Im Kino

Grandiose Pathos-Momente

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Friederike Horstmann
29.01.2014. "Le passé - Das Vergangene", der erste Film, den der Iraner Ashgar Farhadi im Ausland gedreht hat, erstickt bei allem erzählerischen Geschick bisweilen an seinem Hang zur Symbolik. Regisseur Adam McKay und Hauptdarsteller Will Ferrell klären in "Anchorman -Die Legende kehrt zurück", was kalifornischen Provinzreportern in den 1980ern blühte.


Anfangs am Flughafen: Eine Frau, ein Mann - noch getrennt durch eine Glasscheibe. Tonlos werden Blicke gewechselt und Gesten eingesetzt. Auf dem Flughafenparkplatz herrscht widerständiges Wetter, starker Regen stiebt durchs Bild, stört als Dispersion die Wahrnehmung. Im Auto schaltet die Frau den Rückwärtsgang ein und es kommt beinahe zur Kollision. Dann wird der Filmtitel einblendet, weiße Buchstaben auf schwarzem Grund, "Le passé" (deutscher Titel: "Le passé - Das Vergangene"), dazu auf der Tonspur das Geräusch der Scheibenwischer, die auch visuell durch die weißen Wörter schwenken und den Schriftzug schließlich ins Schwarze verwischen.

Nahezu enzyklopädisch geht es im französischsprachigen Familiendrama des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi um Kommunikation, deren Irrwege, Missinterpretationen und Störung. Der Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart artikuliert sich ausschließlich in Sprache, ohne rückblendende Bilder. Aus beiläufig wirkenden Dialogen erschließen sich sukzessive Partikel einer Geschichte um den Iraner Ahmad (Ali Mosaffa), der nach vier Jahren nach Frankreich zurückkommt, um sich von seiner Ehefrau Marie (Bérénice Bejo) scheiden zu lassen. Schon auf ihrer Autofahrt werden im Gesagten Waagschalen-Wörter aufgestöbert. Auch die Hohlräume zwischen den Worten provozieren Suggestionen und Spannungen. Vieles bleibt unausgesprochen - dass Marie und ihre beiden Töchter schon länger mit Samir (Tahar Ramin) und seinem Sohn zusammenleben - dass Ahmad dennoch im selben Haus übernachten soll. Schlagartig bricht im Alltag das Drama hervor. Die wenig konstanten Verbindlichkeiten haben nicht unerheblich Anteil an dem, was mit den Kindern passiert.

Samirs Sohn rastet aus, tritt gegen eine zugesperrte Tür, Maries Teenager-Tochter krämert ein Geheimnis. Erwachsene fordern Entschuldigungen, Kinder müssen um Verzeihung bitten. Anfangs gibt es noch Hinweise, die in ihrer Vieldeutigkeit beunruhigen, später werden den Figuren immer neue Vergangenheiten angedichtet. Die Aneinanderreihung von emotionalen Eskalationen im brüchigen Beziehungsgeflecht wirkt vor allem im letzten Drittel des theaterhaften Drehbuchs recht bemüht. Die Suche nach der Ursache für den Selbstmordversuch von Samirs gemütsverdunkelter, nun im Koma liegender Ehefrau fungiert dramaturgisch als Spannungseffekt und wird von Farhadi als eine quasi kriminalistische Ermittlung inszeniert. Dabei verschiebt er den Fokus, wirft polyfokale Blicke auf die verschiedenen Personen und ihre Probleme - Schuld wird verteilt und Beweggründe aller Beteiligten werden konkretisiert. "Le passé" lässt wenig Raum für Projektion, sondern vereindeutigt systematisch. Die melodramatischen Drehbuchergrübelungen streben nach Einfühlung. Spätestens im letzten Drittel, wenn die Geschichte sich in weiteren Kontroversen verheddert, hätte man sich über eine Konzentration auf bereits etablierte Konflikte gefreut.



