Im Kino

Östlund bleibt geometrisch

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
12.10.2022. Ruben Östlunds Filmkomödie "Triangle of Sadness" treibt die Kapitalismuskritik zynisch auf die Spitze und sagt Adieu zu jeder Utopie. Das aber mit wunderbaren Slapstick-Nummern und variantenreichem Komödienhandwerk.


Wer meint, dass erst das Fressen und dann die Moral komme, übersieht, dass beides oftmals hoffnungslos ineinander verschränkt ist. Zum Beispiel, wenn eine junge Frau, nennen wir sie Yaya (Charlbi Dean), im Edelrestaurant ihren Freund, nennen wir ihn Carl (Harris Dickinson), während der gemeinsamen Mahlzeit in dem Glauben lässt, sie werde diesmal für das Essen aufkommen, nur um dann hinterher die Rechnung doch wieder auf seine Seite des Tisches zu manövrieren; beziehungsweise wenn sie, von ihm darauf und auf die von einem solchen Verhalten perpetuierten Genderrollen angesprochen, sich indigniert bereit erklärt, dann eben diesmal tatsächlich zu zahlen, woraufhin er doch wieder protestiert, weil darum gehe es doch gar nicht, sondern ums Prinzip - und sowieso wird ihre Karte dann "leider" vom Gerät nicht angenommen, weshalb am Ende trotzdem wieder er und so weiter und so fort …

Die drei Kapitel, aus denen Ruben Östlunds Cannes-Gewinnerfilm "Triangle of Sadness" besteht, präsentieren vorderhand drei sehr unterschiedliche Settings: Zunächst das oben beschriebene Abendessen mit einem auch nicht viel erquicklicheren Nachspiel im Hotelzimmer, ein intimes Zweipersonenstück des Genres Beziehungskomödie mit Fremdschämgarantie; dann satirisches Geplänkel auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff, das außer von Yaya und Carl noch von Angehörigen des internationalen Geldadels bevölkert wird, die sich mit Eifersüchteleien, arrogantem Benehmen gegenüber dem Personal und lauwarmen Abschleppversuchen an der Deckbar bei Laune halten, bevor ein Unwetter die Szenerie in Richtung körperflüssigkeitsintensive Slapstick-Groteske kippen lässt; und schließlich, nach dem in einer lakonischen Totalen aus Piratenperspektive zelebrierten Schiffsuntergang, eine sich zunehmend dramatisch zuspitzende Robinsonade am Strand einer Insel, auf der einige der Schiffbrüchigen ihr Überleben zu organisieren versuchen, wodurch diverse ökonomische und sexuelle Hierarchien kräftig ins Rutschen geraten.

Verbunden werden die drei Episoden nicht nur durch die beiden Hauptfiguren und ihre Beziehungsdepression, sondern auch motivisch - eben vermittels Erörterungen zum Komplex Essen und Moral. Wer verhilft wem zu einer Mahlzeit? Und was erwartet er oder auch sie dafür als Gegenleistung? Wer erlegt die Mahlzeiten, wer bereitet sie zu, wer verzehrt sie? Schließlich: Können wir unser Essen angesichts unseres Wissens darüber, wie es hergestellt und wie ungerecht es verteilt wird, überhaupt guten Gewissens im Magen behalten? "Can you stomach this?" heißt es im Englischen mit Blick auf untragbare Verhältnisse. Östlunds Film macht insbesondere im Mittelteil nicht viel anderes, als diese Redewendung zu literalisieren.



Tatsächlich sehen die Speisen, die den Superreichen im Schiffsrestaurant während eines apokalyptischen Captain's Dinner serviert werden, bereits vor dem Verzehr ein bisschen aus wie Erbrochenes. Ein wenig später, wenn sich die neue Bourgeoisie vom Seegang - durchaus ein bisschen Chaplinesque - in rhythmischem Hin und Her durch ihre eigene Kotze schleifen lässt, werfen sich der derangierte, desillusionierte Kapitän (Woody Harrelson) und ein mitteilungsbedürftiger osteuropäischer Unternehmer (Branche: "Garbage") als Begleitmusik Slogans einander opponierender Ideologien an den Kopf. Der dauerbesoffene Käptn zitiert Marx und Lenin, der Trash-Händler Ronald Reagan und Margaret Thatcher.

Ein bisschen on the nose ist das schon und überhaupt hat "Triangle of Sadness" etwas Überkonstruiertes. Wie alle Filme Östlunds ist auch sein neuer im Kern ein Nullsummenspiel: die kunstvolle oder jedenfalls effektbewusste Bebilderung einer Beweisführung, die nur deshalb schlüssig erscheint, weil sie von Anfang an in der hochgradig artifiziellen, modellhaften Prämisse vorgeprägt ist. Konkret: Man sperrt einen Haufen reicher, eitler Arschlöcher auf einen Luxusdampfer, lässt hierarchisch strikt durchgetaktetes, fast schon sektenartig auf kapitalistischen Dienstleistungsethos eingeschworenes Personal um die Arschlöcher herumschwirren, versenkt schließlich das Schiff … und siehe da, auf der einsamen Insel bricht im Anschluss der Klassenkampf los. Oder vielleicht eher die Parodie eines Klassenkampfs, eine Konfrontation, die nicht auf die Utopie einer besser eingerichteten Gesellschaft verweist, sondern ganz im Gegenteil klarstellt, dass die Neurosen und Lebenslügen der bürgerlichen Gesellschaft, deren Demaskierung sich das in diesem Sinne immer ein bisschen mit Kanonen auf Spatzen schießende Werk Östlunds seit seinen Anfängen widmet, auch durch eine "reinigende" Katastrophe nicht aus der Welt zu schaffen sind. Östlunds Westentaschenzynismus entgrenzt sich auf der einsamen Insel zur anthropologischen Konstante.

Der bislang beste Film des Schweden ist "Triangle of Sadness" dennoch. Weil der schematisch-diskursive Überbau in "The Square" eben nur das ist: ein Überbau, beziehungsweise ein Set an Voraussetzungen und Regeln, eine generative Struktur, die Freiräume schafft eher als ein Korsett. Das Ergebnis ist nicht zuletzt ziemlich gutes, variantenreiches Komödienhandwerk. Allegorische Engführungen verlieren sich in Gross-out-Eskapaden, Yaya und Carl verirren sich in ihrer immer wieder neu vertrackten doppelten Selbstbezüglichkeit, und ein Waffenhändlerehepaar wird nur eingeführt, um es mit der billigstmöglichen Pointe wieder aus dem Film zu entfernen. Östlund bleibt geometrisch: Nach dem ebenfalls in Cannes ausgezeichneten Viereckfilm "The Square" nun ein Dreieckfilm. Kein selbststabilisierendes Gefängnis, sondern ein zwar oftmals eher schlicht polemisch zugespitztes, dabei jedoch stets dynamisches, mal in diese, mal in jene Richtung ausschlagendes Stück bürgerliche Gegenwartsvermessung.

Lukas Foerster

Triangle of Sadness - Schweden 2022 - Regie: Ruben Östlund - Darsteller: Harris Dickinson, Charlbi Dean, Woody Harrelson, Zlatko Buric, Vicki Berlin, Dolly De Leon - Laufzeit: 150 Minuten.