Im Kino

Hexensuppe

Die Filmkolumne. Von Thekla Dannenberg
12.04.2023. Unter den schneebedeckten Gipfeln der französischen Alpen lodern die Leidenschaften: Die Filmemacherin Léa Mysius braut in ihrem Mystery-Film "Five Devils" lustvoll eine Geschichte aus Liebe und Eifersucht, Zauber und Rausch zusammen, die durchaus magische Momente hat.

Im Kino der noch jungen französischen Filmemacherin Léa Mysius lodert viel Feuer. Schulen und Herzen gehen in Flammen auf, böse Wut flackert ebenso wie böse Lust, die auf 35mm-Film gedrehten Bilder sind von so viel flammendem Licht durchdrungen, dass man Angst - oder Hoffnung - haben kann, sie würden sich selbst entzünden. In ihrem Debüt "Ava" erzählte sie von einem jungen Mädchen, das zu Beginn der Sommerferien erfährt, dass es erblinden wird. In einem Badeort am Mittelmeer brennt Ava ihr Leben ab, bevor es in Dunkelheit versinken wird. Damit sie wenigstens weiß, was ihr alles genommen werden wird. Die Farben des französischen Südens strahlten in diesem Film so intensiv wie das Spiel der jungen Noée Abita.

In "Five Devils" scheinen die Feuer gelöscht und die Leidenschaften eingefroren. Der Film spielt in einem Ort in den französischen Alpen: Imposante, schneebedeckte Gipfel spiegeln sich im klaren Wasser des Bergsees, die kalte Winterluft bewegt nicht einmal die Wipfel der hochragenden Kiefern. Die Gegend erinnert an David Lynchs "Twin Peaks" oder die Serie "Les Revenants", man spürt förmlich, wie sich das Mysterium unter dem Eis bewegt, um hervorzubrechen. Hier lebt die achtjährige Vicky (gespielt von der hinreißend großäugigen Sally Dramé) mit ihrer Mutter Joanne, einer Schwimmlehrerin, und ihrem Vater Sammy, einem Feuerwehrmann, als Kind ist er aus dem Senegal nach Frankreich gekommen. Joanne ist die wahrscheinlich schönste Rolle für Adèle Exarchopoulos seit ihrer Adèle in "Blau ist eine warme Farbe".


In der Wohnung und in der Schwimmhalle stehen Hochzeitsbilder des Paares, in der Wohnung prangen Bilder des Familienlebens, die zehn Jahre voller Glück beschwören. Doch die Liebe zwischen den Eltern ist erkaltet, die Mutter diszipliniert sich und ihren Körper, indem sie auch im Winter im eiskalten See schwimmen geht. Der Vater legt in seiner Freizeit zwar die Uniform ab, jedoch nicht seine Steifheit. Seiner Tochter hat er allerdings absolut ungebändigte Haare vermacht, sie trägt einen enormen Afro. Außerdem verfügt Vicky über Superkräfte.

Zum Beispiel kann sie verstörend scharf riechen. An Kiefernzapfen erkennt sie den Atem der Tiere, die daran geknabbert haben, am Notizbuch ihrer Mutter erschnuppert sie einen Kaffeefleck. In Gläsern sammelt sie Düfte, klassifiziert sie oder mischt sie selbst zusammen. Mama 1, Mama 2 und Mama 3.

Dann steht plötzlich Sammys Schwester Julia vor der Tür (ebenfalls toll: Swala Emati). Zehn Jahre lang war sie von der Bildfläche verschwunden, nun kehrt sie, die Flammenwerferin, zurück, und sofort beginnt das Eis zu schmelzen, das sich über die Gefühle aller gelegt hatte. Vicky hasst Julia vom ersten Moment an, ihre Tante fürchtet sie. Beide sehen Dinge, für die sie von anderen für verrückt gehalten werden.


Doch Vicky kann noch mehr: Mit dem Gerüchen, die sie mixt, nimmt sie die Erinnerungen der anderen auf. Sie wird in jene Jahre versetzt, als ihre Eltern jung waren, als Joanne und Julia im örtlichen Turnverein für die große Weihnachtsgala trainierten und die Liebe entdeckten. Doch die übliche Neugier eines Kindes, das wissen will, ob es auch existieren würde, wenn sich die Eltern nicht ineinander verliebt hätten, eröffnet hier einen Abgrund. Vicky mit Superkräften, aber emotional völlig überfordert, gerät ins Taumeln. "Die Teufelslesbe muss weg", schreibt sie sich auf die Fahnen, während sie in ihrem Hexenkessel gekochte Krähe, Kränkung und Kinderpipi verrührt.

Auch Léa Mysius braut mit ihrem zweiten Film eine feurige Hexensuppe zusammen, aus Bosheit und Wahn, Begehren, Zauber und Liebesrausch. Dabei greift sie zu allem, was die Mystery an Genre-Elementen hergibt: Time-Loop, Teenager-Drama und Teufelskräfte. Nicht alles bleibt subtil, manches gerät konventionell, auch wenn der Film visuell sehr sorgfältig gestaltet ist. Doch in manchen Passagen entwickelt der Filme eine magische Kraft, die an David Lynch heranreicht, nur eben feuriger.

Die schönste Szene spielt an einem Abend in einer Karaoke-Bar. Julia und Joanne erklimmen schon ziemlich betrunken die Bühne und singen Bonnie Tylers Achtzigerjahre-Kracher "Total Eclipse of the Heart" als grandioses Liebesduett. Sammy bleibt wie stets der unterkühlte Zuschauer, und Vicky verfolgt das Geschehen durch eine Kinderbrille, die wie ein Prisma das Bild ihrer Mutter in unendlich viele Facetten aufspaltet. Eines davon zeigt sie so glücklich, dass es selbst das eifersüchtige Kind berührt.

Thekla Dannenberg

The Five Devils - Frankreich 2022 - OT: Les cinq diables - Regie: Léa Mysius - Darsteller: Sally Dramé, Adèle Exarchopoulos, Swala Emati, Moustapha Mbengue, Patrick Bouchitey - Laufzeit: 103 Minuten.