Im Kino

Da capo

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
01.12.2010. Woody Allen feiert heute seinen 75. Geburtstag. Passend dazu kommt sein jüngstes Werk "Ich sehe den Mann deiner Träume" ins Kino, der eines auf jeden Fall ist: mit Naomi Watts, Josh Brolin, Anthony Hopkins und Freida Pinto eklatant gut besetzt. Ganz anderer Schauplatz: Mit logistischer Unterstützung von Tom Tykwer hat die Regisseurin Hawa Essuman in Nairobi den Spielfilm "Soul Boy" gedreht. Ein Projekt, auf dessen Fortsetzung man gespannt sein kann.


Da capo. Wieder von vorne, Woody Allen setzt seine Pointenmaschine in Gang. Aus dem Off raunt es mit Shakespeare, was er zeitlebens schon raunt: Sinnlos ist alles im Angesicht eiskalter Ewigkeit, Schall und Wahn, sound und fury, um mehr geht es nicht. So wahr das auch sein mag, als philosophischer Dollpunkt eines filmischen Universum war das stets etwas mager, beziehungsweise verlangte und verlangt nach Verwicklungen und Figuren, die das Platte des Allenschen Weltbilds mit viel Schall und viel Wahn und guten Pointen in gehobenen Existenzboulevard überführen.

Es spricht der Erzähler, wie nicht selten bei Allen, aus dem Off. Der Erzähler erzählt, das heißt: er verfügt. Über Wissen, das er souverän ausstellt. Wir beginnen hier, wir machen jetzt da weiter, wir geben hier eine Spur mehr, hier eine Spur weniger Ironie dazu. Die Figuren und das, was sie tun, erhalten durch den sich bei Gelegenheit zu Wort meldenden Alleswisser auf der Tonspur allesamt einen Index: Ich bin eine Spielfigur. Vermute in mir keine Tiefe. Ich werde hierhin gesetzt und dorthin geführt, weil dieser oder der nächste Zug eine Pointe möglich macht. Das Problem, das keins sein muss: Mit Spielfiguren identifiziert man sich nicht. Man bewundert höchstens die Intelligenz, die Strategie, den Geist dessen, der sich das Spiel ausgedacht hat und die Figuren nun übers Feld führt. Die Chance: In den Erzähler ist Distanz zu den Charakteren schon eingebaut, er muss auf Verluste an Sympathie wenig Rücksicht nehmen. In Allens "Vicky Cristina Barcelona" funktionierte das bestens. Hier, in "Ich sehe den Mann deiner Träume", eher nicht.

Man nehme einen Mann (Josh Brolin), der Schriftsteller ist und das Versprechen, das sein Erstling der Welt gab, später nicht hielt. Man nehme seine Frau (Naomi Watts), die sich von dem Mann auch mehr versprach, jetzt in einer Galerie jobbt, deren Chef (Antonio Banderas) sie beeindruckt. Man nehme den Vater der Frau (Anthony Hopkins), der in einen Jugend- und Fitnesswahn verfällt, seine eigene Frau (Gemma Jones) verlässt und dafür einer blonden Prostituierten mit mehr Bein als Verstand (Pauline Collins) die Ehe verspricht. Man tue die Schönheit von gegenüber (Freida Pinto) dazu, mixe einen dicken esoterischen Buchhändler (Roger Ashton-Griffiths) hinein, versetze das ganze nach Art eines Karussells in Bewegung und heraus kommt - etwas erstaunlich Fades.



Das hat damit zu tun, dass keine der Figuren über ihr eigenes Klischee weit hinauskommt. Nicht dass es an Tiefe fehlt, ist ein Problem (Tiefe, wirkliche Ambivalenz, Offenheit gibt es bei Allen niemals), sondern der Mangel an Irrwitz und Übermut. Man kennt all diese Figuren, ihre Macken, die Scherze, auf die sie zusteuern, die Zufälle, denen sie ausgeliefert sind, das meist simple Begehren, das sie haben, man kennt all das viel zu gut. Nicht aus dem Leben, denn im Leben ist das nicht nur stets schmerzlicher, sondern auch von Anfang an komplizierter. Woody Allen hantiert ausnahmslos und immer schon mit sehr simplifizierten Versionen dessen, was man landläufig Mensch nennt. Manchmal bekommt er dabei aber eine inszenierungs- und erzählökonomische Einfachheit hin, die Evidenz gerade aus der Lust an der Übertreibung in Richtung des vollends Absurden gewinnt. Hier bleibt es einzig bei Skizzen und Karikaturen, die von ihrer sofortigen Wiedererkennbarkeit als Woody-Allen-Figuren von Beginn an selbst schon ermüdet sind.

