16.08.2005. Bei der Suchanfrage "blog bundestagswahl" spuckt Google 153.000 Seiten aus. Wir haben einige Politikerblogs gelesen. Von Miriam Sandabad
Am 18. September wird der
neue Bundestag gewählt, und selten war laut
Projektbericht Perspektive Deutschland 2004/05 das Vertrauen in staatliche und öffentliche Institutionen so gering wie heute: Rund sechzig bis achtzig Prozent der Befragten glauben nicht an die
Ehrlichkeit der Parteien. Das merkt die Politik - und entdeckt eine neue Möglichkeit, sich wieder an die Wähler heranzutasten:
Blogs.
Jeden Tag entstehen neue Web-Tagebücher mehr oder weniger bekannter Politiker in den Weiten des Web, jedes bemüht, authentisch und ansprechend beim potenziellen Wähler anzukommen. In einem scheinen sich sämtliche Parteien einig zu sein: Es muss um jede einzelne Stimme
gekämpft werden. Das schreiben sich somit auch sämtliche Blogs auf die Fahne und locken ihre Besucher mit persönlichen Anekdoten der Wahlkandidaten und der Ankündigung, die zu bewerbende Politikerin oder den Politiker
"hautnah" zu begleiten. Dabei sollen die Besucher die Möglichkeit erhalten, in einen direkten Dialog mit den Kandidatinnen und Kandidaten zu treten. Jeder Beitrag kann kommentiert, Fragen gestellt und Meinungen in das Web gesetzt werden. Ein wirklicher Dialog kommt jedoch nicht immer zustande. Vielleicht ist das Leben im Wahlkampf zu arbeitsintensiv, um auf Fragen zu antworten - vielleicht sind manche Fragen der Besucher auch zu heikel. In fast jedem Forum der Politikerblogs beschweren sich die Besucher jedenfalls über
mangelnde Rückmeldungen und Erklärungen der Blogbetreiber, obwohl Diskussionen ja eine Basis der Blogs seien.
Die Leser des Blogs der
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries können sich zum Beispiel davon
überzeugen, dass sich "bei frischem Kaffee schnell das erste Gespräch über die Ziele der SPD ergab". Also ist der direkte Kontakt durch Blogs doch nur eine Ergänzung, aber kein Ersatz beim Stimmenfang?
Beim Spaziergang durch die Tagebücher geht der hilflose Wähler aber leicht verloren, zu viele Blogs versuchen, den richtigen Weg zum Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu weisen.
Unparteiisch und neutral
hilft da
wahl.de und versucht, sämtliche Blogs zu bündeln und zu verlinken.
Wahl.de ist eine Initiative von
blog.de und gibt ausschließlich "einer Person, die ernsthaft versucht, Politik in diesem Land aktiv mitzugestalten" die Möglichkeit, ein Blog zu erstellen. Schriftlich muss bestätigt werden, dass man zumindest Mitglied einer demokratischen Partei ist, und schon kann losgebloggt werden. Damit pocht
wahl.de auf die eigene Seriosität und die der verlinkten Blogs.
Der interessierte Wähler kann hier auf Kandidatensuche gehen und findet (Stand vom 16. August) 67 Blogs von Politikern aus der
SPD, der
Linkspartei.PDS,
FDP,
CDU,
Bündnis 90/Die Grünen und kleinerer Parteien.
Die Aktualität von
wahl.de ist manchmal sogar denen der aufgeführten Blogs voraus, wie zum Beispiel dem
Tagebuch von
Daniel Kloepper aus dem CDU-Stadtverband Frechen.
Gähnende Leere auf der Homepage - aber Hauptsache, das Blog steht. Bloggen scheint besonders bei den Liberalen
im Trend zu sein; 21 Blogs zählt
wahl.de heute von FDP-Mitgliedern. Die geben sich
angriffslustig-innovativ, wie zum Beispiel die EU-Abgeordnete und das selbsternannte "europäische Gesicht der FDP in Brüssel"
Dr. Silvana Koch-Mehrin. Koch-Mehrin nennt ihr
Blog "Eurofighter" und muss für ihren Kampf einige Gegenschläge einstecken: "Wenn Sie schon nichts zu sagen haben, sollten Sie den Platz für jemanden mit Zeit und Lust zum Bloggen freimachen..."
liest man in ihrem Forum. Und
Spiegel online kommentiert: "Mancher Blog wirkt ungewollt komisch."
Die Regelmäßigkeit, mit der die Politblogger sich mitteilen, ist ebenso unterschiedlich wie die Qualität der Blogs. Eine eifrige Bloggerin ist beispielsweie die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei.PDS
Petra Pau. Täglich aktualisiert sie ihr Blog,
äußert ihren Unmut über
Sabine Christiansens Gäste oder
plaudert vom "Grillen in Elkes Garten".
Andere
nutzen das Blog für schlichte Eigenwerbung, wie der Landesvorsitzende der
Pro DM-Partei
Horst-Jürgen Engels.
Ein großes Thema gerade unter Besuchern von Politblogs ist die Frage, ob die Einträge wirklich von den Bloginhabern stammen oder von Ghostwritern. Und sämtliche Politikerinnen und Politiker schwören, dass selbstverständlich
alles von ihnen selbst verfasst werde.
Verlässt man
wahl.de und versucht, sich auf eigene Faust den Politblogs zu nähern, wird es aber schnell unübersichtlich. Bei
Google ergibt die Suchanfrage
"blog bundestagswahl" 153.000 deutsche Seiten.
Es gibt also viel zu lesen und zu diskutieren.
Und das nächste Zeitalter der interaktiven, multimedialen Wählersuche ist bereits eingeläutet:
Sören Herbst vom Bündnis 90/Die Grünen
kündigt auf seinem Blog einen
MMS-Blog fürs Handy an.
Miriam Sandabad