Die Kamera durchmisst das fragile Verhältnis der Charaktere in vielen festen Einstellungen mit Caspar-David-Friedrich-Rückenansichten, nur dass das metaphysische Licht, das noch im 19. Jahrhundert leuchtete, längst ausgeknipst wurde. Farhadi zeigt Verfehlungen und Verrat im spärlich fahlen oder düsteren Licht. In seiner nicht wirklich wirtlichen Welt entfärben sich die Farben in Außenaufnahmen zu Weiß, in Innenräume überwiegen bräunliche Töne. Alles im Film ist von einer getrübten Farbintensität. Ausnahmslos sind Interieur und Kleidung verdunkelt, die an irgendeiner Banlieue-Bahntrasse befindliche Behausung ist voller Rumpeligkeiten, die Räume sind mit Plastikplanen verhangen und erwecken den Eindruck eines permanenten Provisoriums. Farbe, Licht, Ausstattung und Schauplätze bilden einen penetrant unaufgeräumten Lebensraum, bebildern Entwurzelung und Verwahrlosung, zeigen eine visuelle Obdachlosigkeit. Immer wieder werden Bandagen und Pflaster benötigt. Immer wieder wird umgeräumt, an Wänden rumgepinselt, eine neue Lampe aufgehängt, ein Fahrrad repariert und ein verstopfter Abfluss gereinigt. Deshalb kann der in den Tümpeln der Vergangenheit fischende Noch-Ehemann dem Noch-Nicht-Ehemann die Hände nicht reichen, denn diese sind schmutzig.

Ganz wie in perfekten Geschichten, in denen es keine losen Enden geben darf, bedeuten auch die Berufe etwas: Samir arbeitet in einer Textilreinigung, Marie in einer Pharmazie. Nur wenn jedes einzelne Detail nach außen hin abdichtet ist, scheint Farhadi auf die Tragfähigkeit seiner Geschichte zu vertrauen. Das große Problem seines ersten im Ausland realisierten Films liegt gerade in dieser total durchkonstruierten Genauigkeit, in dem sorgsamen Versuch, alles auszubuchstabieren, und nicht zuletzt in seinem Glauben an die Abbildbarkeit von Gemütszuständen. Zu häufig schlägt sich hinterrücks in den Bildern eine allegorische Überzeichnung nieder. Die wirkt konstruiert, die Bilder ergrübelt, ihnen haftet allerlei Symbolhaftes an, so dass man sich mehr vieldeutig vergrabenes Halbwissen gewünscht hätte. Trotz aller symbolischer Verweise beeindruckt freilich Farhadis handwerkliche Souveränität und sein strippenziehendes Geschick für beiläufig inszenierte Dialoge.

Friederike Horstmann

Le passé - Das Vergangene - Frankreich 2013 - Originaltitel: Le passé - Regie: Ashgar Farhadi - Darsteller: Bérénice Bejo, Tahar Rahim, Ali Mosaffa, Pauline Burlet, Elyes Aguis, Jeanne Jestin - Laufzeit: 130 Minuten.


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Niklas Luhmann hat auf die evolutionäre Unwahrscheinlichkeit des journalistischen Formats "Nachrichten" hingewiesen: Anstatt abzuwarten, ob in der Welt auch tatsächlich etwas Neues, Unerwartetes, Überraschendes geschieht, stellen sich Presseerzeugnisse vorab auf einen festen Rhythmus ein, in den das so immer schon vorausgesetzte Neue eingepasst wird. Das funktioniert schon in der Tagesschau nur, wenn man die Selektoren für Berichtenswertes entsprechend einstellt und bei Bedarf auch einmal tagelang über Manipulationen von Lieblingsautoderdeutschenwahlen beim ADAC berichtet. Noch einmal verschärft stellt sich das Problem für jene 24-Stunden-Nachrichtensender, die seit ihrem Auftauchen - der erste, CNN, ging 1980 auf Sendung - erst die Medienlandschaft und schnell auch den politischen Betrieb, der sich dem erhöhten Nachrichtenbedarf bald anpasste, tiefgreifend verändert haben.

"Anchorman - Die Legende kehrt zurück" erzählt die Gründungsgeschichte von CNN nur leicht verschoben nach: Der erste 24 hours news channel heißt jetzt GNN, sucht händeringend nach Personal und verfällt dabei auf die Nachrichtenlegende Ron Burgundy (Will Ferrell). Burgundy hatte in den 1970ern, wie man aus dem Vorgängerfilm "Anchorman - Die Legende von Ron Burgundy" weiß, Channel 4, einen Lokalsender in San Diego, aufgemischt. Zwischendurch war er in eine schwere Krise geraten, weil seine Frau ihn karrieremäßig überholt hatte; in der schönen neuen Nachrichtenwelt der 1980er ist er bald wieder obenauf, weil er begreift, dass Nachrichten, die auf Dauer gestellt sind, sich nicht mehr am Unerwarteten orientieren müssen; sondern ganz im Gegenteil an den Kontinuitäten des Alltags und den kleinsten gemeinsamen Nennern des Publikumsgeschmackts: Patriotismus, Tierbabys, Autoverfolgungsjagden.