So bleibt nur der Blick auf das Treiben wie aufs Hin und Her einer Spieluhr. Alles ist in Bewegung, wenngleich man die Mechanik, die dahintersteckt, nie wirklich vergisst. Man kennt alle Tricks des Erzählers und so viele waren es ohnehin nicht. Da capo, ein weiteres Allensches Nebenwerk. Was kein Drama ist, weil das Auf und Ab längst zu Allen gehört. Jedes Jahr ein Film, wirklich gelungen nur einer von, sagen wir, fünf. Immer von vorne. Heute wird Woody Allen 75. Das nächste Werk ist bereits abgedreht. In Paris. Man wird sicher den Eiffelturm sehen, denn noch weniger als die Menschen bei Allen wirkliche Menschen sind, haben die Schauplätze des Geschehens (hier übrigens London) mit wirklichen Orten zu tun. Umso verlässlicher kommen die Wahrzeichen ins Bild. Woody Allen bereitet immer nur Bühnen. Darauf toben Klischees. Es bleiben Schall und Wahn und die Hoffnung auf gute Pointen: Möge sich der Abschied dieses Erzählers ins ganz große Off noch ein gutes Weilchen verzögern.

Ekkehard Knörer

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In Schwarzafrika werde es nie ein Kino geben, höchstens vereinzelte Filme, schrieb Serge Daney noch Ende der achtziger Jahre. Kurz darauf begannen Videounternehmer in Nigeria diese Prognose zu wiederlegen. Heute haben die Entrepeneurs Nollywoods, die nach wie vor meist höchstens in zweiter Linie Filmkünstler sind, Nigeria zu einem der weltweit größten Filmproduzenten gemacht, ihre Kollegen in Ghana und Kamerun geben sich alle Mühe, mitzuhalten. Und auch im Osten des Kontinents gibt es zahlreiche Versuche, mithilfe der leichten, billigen Kameras der Gegenwart eine indigene Filmindustrie, ohne Anbindung an spätkoloniale europäische Förderstrukturen, aus dem Boden zu stampfen.

Vor diesem Hintergrund mutet das Projekt, das Tom Tykwer und seine Lebensgefährtin Marie Steinmann in Kenia auf die Beine gestellt haben, fast anachronistisch an: Ihre gemeinsame Produktionsfirma "One Fine Day Films" produziert in Kenia, genauer gesagt in Kibera, einem Armenviertel Nairobis, in Kooperation mit verschiedenen NGOs und Kulturinstitutionen, ganz klassische Spielfilme. Das erste Ergebnis heißt "Soul Boy", ist auf 35mm-Material gedreht und braucht sich, was das Produktionsdesign angeht, vor kleineren europäischen Filmen nicht zu verstecken. Weit entfernt sind die smoothen, orthodox kadrierten Einstellungen und die professionell abgemischte Tonspur von den nach wie vor in fast jeder Hinsicht ästhetisch defizitären Durchschnittsproduktionen Nollywoods.



Die Produzenten betonen, dass der nur 57 Minuten kurze "Soul Boy" kein europäischer, sondern ein afrikanischer Film sei. Tykwer unterstützte das Team lediglich bei den Dreharbeiten, Regisseurin Hawa Essuman, die vorher mit ihrem Erstling "Selfish?" selbst eine Videoproduktion für das kenianische Label Jitu Films abgedreht hatte, Autor Billy Kahora und weite Teile der Crew sind Afrikaner. Die geradlinige Geschichte um den jungen Abi und seine Freundin Leila, die gemeinsam Abis Vater von einem Fluch zu befreien versuchen, ist zwar universell verständlich, aber nicht auf ein europäisches Publikum perspektiviert. Sieben Aufgaben bekommt Abi von der geheimnisvollen Geisterfrau Nyawawa gestellt. In der leicht, aber nicht aufdringlich didaktischen Manier eines allegorischen Märchens werden ihm dabei gleichzeitig sieben Lektionen erteilt über die sozialen Probleme seiner Heimat und über den korrekten Umgang mit denselben. Abi rettet einen Kleinkriminellen vor der Lynchjustiz, erkundet das Haus einer europäischen Familie und rettet deren Tochter das Leben. Leila positioniert sich derweil gegen sexistische Rollenaufteilungen im Alltag.

Von Ferne erinnert die Art und Weise, in der "Soul Boy" indigene Mythologie mit sozialen Themen verknüpft und daraus eine individuelle Handlungsperspektive zu gewinnen sucht, an die Großmeister des afrikanischen Kinos der Vergangenheit (Ousmane Sembene) und Gegenwart (Tunde Kelani). Ein wenig unterkomplex sozialarbeiterisch kommt das Ganze aber doch - und durchaus auch für einen Kinderfilm - daher, nicht zuletzt, weil die Bilder oft etwas allzu glatt sind, die Kamera oft etwas allzu sanft nach oben schwebt in eine wohlgeordnete Aufsicht auf die Slums Kiberas; kurzum: weil dem Film seine Welt etwas zu problemlos verfügbar ist. Man darf gespannt sein, ob die bereits angekündigte nächste "One Day Fine Films"-Produktion den Bildern etwas mehr Freiheiten lässt. Es steckt jedenfalls einiges Potential im Film wie im ganzen Projekt.

Lukas Foerster

Ich sehe den Mann deiner Träume. USA / Spanien 2010 - Originaltitel: You Will Meet a Tall Dark Stranger - Regie: Woody Allen - Darsteller: Naomi Watts, Josh Brolin, Antonio Banderas, Anthony Hopkins, Gemma Jones

Soul Boy. Kenia / Deutschland 2010 - Regie: Hawa Essuman - Darsteller: Samson Odhiambo, Leila Dayan Opollo, Krysteen Savane, Frank Kimani, Joab Ogolla, Lucy Gachanja, Katherine Damaris