Im Kino

Das Team ist ratlos

Die Filmkolumne. Von Fabian Tietke
16.02.2023. Von Monstern, Verwandlungen und japanischer Popkultur erzählt Shinji Higuchis "Shin Ultraman" mit analogen wie aktuellen Bildspektakeln. Amüsant, ohne zu seicht zu werden.


Eine Trümmerwolke markiert den Aufenthaltsort des unsichtbaren Monsters im Tal. Erst als es an einem Umspannwerk Halt macht und etwas Elektrizität stibitzt, wird das gigantische Wesen sichtbar. Das menschliche Team, das Neronga, dem neuesten filmischen Supermonster in der Tradition Godzillas, in der japanischen Hügellandschaft Einhalt gebieten soll, handelt schnell und schaltet den Strom ab. Dank einem mehrere Jahrzehnte langen Umgang mit Filmmonstern hat das Team der S-Class Species Suppression Protocol (SSSP) einige Erfahrung. Empört schlägt das Monster das Umspannwerk zu Klump. Das Team ist ratlos. Doch gerade als die Lage aussichtslos erscheint, fliegt Hilfe aus dem All heran. Mit 12.000 km/h rauscht ein silberner Gigant heran. Der Elektrizitätsstrahl, den das Monster aus seinem Horn schickt, kann ihm nichts anhaben. Minutenlang nimmt er die Strahlung auf, bevor er sie seinerseits nutzt, um das Monster zu pulverisieren. In einem Report nach dem Zwischenfall tauft das Team der SSSP den silbernen Giganten auf den Namen Ultraman.

Nachdem Shinji Higuchi und Hideaki Anno 2016 mit "Shin Godzilla" das Godzilla-Franchise wiederbelebt haben, wenden sie sich nun der Figur des Ultraman zu, die in den 1960er Jahren zunächst im japanischen Fernsehen Erfolge feierte und seither zu einem weit über die Grenzen Japans hinaus populären multimedialen Phänomen avanciert ist. "Shin Ultraman" läuft im Rahmen der diesjährigen Woche der Kritik.



Shinji Kaminaga wird als einziges Mitglied des Teams der SSSP Ultramans Strahlen ausgesetzt, als er sich während des Angriffs von Neronga schützend über ein Kind wirft. Dem Anschein nach bleibt er unverletzt. Während die SSSP noch dabei ist, die Ereignisse mit Neronga nachzubereiten und Japans internationale Partner über das Ereignis zu informieren, taucht auch schon ein neues Monster auf, das sich auf ein Atommülllager zubewegt. Ohne dass seine Kolleg_innen es wissen, kann sich Kaminaga selbst in einen Giganten verwandeln, seit er der Strahlung des ursprünglichen Ultraman ausgesetzt war. Kurz bevor das neue Monster das Atommülllager erreicht, kann Kaminaga es besiegen.

Das Monstermanagement der SSSP und die Auftritte Ultramans sind bei Higuchi umgeben von einem politischen Ränkespiel der japanischen und internationalen Politik. Nach Ultramans Sieg über das zweite Monster taucht Zarab, ein weiterer Außerirdischer, auf. Unter dem Vorwand friedlicher Beziehungen zur Erde beginnt er, die Länder der Erde gegeneinander auszuspielen, um die Menschheit zu vernichten. Um das ungestört tun zu können, lässt Zarab Ultraman verschwinden.

Higuchi bekennt sich in seinem Film zu den Wurzeln der Figuren in der Popkultur der 1960er Jahre. Die Spuren, die die SSSP auf die Fährte von Ultraman bringen - Fotonegative, Leuchttinte, Schreibmaschinenblätter -, sind sämtlich analog. Auch Ultramans Kämpfe mit den Monstern ähneln eher Straßenkämpfen als einem Technikfeuerwerk. Zugleich widerstehen Higuchi und Drehbuchautor Anno der Versuchung, den Film in ein Retrospektakel zu verwandeln. Mit Sinn für Details halten sie die Balance zwischen Referenz an die Vorlage aus den 1960er Jahren und Gegenwärtigkeit. So greifen die Kampfszenen Ultramans mit ihren roten Strahlen und der sandfarbigen Umgebungen die Farbigkeit der Spezialeffekte der Klassiker auf, die Büroräume der SSSP sind jedoch eher zeitlos. die Technik der Gegenwart wird nicht mit Oberflächenblingbling überhöht, um futuristisch zu erscheinen. "Shin Ultraman" ist großes Spektakelkino, das seine Schauwerte mit genug Handlung umgibt, um eine weitere Konfliktebene erzählen zu können, ohne den Film in Marvelmanier mit Drehbuchpirouetten zu überfrachten. Ein perfekter Film für das Ende eines Festivaltages.

Fabian Tietke

Shin Ultraman - Japan 2022 - Regie: Shinji Higuchi - Buch: Hideaki Anno - Darsteller: Takumi Saitoh, Masami Nagasawa, Hidetoshi Nishijima, Daiki Arioka, Akari Hayami - Laufzeit: 112 Minuten.

"Shin Ultraman" ist am 19.2. und am 24.2. im Hackesche Höfe Kino im Rahmen der Berliner Woche der Kritik zu sehen.