Im Kino

Männer, die in Notizbücher kritzeln

Die Filmkolumne. Von Sebastian Markt, Fabian Tietke
02.03.2022. Paul Schrader erzählt in "The Card Counter" in wunderschönen Miniaturen von einem Kartenspieler und Ex-Folterer, der sich nicht in die Karten schauen lässt:  Ein Kammerspiel in großen Räumen. Matt Reeves blickt in "The Batman" unerbittlich und in räudigen Primärfarben auf ein beschädigtes Superhelden-Leben.
"Anders als andere Kartenspiele beruht Black Jack auf abhängigen Ereignissen. Das bedeutet, dass die Vergangenheit die Wahrscheinlichkeiten der Zukunft beeinflusst." Der Mann, der sich William Tell nennt, lebt vom Kartenspielen und in anonymen Hotels. Er erhöht die Anonymität der Räume, in denen er schläft, sogar noch, indem er die Möbel mit weißen Laken abbindet. Abends sitzt er in seinem Zimmer, schreibt in ein Notizbuch und trinkt Bourbon. Tell zählt Karten. Indem er sich die Karten merkt, die bereits auf dem Tisch lagen, erhöht er seine Chancen zu gewinnen. Karten zählen ist in den Casinos, in denen Tell spielt, verboten, wird aber geduldet, solange die Gewinne überschaubar bleiben.

Paul Schraders "The Card Counter" ist ein Kammerspiel in großen Räumen, nicht selten in riesigen Spielsälen. Die Bilder Alexander Dynans, mit dem Schrader seine letzten drei Filme (vor "The Card Counter" waren das 2016 "Dog Eat Dog" und 2017 "First Reformed") gedreht hat, lassen die Umgebung auf Tells Wahrnehmungsfeld zusammenschrumpfen. Das gilt auch für die Menschen in diesen Räumen. Nur wen Tell in seine Welt gelassen hat, wird anschließend in nahen Einstellungen gezeigt.


Drei Menschen bilden die Welt von William Tell (Oscar Isaac) im Film, seine Welt, nachdem er zehn Jahre in einem US-Militärgefängnis gesessen hatte: die Kartenspielunternehmerin La Linda (Tiffany Haddish), die die Spieler mit dem Geld von Investoren ausstattet, der Anfangzwanzigjährige Cirk Baufort und der Sicherheitsunternehmer John Gordo (Willem Dafoe). Anders als Gordo hat Tell La Linda und Baufort selbst in seine Welt gelassen.

Tell trifft Baufort und Gordo auf einer Polizeikonferenz, die er eigentlich nur besucht, um gegen selbstverliebte Polizisten am Kartentisch zu gewinnen. Beide bilden eine Brücke in Tells Vergangenheit. Jene Vergangenheit, die ihm die Haftstrafe eingebracht hat. Bauforts Vater wurde wie Tell, damals noch Private First Class William Tillich, von dem Mann, der sich John Gordo nennt, in Abu Ghraib zum Folterer ausgebildet. Wie Tell wurde er verurteilt, hat nach der Haft Baufort und seiner Mutter das Leben zur Hölle gemacht und sich schließlich umgebracht. Baufort will sich rächen. Tell ist über Rache hinweg, nimmt den jungen Mann aber unter seine Fittiche.

Seit seinem Übergang von der Filmkritik zum Filmemachen in den 1970er Jahren sind Schraders Filme durchzogen von lakonischen Psychogrammen und einer Tendenz zur Reduktion, die sich letztlich doch von Minimalismus fern hält. Männer, die ihre Routinen pflegen. Männer, die in Notizbücher kritzeln. Männer, in Zwiesprache mit sich selbst. Die Psychogramme verweben Schraders Drehbücher zu Thrillerkonstrukten, die auch dann spannungsgeladen sind, wenn sie, wie der Vorgängerfilm "First Reformed", keine Thriller sind.


Schrader lässt sich keine Minute von der horrenden Vergangenheit die Handlung aus der Hand nehmen. Tells Zeit in Abu Ghraib, die Politik der Folter, sind in "The Card Counter" Teil amerikanischer Biografien geworden. Die Spielsäle, die Zurückgezogenheit, das fortwährende Grau von Tells Kleidung sind die kontrollierte Umwelt, die Tell sich geschaffen hat, um zu funktionieren. Als Baufort auf einer Autofahrt Heavy Metal anstellt, dauert es nur Sekunden bis Tell ihn auffordert, die Musik auszudrehen. Bauforts Genörgel löst eine der wenigen Erklärungen aus, die Tell für sein Handeln gibt: "Wenn Du da gewesen wärst, würdest Du den Scheiß nie wieder in Deinem Leben hören wollen." In "The Card Counter" öffnet Tell nach Jahren des Rückzugs auf sich selbst seine kontrollierte Welt für La Linda und Baufort. In klassischer Paul-Schrader-Manier bleibt dieser Kontrollverlust nicht ohne Folgen.

