Im Kino

Imitat, eher opak

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer, Nikolaus Perneczky
08.12.2010. Wer "Nowhere Boy", Sam Taylor-Woods Spielfilm-Debüt, sieht, könnte glauben, die Künstlerin hätte ihr Leben lang nichts anderes getan als John-Lennon-Biopics zu drehen. Ein Debüt ganz anderer Art ist Gareth Edwards' billigst budgetierter "Monsters" - mehr als nur ein Achtungserfolg, der das Genre einerseits in die Allegorie und andererseits ins Leere laufen lässt.


Vor siebzehn Jahren stellte die Künstlerin Sam Taylor-Wood gemeinsam mit ihrem damaligen Lebenspartner Henry Bond ein berühmtes, vielleicht das berühmteste Foto, das von Yoko Ono und John Lennon existiert, nach. Von Annie Leibovitz stammt die Originalaufnahme, die einen nackt an die ausgestreckt angezogen daliegende Yoko Ono geklammerten Lennon zeigt. Die Kopie des Originals trägt den aufs Entstehungsdatum bezogenen Titel "October 26 1993" und bleibt im Bezug auf das ursprüngliche Bild, da sie keinen sichtbaren Einspruch dagegen erhebt, eher opak; eine zärtliche Anmaßung, kaum mehr als das. Später machte Taylor-Wood in der Kunstwelt mit gut konsumierbaren Fotografien und Filmen so richtig und wichtig (aber nicht ganz turnerpreispopichtig) Karriere und brachte Hollywoodstars wie Sean Penn, Paul Newman, Laurence Fishburne etc. in attraktiver Weise zum Weinen.

Wie zuletzt die Künstlerin Shirin Neshat, der Künstler Steve McQueen - und auch nicht unähnlich wie der Modedesigner Tom Ford - tat Sam Taylor-Wood dann einen Sprung und landete als Regisseurin im Kino, Arthouse-Abteilung. "Nowhere Boy" heißt der Film und in den USA verleihen ihn bezeichnenderweise die Exmiramaxe Harvey und Bob Weinstein. Der Junge des Titels (He's a real nowhere boy,
Sitting in his Nowhere Land, Making all his nowhere plans for nobody
) ist kein Geringerer als wiederum John Lennon und irgendwie sind Sam Taylor-Wood dann Wirklichkeit und Fiktion ein wenig durcheinandergeraten und nun hat sie also mit dem Darsteller der Titelfigur Aaron Johnson, also quasi dem noch jungen Lennon, eine Tochter, die aber nicht Mimi oder Julia, sondern Wylda Rae heißt. (Vgl. britische Boulevardpresse, Stichwort "Toyboy". Das aber nur nebenbei.)

Julia, so hieß die leibliche Mutter des späteren Beatle, bei der er jedoch nicht aufwuchs (er wird zum Beatle erst ganz am Ende des Films, beim Aufbruch nach Hamburg; der Name der Band fällt ausdrücklich nicht). Mimi war seine Tante, eine etwas gestreng-provinzielle Person. Sie zog ihn auf an Stelle der richtigen Mutter. Und hier hakt "Nowhere Boy" ein. Der junge John macht, den wahren Verhältnissen nur sehr ungefähr folgend, mit seiner wahren Mutter recht späte Bekanntschaft. Die ist ganz blond, schwingendes Haar, swingender Körper, unverantwortlich im unmütterlich-lebendigen Überschwang und Ann-Marie Duff spielt sie als Gegenbild der von Kristin Scott-Thomas allerdings mit erstaunlich viel Würde versehenen strengen Mimi. John taumelt sehr durcheinander von hier nach da und zurück und begibt sich so mit Hilfe eines arg schematischen Drehbuchs auf die Suche nach dem ordentlichen Mutterverlusttrauma, mit dessen Hilfe sich die Küchenpsychologie die eine oder andere Verdrehtheit im Charakter John Lennons erklärt und also auch seine Kunst. (Der Song zur Stützung der Traumatheorie: "Mother", erster Song auf dem ersten Soloalbum des in dieser Phase definitiv schwer durcheinandren Ex-Beatle.)



John drängt schnell zur Musik, "Nowhere Boy" eher nur zwischendurch, dann aber mit Gusto. Die "Quarrymen" gründen sich, rauchend, auf der Schultoilette, vorerst noch nicht tout Liverpool tanzt bald darauf zu ihrer Musik (sehr wohl - und wie! - aber die Mutter) und der Paul McCartney-Darsteller Thomas Brodie Sangster mit seinem blässlichen Charisma ist ganz und gar formidabel. Der Film zeigt John vor allem aber zwischen der einen Mutter und der andern. Sam Taylor-Wood zieht anlasslos öfter das Tempo an, John fährt Bus, aber flach auf dem Dach. Auch träumt er mehr als einmal sehr schlecht. In Zeitrafferaufnahmen lernt er erst von der Mama, dann allein vor Familiengewusel das Spiel auf dem Banjo. Die ganze Zeit leuchten die Scheinwerfer dabei durch die Fenster in einer Weise ins Hausinnere, wie kein natürliches Licht im wirklichen Leben je durch ein Hausfenster schien.

