Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
25.03.2002. Die NYT Book Review staunt über eine neue Verwandlung Gregor Samsas. L'Espresso fragt, warum Marco Biagi ermordet wurde. Im Spiegel lobt Salman Rushdie die Amerikaner, weil sie den Mund nicht halten können. Der Economist begutachtet die schlappen Muskeln des Pluralismus in der arabischen Welt. In der NY Review of Books geißelt Ian Buruma die Blutlust der Identität. In Prospect kritisiert Michael Lind die amerikanische Israel-Lobby. Literaturen beruhigt uns mit Fontane.

New York Review of Books (USA), 24.03.2002

Die Wogen über Ian Burumas letzten Essay ("Okzidentalismus" mit Avishai Margalit) haben sich noch nicht geglättet, da legt er schon eine neue Streitschrift vor - gegen ein verzweifelte Beharren auf Identität. All denen - auch in Europa-, die sich in Zeiten globalen Handelns so viel Sorgen um die eigenen Werte und Traditionen machen, gibt Buruma - selbst halb Brite, halb Niederländer - mit auf Weg: "Identity is a bloody business. Religion, nationality, or race may not be the primary causes of war and mass murder. These are more likely to be tyranny, or greed for territory, wealth, and power. But 'identity' is what gets the blood boiling, what makes people do unspeakable things to their neighbors. It is the fuel used by agitators to set whole countries on fire." Wenn sich die Menschen also angesichts amerikanischer Macht - und Überlegenheit - an den Rand gedrängt fühlten, sollten sie mehr Verantwortung für sich und ihre eigene Freiheit übernehmen. Islamismus sei schließlich keine Reaktion auf Globalisierung und Coca-Cola, sondern - etwa in Ägypten oder Algerien - auf das Scheitern sozialistischer Regime. Und deutsche Innerlichkeit hatten wir auch schon.

Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Robert Solow hat für die NY Review den Wirtschaftsbericht des Präsidenten gelesen, der in den USA jährlich von einem ausgewählten Beratergremium erstellt wird. Intellektuell, meint Solow, sei er zwar nicht ganz so schändlich wie Bushs Wirtschaftspolitik selbst, aber dennoch gelinge den Autoren, allesamt ehrwürdige Akademiker, nur schwer, die in diesem Fall immer prekäre Gratwanderung zwischen republikanischer Ideologie und Vernunft. ("Is it really necessary to produce a sentence like 'The President's vision of economic security recognizes that many events impact the economy all the time.'")

Weitere Artikel: Die Journalistin Janet Malcolm bemerkt, wie schwer es es ist, in Akt-Fotografien auch das Gesicht des Modells mitaufzunehmen, ohne dass es lächerlich oder pathetisch wirkt. Gelungen ist dies ihrer Meinung nach Irving Penn, dessen "Nudes" gerade im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt werden. Sanford Schwartz staunt über Gerhard Richters Genie, von einem Tag auf den anderen seinen Stil komplett zu ändern und doch dabei immer ein neues Universum wie aus dem Nichts zu schaffen. Richters Werke werden gerade im MOMA ausgestellt. Russel Baker beschäftigt sich mit Theodore Roosevelts Wandlung von einem Verrückten zum politischen Giganten. Und Sam Tanenhaus schreibt über David Greenglass, den jüngeren Bruder der legendären "Atomspionin" Ethel Rosenberg. Greenglass hatte erst selbst für die Sowjets in Los Alamos gearbeitet, dann jedoch als Kronzeuge seine Schwester und ihren Mann Julius sozusagen auf den Elektrischen Stuhl gebracht (hier ein Ausschnitt aus dem Prozess)

