Im Kino

Irrsinn in Tüten

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
22.06.2011. Bernard Rose erzählt in "Mr. Nice" die unglaubliche und irgendwie sogar wahre Geschichte des Aufstiegs eines recht unbedarften Mannes zum Drogenbaron. Jim Carrey bekommt es in seiner jüngsten Komödie "Mr. Poppers Pinguine" mit - eben - jeder Menge watschelnden und, oha, sogar naturwidrig fliegenden Pinguinen zu tun.


Gesetzlose mit bigger-than-life-Appeal haben Konjunktur, zumindest im Kino: Che Guevara und Carlos aus dem politischen, Jacques Mesrine und John Dillinger aus dem schnöd kriminellen Lager waren zuletzt Gegenstand ambitionierter, teils barock ausladender Biopics, die ihre übergroßen, grimmig dreinschauenden und Böses im Schilde führenden Mannsbilder in meist detailgetreuen Reproduktionen ihrer jeweiligen Wirkdekaden auf die Leinwand brachten. Auf den ersten Blick will sich Howard Marks (Rhys Ifans), dessen 1996 veröffentliche Autobiografie "Mr. Nice" jetzt unter selbem Titel als Film ins Kino kommt, als dauerbekifft dreinglotzender Post-Beatnik mit traditioneller Keith-Richards-Gedächtnisfrisur kaum in diese Reihe gesellen: Einen intellektuell hochbegabten Oxford-Absolvent mit leichtem Hang zu Trottelei und Hedonismus sowie einer ausgeprägten Abneigung gegen Gewalt kann man sich schwerlich als internationalen Supergangster vorstellen. Und doch stand er lange Zeit ganz weit oben auf den Fahndungslisten der Behörden dies- wie jenseits des Atlantiks: Wenn es stimmt, was die Wikipedia sagt - und angesichts der rauen Mengen an Dope, die hier in Flugzeugen zwischen Afghanistan, England und den USA hin und her gehen, glaubt man es sehr gern -, dann hatte Marks in den 70ern und 80ern bei rund 10 Prozent aller Haschischtransfers sein Händchen mit im Spiel.

Zum Dope kommt der Oxford-Student wie zuvor schon als Kind einer Arbeiterfamilie zu seinem Studienplatz: überraschend und treuherzig trottelig. Ein schönes Mädchen steigt eines Nachts über das Fenster in seine für solche Zwecke günstig gelegene Studentenbude ein - auf dem Campus herrscht sittliche Geschlechtertrennung - und marschiert von dort schnurstracks ein paar Türen weiter zur Bude der wirklich coolen Jungs, wo die lustigen Zigaretten die Runde machen. Als buchstäblicher Gatekeeper etabliert, ist der Schritt zu eigenen Klein-Dealereien nicht mehr weit. Bis eines Tages die richtigen großen Aufträge unter Einbezugnahme des Festlandkontinents locken.



Was folgt ist eigentlich Irrsinn in Tüten: Bekiffte Touren im Auto aus einem 70er Nachkriegsdeutschland, das noch immer nicht ganz entnazifiert scheint, sind das eine. Verbindungen zu einer delirant pornophilen Provinz-Sektion der IRA mit attraktiven Schmuggelstrukturen sowie der lässige Kiff unter Afghanistans heißer Sonne sind das andere. Richtig wild wird es, wenn zur ohnehin schon latent parano-philen Netzwerk-Gemengelage über einen früheren, aber nun staatstragend bekehrten Kiffbruder noch der britische Geheimdienst dazu stößt, der ein reges Interesse an den Aktivitäten der IRA hat. Inmitten dieses Stoffs für Agentenstories und unglaubliche Pulp Fiction steht Howard Marks als armer Tropf und kann nicht anders, als mit dem Joint im Mundwinkel fröhlich international zu expandieren. So aber, steht's geschrieben, soll es passiert sein.

