Im Kino

Auf Kollision

Die Filmkolumne. Von Stefanie Diekmann, Karsten Munt
24.03.2022. Michael Bays "Ambulance" rast über die Straßen von LA und gewährt keine Pause: Alles ist Textur, Licht oder Bewegung. Die Kamera tänzelt nicht, sie stürzt Häuserschluchten hinab, wird an eine Drohne gebunden und ins Chaos geworfen, von der Fliehkraft mitgerissen und unter Blech begraben. Ganz anders Zaida Bergroths Biopic über die finnische Künstlerin und Mumin-Erfinderin Tove Jansson: eine klassische Künstlerlegende, in der zwar viel getanzt wird, aber sonst wenig Bewegung ist.


Die Finger der einen Geisel (Eiza González als Sanitäterin Cam) stecken in den Eingeweiden der anderen Geisel (Jackson White als Polizist Zach). Ein guter Grund, den Krankenwagen anzuhalten. Ein noch besserer: der Polizist erlangt im Moment der Not-Op das Bewusstsein wieder. Der vielleicht beste: die Unfallchirurgen, die es eigentlich für den Eingriff braucht, sitzen nicht mit im Wagen, sondern sind per Videokonferenz vom Golfplatz zugeschaltet. Nicht gut genug: "We don't stop", ist die Ansage von Bankräuber, Millionär und unfreiwilligem Geiselnehmer Danny (Jake Gyllenhaal), der aus der Fahrerkabine in Richtung des improvisierten OP-Tisches brüllt, während er sich und seinem Bruder Will (Yahya Abdul-Mateen II), dessen Hände ebenfalls im Bauch der Geisel stecken, den Verkehr und die halbe Polizei von Los Angeles vom Leib hält.

Wie die Brüder und ihre Geiseln in diese wahnwitzige Lage geraten sind, ist ebensowenig von Belang, wie das psychische Innenleben, das, nach einigen Stunden Verfolgung und Schusswechsel ebenso durchgewalkt scheint wie das fleischliche. Am Anfang steht Wills Geldnot, die auf Dannys Abenteuerlust trifft. Bevor jemand die eingeforderten Erklärungen und Begründungen geben kann, hat Bay bereits allen den Boden unter den Füßen weggerissen. Alles in "Ambulance" steuert so unnachgiebig auf Kollision zu, dass der eigentliche Bankraub und der Grund für diesen Bankraub nur Fußnoten sind, für die sowieso niemand die Zeit zum umblättern hat. Anhalten ist nicht drin. Fast zweieinhalb Stunden lang hämmert Bay seinen Film vorwärts, ohne eine einzige Sekunde Stillstand.

Flüchtende und Verfolger werden Teil dieses Vorwärtsdralls (Gyllenhaal gelingt das am besten; er dreht, synchron mit dem Film, völlig frei) oder kanalisieren ihn, wie es Afghanistan-Veteran Will und Sanitäts-Koryphäe Cam tun, in das Prozedere der Professionalität: die gerissene Milz des Patienten wird kurzerhand mit der Haarspange abgeklemmt. Klarkommen unter Feuer ist die Sprache, die den Millionär mit dem Veteran, den eleganten, homosexuellen FBI-Agenten (Keir O'Donnell) mit dem exzentrisch-abgewrackten Special-Forces-Captain (Garret Dillahunt), die Sanitäterin mit dem Cop und überhaupt alle miteinander verbindet, die Teil an der Jagd durch Los Angeles haben. Jede andere Sprache, etwa Dannys Kritik an der mangelnden Fürsorge der Army für Will, geht im Lärm des Gefechts unter.



Was übrig bleibt, ist Material. Auf der Straße ist Bay voll und ganz in seinem Element. So sehr, dass sogar die im Genre des Perma-Verfolgungskinos üblichen Auszeiten ausfallen. Kein ruhiges Bild weit und breit: Geparkte Lowrider hüpfen vor Aufregung auf und ab, die Schuhe über der Stromleitung hängen nicht, sie schwingen. Die einzige, von Christopher Cross' Kuschelrock-Hymne "Sailing" begleitete Auszeit wird nach wenigen Sekunden abgebrochen: Chillen ist einfach nicht drin. Bay gönnt sich nicht mal eine Pause, um das Panorama des wieder und wieder angehimmelten Los Angeles aufzusaugen. Er zwingt die Kamera, es bei vollem Tempo zu tun. Der verliebte Blick auf poliertes Glas, glänzenden Stahl, nackten und besprayten Beton ist eine gewaltsame Verrenkung.

"Ambulance" ist reines Kino. Nicht in Form des kontrollierten Chaos á la George Miller, sondern als hyperaktiver Presslufthammer, der nicht ruht, bis absolut alles verschlissen, zertrümmert oder explodiert ist, was Polizei, Spezialeinheiten und ein mit in die Jagd beordertes Kartell aufzubieten haben. Die Orientierung soll nicht gehalten, sie soll zerstört werden. Bewegungen werden nicht koordiniert, sondern zerschlagen. Die Kamera tänzelt nicht, sie stürzt Häuserschluchten hinab, wird an eine Drohne gebunden und ins Chaos geworfen, von der Fliehkraft mitgerissen und unter Blech begraben. Keines der Bilder, die dabei entstehen, sticht hervor, gibt sich als etwas Besonderes zu erkennen. Alles ist Teil des bombastischen Stroms, der zu den Trommeln der Filmmusik (auch hier: purer, treibender Rhythmus) auf den Highways und im LA River alles niederwalzt. Das Tempo ist derart hoch und gnadenlos, dass die Action sich mitunter in etwas Abstraktes wandelt. Adrenalin, Schreie, Flüche, Schüsse, Unfälle, Explosionen, Trümmer verlieren in den Höhepunkten der Hemmungslosigkeit jegliche Bindung an die Welt. Alles ist Textur, Licht oder Bewegung - konsequent, ermüdend, stumpfsinnig, singulär. Ein Angriff auf die Sinne. Kino, das wehrlos macht. We don't stop.