Der Film spart nicht mit Schauwerten, stellt die Glitzerwelt der Casinos und die gleichzeitige Profanität ihrer ausgelatschten Teppiche Tells grauer Selbstisolation gegenüber. Die Bilder seines handwerklichen Könnens im Umgang mit Spielkarten sind wunderschöne Miniaturen. Während der Vorgängerfilm "First Reformed", der von der Begegnung eines Priesters mit einem etwa gleichaltrigen Paar und dem Selbstmord des Mannes erzählt, Zeichen eines Alterswerks trug, sind diese in "The Card Counter" wie weggewischt. Gegenwärtiger als "The Card Counter" kann ein Film kaum sein.

Fabian Tietke

The Card Counter - USA 2021 - Regie: Paul Schrader - Darsteller: Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Tye Sheridan, Willem Dafoe - Laufzeit: 111 Minuten.

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"Sie glauben, ich würde mich im Schatten verstecken", raunt es flüsternd aus dem Off, "aber ich bin der Schatten." Matt Reeves' Batman meldet sich auktorial zu Wort und gibt den Ton an, in dem sich die jüngste Iteration des DC Comics- / Warner-Franchises bewegt: düster und sinnierend.

Die Anfangssequenz von "The Batman" etabliert ein Gotham im gewohnten Niedergang, die in der grausigen Ermordung eines Würdenträgers emblematisch wird, in einem Mörder, der ebenso maskiert ist wie sein Antagonist (und den man kurz mit ihm verwechseln könnte), und einem einsamen Helden, der sich voller Selbstzweifel Rechenschaft ablegt. Man sieht ihn seine Off-Gedanken schließlich handschriftlich in ein Journal eintragen: Batman beim Tagebuchschreiben, noch ein bisschen Ordnung in seiner ewigen Nacht stiftend. Notizen aus dem beschädigten Superhelden-Leben.

Beschädigt ist die Stadt, zwei Jahrzehnte nach dem Erneuerungsversprechen von Wayne Sr. Was Nacht und Niedergang nicht ins Dunkel tauchen, erscheint in räudigen Primärfarben. Beschädigt und erschöpft ist auch der Körper dieses Batman, die zwei Jahre, die er, als die Erzählung einsetzt, seine Doppelexistenz schon führt, haben Narben hinterlassen. Das Ave Maria, das früh im Soundtrack anklingt, wird sich noch narrativ rechtfertigen, als einziges aus dem Soundtrack herausragendes nicht-diegetisches Musikstück bleibt, eine Klammer vom Anfang zum Ende schlagend, Nirvanas Something In The Way. Auch das schwarze Make-Up, das um die Augen Bruce Waynes verschmiert bleibt, wenn er seine Maske abnimmt, trägt das seine dazu bei, ihn als Goth in Gotham City erscheinen zu lassen.


Düsternis und eine Form der Unerbittlichkeit ist schon seit längerem das Autor*innenmittel der Wahl, wenn es darum geht, der Comicverfilmung zu respektabler Gravitas zu verhelfen, gerade im Universum rund um den in seinem Urtext gar nicht so düsteren Batman. (Überhaupt scheinen dem mittelkundigen Beobachter die ästhetischen Spielräume hier durchaus größer als in der benachbarten Auswertungs-megalomanischen Marvel Erzählmaschinerie). Reeves bleibt in diesem Fahrwasser, das auch schon die letzten Filmprojekte - inklusive Todd Phillips' "Joker", auszeichnete und findet darin seine eigene Note. Zuflucht vor der Auserzähltheit des Stoffes sucht Reeves in spezifischeren Nischen des Genre-Kinos: "The Batman" ist im erzählerischen Kern Polizei- und Verschwörungsthriller.