Zumindest wenn man Marks' Autobiografie - entstanden nach einer mehrjährigen Haftstrafe in den USA, die auch der Film nicht verschweigt - Glauben schenkt. Dass man dies nicht immer tun sollte, legt Bernard Rose' Film zumindest nahe: Vor allem in den Gerichtsszenen, aber auch gegenüber seiner Ehefrau (Chloe Sevigny), entpuppt sich Marks als notorischer Lügner. Als subjektiv-unzuverlässiger Erzähler aber ist er in "Mr. Nice" bewusst ausgestellt: Der Film beginnt mit dem Bild eines Vorhangs, der alsbald eine für Howard Marks bereitstehende Bühne preisgibt (in der Tat ist Marks heute nicht nur als Kolumnist in der britischen Tagespresse, sondern vor allem auch als Entertainer bekannt), von der aus der einstige Drogenlord aus seinem Leben erzählt. Die Bühne imaginiert ein gerahmtes Schwarzweißkino, das nur zögerlich zum leinwandfüllenden Bildinhalt wird - und überhaupt tritt erst Farbe ins aschgraue Großbritannien der 60er, als der Dampf des ersten Joints Howard Marks' unschuldige Lungen füllt.



Über solche Brüche und Rahmungen - auch Marks' erzählender Voiceover ist dauerpräsent - baut der Film eine Distanz zwischen sich und das Publikum, die gerade im von Grund auf heiklen Genre des Biopics mit seiner Insistenz auf Objektivität des Filmbildes und Übersetzbarkeit eines Lebenslaufs in eine Filmdramaturgie nur nützlich sein kann. Ständig - gerade auch in den zuweilen irreal anmutenden rückprojektionsartig anmutenden Composite Images, in denen Marks vor historischem Filmmaterial herumturnt - tritt man als Zuschauer einen Schritt zurück und befragt den Stoff nach seiner Akkuratesse. Auch wenn Bernard Rose seiner Figur mit Haut und Haaren verfällt: Anspruch auf etwas anderes als einen subjektiven Erfahrungsbericht erhebt "Mr. Nice" an keiner Stelle und ist sich dessen voll bewusst.

Berauschend ist das zwar dennoch alles nicht, aber über weite Strecken schon ziemlich lässig.

Thomas Groh

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Der Fernseher zeigt einen Charlie-Chaplin-Stummfilm. Eine Gruppe Pinguine sitzt gebannt vor dem Gerät und beobachtet den Tramp. Schnell beginnen sie damit, den ohnhin etwas pinguinartigen Laufstil des Komikers nachzuahmen. Weniger Glück haben sie kurz darauf, als das Programm gewechselt wird und ein Vogel im eleganten Flug zu sehen ist. Hilflos flattern sie mit den eigenen Stummelflügeln, die nicht dazu geeignet sind, den massiven Pinguinleib in die Luft zu befördern. Doch "Mr. Poppers Pinguine? wäre kein Hollywoodfilm, wenn der laut dem gemeinen Wikipedia-Eintrag "flugunfähige Seevogel? die Schwerkraft am Ende nicht doch noch überwinden und sich dadurch dem Vogel im Fernsehen gleichmachen könnte.

Eine solche Mimesis ans Fernsehbild ist nicht die einzige Überschreitung zwischen Menschlichem und Tierischem; ihre Entsprechung findet sie in der Art und Weise, wie der unfreiwillige neue Besitzer der Tiere mittels schwarzem Sakko und weißem Hemd ebenfalls ein wenig zum Pinguin wird. Der Pinguinhalter heißt Mr. Popper, arbeitet für ein Immobilienunternehmen, schwatzt hilflosen Hausbesitzern in Windeseile ihre Anwesen ab und hat eine Assistentin, die mindestens jedes zweite Wort mit dem Buchstaben "p" beginnen lässt (man sehe sich den Film unbedingt in der englischen Origialfassung an, die Synchronisation kann gar nicht anders, als diesen alliterativen running gag zu verhauen).



