Im Kino

Klempner gegen das Böse

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
05.04.2023. Aaron Horvath und Michael Jelenic haben aus dem Videospiel "Super Mario Bros." einen nie ermüdenden zuckersüßen Diabetes-Risiko-Film gemacht. Ein Großereignis digitaler Animationskunst sind die Elemente: Wie hier das Wasser sprudelt und das Sonnenlicht fließt, ist so atemberaubend wie die planimetrische Hüpf-Sequenz.


"Das ist keine Werbung, das ist großes Kino", sagt Luigi, der sanft vertrottelte Bruder von Mario, nachdem der (den ästhetischen Maßstäben von großem Kino selbstverständlich nicht genügende) Werbespot der beiden glücklosen Brooklyner Klempner über die Mattscheibe geflimmert ist. In gewisser Hinsicht spricht aus dem Tölpel der Film selbst, indem er die Kritik an sich vorweg nimmt: Denn Mario und Luigi, das sind natürlich keine durchdefinierten Figuren - sondern in erster Linie werbewirksame Insignien und prominente Markenzeichen des globalen Entertainment-Konzerns Nintendo und "Der Super Mario Bros. Film" eine einzige große Werbeveranstaltung für die Produkte aus dem eigenen Haus. Aber großes Kino, das muss man eingestehen, ist er eben auch. Oder zumindest entwaffnend unterhaltsam.

Wer will, kann die knallig bunt erzählte Geschichte als gespenstische Allegorie auf das Jahr 2022 lesen: In der Nintendo-Zockern hinlänglich bekannten Fantasy-Welt greift Bowser, eine knubbelig-schurkische Schildkröte vom Inselreich des Bösen (Erkennungsmerkmal: Feuer, alles düster, Heavy Metal), herrschsüchtig nach den anderen bonbonfarbenen Inseln. Er zermalmt, was sich ihm mit nichts als Niedlichkeit entgegenstellt - die Welt der kleinen blauen Vögel, die mit Schneebällen werfen, wo Bowser Feuersbrünste aufpeitschen lässt, hat er sich bereits geschnappt. Bei der Prinzessin Peach - Zockern als "damsel in distress" und buchstäbliche "trophy wife" bekannt, hier einmal etwas komplexer angelegt, aber auf Geiselnahme, Zwangsverheiratung mit der Monster-Schildkröte und damit angedeutetem Tier-Sex läuft es dennoch hinaus - bei Prinzessin Peach also, die über das Strahle-Land der lebenden Pilze herrscht, bricht rege Betriebsamkeit aus: Die anderen Inseln müssen sich zusammenschließen, eine Armee wird benötigt - über die verfügen die Affen von der Insel nebenan. Diese können zwar wild tun, sind aber fürs Erste eher unwillig, was konkrete Unterstützung betrifft. Da braucht es Überzeugungsarbeit - und ein Duell, das an den Arkade-Klassiker "Donkey Kong" erinnert.



Ein durch und durch bedrückendes Szenario also, das in der Umsetzung aber durch und durch gute Laune macht. Schon der Begriff "Blockbuster", als Garant für kurzweilige Kino-Unterhaltung aus dem Hochbudget-Segment, stammt ja aus dem Zweiten Weltkrieg und bezeichnete damals Abwurfbomben, die einen ganzen Gebäudekomplex in Staub aufgehen lassen. Natürlich: Dass hier jemand versucht hätte, Putins imperialistische Offensiven und das Zaudern des Westens zu einem zuckersüßen Diabetes-Risiko-Film (und Olaf Scholz zum vertrottelten Affenkönig) zu allegorisieren, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Schon alleine, weil die Produktionsvorlaufzeiten für Blockbuster-Boliden dieses Formats viel zu lange sind, um derart kurzfristig reagieren zu können.

Ach so, Mario spielt auch eine Rolle. Als Klempner ist er freilich glücklos und zerlegt erst einmal zur anarchischen Freude des Rezensenten ein Luxus-Appartement. Dann steht plötzlich ganz Brooklyn unter Wasser. Mario und Luigi wagen sich in die Kanalisation, wo es kommt, wie es kommen muss: Ein Kanalrohr erweist sich als interdimensionales Portal und befördert unsere beiden Helden wider Willen direkt ins Fantasyreich von nebenan. Mario landet im psychedelischen Pilzereich von Peach (Magic-Mushroom-Drogenwitze bitte selber ausdenken), Luigi hingegen unerfreulicherweise in Bowsers Folterkeller der Entrechteten, wo ein bizarrer Stern die versammelten Gefangenen mit düsteren Nietzsche-Philosophemen bei Laune hält.



Kurz: "Super Mario Bros." hat zur großen Begeisterung des Rezensenten, der an Quatsch viel Freude hat, alle Hände voll zu tun. Es gilt, das Zeichen-Reservoir aus über 40 Jahren Gamesgeschichte rund um den runden Super-Klempner mit den Anforderungen eines zumindest in Ansätzen überzeugenden Kinofilms in eins zu bringen - und der Film entscheidet sich dabei erfreulich oft für die Primärreize der Games-Welt: Wie kommt man vom Diner schnell zum Auftraggeber? In einer planimetrischen Hüpf-Sequenz quer durch die Straßen Brooklyns. Wie wird aus einem Klempner ein Held im Kampf gegen das Böse? Indem man ihn durch einen dreidimensionalen Hüpf-Parcours für Games-Nostalgiker hetzt. Wie überzeugt man die Affen, dass sie ihre Armee bereitstellen sollen? Indem man den wildesten von ihnen, Donkey Kong, im Duell erlegt. Mit was bewegt sich eine Armee fort? Natürlich nicht mit Panzern, sondern mit Karts aus "Super Mario Kart". Und wie läuft so ein Feldzug ab? Natürlich als Wettrennen auf einer Regenbogenstraße quer durchs All. Kennt man doch alles aus den Spielen.

Das Kino steuert zu all dem vor allem Textur, Taktilität und Haptik bei, woran es der 8bit-Ästhetik, aus der Super Mario historisch stammt, bekanntlich hart mangelte. Nachdem der klassische Zeichentrickfilm durch den digitalen Animationsfilm längst besiegt wurde, nimmt dieser es nun mit Physis und materieller Ästhetik auf. Der Stop-Motion-Film zumindest kann sich warm anziehen: In "Super Mario Bros." ist alles angerauhte Oberfläche, jede Verschiebung in den Fettpölsterchen unter Bowsers Haut wird zum Spektakel und bei Marios und Luigis Mützen hat man glatt (bzw. eben nicht glatt) den Eindruck, man könnte mit der Hand die Stoff-Fasern ertasten. Ein Großereignis digitaler Animationskunst sind die Elemente: Wie hier das Wasser sprudelt und mehr noch, wie hier das Sonnenlicht fließt und alles benetzt - beides extreme Herausforderungen für jedes Animationsstudio - ist schlicht atemberaubend.

Am Ende erweist sich der Böse als Winzling. Nach 94 Minuten grellbuntem Thrill-Ride, der nie ermüdet, lässt das vielleicht auch ein bisschen für unsere durchwachsene Gegenwart hoffen.

Thomas Groh

Der Super Mario Bros. Film - USA 2023 - OT: The Super Mario Bros. Movie - Regie: Aaron Horvath, Michael Jelenic - Laufzeit: 92 Minuten.