04.06.2006. Aktualisiert am 19. Juni 2006. Ein journalistischer Höhepunkt im Krach um Peter Handke. Die NZZ konfrontiert den Dichter in einem zweiseitigen Interview mit harten Fakten.
Eine comedie francaise und eine comedie allemandeDrei Ereignisse haben
Peter Handke in immer höheren Wellen in die Medien gespült: die
Absetzung eines seiner Stücke in Paris, die Nominierung für den
Heine-Preis und die
Zurücknahme dieser Entscheidung durch den Düsseldorfer Stadtrat.
1. Kein "
Spiel vom Fragen"
Um den 4. Mai geht in den deutschen Medien die
Meldung um, dass
Marcel Bozonnet, der Intendant der Pariser
Comedie Francaise, Peter Handkes Stück "Spiel vom Fragen oder die Reise ins sonore Land" vom Spielplan der kommenden Saison gestrichen hat, und zwar wegen der Aussagen Handkes bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic. Damit tritt er eine Protestlawine los. Umgehend solidarisieren sich Filmemacher und Schriftsteller wie
Michael Haneke,
Emir Kusturica,
Elfriede Jelinek,
Robert Menasse,
Josef Winkler oder
Paul Nizon mit Handke, auch der französische Kulturminister
Renaud Donnedieu de Vabres äußert Bedenken gegen die Absetzung. Die Suhrkamp-Verlegerin
Ulla Unseld-Berkewicz spricht in einem
Brief an Bozonnet von einem Angriff auf die freie Meinungsäußerung,
Claus Peymann nennt es "kulturelle Zensur". In den Feuilletons
greift die
NZZ am 6. Mai als erste das Thema auf, Uwe Wittstock (
Welt)
findet die Aufrechung von politischen Ansichten mit dem künstlerischen Werk zwei Tage später "
unzulässig". Martina Meister (
FR) dagegen
kann auch die französischen Künstler verstehen, die sich hinter Bozonnet stellen und meinen: "Die Meinungsfreiheit zwingt keinen Theaterdirektor,
kriminellen Ideologien Raum zu geben, die der Demokratie und den Menschenrechten zuwider laufen."
In Frankreich wurde die Debatte vor allem in
Liberation geführt. Handke selbst schrieb zweimal. Am 10. Mai
begründet er, warum man endlich mit einer "
einseitigen Sicht des Krieges Schluss machen soll". Die Serben seien nicht die einzigen Schuldigen. "Ja: Es gab
unerträgliche Lager zwischen 1992 und 1995 auf dem Gebiet der jugoslawischen Republiken, vor allem in Bosnien. Aber hören wir auf, diese Lager in unseren Köpfen allein mit den serbischen Bosniern zu verbinden: Es gab auch
kroatische Lager und
muslimische Lager, und über die Verbrechen, die hier und dort begangen wurden, wird vor dem Gericht in Den Haag verhandelt."
Am 15. Mai
wirft die Autorin
Sylvie Matton Handke vor: "Peter Handke ist ein Revisionist, ein 'Relativist', wie man heute sagt, oder, reden wir nicht drumherum, ein
Negationist." Handke lasse den Krieg gegen
Kroatien mit der
Anerkennung von dessen Unabhängigkeit durch einige Länder anfangen und verschweige dabei die Bombardierung von
Vukovar im Jahr zuvor, schreibt sie. "Im Herbst 1995 fordert er 'Gerechtigkeit für Serbien': 'Wer sind die Aggressoren?' Die Gegend von Srebrenica, Schauplatz zahlreicher Massaker, scheint ihm '
friedlich und schön'. Irgendwie hat er den Eindruck, dass 'etwas hat geschehen können', aber er weiß nicht, was das sein kann, und lauscht in einem
bukolischen Traum den Vögeln und dem Murmeln der Bäche." Matton ist Autorin des Buchs
"Srebrenica, un genocide annonce".
Gleichzeitig erschien ein zweiter Text von
Louise Lambrichs, Autorin eines Buchs mit dem Titel
"Le cas Handke". Diesen Text finden wir nur noch als
pdf-
Dokument auf den Seiten des Verlags der Autorin.
