Im Kino

Party mit Mimmi, Emma und Rönkkö

Die Filmkolumne. Von Robert Wagner
22.02.2023. Alli Haapasalo erzählt in ihrer Coming of Age-Komödie "Girls, Girls, Girls" vom Versuch dreier Mädchen, sich als soziale Wesen zu finden. Und wie bei den Mädchen wechselt auch im Film die Stimmung - vom ruhigen Drama zum Slapstick und wieder zurück.

Zum Auftakt eine kurze Einstellungen von Emma (Linnea Leino), wie sie in einer Disco tanzt. Sichtlich genießt sie das Paradox, in der Menge aufzugehen und trotzdem allein zu sein. Sie genießt die Bewegung, die Ekstase, sie genießt sich. Erst viel später wird die Handlung tatsächlich in besagter Disco ankommen und die Bilder des Beginns kontextualisieren. Unter anderem erzählt "Girls Girls Girls" ("Tytöt tytöt tytöt") von der stürmischen Liebesbeziehung Emma und Mimmis (Aamu Milonoff). Es zeigt sich nun, dass Emma nicht allein ist, sondern mit Mimmi Party macht, und dass diese nur abwesend ist, um Getränke zu holen. Allerdings wird die Absente nicht zurückkehren und Emmas scheinbares Glück stellt sich als Trugschluss heraus. Das nächste Drama wartet schon. Der Auftakt und seine Umschreibung verdeutlichen das grundlegende Problem, das in Alli Haapasalos Film herrscht: Es geht um durch und durch soziale Wesen, die im Sozialen nicht zu sich finden.

Drei junge Frauen stehen im Mittelpunkt. Emma steht kurz vor der Qualifikation zur Eiskunstlauf-EM. Durch den Druck ist ihr jedoch der "dreifache Lutz" abhandengekommen. Der Sprung mit den drei Pirouetten will nicht mehr gelingen. Mimmi unterdessen fühlt sich wie ein störendes Element innerhalb einer glücklichen Familie. Ihr scheint, dass ihre Mutter mit ihrem neuen Mann und dem neuen Kind keine Verwendung mehr für sie hat. Weshalb sie nun mit ihrer Umwelt auf Kriegsfuß zu steht. Rönkkö (Eleonoora Kauhanen) zuletzt, die beste Freundin Mimmis, ist die offenherzigste der drei und doch verkrampft sie unter Leuten sichtlich. Beim Sex ist es am extremsten. Hier fühlt sie nichts. Zu bewusst scheint ihr alles zu sein, zu sehr setzt sie sich unter Druck, genießen zu müssen.


Das erzählerische Prinzip ist recht einfach. Die Erzählung pendelt zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite gibt es Situationen, in denen sich alle Probleme in Wohlgefallen aufgelöst haben (oder es zumindest so scheint) und in denen sich zeigt, wie schön das Leben sein könnte. Flankiert sind diese von den Scherbenhaufen, wenn alles wieder nur noch Krampf und Selbstzerstörung ist, wenn die drei wieder daran scheitern, Teil von etwas zu sein. Hier Emma, die mit Mimmi ein Herz und eine Seele ist. Dort Emma, die immer wieder mit dem Hintern auf das Eis kracht. Hier Mimmi, die beim Hockey nach ihrer Mitspielerin schlägt und im Smoothieladen die Kunden anpöbelt. Dort Mimmi, die durch Emmas Liebe zur engagierten Mitspielerin und herzlichen Verkäuferin wird. Hier Rönkkö, die in Gegenwart von Mimmi eine extrovertierte, selbstbewusste, mit allen Wassern gewaschene Person ist. Weil sie mit ihrer besten Freundin allein ist. Dort Rönkkö, deren Eloquenz unter anderen Leuten versiegt oder die minutenlang zu überlegen scheint, warum es so gar nichts mit ihr anstellt, dass sie gerade diesem Typen einen runterholt.

Mit einem Bein befindet sich "Girls Girls Girls" im Bereich eines ruhigen, in sich gekehrten Dramas. Trotz seines einfachen, klaren Aufbaus weigert sich Haapasalo, ihre Figuren zu sehr durchzudefinieren. Wichtig ist, dass vieles nur den Anschein hat oder nur scheinbar so wirkt. Eine der Stärken des Films sind die drei Darstellerinnen und das Vermögen, mehr mit ihren Blicken zu erzählen als mit Dialogen. Während Emma und Mimmi sich kennenlernen, zicken sie sich verbal an, ihre Augen erzählen aber schon von der großen Liebe. Oder Rönkkö, wenn sie im Auto in Richtung eines Lasertag-Matches auf der Rückbank sitzt und nicht nur durch die Autositze von den beiden Mitfahrerinnen getrennt ist. Vielmehr ist es ihr gehemmtes Lächeln und die unterschwellige Furcht in ihren Augen, die von der Anstrengung künden, verzweifelt nach Anschluss zu suchen. Und wie es mit Blicken so ist, bleibt das, was diese künden, latent und die Figuren bis zu einem gewissen Grad vor uns verschlossen.

Mit dem anderen Bein steht der Film in der Coming-of-Age-Komödie. Die Handlung wird weniger durch die Verfasstheit der Protagonisten strukturiert, als durch die Suche nach dem nächsten aberwitzigen, melancholischen, schmerzhaften und/oder sentimentalen Moment. So sehr Impressionen und Stille den Film tragen, so sehr genießt er es auch, seine Figuren in klare, emotionale Situationen zu schleudern. Bevorzugt in solche, die peinlich sind. So unangenehm wird es für die drei zuweilen, dass es schlicht ins Komische umschlägt. Nicht zuletzt gibt es einen klaren Marker für eine Teenager-Komödie: wenn nämlich eine betrunkene junge Frau beim Koitus auf den Mann unter ihr kotzt. So sehr das Innere der Protagonisten in Ruhe gelassen wird, so hervorstechend sind die Dramen, denen sie ausgesetzt werden.

Es liegt vielleicht auch in der Tendenz zur leichten Komödie, dass Emma, Mimmi und Rönkkö am Ende etwas einfach vom Haken gelassen werden und das Drama mit klaren Ansprachen ausgehebelt scheint. Trotzdem besticht "Girls Girls Girls" als Film zwischen den Stühlen, der der Verfasstheit seiner drei Frauen entspricht. Dem es nicht um eine potentielle Verzweiflung an der eigenen "Unfähigkeit" geht, sondern um die Schönheit eines Tanzes, auch wenn oder gerade weil er am Ende nur auf einer Selbsttäuschung beruhte. Und um den hoffnungsvollen Spaß, wenn sich jemand zum Deppen macht und dadurch vielleicht nur sympathischer wird.

Robert Wagner

Girls, Girls, Girls - Finnland 2022 - OT: Tytöt tytöt tytöt - Regie: Alli Haapasalo - Darsteller: u.a. Aamu Milonoff, Eleonoora Kauhanen, Linnea Leino, Sonya Lindfors, Cécile Orblin, Oona Airola - Laufzeit: 100 Minuten.