Karsten Munt

Ambulance - USA 2022 - Regie: Michael Bay - Laufzeit: Jake Gyllenhaal, Yahya Abdul-Mateen II, Eiza González, Garret Dillahunt, Keir O'Donnell, Jackson White, Olivia Stambouliah - Laufzeit: 136 Minuten.

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"Mehr Farbe!", heißt es gebieterisch nach ziemlich genau einer Stunde. Aber mehr Farbe als bis zu diesem Zeitpunkt wird es in dem Film "Tove" nicht geben. Nicht im Theater, wo Tove Jansson 1949 die Kostüme und die Kulissen zu einer ersten Bühneninszenierung mit den Mumins gestaltet; nicht in Janssons Atelier oder den anderen Interieurs, in denen sich die Figuren begegnen und aufhalten; und nicht in diesem Film, der sehr früh eine Palette aus Weiß-, Creme- und blassen Brauntönen etabliert und nur die Komplementärfarben Rot und Grün zulässt; ein paar Blautöne vielleicht, aber die sind für die Inszenierung nicht weiter wichtig.

Mehr Licht gibt es ab und an, für kurze Zeit, etwa in den Szenen, die auf die zweite Begegnung von Tove Jansson (Alma Pöysti) und Vivica Bandler (Krista Kosonen) folgen und die beide vor allem im Schlafzimmer und im Bett zeigen. Es wird heller, aber nicht allzu lange; etwas hat sich geändert, nur wird das nicht groß markiert oder illustriert; der Film macht weiter, so wie seine Protagonistin weiter machen wird, erstaunlich hartnäckig trotz der Widerstände und der großen Gefühle.

In bestimmtem Sinne ist "Tove", der fünfte Langfilm der finnischen Regisseurin Zaida Bergroth, genau dies: die Verweigerung von mehr Farbe; eine Partitur der moderat kolorierten Zustände, Affekte, Konflikte; auch: ein Film über die Durchsetzung der kleinen und ganz kleinen Form in einer Welt, die ihre Anerkennung vor allem für Großkünstler und Großformate reserviert hat, an denen Tove Jansson, ehemalige Studentin der Bildenden Kunst und Tochter eines allzu berühmten Bildhauers, sich durchaus versucht, jedoch ohne damit je viel Erfolg zu haben.



In ihrer Erzählung über die Zeichnerin, Illustratorin, Schriftstellerin, Comicautorin Jansson, die Mitte der 1940er begann, die ersten Bilder aus der Welt der Mumins zu zeichnen, hat die Regisseurin Bergroth nicht wenige Versatzstücke der klassischen Künstlerlegende untergebracht. Der Erfolg, der auf sich warten lässt. Der übermächtige Vater, die Selbstzweifel, der arrogante Blick von Seiten der Hohen Kunst. Die Anerkennung, die spät, aber nicht zu spät kommt; der Widerstand gegen ein ziemlich patriarchales System; und zwischen all dem die Leidenschaft, die das Kino so beharrlich in Künstlerfiguren sucht, als sei es unmöglich, von ihrer Entwicklung oder Arbeit anders zu erzählen.

Die Liebesgeschichte zwischen Tove Jansson und Vivica Bandler, auf die später die sehr viel längere zwischen Jansson und der Grafikerin Tuulikki Pietilä folgte (die entsprechende Figur wird erst in den letzten Minuten auftauchen), ist im Film relativ verhalten dargestellt. Nichts geschieht allein wegen dieser Liebesgeschichte, nichts wird unmittelbar aus ihr abgeleitet; aber alles wird mit ihr ein wenig leichter, für die begrenzte Zeit, in der Bandler ihre Aufmerksamkeit auf Jansson richtet und sich für ihre Zeichnungen nicht weniger als für ihre Person interessiert.

Was diese Aufmerksamkeit und ihr Nachlassen in Jansson auslösen: das Erstaunen, der Schreck, der Schmerz, wird in "Tove" teils über Großaufnahmen erzählt, die indes sehr still und ohne große Bewegung sind. Bewegung, wo sie überhaupt stattfindet, ist in den Szenen, in denen getanzt wird, was die zentralen Figuren immer wieder und gelegentlich sehr expressiv tun. Alleine tanzen, gemeinsam tanzen, Tanz in betrunkenem Zustand und Tanz, weil gerade nichts Anderes geht, ist in diesem Film eine wiederkehrende Handlung, die ihr Modell in einer sehr charmanten historischen Aufnahme hat, die kurz vor dem Abspann eingespielt wird. Der Künstlerlegende (hier: Legende von der Künstlerin), die für dieses Biopic nicht wesentlich verändert worden ist, tut eine solche Behandlung ganz gut. Drama ja, aber immer etwas versteckt oder verschoben; ein Hauch von Sepia in den Bildern; ein schöner Score aus altem Jazz und französischen Chansons; dazu eine Besetzung, die mit den leisen Tönen keine Probleme hat (Shanti Roney!), und die in jedem Fall eine zweite Begegnung wert ist.

Stefanie Diekmann

Tove - Finnland 2020 - Regie: Zaida Bergroth - Darsteller: Alma Pöysti, Krista Kosonen, Shanti Roney, Joanna Haartti, Kajsa Ernst, Robert Enckell - Laufzeit: 103 Minuten.