Handke
antwortet auf beide Autorinnen am 22. Mai: Hier spricht der Autor noch einmal von dem Massaker in
Kravica, das Muslime an bosnischen Serben begangen haben. (Dieses Massaker hat laut
Mark Danner in einem
Artikel in der
New York Review of Books "mindestens 30 Serben das Leben gekostet", das "Srebrenica Genocide Blog"
spricht von 35 Toten). Über das von Serben begangene Massaker von
Srebrenica schreibt Handke: "Ich wiederhole aber, wütend, wiederhole voller Wut auf
die serbischen Verbrecher, Kommandanten, Planer: Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit', das in Europa nach dem Krieg begangen wurde."
Am 24. Mai
antwortet Sylvie Matton in
Liberation und wirft ihm auch in seinem jüngsten Text
Geschichtsfälschung vor. "Es wäre unwürdig zuzulassen, dass Handke das Massaker von Srebrenica zum wiederholten Male als '
Rache' nach dem '
Genozid' von Kravica darstellen kann - nach dem Prozess gegen
Naser Oric in Den Haag ist längst geklärt, dass bei den Angriffen der Verteidiger von Srebrenica, die auf der Suche nach Nahrung waren,
43 Menschen getötet wurden am 7. und 8. Januar 1993, von denen
13 Zivilisten gewesen sein sollen."
Am 26. Mai
antwortet auch Louise Lambrichs in
Liberation: "Weder Angreifer, noch Angegriffene, alle sind 'Kriegführende', alle schuldig: Da sind wir also wieder bei den
grobschlächtigen Lügen und offiziellen Verleugnungen der ersten Jahre, als die internationalen Staatsführer und die Chefs der UNO Milosevic gewähren ließen, obwohl sie seine Absichten kannten."
2. Heine-Preis für HandkeDamit hätte es vorbei sein können. Doch die
Jury des Heine-Preises der Stadt Düsseldorf
verkündet am 23. Mai, in diesem Jahr Peter Handke auszeichnen zu wollen. Die Begründung ist knapp wie streitbar. "
Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer
offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er rücksichtslos gegen die
veröffentlichte Meinung
und deren Rituale." Der Preis ist mit
50.000 Euro dotiert.
Drei Tage später regt sich erster
Unmut in den Feuilletons.
Hans Christoph Buch meint in der
Welt, die Jury verwechsle Handkes "
megalomanen Geltungsdrang" mit Courage. Hubert Spiegel
sieht in der
FAZ Heine und den Preis beschädigt: "Will die Jury also allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmörders Milosevic habe der
Völkerverständigung gedient?" Auch Johannes Willms
will Heine in der
SZ in Schutz nehmen, vor der "Dummheit" der Aussagen Handkes. Ina Hartwig
kann in der
FR die Künstlerinnen und Künstler nicht verstehen, die sich mit Handke
solidarisieren. "Hanebüchen"
findet Wolfram Schütte die Begründung der Jury im
titel-Magazin.
Zum Beispiel
Elfriede Jelinek, die ihre
Verteidigung Handkes auf ihrer Website veröffentlicht. In der
FAZ antwortet Peter Handke kurz selbst und erklärt, "was ich nicht sagte". Matthias Kamann
glaubt in der
Welt, Peter Handke wird ausgestoßen, weil er das "
Kartell der Intellektuellen" attackiert. Jürgen Busche
meint in der
taz, Dichter und Narren haben das Privileg, die Wahrheit zu sagen.
Dass eigentlich die Düsseldorfer Jury und nicht Handke für den Aufruhr zuständig ist,
bemerkt Joachim Güntner in der
NZZ. In der
Welt empfiehlt Uwe Wittstock der Jury salomonisch, Handke zwar auszuzeichnen, aber die
Begründung weniger politisch zu gestalten. In der gleichen Ausgabe
schildert Florian Stark das 12:5-Votum der Jury. Der
Tagesspiegel weiß, dass besonders
Sigrid Löffler für Handke getrommelt hat.
3. Kein Heine-Preis für HandkeAls die Fraktionen von
SPD,
FDP und
Grünen im Düsseldorfer Statdtrat am 30. Mai
verkünden, sie würden auf der entsprechenden Sitzung am 22. Juni gegen die Vergabe an Handke stimmen, wird die vorerst letzte und größte Runde der Debatte eingeleitet.
