12.11.2004. Heute ist der große Tag des Vorlesens. Eine gute Sache, finden wir. Deshalb haben wir uns im Netz umgehört und Links gesucht zum freien Hören. Von Torsten Gellner
Der 12. November ist der große
Tag des Vorlesens, jedenfalls haben die
Stiftung Lesen und die
Zeit diesen Freitag dazu
erklärt. Unter dem Motto "Große für Kleine" sollen literaturvermittelnde Institutionen wie Bibliotheken, Buchhändler, Schulen oder Großeltern dazu ermuntert werden, den lieben Kleinen mal wieder etwas vorzulesen. Denn "Vorlesen und Erzählen sind nicht nur die preiswerteste Investition in die Zukunft unserer Kinder. Sie machen auch ganz einfach Spaß". Wir stimmen uneingeschränkt zu und meinen außerdem: Was für Kinder gut ist, kann für Erwachsene nicht schlecht sein und da umsonst immer noch am preiswertesten ist, haben wir einige Orte im Netz ausgemacht, an denen man sich kostenlos
etwas vorlesen lassen kann.
Fündig werden Sie unter der nahe liegenden Adresse
www.vorleser.net, wo es
Hörbücher kanonischer Autoren wie
Lessing,
Goethe,
Heine und
Kafka sowie
diverse Märchen zum Herunterladen gibt. Zwei Umstände sorgen dafür, dass dieses Angebot kostenfrei verfügbar ist: Erstens fallen die Werke nicht mehr unter das gesetzliche Urheberrecht, das siebzig Jahre nach dem Tod des Autors verfällt. Und zweitens verfügen die
Initiatoren über ein
Netzwerk ehrenamtlicher professioneller Sprecher, die ihre Stimmen bereitwillig zur Verfügung stellen. Zu dem recht erfolgreichen Projekt kam Gründer
Johannes Ackner übrigens wie die Jungfrau zum Kinde. Er hatte einfach der Tochter einer Freundin einige von
Grimms Märchen auf CD gesprochen und damit einen regelrechten
Boom im Kindergarten ausgelöst. So kam er auf die Idee, die Märchen als mp3-Dateien im Internet zur Verfügung zu stellen. Als dann die Zeitschrift
PC Welt in ihrem Newsletter auf dieses märchenhafte Angebot aufmerksam machte, ging der Server binnen kürzester Zeit in die Knie. Mit Hilfe der schuldigen Zeitschrift und anderen Kooperationspartnern schaffte es Ackner schließlich, das Projekt nicht nur am Leben zu erhalten, sondern mit kontinuierlichem Erfolg auszubauen. So gibt es mittlerweile auch
internationale Ableger, etwa ein
niederländisches und ein
französisches Projekt.
Wer der beispiellosen Interpretation des
Jandl-Hammers Wien : Heldenplatz, vorgetragen durch den grandiosen Meister selbst, lauschen möchte, oder erleben will, wie
Cees Nooteboom seine Muttersprache zelebriert, der wird bei
lyrikline voll auf seine Kosten kommen.
Zahlreiche Gedichte in über 25 Sprachen, darunter auch in
Wayuunaiki intonierte Werke,
liegen hier als
Audio-Streams und in schriftlicher Übersetzung vor. Gelesen werden sie sinnigerweise vom jeweiligen Verfasser, sei es
Thomas Kling,
Oskar Pastior,
Gottfried Benn oder
Juri Andruchowytsch . Die
ansehnliche Auswahl erfolgt kuratisch durch das
Jahrbuch der Lyrik, das als ein Träger dieses Webprojektes fungiert. 1999 ging die Seite zunächst als deutschsprachige Plattform ans Netz und erfuhr im Rahmen des
UNSESCO-Welttags der Lyrik im Jahr 2000 seine Internationalisierung. Das Angebot mit dem erklärten Ziel, "den internationalen poetischen Dialog zu erneuern und die lyrischen Übersetzungen zu fördern" wird sukzessive erweitert.
Ein sehr schönes Lyrikprojekt, initiiert durch das
Goethe Institut, verbirgt sich hinter den
Wasserwelten. Autoren aus 59 Ländern sind mit Werken vertreten, die sich mit dem Thema Wasser auseinandersetzen. Entstanden ist eine
interaktive Klangweltkarte, die Freunde exotischer Literatur begeistern wird. Mit der Maus über der Weltkarte kann man sich in den Klangwelten
Perus, der
Elfenbeinküste oder
Sri Lankas verlieren.
Die alljährlich in
Klagenfurt stattfindenden
Tage der deutschsprachigen Literatur, bei denen masochistisch angehauchte Autoren um den
Bachmann-Preis wettlesen, werden dankenswerterweise seit einigen Jahren sehr gut im Web
dokumentiert. Die einzelnen Lesungen sowie die anschließenden Jurydiskussionen, die das eigentlich Interessante an der Veranstaltung ausmachen, können per
Stream begutachtet werden.
Apropos
Ingeborg Bachmann. Einige
rare Tondokumente der Klagenfurterin finden sich auf den Seiten von
Radio Bremen, so ihre wohl
bekannteste Erzählung Das dreißigste Jahr, die weiland noch vor der Buchpublikation über den Äther ging.
Einen besseren Anlass als den 250. Geburtstag der Charlotte Buff hätte es wohl kaum geben können, um
Die Leiden des jungen Werthers als
Gratishörbuch feilzubieten.
Wolfgang Tischer hat sich der Interpretation angenommen und auch
Dostojewskis Der Spieler in freilich gekürzten Fassungen eingesprochen.
Die
Camera Poetica des Lyrikportals
poetryinternational.org macht Poesie nicht nur hör-, sondern auch
sichtbar. Zu sehen gibt es Ausschnitte vom
Poetry International Festival in Rotterdam, wo sich hin und wieder auch deutsche Lyriker wie
Raoul Schrott oder
Lutz Seiler blicken lassen.
Schließlich sei noch kurz auf
Edgar Allan Poes wohl bekannteste Ballade
The Raven hingewiesen. Diese klassische Interpretation erfolgt stilgerecht durch den britischen Hollywood-Schauspieler
Basil Rathbone.
Torsten Gellner