Im Kino

Wenn die Liebe endet

Die Filmkolumne. Von Janis El-Bira, Friederike Horstmann
05.12.2019. In Noah Baumbachs liebevolllem Scheidungsfilm "Marriage Story" kann man Scarlett Johansson und Adam Driver beim Denken zusehen. Bernhard Sallmanns "Havelland Fontane" streift auf den Spuren Theodor Fontanes durch die Mark Brandenburg, zeigt uns die unterschiedlichen Gestimmtheiten der Landschaft, der Jahreszeit und des Wetters ebenso wie den Rupfprozess der Havelschwäne.


Wenn die Liebe endet, fällt auch von den Dingen, die einst von ihr beschienen wurden, das Licht. Die Trompete, die Nicole (Scarlett Johansson) im liebestaumeligen Intro von "Marriage Story" ihrem Noch-Ehemann Charlie (Adam Driver) schenkt, liegt alsbald traurig im Regal. Auch dass sie ihm trotz laufender Scheidung noch immer die Haare schneidet, ist ein Moment ohne Halt - irgendwo zwischen der Vertrautheit des Gewohnten und der Einsicht, dass es nicht länger dasselbe bedeuten kann. Auf diesem schmalen Grat erzählt Regisseur Noah Baumbach seinen Film als Trennungsgeschichte ohne Trennung und als Film über die Liebe, kaum jedoch als Liebesfilm.
 
Das beginnt schon mit einer Täuschung, einem Nicht-wie-es-scheint-Moment. Aus dem Off sprechen Nicole und Charlie über die Dinge, die sie aneinander lieben. Dass Charlie seine Hemden bügelt, andere Menschen sehr diskret auf Essensreste zwischen den Zähnen hinweist und stets ohne Murren aufsteht, wenn der achtjährige gemeinsame Sohn Henry nachts ans elterliche Bett kommt. Dass Nicole mühelos noch die hartnäckigsten Gurkengläser aufdrehen, jede Art von Spiel spielen und die kreativsten Geschenke machen kann. Liebe ist oft kleinteilig, ein Mosaik des Gefallenfindens aneinander. Baumbach feiert diese Eröffnung in goldenen Farbtönen und lässt sie doch schon im nächsten Moment verpuffen. Die Liebesgeständnisse sind Teil einer scheidungsbegleitenden Paartherapie, Nicole und Charlie haben sie aufgeschrieben. Es sei leichter, meint der Therapeut, mit dem zu beginnen, was man am anderen mag oder mochte. Das könne den Fortgang des gesamten Prozesses womöglich weniger schmutzig machen. Doppelter Twist dieser furiosen Einleitung: Keiner von beiden wird den jeweiligen Brief in der Therapiesitzung tatsächlich vorlesen. Was wir gesehen haben, behalten sie für sich.
 
Es ist ein Spiel des Mitschwingens und Ahnens, das "Marriage Story", der nach kurzem Kinogastspiel ab dieser Woche bei Netflix zu sehen ist, mit größter Eleganz gegen das Aussprechen und Deutlichmachen behauptet. Zu ihm gehört auch die (viel Metaphorisches ermöglichende) Situierung des Paars in der New Yorker Bohème. Er als Regisseur an Off-Broadway-Theatern, sie als Schauspielerin mit Ambitionen auf die besser bezahlende Fernsehwelt von Los Angeles, in der sich der Film alsbald mit Nicole und Sohn Henry niederlässt. Charlie ist fortan nur noch Besucher in der eigenen Familie. Eine Halloween-Tour mit seinem Kind wird zur traurigen Durchhaltetortur gegen beider dauerhafte Übermüdung.
 


Für alle drei bedeutet Los Angeles auch, unter der kalifornischen Sonne mit dem Klaren, und das heißt: dem Offiziellen ihres Beziehungsstatus umzugehen. Denn auf einer zweiten Ebene müssen Nicole und Charlie nun das Spiel ihrer jeweiligen Anwälte mitspielen, in deren Rollen Laura Dern und Ray Liotta als Alphatiere mit einbetoniertem Siegerlächeln glänzen. Sie gehören ebenso wie Charlies Theatertruppe und Nicoles überragend aufsässige Mutter (Julie Hagerty) zu den vielen schönen Satellitensternen, die sich mit ihrer je eigenen Atmosphäre und Sprachwelt um den zerbrechenden Kern der Kleinfamilie drehen. An ihren Rändern überlappen sie sich kurzzeitig, wenn etwa ein Brief mit der Sorgerechtsforderung von Nicoles Anwältin in deren Familie wie ein heißes Eisen von Hand zu Hand wandert, weil Nicole ihn nicht selbst an Charlie übergeben darf. "Marriage Story" ist, obwohl von tiefer Traurigkeit gezeichnet, oft auch ein bemerkenswert komischer, dabei jedoch selbst in der karikaturnahen Zeichnung der Anwälte nie denunziatorischer Film.
 
