Im Kino

Und in der Außenseiterrolle: Nike

Die Filmkolumne. Von Jochen Werner
05.04.2023. Ben Afflecks "Air" erzählt weniger die Geschichte des Ausnahme-Basketballers Michael Jordan als eine Geschichte um Werbung und Geld. Der Sportfilm wird zum - in diesem Fall ziemlich amüsanten - Businessfilm. Die Idealisten sterben aus.


Man kennt die Rolle, die Matt Damon hier spielt, und den Basketballspieler, um den sich alles in Ben Afflecks neuer, fünfter Regiearbeit dreht, kennt man sowieso. Zu Wort kommt Michael "Air" Jordan selbst allerdings nur einmal, ganz am Ende, denn es geht nur sehr nachrangig um den Spieler als Individuum und um den Beginn seiner großen Sportkarriere. Stattdessen geht es um den Scout Sonny Vaccaro und seinen unbeirrbaren Glauben an den jungen Spieler, der ihn dazu bringt, seine gesamte Karriere auf Jordan zu verwetten. Allerdings scoutet Vaccaro nicht für ein NBA-Team, und die sportliche Zukunft Jordans ist an dem Punkt im Jahr 1984, an dem die Erzählung von "Air" ansetzt, längst entschieden: Als (rückblickend: lediglich) dritte Wahl im jährlichen Draft der besten Spieler der amerikanischen Collegebasketballteams schließt sich Jordan den Chicago Bulls an, mit denen er Sportgeschichte schreiben wird.

Es geht in "Air" also nicht um den sportlichen Werdegang eines Spitzensportlers - einer jener American Dreams, die das Hollywoodkino von jeher so gern erzählt hat -, sondern es geht um Werbung und Geld und darum, wer welchen Anteil vom milliardenschweren Kuchen abgreift. Sonny Vaccaro ist Basketballscout für Nike, einen bereits damals schwerreichen Konzern, den Affleck gleichwohl als Außenseiter zu erzählen versteht. Für die anfangs noch stiefmütterlich behandelte Basketballabteilung der vor allem für Joggingschuhe bekannten Firma soll der im Las-Vegas-Prolog bereits als durchaus manischer - und keineswegs immer erfolgreicher - Spieler eingeführte Vaccaro die richtigen Spieler für künftige Kampagnen finden, verkämpft sich jedoch in endlosen Meetings mit ahnungslosen Kollegen, die das im Vergleich mit der deutschen Konkurrenz von Adidas ohnehin schmale Budget lieber auf drei mittelmäßige Spieler aufteilen wollen, statt alles auf eine Karte zu setzen.



Was folgt, ist ein klassisches Narrativ - der entschlossene Visionär Vaccaro, der gegen alle Widerstände auch im eigenen Team darum kämpft, dem Talent Michael Jordan einen beispiellos hoch dotierten Werbevertrag anbieten zu können. Auch wenn der selbst zunächst unmissverständlich ausrichten lässt, dass er auf gar keinen Fall mit Nike zusammenarbeiten möchte. Es geht allerdings gar nicht darum, den Spieler selbst zu überzeugen, und auch dessen cholerischer Agent David Falk (Chris Messina) fungiert eher als ziemlich lustige Randfigur in einem sehr gut aufgelegten Schauspielerensemble. Ausgehandelt wird der Vertrag einerseits in den Besprechungsräumen von Nike, wo Vaccaro jede Menge Überzeugungsarbeit zu leisten hat, nicht zuletzt mit dem von Affleck selbst in einer der großen komischen Schauspielperformances des Jahres immer ein Stück neben der Spur gespielten Nike-Gründer Phil Knight - und andererseits mit Jordans Mutter Deloris (Viola Davis). "She runs things", heißt es einmal, und ihre Rolle als Familienoberhaupt, die auch für Sohn Michael alle wichtigen Entscheidungen trifft, scheint unstrittig.

Es ist interessant, dass die großen amerikanischen Sportfilme inzwischen allesamt Businessfilme sind. Bennet Millers "Moneyball", James Mangolds "Ford v Ferrari", jetzt "Air" - in all diesen Erzählungen geht es nur noch in zweiter Linie um individuelle sportliche Erfolgsgeschichten und zuallererst um die Verträge, die ums Feld oder die Bahn herum abgeschlossen werden, die Budgets, die bereitgestellt werden, kurz darum, wer die tiefsten Taschen hat und den größten Anteil der explodierenden Gewinne abschöpft. Hier steht mit der erstmalig vereinbarten Vertragsklausel, die Michael Jordan an den Einnahmen des Konzerns direkt beteiligte, ein Präzedenzfall im Zentrum, der die Macht der Spieler gegenüber den Konzernen, die sie als Werbeikonen nutzen, deutlich stärkte - und wie in Mangolds großartigem Rennfahrerfilm geht es schlussendlich auch darum, dass ein amerikanischer Konzern einen europäischen Marktführer verdrängt.


Die klassische Hollywood-Außenseitergeschichte braucht die Individualisten, die sie im Film verkörpern, inzwischen nur noch als Staffage, de facto werden die Außenseiterrollen längst von den Konzernen, um die diese Narrative arrangiert werden, eingenommen. Die klügsten Erzählungen nutzen diese Verschiebungen für ein komplexes Spiel mit immer ambivalenteren Identifikationsstrukturen - was sagt es zum Beispiel über uns als Zuschauer oder auch über die zugrunde liegenden generischen Erzählstrukturen aus, wenn James Mangold uns in "Ford v Ferrari" mit allen Werkzeugen des klassischen Sportfilms auf die Seite des Idealistenduos Matt Damon/Christian Bale zieht, obgleich diese doch offensichtlich für den bedeutend kälter kalkulierenden, bürokratischeren, visionsloseren der beiden konkurrierenden Konzerne antreten? Müssen auch wir uns nicht eingestehen, dass in diesem durchökonomisierten Kampf der Zahlen und Budgets jeder Sieg der noch so individualistisch skizzierten Protagonisten, sobald sie Teil dieses in sich korrumpierten Systems werden, auch eine Niederlage für den Sport ist?

So weit auf selbstreflexives Territorium wagt sich Affleck nicht vor, eher handelt es sich um eine Ebene, die man selbst an den Film herantragen muss. Aber das macht "Air" zu einem Film für mündige Zuschauer - was man zu all dem, was er erzählt, sich denken kann, wird einem nicht auf dem Silbertablett serviert, auch wenn der Spaß, den man im Kino hat, eine allzu kritische Lesart nicht direkt nahelegt. Aber schließlich sind Sympathieträger im Kino nicht nur dazu da, dass man ihnen in jeder Hinsicht zustimmt - eine Lektion, die man allzu leicht vergisst und die von spaßigen Filmen wie "Air" gern von Zeit zu Zeit aufgefrischt werden darf.

Jochen Werner

Air - USA 2023 - Regie: Ben Affleck - Darsteller: Matt Damon, Jason Bateman, Ben Affleck, Chris Messina, Viola Davis, Julius Tennon, Damian Delano Young - Laufzeit: 112 Minuten.