, Ludivine Sagnier, Rasha Bukvic, Catherine Deneuve, Louis Garrel, Milos Forman, Michel Delpech - Laufzeit: 133 Minuten. "Les Bien-aimés" bei arte.tv.

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Statt der jüngst wieder aufgewärmten, recht hilflosen Debatte um die Fiktionalität dokumentarischer Stoffe könnte man sich über die Überbetonung von Empathie in vielen Dokumentarfilmen streiten. "Soldaten" von Willem Konrad und Christian von Brockhausen, der im Rahmen des DOK.fest München gezeigt wird, gäbe dahingehend allerhand Anlass.

Der Film begleitet drei junge Männer durch die Grundausbildung der Bundeswehr. Dabei wird der Fokus auf die Hintergründe und Motivationen der freiwilligen Rekruten gelegt. Gelegentlich wird deren Ausbildungsalltag mit größeren Fragen zur Rolle der deutschen Bundeswehr in einen Kontext gesetzt. Eingespielte Videos aus Bundestagsdebatten zeichnen eine Geschichte des Heers der letzten zehn Jahre. Am bewegendsten ist der Film, wenn man tatsächliche Eindrücke von der Ausbildung bekommt: die Sprache der Panzergrenadiere in Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern, die Probleme beim Überziehen der Betten, eine fordernde Schwimmprüfung, brutale Hindernisläufe, Schießübungen, Ankleidungen. In dieser Parallelwelt sind es die kleinen Gesten des Zusammenhalts und der Überwindung, die dem so fragwürdigen Unterfangen des Diensts an der Waffe ein wenig Sinn verleihen.



Um die 175.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 9.000 Wehrdienstleistende sind derzeit gemeldet. "Soldaten" interessiert sich für drei, leider alle männlich, und kümmert sich einfühlsam um deren Leben. So sitzt man mit Jerell, der ohne Vater aufgewachsen ist und nach Afghanistan möchte, auf dem Balkon seiner Mutter in Berlin-Reinickendorf und begleitet ihn in die Bowlinghalle oder man lernt den unter psychischen Problemen leidenden Rekruten Meier kennen und besucht mit ihm das Grab seiner früh verstorbenen Mutter oder man verbringt einen Geburtstagstanz mit Alexis. Das erwärmt teilweise das Herz, über die inneren Mechanismen der Bundeswehr erfährt man aber kaum etwas. Die Frage des Films ist eher: Was für Menschen melden sich heute noch zum Dienst?

Die Haltung der Filmemacher dazu ist nur in Ansätzen kritisch und wirkliche Rückschlüsse bekommt man aus der beispielhaften Erzählung nicht. Es scheint wohl so, dass eine gewisse Perspektivlosigkeit die Perspektive Bundeswehr eröffnet. Themen wie Rassismus oder die Rolle von Frauen werden kaum oder nicht angesprochen. Stattdessen entsteht recht schnell jene Sauce, die man nur allzu gut aus dem dokumentarischen Erzählen jüngeren Datums kennt. Die Empathie, die vorgegeben wird, folgt einer Routine der Identifikation. Glaubt man dem jüngeren deutschen Dokumentarfilm befinden wir uns alle immerzu auf einer Reise. Jedes Leben scheint in eine Narration zu passen. So halten die Filmemacher munter drauf, wenn die Protagonisten ihr Leben erzählen und bemühen sich keineswegs, diese Erzählungen zu brechen und womöglich zu zeigen, dass es nicht so einfach ist.

Vergleicht man "Soldaten" etwa mit dem weitaus vielschichtigeren "Staatsdiener" von Marie Wilke, der sich mit der Polizeidienstausbildung befasst, fällt auf, dass es hier keine herausgearbeitete Haltung zur Bundeswehr gibt, keine mitlaufenden Fragen und subtilen Überlegungen. Hinzu kommt eine inzwischen preisgekrönte Filmmusik von Christoph Schauer, die beinah sämtliche Szenen unter die Glocke einer schicksalshaften Melancholie packt. Bizarr, dass man dafür Preise bekommt.

Was bleibt, ist das Porträt einiger fragiler Existenzen, die bei aller Ambivalenz ihren Weg mit der Bundeswehr gehen. Egal, ob sie nach Afghanistan fliegen oder Fahrzeuge reparieren, sie werden erwachsen. "Soldaten" ist ein ordentlicher Coming-of-Age, kein Film über die Bundeswehr.

Patrick Holzapfel

Soldaten - Regie: Willem Konrad, Christian von Brockhausen - Laufzeit: 111 Minuten. Das Dok.fest München findet vom 5.-23.5. als Onlinefestival statt.