Prospect (UK), 01.04.2002

In der Cover Story erklärt Michael Lind, wie die amerikanische Israel-Lobby die Öffentlichkeit und die Nahostpolitik der USA beeinflusst. So präsentiere etwa selbst die seriöse US-Presse (wie die NYTimes, Washington Post etc.) den arabisch-israelischen Konflikt oft jenseits jedweden historischen oder politischen Kontextes. "For example, most Americans do not know that the Palestinian state offered by Barak consisted of several Bantustans, criss-crossed by Israeli roads with military checkpoints. Instead, most Americans have learned only that the Israelis made a generous offer which Arafat inexplicably rejected. To make matters worse, the conventions of reporting the Arab-Israeli conflict in the mainstream press typically portray the Palestinians as aggressors-'In response to Palestinian violence, Israel fired missiles into Gaza.' No reporters ever say, 'In response to Israel's three-decade occupation of the West Bank and Gaza, Palestinian gunmen fought back against Israeli forces.'" Was es dringend bräuchte, so Lind, sei eine Debatte zwischen denjenigen, die das Israel-Engagement mit dem Verhalten Israels hinsichtlich amerikanischer Moralvorstellungen verknüpfen wollten, und solchen, die dazu nicht bereit seien.

Brian Sewell und Matthew Collings diskutieren im Prospect über junge britische Kunst und die Schwierigkeiten der Kunstkritik. Schwierig hin oder her, erklärt ein tüchtig erhitzter Sewell, nur ja keinen Fußbreit der öffentlichen Meinung: "If the National Gallery were in the hands of popular opinion it would be filled with the works of LS Lowry and Beryl Cook. We need the Reithian view, always pitching above the heads of the ignorant so that we can draw them on (not below, so that they feel comfortable). I want those who know nothing about art to be fed with caviar and oysters, so to speak, to acquire taste, to feel the heart stop at a sight too beautiful to bear, to sense a thrill as powerfully as a kick in the stomach."

Weitere Artikel: Lennie James nimmt die Festnahme des englischen Rappers Ashley Walters ("So Solid Crew") wegen Waffenbesitzes zum Anlass, auf den latenten Rassismus im Land aufmerksam zu machen. Paul Broks erzählt, wie Einsteins Hirn einst auf Reisen ging - in Keks- und Tupperdosen!
Archiv: Prospect

Literaturen (Deutschland), 01.04.2002

Literaturen hält es mit der Entschleunigung, wie im Editorial zu lesen ist, mit einem vom Buchmarkt verschiedenen Wahrnehmungsrhythmus. Wie zur Bekräftigung dessen liefert das Aprilheft einen Fontane-Schwerpunkt. Darin: Eine politische Neudeutung der "Effi Briest", Burkhard Spinnens Blick auf Fontanes Frauenfiguren (als Pionierinnen des modernen Bewusstseins) und eine Besprechung der jüngst erschienenen Korrespondenz zwischen Fontane und seiner "Epipsyche", Tochter Martha ("Mete"). Eine editorische Höchstleistung auf dem weiten Feld des bisher unerforschten Beziehungsgeflechts der Familienmitglieder und Freunde, wie Sibylle Wirsing zu verstehen gibt, und eine Revidierung früherer Lesarten, in denen die Mete-Briefe konventionell als "Reflexe" auf Fontanes Person und Werk gedeutet wurden. "Man gewahrt die Tochter im Bann des Vaters. Ihr Frühwerk in Briefen ohne spätere Folgen ist das Gesellenstück einer Anverwandlung. Vom instinktiven Nachzwitschern kann keine Rede sein. Die Zwanzigjährige hat es geschafft, dem Sechzigjährigen zum Verwechseln zu gleichen."

Außerdem in Literaturen: Ein Portrait des norwegischen Schriftstellers Jan Kjaerstad, Gundel Mattenklott entdeckt in einem isländischen Kinderbuch Parallelen zum Kleinen Prinzen, Franz Schuh schreibt über die Diskrepanz zwischen literarischem Anspruch und Krimi-Schema bei Eugenio Fuentes, und Peter Demetz stellt Hitler-Literatur auf den Prüftstand.

