Im Kino

Frömmeln und Vögeln

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
03.06.2008. Dominik Grafs "Das Gelübde" ist ein großartiger Historienfilm über die wahre Geschichte der Begegnung des Dichters Clemens Brentano mit der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick.

Im Jahr 1817 veröffentlicht der Autor Clemens Brentano die Novelle "Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl". Sie ist raffiniert konstruiert. Ein namenloser Ich-Erzähler, der Schriftsteller ist, bekommt eine Geschichte erzählt. Als ihn die alte Frau, deren Berichte er anhört, nach seinem Beruf fragt, will er nicht recht mit der Sprache heraus. "Es ist", sagt er (zu sich), "auch wirklich ein verdächtiges Ding um einen Dichter von Profession". Zur alten Frau dagegen meint er: "Ich bin ein Schreiber." Sie nimmt ihn sogleich in Dienst, eine "Bittschrift" soll er für sie aufsetzen. Er tut es, mit Erfolg. Der Rest ist eine komplizierte Geschichte um Ehre, Liebe und Gnade.

Als Schriftsteller, der Schreiber sein will, begibt sich Clemens Brentano im Jahr 1818 von Berlin ins westfälische Dülmen. Hier liegt im Krankenbett die katholische Nonne Anna Katharina Emmerick. Sie ist vielfach stigmatisiert: an Händen und Füßen, an der Brust (doppelkreuzförmig), an der Stirn (dornenkronenförmig). Sie isst nichts - außer einmal täglich als Hostie den Leib des Herrn. Sie trinkt, sie blutet, sie verlässt zunächst nie den Raum. Brentano weiß nicht, ob er glauben darf, was er sieht.

Dominik Grafs fürs Fernsehen gedrehter Film "Das Gelübde" erzählt - frei nach einem Roman des Fantasy-Autors Kai Meyer - Stationen aus dieser bedeutenden Episode im Leben des Dichters und Schreibers Clemens Brentano. Dieser war, mit den (zunächst noch) wilden Geistern der Frühromantik, aber auch mit dem ziemlich reaktionären Antisemiten Achim von Arnim gut befreundet, eine zwiespältige, eine sich selbst nie geheure Figur mit einer Neigung zum Absoluten und zum Selbstwiderspruch: zum Frömmeln wie zum Vögeln durchaus gleichzeitig aufgelegt. (Es gibt über seine Ehe mit der früh verstorbenen Auguste Bußmann übrigens schon einen deutschen Film, "Requiem für eine romantische Frau", nach Drehbuch von Hans Magnus Enzensberger, Regie Dagmar Knöpfel. Der Film ist sehr sehenswert.)

Brentano wollte als Schreiber in Wahrheit nicht weniger sein als ein Dichter, sondern mehr. Die Begegnung mit der stigmatisierten Nonne von Dülmen war darum das Szenario, von dem er zuvor nur träumen konnte: Eine medial begabte Frau diktiert ihm Gottes Wort. Dominik Grafs Film setzt hier ein. Er zeigt, wie Clemens Brentano (Misel Maticevic), anfangs noch mit Vorsicht, im Grunde aber zum Glauben bereit, in Dülmen ankommt. Sich zur Nonne (Tanja Schleiff) begibt, die - als gäbe es keine gemeinsame Sprache - erst im westfälischen Platt mit ihm spricht. Den Dialog, den sie beginnen, die Beziehung, die sie suchen, inszeniert der Film als intensiven Kampf um Vertrauen und das richtige Wort. Brentano neigt nämlich dazu, die Visionen der Nonne fürs Publikum, das er immer schon mitdenkt, auszuschmücken. Die Nonne Emmerick weist ihn zurecht.

"Das Gelübde" ist ein Historienfilm, der sich allen historischen Plüsch streng verbietet. Die Akkuratesse in den Details wird nie ausgestellt. Die Sprache ist, ohne den Anachronismus zu suchen, mehr oder minder heutig. Dominik Graf lässt seinen Kameramann Michael Wiesweg die Szenen in Innenräumen wie in der freien Natur al fresco einfangen. Und er erlaubt seinen Darstellern nicht einen Millimeter Kothurn - noch die hysterischen Visionen der Nonne sind von einer absolut gegenwärtigen Fremdheit. Selbst die aus dem Off zitierten Worte aus Brief und Tagebuch klingen, als spräche einer sie am heutigen Tag. Seit Helmut Käutner hat der deutsche Film keinen Schauspielerregisseur gehabt wie Graf, der seinen Darstellern zuverlässig jene Natürlichkeit einjagt, die zum Schwersten gehört. (Fantastisch ist der Auftritt von Maren Eggert als Bettina von Arnim.)

Graf erlaubt sich kühne Dinge wie nebenbei. Eingeschaltete Jesusbilder und Szenen, die er den sleazigen Nunsploitation-Filmen der Siebziger entnimmt, um sie in den Körper des eigenen Films mühelos zu inkorporieren. Zooms, wie man sie im westlichen Kino seit den Siebzigern selten sah. Der elektronische Score verfremdet die Vergangenheit sanft. Man sieht ein Rätsellicht in der Zimmerecke, ein Stillleben der unangerührten Mahlzeit zwischendurch. Eine erotische Vision der nackten Nonne im Glockenturm. Das wird zusammengefügt, ohne sich immer fügen zu müssen, in einer - man darf sich nicht täuschen: ganz präzisen - Form kolloquialer Montage, die Graf zur hohen Kunst entwickelt hat. Er muss, wie unsereins im Gespräch seine Nebensätze, die Szenen nicht über Punkt und Komma zu Ende erzählen. Die Effekte, die er erzielt, erzielt der Film durch hoch raffinierte Nonchalance.

"Das Gelübde" schließt mit einer erstaunlichen Geste. Dominik Graf gibt sich, buchstäblich, das letzte Wort. Nüchtern erklärt er aus dem Off, dass Papst Johannes Paul II. im Jahr 2004 die Nonne von Dülmen selig sprach. Es ist nicht zuletzt das Verdienst ihres Schreibers, dessen Worte von Emmericks Visionen nicht mehr zu trennen sind. In letzter Sekunde, man merkt es kaum, signiert aber auch Graf, der den deutschen Autorenfilm immer mit äußerster Skepsis sah, so sein Werk als ein ganz eigenes.

Das Gelübde. Regie: Dominik Graf. Mit Misel Maticevic, Tanja Schleiff, Anke Sevenich, Arved Birnbaum, Maren Eggert. Deutschland/Frankreich 2007.

Weitere Ausstrahlungstermine: ARD, 19.11, 20.15 Uhr.

Auf den folgenden Festivals gibt es die Möglichkeit, den Film auch im Kino zu sehen:

Köln, "Medienforum NRW":
07. Juni 2008, 20:00, Cinedom Kino 12

Ludwigshafen, "Festival des deutschen Films":
06. Juni, 17 Uhr
08. Juni, 21 Uhr
12. Juni, 19 Uhr
13. Juni, 23 Uhr
alle im Festivalkino 2 auf der Parkinsel

Köln, Kunsthochschule für Medien:
25. Juni, 19 Uhr, Aula, Filzengraben 2b