Gespielt wird Mr. Popper von Jim Carrey, dessen über-expressive Mimik und beeindruckende Körperbeherrschung in den absurdesten Situationen auch in diesem Fall wieder etwas mehr verspricht, als der Film dann halten kann. Carrey ist ein in gewisser Weise immer schon gezähmter Comedy-Anarchist. Die wertkonservative Wende hin zum Familienroman, die seine Filme immer wieder, in unterschiedlicher Intensität, einschlagen, ist nicht wirklich zu trennen von dem Clown Carrey, dessen Unangepasstheit immer eher etwas mit eifriger Überaffirmation zu tun hat, als mit Kritik oder auch nur Unbehagen am status quo. Geradezu programmatisch wurde das zuletzt in "Yes Man? (2008), wo sich Carrey selbst als Regel auferlegte, zu allem und jedem "ja? sagen zu müssen. Im neuen Film bewegt er sich einfach nur wie ein etwas überdrehter Haifisch durchs Becken des zeitgenössischen Kapitalismus.

"Mr. Poppers Pinguine", inszeniert vom nicht auteur-verdächtigen, aber stets souveränen Komödienspezialisten Mark Waters, hat immerhin den Vorteil, dass das, was an der Carrey-Figur Ideologie ist, nicht versteckt, sublimiert, mit ihren inspirierenden, anarchischen Elementen amalgamiert wird. Schnell ist klar: es gibt auch hier wieder eine Familienerzählung und zwar eine der biedersten Sorte. Mr. Popper wurde als Kind von seinem Vater verlassen, lebt jetzt von seiner Frau getrennt in einem luxuriösen New Yorker Appartment und läuft Gefahr, seine beiden Kinder ebenso schändlich zu behandeln, wie er selbst einst schändlich behandelt wurde. Die Pinguine nun sind ein Geschenk von niemand anderem als diesem Vater und sie sollen den Herrn Popper wieder auf den richtigen Weg führen. Was sie dann, damit verrät man nicht zu viel, selbstverständlich auch tun. Dass der "richtige Weg" ganz zum Schluss in die Laube eines fast schon feudal anmutenden Luxusrestaurants führt, ist irgendwie fast schon wieder konsequent.



Das alles wirkt wie pflichtschuldig heruntergefilmt und nimmt kaum mehr als ein Drittel der Laufzeit in Anspruch. Dazwischen und daneben aber wird Carrey immer wieder gemeinsam mit einem Haufen Pinguine (in den meisten Szenen sind das echte Tiere, gelegentlich kommen aber auch Computeranimationen zum Einsatz, die Technik ist inzwischen so weit, dass man schon sehr genau hinsehen muss, um den Unterschied zu bemerken) von der Leine gelassen. In diesen Passagen verwandelt sich "Mr. Poppers Pinguine" in die Art dynamisches Pop-Cinema, die man im Hollywoodkino regelmäßig an den Stellen findet, an denen man sie am wenigsten vermutet. Spielerisch wechselt der Film seine Tonarten, mal versucht er sich in klassischem Fäkalhumor, eine Szene später in smarter social comedy. Einmal verschlägt es Jim Carrey und seine Schützlinge in die weiß lackierte Spirale des Guggenheim-Museum. In Tom Tykwers "The International" wurde das Guggenheim zuletzt noch ausführlich in seine Einzelteile zerlegt, bei Waters dient der Tempel der Hochkultur lediglich als Rutschbahn; anschließen platschen ein paar Pinguine ins Saalorchester.

Lukas Foerster

Mr. Nice. Großbritannien 2010 - Regie: Bernard Rose - Darsteller: Rhys Ifans, Chloe Sevigny, David Thewlis, Omid Djalili, Elsa Pataky, Luis Tosar, Crispin Glover, Christian McKay, Andrew Tiernan, Jack Huston, Ania Sowinski

Mr. Poppers Pinguine. USA 2011 - Originaltitel: Mr. Popper's Penguins - Regie: Mark Waters - Darsteller: Jim Carrey, Carla Gugino, Angela Lansbury, Ophelia Lovibond, Madeline Carroll, James Tupper, Philip Baker Hall