Rezensionen gibt's u.a. zu Anatolij Kusnezows Roman-Dokument "Babij Jar", zu Michael Lentz' Prosaband "muttersterben", zu Lebenserinnerungen von Balthus und Oliver Sacks sowie zu Autorenratgebern.
Archiv: Literaturen

Outlook India (Indien), 25.03.2002

Wenn es heute schlecht steht um Indien, schreibt Anita Pratap in einem Beitrag, so ist das die Schuld der heute 40- bis 50-Jährigen. Einer Generation, so Pratap, die ihre Chancen verspielt habe, die von den Großeltern erkämpfte Freiheit, die von den Eltern erstrittenen Rechte, die Bildung und den relativen Reichtum. "We wanted to create a separate identity, push the frontiers of our personal capabilities and professional parameters to a new high. We took pride in being unlike the rest. Highly individualistic, we became the generation that abrogated civic responsibility. That hurt the social fabric - we wanted the best for our family, but community and country could look after itself. Sure, we inherited problems from our parent's generation. But we didn't do anything to set it right. So they got worse and around us India started to crumble. We saw it, were conscious enough to protest, but not concerned enough to step in and stem the rot."

Andere Artikel: Shantanu Guha Ray berichtet von einer großangelegten Umstrukturierung im indischen TV-Nachrichtenwesen, bei der sogar CNN die Finger im Spiel haben könnte. Namrata Joshi stellt eine neue, idealistische Schauspielergeneration vor, Männer fürs Unkonventionelle, wie Vijay Raaz (P.K. Dubey in Mira Nair's "Monsoon Wedding"). Und rezensiert werden eine neue Krishnamurti-Biografie, der "faszinierende" Reisebericht der türkischen Schriftstellerin Halide Edib, die in den dreißiger Jahren Indien bereiste, sowie eine echte indische Schmonzette: "The Vines of Desire" von Chitra Banerjee Divakaruni. Eine Migrantengeschichte mit Zimtgeschmack.
Archiv: Outlook India

New York Times (USA), 24.03.2002

Ein Romandebüt, und was für eins! staunt Kent Tucker über Marc Estrins "Insect Dreams" (hier das erste Kapitel). Jeder kennt Kafkas "Verwandlung", aber wer weiß schon, was aus Gregor Samsa wirklich geworden ist. Eine Popstar nämlich: "Estrin propels the wriggly, six-legged Samsa through the first half of the 20th century, where he has vigorous verbal encounters with, among many others, Ludwig Wittgenstein, Robert Musil, Charles Ives and Albert Einstein. Samsa becomes a pop-culture sensation - 1920's flappers bend their limbs to a new dance, 'the Gregor.'" Tucker bewundert den Witz, mit dem Estrin schließlich die gesamte Weltgeschichte um seinen gepeinigten Helden herum konstruiert: "(Samsa) contributes to the World War II effort, for which he is given an appropriately small, dank office in the basement of the White House by Franklin D. Roosevelt." Welch ein Schabenleben! Oder etwas in der Art jedenfalls. Eleanor Roosevelt, so erfahren wir, "presaging the concept of political correctness, refers gently to Gregor as a 'roach person'".

Die erste wirklich kluge Darstellung der Clinton-Ära hat William Kennedy entdeckt. Dabei ist, was Joe Klein in "The Natural" (hier die Leseprobe und ein Audio-Interview mit dem Autor) zusammenträgt, eigentlich gar nichts Neues. Das Buch sei bloß lesbarer als alles, was bisher zu Clinton erschienen sei, schreibt Kennedy, "dense but tight, funny, adroitly written". Und obgleich Kennedy in dem Autor unschwer einen enttäuschten "Clintonian" ausmacht, spürt er doch auch die Ehrfurcht Kleins vor diesem Menschen, "for unlike the haters, he sees past the negatives". Deutlich zu erkennen etwa in der Darstellung der Lewinsky-Affäre: "Klein suggests Clinton was a scapegoat, personifying pathologies of his society to relieve guilt so that change could happen."