Der Großteil der Kommentatoren stellt sich gegen die Politiker. "
So geht das nicht",
schimpft Thomas Steinfeld in der
SZ. Gerrit Bartels
findet in der
taz , eine Demokratie müsse auch einen Heine-Preis für Handke aushalten, den er zwar für naiv, aber deswegen nicht gleich "
illegitim"
hält. Wiglaf Droste
fügt hinzu, dass Peter Handke vielleicht einen "
Dachschaden" habe, dass ihm dieser aber zusteht. Und der kulturpolitische Sprecher des Düsseldorfer Landtags Oliver Keymis
hätte Handke erst den Preis gegeben und dann diskutiert. Der österreichische
Standard widmet am 31. Mai sein ganzes Feuilleton der Debatte.
Gesammelt werden empörte Raktionen aus Österreich, Adelheid Wölfl
findet die politische Notbremse richtig, Cornelia Niedermeier
bezichtigt Handke-Kritiker des Konformismus und Burkhard Müller-Ullrich
fragt sich, ob man Dichtung überhaupt mit Preisen auszeichnen kann. Auch die
Welt sammelt Reaktionen aus Österreich.
Am 1. Juni
wendet sich Peter Handke in der
SZ in einer Kombination seiner beiden Artikel aus Liberation an das deutsche Feuilleton. Handkes Großdichterkollege
Botho Strauß fordert in der
FAZ eine
Generalamnestie für Genies.
Ulla Unseld-Berkewicz hält die Zurücknahme der Auszeichnung
laut FR für einen "beispiellosen Akt". Und Frank Schirrmacher
sieht die literarischen Preise in Deutschland nun der
Willkür der öffentlichen Meinung wie der Politik ausgeliefert. In der
taz fragt die deutschkroatische Schriftstellerin
Marica Bodrozic, ob nicht das Gutheißen der
Bombardierung Serbiens durch die NATO der größere Widerspruch sei. In
kultur online konstatiert der Autor Haimo L. Handl angesichts der Kritik an Handke eine "
Brutalisierung der deutschen Kultur" und ein "Wiedererstarken des gemeinen,
spießigen Hordenverhaltens". Der Schriftsteller
Volker Braun verteidigt Peter Handke in der
SZ als einen, der sich "der elementaren Aufgabe stellte, den
Frieden zu denken". In der
Zeit zählt für Ulrich Greiner nur der literarische Handke, der nicht zur Rechenschaft zuziehen sei, während
Martin Mosebach bei der ganzen Sache an Antigone denken
muss. In einem Interview mit der österreichischen Zeitschrift "News"
fordert Claus Peymann schließlich nicht nur den Heine-Preis, sondern den
Nobelpreis für Handke.
Andrej Ivanji
begrüßt die Zurücknahme der Entscheidung in der
taz dagegen und betont, Peter Handke spreche beileibe nicht für alle Serben.
Bora Cosic ist im
Tagesspiegel der gleichen Meinung und
will Serbien vor falschen Anwälten wie Handke geschützt wissen. "Denn wie er dieses Land vertritt, ist
beleidigend." In der gleichen Ausgabe
sieht Marius Meller
Botho Strauß' "widerwärtige" Verteidigungsrede für Handke als Beweis unserer liberalen Gesellschaft. "Ein Glück, dass es in diesem Lande wenigstens vernünftige Politiker gibt",
seufzt Tilman Krause in der
Welt. Tags darauf
fragt er sich: "Was ist eigentlich in diese Jury gefahren?". In
Spiegel online hält Claus Christian Malzahn Handkes Text in der
SZ für politische Rhetorik: "ein bisschen was zugeben, ansonsten die Kritiker anklagen und sich über Aussagen
ereifern, die nie getätigt worden seien." Carolin Emcke klagt Jury und Schriftsteller an und
findet es in einem ebenfalls in
Spiegel Online veröffentlichten Essay erschreckend, wie Sigrid Löffler und Peter Handke einen Relativismus vertreten, "der aus einer isolierten Ansicht Heroismus zimmern möchte, aus
Nähe zu Kriegsverbrechern Feinfühligkeit, aus ideologischer Einseitigkeit die Position eines Andersdenkenden."