Dass Baumbach so fast die Kreisquadratur des Scheidungsfilms gelingt, dass er Schmerz und Schönheit, Nähe und Abstoßung, Intimes und Offenes bis zur Untrennbarkeit einander annähert, verdankt er zu großen Teilen seinen Hauptdarstellern, die jeweils ihre bisherigen Karrierehöhepunkte markieren. Scarlett Johanssons Nicole nähert sich in einer kaum erträglichen Szene, in der sie zum einzigen Mal im Film über die Gründe für das Schwinden ihrer Liebe spricht, der chirurgischen Selbstbespiegelung einer Bergman-Heroine an; Charlie ist bei Adam Driver ein grüblerischer Schlacks und stiller Vulkan. Einer, der ein kleines Messer am Schlüsselbund trägt und im Streit mit seiner Frau plötzlich die Kraft entwickelt, mit der bloßen Faust ein Loch in die Zimmerwand zu schlagen. Zwischen ihnen steht, als Konzentrationspunkt aller Liebe und Wärme, ihr Sohn Henry (Azhy Robertson). Beiden, Johansson und Driver, kann man in diesem Film beim Denken zuschauen - das Schönste vielleicht, was Schauspieler überhaupt leisten können. Noah Baumbach hat um sie herum einen ebenso denkenden, atmenden Film gelegt, für den Liebe auch die Arbeit bedeutet an dem, was bleibt, wenn sie geht.

Janis El-Bira

Marriage Story - USA 2019 - Regie: Noah Baumbach - Darsteller: Scarlett Johansson, Adam Driver, Merritt Wever, Laura Dern, Ray Liotta - Laufzeit: 136 Minuten.

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In einer statischen Einstellung fokussiert der kurze Vorspann von "Havelland Fontane" den mittleren Teil einer Birke: Sie ist von kippeliger Grazilität, ihre kleinen Blätter rauschen verwegen auf der Tonspur, ihre schlanken Äste schwingen im Wind, bäumen sich auf, verschwinden - vor einem graublauen Wolkenhimmel, der sich stellenweise öffnet und den Blick freigibt auf ein weniger graues Hellblau. Direkte Sonnenstrahlen werden durch die dichten Wolkenfront blockiert; nur an deren Rändern brechen sie vereinzelt durch. Farbschichten zerfließen am Himmel von Weiß über Grau zu Blau nach Flieder. Ein Natur-, Licht- und Farbspiel, welches auch in der nächsten Einstellung freigelegt wird: Sie nimmt die Birke in einer Totalen in den Blick - umgeben von sehr viel kleineren Bäumen, die von ihr imposant überragt werden. Vor einer nun ungleich dramatischer beleuchteten Dämmerungskulisse mit einer sich wild aufbauschenden, geradezu barocken Wolkenformation biegt sich der lange wie schmale Birkenstamm bedrohlich - bevor sich das Wetter beruhigt und Vogelgezwitscher und ein fernes Flugzeug erklingen.
 
Wiederholt hat Bernhard Sallmann in seinen filmischen Bearbeitungen der Reisereportagen Theodor Fontanes brandenburgische Topografien ins Bild gesetzt. Auch "Havelland Fontane" - der vierte und letzte Teil der 2016 begonnenen Tetralogie (hier unsere Kritik zum dritten Teil) - unterhält eine spezifische Verbindung zu seinen Schauplätzen. Mit dokumentarischer Beobachtungsgabe werden karge, oftmals menschenleere Landstriche, Zisterzienserklöster mit romanisch-gotischer Backsteinarchitektur, Waldeilande in Seen und beschilfte Buchten mit Holzstegen kartografiert. Seltener nimmt die Kamera provinzielle Industrien mit qualmenden Schornsteinen in den Blick. Lieber schaut sie auf vibrierende, von Wellen, Wolken und Winden durchzogene Seelandschaften. Innerhalb der langen Einstellungen ist selbst viel in Bewegung. Lichtreflexionen verdichten und verschieben sich, erzeugen ein optisches Gefunkel auf der Wasseroberfläche oder farbige Flecken auf der Kameralinse. Durch Statik und Länge der Einstellungen werden unterschiedliche Gestimmtheiten der Landschaft, der Jahreszeit und des Wetters wahrnehmbar.
 