Außerdem in der Review: Politische und literarische Essays (u.a. zu Rilke und Handke) des amerikanischen Schriftstellers und Philosophen William H. Gass (Auszug "Tests of Time"), drei Benimmbücher, die uns Etikette lehren wollen, allerdings eher von dieser Art: "In live theater, it is ... unacceptable to attempt to speak to the actors, even though they can hear you." Im Close Reader schließlich plädiert Judith Shulevitz für religiöse Ellbogenfreiheit und findet, Religion muss absolut nichts Steriles sein.
Archiv: New York Times

Spiegel (Deutschland), 25.03.2002

Jetzt ist die Vertriebenendebatte auch im Spiegel angekommen. Das Titeldossier bringt den Auftakt zu einer Serie über Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten und einen Text des Historikers Hans-Ulrich Wehler über die verspätete Aufarbeitung von Leid und Elend der Vertriebenen.

Interviews, seit je eine Spezialität des Magazins, zieren die Ausgabe. Da ist zum einen Salman Rushdie, der über seinen nahezu prophetischen New-York-Roman "Wut" und die Notwendigkeit des Anti-Terror-Kriegs spricht (die Konstruktion einer "axis of evil" bereitet ihm aber Unbehagen). Außerdem preist er die politische Kultur der USA, in der "die schlimmen Dinge immer durchsickern ... Amerikaner können auf die Dauer ihren Mund nicht halten. Ich mag das. Es ist für mich ein wichtiges Element der Demokratie". Ein Jammer nur, dass man vergessen hat, Rushdie über die Religionskonflikte in seiner Heimat Indien und seine jüngsten Anfeindungen gegen Nobelpreisträger Naipaul zu befragen.

Zum andern äußert sich der philanthropische Börsen-Milliardär George Soros zur Chance der USA, ihre Dominanz zu nutzen, um für eine gerechtere, demokratischere Welt zu sorgen - eine Chance, so Soros, die die Republikaner gerade dabei seien zu verspielen -, und erklärt, was mit der eigentlich "brillanten Konstruktion" WTO tatsächlich schief läuft: "Erstens: Die reichen Länder nutzen die WTO zu ihrem Vorteil aus ... Zum anderen sorgt die WTO bislang nur für den freien Verkehr von Handelsprodukten, nicht aber für den Export öffentlicher Güter wie Umweltschutzstandards oder Arbeitsrechte."

Ferner gibt es Neues aus dem Schmiergeldsumpf von RWE und Babcock, ein Interview, in dem der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, entschlossen die nicht eben geringen Forderungen der Araber an Israel und die Solidarität mit dem Irak bei einem US-Angriff bekräftigt, einen Beitrag, der das Wiedererwachen des "roten" Terrors in Italien zu erklären sucht, vergeblich: "Die politische Harmonie, welche die Killerbrigaden hassen und deshalb stören wollen, die gibt es gar nicht." Und der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers denkt (nur im Print) über Franz Walters Thesen zur Geschichte der SPD nach.
Archiv: Spiegel

New Yorker (USA), 25.03.2002

Viel und viel Interessantes zu lesen, in dieser Nummer. Nicholas Lemann untersucht unter der Überschrift "Die nächste Weltordnung" die "brandneue Machtdoktrin" der Bush-Regierung. Kleinteilig zeichnet er die Versuche einer Neu-Definition des amerikanischen Selbstverständnisses seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach. Die anfänglichen "Schwierigkeiten" der USA, ihre "nationalen Interessen" zu definieren, seien Bemühungen um die Definition einer "Rolle" gewichen. Das hegemoniale Ziel scheint klar: "Several people I spoke with predicted that most, or even all, of the nations that loudly oppose an invasion of Iraq would privately cheer it on, if they felt certain that this time the Americans were really going to finish the job. One purpose of Vice-President Cheney's recent diplomatic tour of the region was to offer assurances on that matter, while gamely absorbing all the public criticism of an Iraq operation. In any event, the Administration appears to be committed to acting forcefully in advance of the world's approval."