Ulrich Weinzierl
drängt schließlich auf die Einstellung der Kampfhandlungen und erklärt Handke in der
Welt zur "Kampfmimose", die gereizt einfach verstörend reagiert. Harry Nutt
wünscht sich in der
FR eine ruhige und vor allem literarisch grundierte Debatte. In der
SZ erklären derweil die Juroren
Sigrid Löffler und
Jean-Pierre Lefebvre ihren Austritt aus dem Gremium und begründen dies mit der Indiskretion der Jurykollegen in den vergangenen Tagen. Das Ziel, die "
Handkespaltung" zu überwinden und den Literaten mit dem Anwalt der Serben zusammenzuführen, ist gründlich gescheitert,
kommentiert Ina Hartwig in der
FR. In einer Kritik an Botho Strauß' Generalamnestie für Genies
denkt Jörg Lau in ein nur online veröffentlichten Kommentar in der
Zeit beide Handkes zusammen. Denn "wenn wir den Politiker Handke angreifen, verteidigen wir den Dichter". In der Welt
wundert sich
Richard Herzinger, dass die deutschen Feuilletons beim Streit um den Heine-Preis für Handke nie "über
die Sache selbst" reden wollten, nämlich über die Ursachen für den Balkankrieg.
Peter Handke verzichtetAm 8. Juni wird bekannt, dass Peter Handke auf den Heine-Preis verzichtet. In einem Brief informiert Handke den Oberbürgermeister Joachim Erwin, der antwortet mit Bedauern über die "
Hasenfüße" in der Politik.
Der kurze
Briefwechsel (pdf), die
Pressemitteilung der Stadt Düsseldorf und die
Stellungnahme der
Grünen-Fraktion sind online zu lesen.
In seinem Kommentar
kritisiert Thomas Steinfeld in der
SZ vor allem die Düsseldorfer Politiker, die einfach nicht einsehen würden, "
welches Unrecht sie begangen haben". Hubert Spiegel
fordert Handke in der
FAZ auf, eventuelle Missverständnisse auch ohne Preis doch bitte noch aufzuklären. Um ein versöhnliches Ende
bemüht sich Volker Weidermann, der Handke für die
FAS in Madrid besucht.
Günter Grass weist in der
Zeit darauf hin, dass
Peter Handke kein ganz unwürdiger Heine-Preisträger gewesen wäre. In der gleichen Ausgabe
verdammt Iris Radisch die an Diffamierung grenzende Behandlung der
Düsseldorfer Jury durch die Feuilletonkollegen. Besonders
Botho Strauß mit seinen "Vokabeln aus dem
Wörterbuch des Herrenmenschen" ist ihr sauer aufgestoßen.
Die
NZZ führt die Debatte auf hohem Niveau und endlich auch unter Einbezug von Fakten fort. In einem zweiseitigen
Interview spricht
Peter Handke mit den gut vorbereiteten Redakteuren Martin Meyer und Andreas Breitenstein über das Jugoslawien der Partisanen, Srebrenica und seine unabänderliche Haltung zu Serbien: "
Was sollten die Serben machen? Ich selber hätte keinen Krieg angefangen. Aber es ist doch klar, dass Krieg losging unter dem physikalischen Gesetz von
Stoß und Gegenstoß." Zu Milosevic gibt sich Handke vorsichtig. "Ich habe keine Meinung zu Milosevic. Keine. Ich kann ihn weder gut noch schlecht finden. Ich möchte ihn nicht mit
Hitler oder
Ceausescu oder
Saddam Hussein vergleichen, ich finde das falsch. Milosevic als den großen Bösewicht der Kriege auf dem Balkan hinzustellen, verkürzt die Sache."
Eine
Bitte an unsere Leser: Wenn Sie
Links zu weiteren Stimmen von
Künstlern,
Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens gefunden haben, die sich zu Handke äußern, also etwas von Nichtjournalisten, schicken Sie uns doch bitte eine kurze Notiz an
mayerl@perlentaucher.de. Wir nehmen das gerne auf.
Christoph Mayerl und
Thierry Chervel