Der Riddler, dem Paul Dano nicht wegen, sondern jenseits dessen Maske etwas spezifisch Unheimliches verleiht, ist als Gegenspieler ein Serienkiller, der seinen anvisierten Gegenspieler mit Rätseln in ein Katz-und-Maus Spiel lockt, das dieser freilich in seiner Tragweite erst nicht überblickt. Die detektivische Arbeit, die Batman an der Seite eines gewohnt integren Noch-Nicht-Police-Commissioners James Gordon (Jeffrey Wright) absolviert, führt immer tiefer in das Herzen dessen, was das krisengebeutelte Gotham City zusammenhält - oder eben zerfallen lässt. Ein Unterweltsboss (John Turtorro), sein Capo (ein hinter pinguinös verquollenem Gesicht kaum wiedererkennbarer Colin Farrell) und ein Staatsanwalt (Peter Sarsgaard) spielen ihre eigenen Spiele. In der teilweise an einem Strang ziehenden Paarung von Batman und Selina Kyle (Zoë Kravitz) - die hier niemand Cat Woman nennt - flackert manchmal sogar ein Begehren auf, das mehr ist, als die in Comic-Vehikeln dieser Preisklasse meist bloß behauptete Sexualität der Figuren.

Reeves entpuppt sich in seiner Inszenierung, wie auch schon in seinen "Planet of The Apes"-Beiträgen, als gewissenhafter Handwerker eines viszeralen Actionkinos. Toll etwa eine (natürlich nächtliche) Verfolgungsjagd, die in ihrer visuellen und erzählerischen Perspektivierung an die Körper derer angebunden bleibt, die in sie verstrickt sind, was sie als kinetisches Kino eher verstärkt als abschwächt. Eine durchaus wohltuende Abwechslung zu Christopher Nolans nicht immer räumlich konsistenten Spektakel-Setpieces oder Zack Snyders bombastisch-ballistischen Geschosshelden. Und auch wo die Gewalt ohne maschinelles Zutun von Körpern auf andere Körper ausgeht, dominieren längere Einstellungen, die die brutale Arbeit des Heldentums als eine unterstreichen, die eben Arbeit macht, und Kosten zeitigt.


Es gibt also genug, was diese Auflage der Batman-Geschichte interessant und mithin genießbar macht. Es wäre hier noch einiges zu sagen - bräuchte es dafür neben der Vorwegname der Handlung nicht auch vielleicht einen klügeren Kopf als meinen - über die Konfigurationen von Staatsgewalt und Korruption, von Gewalt und psychischer Krankheit, von polizeilicher Ordnung und Selbstjustiz, die im Batman-Stoff besonders dicht gebündelt liegen, und eigentlich das Interessanteste an ihm sind. Ohne viel vorwegzunehmen läßt sich sagen, dass auch Reeves die Spiegelverhältnisse der Gegenpole interessieren, und dass der Pessimismus dominiert. Signifikanterweise bleibt, auch wenn gerade Wahlkampf herrscht, und der Bürgermeister von einer jungen schwarzen Reformerin (Jayme Lawson) - die nicht umsonst Bella Reál heißt - herausgefordert wird, der Demos, der politische Körper von Gotham City, zwischen den Leibern der individuellen Helden- und Antihelden unsichtbar, und tritt nur als Masse potenzieller Opfer in Erscheinung, als Gemeinschaft anonymer Depravierter, die für das Sinnversprechen des Bösewichter-Nihilismus empfänglich sind.

Darauf, auf eine diagnostisch gemeinte Gegenwartsrelevanz, zielen letztlich die individuellen Handschriften ab, wenn sie sich immer wieder aufs Neue Gotham City, seinen vermeintlichen Beschützer*innen und Feind*innen widmen. Das Korsett der Figuren und Tropen, die in immer neuen Emanationen variiert wird, bleibt stets auch als eine Form der kreativen Beschränkung lesbar, selbst dann noch, wenn man anerkennt, dass es seine Kraft gerade aus der Notwendigkeit bezieht, sich in einem engen Rahmen zu bewegen. Auch dort, wo der Entwurf, wie hier, durchaus zu überzeugen vermag, stellt sich mit etwas Abstand eine Ermüdung ein. Müßig, die spezifische Welthaltigkeit dieses Superheld*innenkinos in Stellung zu bringen gegen ein Autor*innenkino mit dem es wenig zu tun hat. Es tut einem doch leid um die Budgets, mit denen gerade im Blockbuster Kino auch Anderes auf neue Arten zu sagen wäre.

Sebastian Markt

The Batman - USA 2022 - Regie: Matt Reeves - Darsteller: Robert Pattinson, Zoë Kravitz, Paul Dano, Barry Keoghan, amber Sienna, Colin Farrell, Peter Sarsgaard - Laufzeit: 175 Minuten.