Überhaupt sieht es in "Nowhere Boy" allezeit so schmuck und aufgeräumt und warmfarbig aus wie justament nur im Historienfilm. Noch der Schreck, den der plötzliche Unfalltod Julias auslöst, wird weich gebettet in eine Trauerfeier mit nur zu verständlich ausagierten aggressiven Aktionen. Man kann nun einerseits sagen: Sam Taylor-Wood hat hier einen grundsoliden Arthouse-Film gedreht, ganz so, als hätte sie ihr Leben lang nichts andres gemacht. Man kann "Nowhere Boy" durchaus ansehen und, je nach Toleranzschwelle für Klischeeproduktion, auch ein wenig Spaß haben damit. Andererseits ist es aber auch so, dass der Ehrgeiz der Künstlerin als Filmregisseurin nicht weiter zu reichen scheint, als zum in seinen Intentionen eher opaken Biopic-Imitat, also zu einem Werk eines Genres, das denn doch zu den überflüssigeren im Weltreich des Kinos gehört.

Ekkehard Knörer

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In England, wo Gareth Edwards bis vor kurzem als Festangestellter der BBC die Spezialeffekte für edukative Fernsehfilme besorgte, ist sein Kinodebüt "Monsters" in aller Munde. In den gewundenen Gängen der Londoner U-Bahn nimmt es die Plakatkampagne des verhältnismäßig billig produzierten Films mit der ganz großen Konkurrenz auf: "Monsters" prangt selbstbewusst neben "Harry Potter", "Chronicles of Narnia" und Co. Auch im Kulturteil der englischen Tagespresse stößt "Monsters", der in Verkehrung des superlativistischen Blockbuster-Diskurses kurzerhand für sein ungewöhnlich geringes Budget gelobt wird, auf freundliche Resonanz. Nicht nur sehe der Film auch für internationale Maßstäbe ordentlich aus, mit Edwards sei hier außerdem ein ambitioniertes Jungtalent am Werk, das das spektakelorientierte Genre des Monsterfilms gekonnt in Richtung art film ausfransen lässt.

Tatsächlich versammelt "Monsters" eine ganze Reihe von Qualitäten, die man im Einzugsgebiet plattenbaugroßer Kraken aus dem Weltall nicht sofort vermuten würde: ein nur rudimentäres Drehbuch, das seine Figuren- und Erzählbewegungen absichtlich im Unförmigen und Vagen belässt; eine Reise, der unterwegs das Ziel abhanden kommt und deren Spannungsbogen immer wieder nachgibt zugunsten kontemplativer Selbst- und Fremdbeschau; schließlich ein Fotograf als Protagonist, dessen präformierter Blick auf die Welt im Verlauf des Films eine phänomenologische und ethische Läuterung erfährt.

Den Monsterfilm aufs Niveau zu bringen, das mochte Edwards als Einsatz vor Augen schweben, als er seine beiden Darsteller durch den Dschungel jagte, der in "Monsters" das Habitat der Weltraumkraken vorstellt. Die denkbar schlichte Prämisse belehnt noch den Erzählfundus des Genres: Samantha und Andrew, zwei junge, ansehnliche Amerikaner, müssen sich, um nach Hause zu finden, durch eine Sperrzone im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet schlagen, wo einige Jahre zuvor außerirdische Lebensformen gestrandet sind und seither gedeihen. Die Öffentlichkeit wird über die näheren Umstände dieser "Seuche", und auch über den Krieg, den die Vereinigten Staaten gegen die Kreaturen führt, im Unklaren gelassen, weshalb Andrew und Sam - und wir mir ihnen - sich als echte Entdecker fühlen dürfen.



Es ist im Ergebnis zwar noch ersichtlich, wie "Monsters" hätte funktionieren sollen: als unterbestimmtes Erzählgerüst, das durch ein offenes, agiles Kameraauge und die freie Improvisation seiner Akteure (außer den beiden Hauptdarstellern sämtlich Laien) allererst ausgefüllt, ja zum Schwingen gebracht wird. Aber die glücklichen Momente der Wahrnehmung und des Spiels, auf die das Begehren des Filmemachers sich richtet, bleiben hier leider aus. Schlimmer noch, ihre Abwesenheit gibt den Blick frei auf das armselige Gerüst, das ihnen, gleichsam als Gehhilfe, zugedacht war. Wo die generischen Stereotypen, vor denen Edwards sich so fürchtet, wenigstens noch in einer Welt beheimatet sind, die sich zu einem differenzierten System widerstreitender Klischees auffächert, erweist sich die kunstbeflissene Unbestimmtheit, in der "Monsters" es sich eingerichtet hat, eindimensionaler als das schalste Klischee.

Wenn der Film dann doch einmal sagt, was er meint, macht er alles nur noch schlimmer. Die politische Allegorie über die Zustände an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, mit der "Monsters" schon in den ersten Einstellungen schwanger geht, wird auch dadurch nicht erkenntnisträchtiger, dass sie sich am Ende, wenn Sam und Andrew von der Spitze einer Maya-Pyramide auf den imposanten CGI-Effekt des amerikanischen Grenzwalls blicken, offen einbekennt. Andrew sagt in diesem Moment so etwas wie: "Wie anders unsere Heimat doch aussieht, wenn man von außen auf sie blickt." Was die schöne Sam mit einem bedeutungsvollen Nicken quittiert. Mehr darf man sich von "Monsters" leider nicht erwarten.

Nikolaus Perneczky


Nowhere Boy. Großbritannien / Kanada 2009 - Regie: Sam Taylor-Wood - Darsteller: Aaron Johnson, Kristin Scott Thomas, Anne-Marie Duff, David Morrissey, Thomas Brodie Sangster, Sam Bell, David Threlfall, Ophelia Lovibond, Jack McElhone

Monsters. Großbritannien 2010 - Regie: Gareth Edwards - Darsteller: Whitney Able, Scoot McNairy, Kevon Kane