Im Kino

Cocaine Bear

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann
12.04.2023. Elizabeth Banks' Horrorfilm "Cocaine Bear" über einen zugekoksten wütenden Mamabär, der eine trottelige Gruppe Wanderer terrorisiert, killt trotz Ray Liotta den Trash mit Ironie.


Das Wort "Trashfilm" ist in meinem cinephilen Umfeld inzwischen recht umstritten. Auch wenn ich selbst das Wort kaum benutze, scheint mir nicht so sehr der Begriff selbst das Problem zu sein, sondern dass er Ausdruck eines Blicks auf Filmgeschichte ist, der blind ist für die Unterschiede zwischen solchen Filmen, die sich vielleicht schon zur Entstehungszeit selbst nicht sonderlich ernst nahm, die eigenen narrativen und ästhetischen Unzulänglichkeiten eher ironisch ausstellten, statt zu versuchen, sie zu verbergen; und solchen, die vielleicht - insbesondere tricktechnisch - nicht mehr zu neueren Sehgewohnheiten passen, aber in ihrer Zeit als nicht mal unbedingt billiges, teilweise sogar  spektakuläres Genrekino funktionierten.

Zudem ist für ein kleines Segment der Filmindustrie "Trash" längst zu einem Geschäftsmodell geworden, das die nerdigen Bedürfnisse der offenbar vorhandenen Zielgruppe für "lustige schlechte Filme" vergangener Dekaden bedient, indem man den speziellen Charme älterer B-Movies oder Exploitationfilme in neuen Produktionen zu rekonstruieren und weiterzuführen trachtet.

Der neuere intentionale "Trash" läuft meist auf angestrengte, nervige Kopien seiner Vorbilder hinaus. Störend ist dabei nicht der berechnende Zuschnitt auf eine Zielgruppe - darin, dass sie sich - mal mehr, mal weniger - nach ökonomischen Sachzwängen zu richten haben, sind Filme mindestens ein Stück weit immer "berechnend". Und vielleicht ist es gerade eine Stärke des Exploitationkinos, dass es die expliziten Schauwerte liefert, die das Mainstreamkino dem Publikum verwehrt; dass es ehrlicher mit seinem berechnenden Moment umgeht. Vielmehr handelt es sich um ein Missverständnis: einstige B-Movies schafften es immer wieder, neue idiosynkratische, durchaus persönliche Perspektiven auf die Welt und das Kino zu eröffnen, die es im Mainstream, im "Qualitätskino" in dieser Form nicht gab. In neueren "Trashfilmen" bleibt davon meist nicht mehr übrig als eine auf langweilige Art ironische Vorstellung von Durchgeknalltheit.



Das lässt sich gut nachvollziehen an "Cocaine Bear", in dem es ein paar Leute in den Wäldern im Süden der USA mit einem Schwarzbären, genauer, das ist wichtig: einer Schwarzbärin zu tun bekommen, die eine riesige Menge Kokain gefressen hat, das über den Wäldern abgeworfen wurde. Der Drogenschmuggler, der dafür verantwortlich zeichnet, heißt Syd Dentwood und wird vom letztes Jahr verstorbenen Ray Liotta gespielt, als schmierige Karikatur der Gangsterfiguren, die ihn einst berühmt machten. An dieser Figur zeigt sich zur Genüge, dass Regisseurin Elizabeth Banks und Drehbuchautor Jimmy Warden ihre Vorbilder in eine satirische Groteske überführen wollen. So sind denn auch die anderen Mitglieder des Figurenensembles, das es ins Reich des intoxikierten Wildtiers verschlägt, ziemliche Witzfiguren; u. a. Sari (Keri Russell) und ihre kleine Tochter (Brooklynn Prince), der jüngere Drogendealer Daveed (O'Shea Jackson junior) und der alternde Cop Bob (Isiah Whitlock jr., der ebenfalls sein bisheriges Image parodiert).

Wenn Genrefilme selbstreflexiv oder ironisch mit ihren eigenen Regeln und Bedingungen spielen, gelingt das meist, indem sich die beiden Ebenen des Genres und der Reflexion darüber sinnvoll ergänzen. In "Cocaine Bear" hingegen kommen sich Horrorfilm und ironische Brechungen in die Quere. Dabei funktionieren die Horrorelemente noch am besten, weil ein ordentlich animierter vollgekokster Bär tatsächlich eine ziemlich beängstigende Präsenz ist.



In der zweiten Filmhälfte sollen wir uns mit Figuren in einer ausweglosen Situation identifizieren, die in der ersten Hälfte Stichwortgeber für naheliegende, unlustige und harmlose Pointen waren; etwa über toughe schwarzes Cops und ihre süßen weißen Schoßhündchen, das Verhältnis von Kindern zu Drogen oder den wiederholten Seitenhieb auf das gespaltene amerikanische Verhältnis zu Schimpfworten.

Die Willfährigkeit gegenüber dem, was die Zielgruppe wohl für lustig und durchgeknallt hält, geht nahtlos über in die politische Ebene des Films: Der einzige in dem diversen Cast, dem moralisch nicht mehr zu helfen ist, ist ein alter weißer Mann. Die schwarze Bärin hingegen wird am Ende vom tödlich gefräßigen Chaosprinzip zu einer tragischen Mutterfigur, die sich für ihre Vergiftung rächt und ihre Kinder beschützt. War der sogenannte Trash von einst in der Art, wie er mit den Konventionen des guten Geschmacks brach, gewagt bis subversiv, ist Trash als Marketingstrategie mit "Cocaine Bear" an einem Punkt angekommen, an dem es offenbar hauptsächlich darum geht, nur ja alles richtig zu machen und niemandem auf die Füße zu treten.

Nicolai Bühnemann

Cocaine Bear - USA 2023 - Regie: Elizabeth Banks - Darsteller: Keri Russell, Alden Ehrenreich, O'Shea Jackson Jr., Ray Liotta, Isia Whitlock Jr. - Laufzeit: 95 Minuten.