"Anchorman - Die Legende kehrt zurück" ist freilich und zum Glück nicht nur ein fernsehhistorisches Traktat, sondern gleichzeitig eine wieder einmal besonders schön durchgeknallte Will-Ferrell-Komödie. Ron Burgundy war im Jahr 2004 die erste Figur, in der sich Ferrells komisches Potential voll entfalten konnte: Es geht da stets um ein Mißverhältnis zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, um Überidentifikationen der Ferrell-Figuren mit ihren jeweiligen Berufen (beziehungsweise, das trifft es besser: Berufungen), bei gleichzeitiger objektiver, ob nun kognitiver oder physischer, Untauglichkeit. Das führt zu grandiosen Pathos-Momenten, im neuen Film zum Beispiel dazu, dass Ron nicht einfach nur metaphorisch "die Augen geöffnet" werden, wenn er erkennt, dass er dem journalistischen Ethos zuwiderhandelt; Nein, er erblindet zwischenzeitlich tatsächlich, zieht dann in einen Leuchtturm, in dem es ihm - in den schönsten Szenen des Films - gelingt, sich sogar mit seiner eigenen Blindheit zu überidentifizieren, nur um schließlich, nachdem er das Augenlicht wiedergewonnen hat, Besserung zu geloben und seinen korrupten Bossen heimzuleuchten.



"Anchorman - Die Legende kehrt zurück" ist dann am besten, wenn Ferrell und McKay freie Bahn bekommen, von keinen Spielfilmhandlungsverpflichtungen belästigt werden: Im Leuchtturm, in einer frühen Szene, in der der frisch gefeuerte Ron volltrunken eine Delphin-Show zugrunde richtet, im auf sehr nerdige Art durchgeknallten Finale. Schon etwas weniger funktioniert der Film als buddy movie: zwar trommelt Ron, als er sich auf den Weg nach New York macht, sein altes Team wieder zusammen: Chefreporter Brian Fantana (Paul Rudd), Sportspezialist Champ Kind (David Koechner) und den besonders erratischen Meteorologe Brick Tamland (Steve Carell). Doch anders als in dem im Alltagssexismus der Jungsrunde sich regelrecht suhlenden ersten Film sind die Kumpels im zweiten eher ein Klotz am Bein Ferrells: Koechner und Rudd haben kaum etwas zu tun, Carell versucht mehr, trifft dabei aber nur selten den richtigen Ton.

Das größere Problem ist allerdings, wie der Film sich selbst zu seinem Gegenstand positioniert. In früheren Ferrell-Filmen waren die Aufgaben, die sich seine Figuren stellten, mehr oder weniger austauschbar, und vor allem auf Effekt hin ausgewählt: "Ricky Bobby - König der Rennfahrer" interessierte sich für die Spezifiken des Rennsports genauso wenig wie "Die Eisprinzen" für Eiskunstlauf oder "Die fast vergessene Welt" für Urzeitforschung. Selbst im ersten "Anchorman"-Film ging es eher um den lächerlichen Chauvinismus der Siebziger, als um Lokaljournalismus (anders ausgedrückt: es ging jeweils um die Verformungen, die die Welt den Menschen zufügt, nicht um jene, die die Menschen der Welt antun). "Anchorman - Die Legende kehrt zurück" glaubt nun aber durchaus, er habe etwas zu sagen darüber, wie und warum die Fernsehnachrichten vor die Hunde gegangen sind. Der natürlich nur im Nachhinein, mit gehörigem Sicherheitsabstand alles besser wissende und deshalb völlig risikofrei predigende Film setzt sich damit in einen harten Kontrast zu seiner Hauptfigur. Denn ist Ferrell in seinen Filmen auch noch so größenwahnsinnig, narzisstisch, realitätsblind - eines ist er nie: selbstgerecht.

Lukas Foerster

Anchorman - Die Legende kehrt zurück - USA 2013 - Originaltitel: Anchorman 2: The Legend Continues - Regie: Adam McKay - Darsteller: Will Ferrell, Steve Carell, Paul Rudd, David Koechner, Christina Applegate, Dylan Baker, Meagan Good, Greg Kinnear - Laufzeit: 119 Minuten.