Intervention

Die deutsche Nachgiebigkeit

Von Richard Herzinger
28.01.2021. Jahrelang hat sich Armin Laschet als eifriger Propagandist der Kreml-Propaganda betätigt. Seine  Äußerungen hat der mögliche Kanzlerkandidat jüngst nur zögerlich ein wenig abgeschwächt. Sie sind Ausdruck der neutralistischen Tendenz in der deutschen Politik. Das Lippenbekenntnis zum transatlantischen Bündnis kann das Schielen auf ein Einverständnis mit den Autokratien nicht verbergen.
Mit dem Ende der Ära Angela Merkels in diesem Herbst stellt sich auch die Frage nach der zukünftigen außenpolitischen Positionierung Deutschlands. Doch obwohl auf Berlin als mittlere Führungsmacht im westlichen Bündnis enorme Herausforderungen zukommen, spielt die zukünftige strategische Ausrichtung der deutschen Außenpolitik in der Debatte über die Nachfolge Merkels kaum eine Rolle.

So wurde bei der kürzlichen Wahl von Armin Laschet zum neuen Bundesvorsitzenden der CDU allenfalls am Rande thematisiert, dass der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens in den vergangenen Jahren durch höchst problematische Äußerungen zu globalpolitischen Konflikten aufgefallen ist. 2014 forderte Laschet, der als neuer CDU-Chef erster Anwärter auf die Kanzlerkandidatur der Union ist, eine Annäherung des Westens an den syrischen Despoten Assad, beschuldigte fälschlicherweise die USA, sie unterstützten die Terrormiliz IS gegen das Regime in Damaskus und begrüßte 2015 faktisch die russische Militärintervention in Syrien. Über Proteste Laschets gegen das systematische Bombardierung und Vertreibung der syrischen Zivilbevölkerung durch die Kriegsallianz Moskau-Teheran-Damaskus ist nichts bekannt. Statt dessen bestritt er, dass der Chemiewaffenangriff in Ost-Ghuta 2018 auf das Konto des Assad-Regimes ging.

Kurz gesagt: Laschet hat sich jahrelang als zuverlässiger und eifriger Lautsprecher der Kreml-Propaganda hervorgetan. So bezweifelte er auch öffentlich, dass der Giftanschlag auf Sergej Skripal 2018 im britischen Salisbury im Auftrag des Kreml verübt wurde. Neuerdings versucht Laschet allerdings, seine früheren Äußerungen abzuschwächen. So erklärte er in einem Interview, es sei "im Nachhinein" klar, wer "im Fall Skripal der Schuldige war", bestätigte den völkerrechtswidrigen Charakter der Krim-Annexion und erklärte, es gebe "derzeit" keinen Anlass, die Sanktionen gegen Russland zurückzunehmen. Auch sei der Giftanschlag auf Alexej Nawalny "auf das Schärfste zu verurteilen."

Doch die unter anderem vom EU-Parlament erhobene Forderung, als Reaktion darauf den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 zu stoppen, weist Laschet zurück. Russland sei zwar "in vielen Belangen ein Gegner", es blieben aber "wichtige Themen, bei denen wir Russland brauchen". Einer klaren Distanzierung von seinen früheren Stellungnahmen, die auf eine Apologie schwerster Kriegsverbrechen hinauslaufen, weicht Laschet auf diese Weise aus. Dennoch wurde er ohne intensive Auseinandersetzung mit seinen weltpolitischen Positionen an die Spitze der größten deutschen Regierungspartei gewählt.

Mit seinem Bekenntnis zu Nord Stream 2 liegt Laschet freilich auf der Linie der amtierenden Bundesregierung, die gegen alle Proteste und Einwände hartnäckig an dem politisch verheerenden und wirtschaftlich wie ökologisch widersinnigen Projekt festhält. Stimmen in der Regierung und den Regierungsparteien, die als Reaktion auf den Fall Nawalny anfangs einen Stopp von Nord Stream 2 ins Spiel brachten, sind inzwischen weitgehend verstummt. Einer der beiden Gegenkandidaten Laschets auf dem CDU-Parteitag, Norbert Röttgen, der Nord Stream 2 ablehnt und sich für eine härtere Haltung gegenüber autoritären Mächten wie Russland und China ausspricht, schied bereits im ersten Wahlgang aus.

Dass Laschet mit seiner beschwichtigenden Haltung gegenüber Putins Russland in der CDU-Führung nicht alleine steht, zeigt ein Meinungsbeitrag, den der  stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Johann Wadepuhl, jüngst in der FAZ veröffentlicht hat. Er fordert darin von der EU, "auf Russland zuzugehen" und die "Sprachlosigkeit" zwischen Brüssel und Moskau zu überwinden - als redeten die Europäer nicht ständig mit der russischen Seite, und als sei die Aggression des Kreml einer mangelnden Gesprächsbereitschaft des Westens geschuldet! Sogar die alte Legende, der Westen habe bei der Nato-Osterweiterung russische Sicherheitsinteressen unzureichend berücksichtigt, hat Wadepuhl in seinem Artikel wieder aufgewärmt.

Die Bundesregierung, der Bundespräsident und Spitzenpolitiker beider Regierungsparteien überbieten sich derzeit in der Formulierung emphatischer Erwartungen an einen Neustart der transatlantischen Beziehungen in Kooperation mit dem neuen US-Präsidenten Biden. Doch tatsächlich wachsen in Deutschland neutralistische Tendenzen, die sich in einer tiefen Skepsis gegenüber der deutschen Nato-Integration äußern. Dies betrifft in erster Linie die SPD, die das Zwei-Prozent-Ziel der Nato ablehnt. Führende Sozialdemokraten befürworten zudem einen Rückzug Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe im Rahmen des atlantischen Bündnisses. Die Nähe einer Reihe von maßgeblichen SPD-Politikern zum Kreml ist notorisch. Das SPD-regierte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern rief kürzlich eine mit russischem Geld finanzierte "Umweltstiftung" ins Leben, deren wahrer Zweck es jedoch ist, die von den USA angedrohten Sanktionen gegen Unternehmen zu umgehen, die an Nord Stream 2 beteiligt sind.

Die deutsche Nachgiebigkeit gegenüber autoritären Mächten beschränkt sich indes nicht auf Russland. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft schloss die EU Ende vergangenen Jahres ein Investitionsabkommen mit China ab, das nur sehr vage Zusagen der chinesischen Seite bezüglich Menschrechten und Rechtsstaatlichkeit enthält. Peking wurde damit ein großer wirtschaftspolitischer Erfolg beschert, bevor noch eine gemeinsame Strategie von EU und neuer US-Administration im Umgang mit China abgesprochen werden konnte.

Dem Lippenbekenntnis zu einer Erneuerung der westlichen Allianz steht in Deutschland die schwindende Bereitschaft gegenüber, den eigenen Teil zu ihrer politischen und militärischen Stärkung beizutragen. Statt dessen nimmt das Schielen auf einen Ausgleich mit Russland und China zu. Vieles deutet darauf hin, dass sich diese Diskrepanz nach der Regierungszeit Angela Merkels noch deutlich verstärken wird.

Richard Herzinger

Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine neue Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. Der Text ist gegenüber der Originalkolumne leicht ergänzt. D.Red. Hier der Link zur Originalkolumne.
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