Die rigiden Bildkompositionen sind mit Originalton unterlegt - mit Vogelstimmen, Wind- und Wassergeräuschen. Diese Naturklänge werden jedoch durch Geräusche unklarer Herkunft durchbrochen; Flugzeuglärm und Motorengeräusche durchstreifen die Tonspur. Neben diesem aleatorischen Soundtrack fügt Sallmann eine weitere Spur hinzu. Über die Bilder legt sich die Stimme von Judica Albrecht; sie rezitiert Passagen aus Fontanes "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" (1862-1889), aus dessen Textkorpus sich der Kommentar des Films ausschließlich zusammensetzt. Das ist nie plakativ illustrierend und verkürzt die Bilder nie auf nur eine Lesart, wirkt aber trotzdem manchmal fast ein wenig aufdringlich, obwohl die Frauenstimme Albrechts lakonisch vorträgt und Distanz wahrt.
 


Sallmann nutzt den Ton. Nicht um mit den Bildern eine deckungsgleiche Verbindung herzustellen, sondern um die Rahmung der Landschaftstotalen zu überschreiten, um den Schein des bloß Naturhaften und eine historische Kartografie der Landschaft zu dechiffrieren. Die diversen Diskursivierungen aus dem Off sind weitgehend autonom, obgleich es zuweilen Berührungen zwischen Bild und Text geben kann. Zeitlich umspannen die Beschreibungen und Berichte mehrere Jahrhunderte, beginnen im 11. Jahrhundert und enden zu Lebzeiten Fontanes. Bei den von Sallmann ausgewählten Textstellen aus den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" handelt es sich um ein ausuferndes Material unterschiedlichster Provenienz: von lokalen Legenden und historischen Chroniken zu Fehden, Kämpfen und Kriegen, über detailverliebte Landschaftsbeschreibung und anekdotische Dorfberichte, hinzu präzisen Beschreibungen von Kulturtechniken wie den Rupfprozess der Havelschwäne durch Kiezfischerfrauen mit scharfem Auge und flinker Hand.
 
Besondere Unterhaltsamkeit erzeugt die Detailhaftigkeit des Textes, wenn er von spleenigen Lokalhelden berichtet, von "Stiefel-Katte", der "nur von einer einzigen Leidenschaft beherrscht, und zwar von dem Verlangen, so viele Stiefel wie möglich zu besitzen, große und kleine, alte und neue, für jede neue Situation oder Beschäftigung auch neue Stiefel, Stiefel zum Fahren, zum Gehen, zum Reiten, Jagdstiefel und Tanzstiefel, alle von den verschiedensten Formen und Farben und von jeglicher Art von Leder." Oder vom lustigen Begräbnis des Freiherrn Paul Jakob von Gundling, "der Witz und Wüstheit, Wein- und Wissensdurst, niedere Gesinnung und stupende Gelehrsamkeit in sich vereinigte und der, in seiner Doppeleigenschaft als Trinker und Hofnarr, in einem Weinfaß begraben wurde."
 
Bei der strengen Form von "Havelland Fontane" - die keine Kamerabewegungen duldet - schwankt die Aufmerksamkeit zwischen Enthusiasmus und Ermüdung. Manchmal entwickelt sich eine Sogkraft, ein begeisterter Beobachtungsrausch, manchmal eine zermürbende Ungeduld, manchmal ein wegdämmerndes Wahrnehmen oder eine abschweifende Gedankengirlande. Vor allem macht der Film die Historizität einer Landschaft und ihrer Lebensweisen deutlich - er zeigt ein über Jahrhunderte hinweg bekriegtes, kolonisiertes und kultiviertes Havelland. Indem Stimme und Bilder einander kommentieren, streifen oder gar verpassen, markiert der Film eine zeitliche Differenz, ein eigendynamisches Dazwischen, einen Bruch zwischen dem, was sich aus der Vergangenheit erzählen, und dem, was sich in der Gegenwart sehen lässt. Im Dazwischen spannt sich ein Imaginationsraum auf.
 
Friederike Horstmann

Havelland Fontane - Deutschland 2019 - Regie: Bernhard Sallmann - Laufzeit: 109 Minuten.