Rebecca Mead beschreibt in einer sehr unterhaltsamen, quasi-ethnologischen Studie dagegen ein eigenartiges Ritual: Gut 180.000 amerikanische Studenten pilgern jedes Jahr im März, während ihrer spring break, nach South Padre, einer Halbinsel vor Texas. Kollektiver Reisezweck: Biertrinken und Strandparties (mehr hier). Eine Untersuchung der Universität von Texas ermittelte: "The average South Padre spring breaker is a twenty-one-year-old male who spends about eight hundred dollars during a five-night stay, including two hundred and sixty-six dollars on accommodation, just over a hundred dollars on dining out, sixty dollars on groceries, and a hundred and forty dollars on 'recreation'. (The study does not specify in which category alcohol purchases are included.)"

Weitere Themen: Alex Ross vergleicht kritisch die Vor- und Nachteile von Lincoln Center (mehr hier) und City Opera (mehr hier): Ersterem fehle es an Atmosphäre - "you might call it an airport terminal for the performing arts" -, letzterem dagegen an einem "klaren Profil". Adam Gopnik beschreibt in einem Porträt des Philosophen Karl Popper seine eigene "Pilgerreise" als junger Mann zu dem "als weisesten Mann der Welt" Bewunderten: "I came away wiser, though what I learned was what most pilgrims learn, which is that if you want to become wise you should not go on pilgrimages."

Besprechungen
: Peter Schjeldahl kritisiert die umstrittene Ausstellung "Mirroring Evil: Nazi Imagery/ Recent Art" im Jewish Museum. Er bescheinigt den meisten Arbeiten eine "heimliche Ausbeutung der ästhetischen Anziehungskraft des Nazismus" und urteilt abschließend: "The more conscious we are of the limited but potent attraction of Nazi culture, the less its redolence will strike third-rate artists as a surefire ticket to sensation." John Updike ist begeistert von "Spies", dem neuen Roman des englischen Autors Michael Frayn. Positiv besprochen wird auch Michael Hanekes Verfilmung von Elfriede Jelineks "The Piano Teacher". Vorgestellt wird schließlich eine Neu-Inszenierung eines Musicals von 1943 am Londoner Royal National Theatre: "Oklahoma!" von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Leider nur in der Printausgabe: die Erzählung "Baader - Meinhof" von Don DeLillo, eine Architekturkritik des Tweed Courthouse, eine Untersuchung von Lyndon Johnsons Mitgefühl und Lyrik von Susan Minot und W. S. Merwin.
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 28.03.2002

Nach der Ermordung des Wirtschaftswissenschaftlers und Regierungsberaters Marco Biagi sucht das Magazin zu ergründen, warum es ausgerechnet diesen eher gemäßigten und unscheinbaren Zeitgenossen treffen musste. Edmondo Berselli schreibt dazu: "Es scheint, als habe die Tat einen doppelten Zweck erfüllt: Einerseits die Beseitigung eines 'Klassenverräters' und Vermittlers zur rechten Regierung, andrerseits die Schwächung des sozialen Potenzials der Gewerkschaft (zu deren Ungunsten Biagi an einer Novellierung des Arbeiter-Kündigungschutzes mitarbeitete, die Red.) durch das Ausschalten des Repräsentanten eines immerhin noch lebendigen Teils der italienischen Gesellschaft." Und Giampaolo Pansa beschreibt in seinem Beitrag zum Thema das politische Klima Italiens als in einer Weise vergiftet, die Fronten als derart verhärtet, dass die Ermordung eines Mittelsmanns wie Biagi, eines "Reformisten ohne Parteiausweis", schon beinahe folgerichtig erscheint.

Weitere Artikel: Bruno Manfellotto empfiehlt das Radler-Eldorado Padania (man muss dort nur gut auf den Drahtesel aufpassen), und Eleonora Attolico präsentiert die von geflügelten Wesen (Elfen und Insekten) inspirierten Herbst- und Winter-Kollektionen von Issey Miyake und Romeo Gigli.
Archiv: Espresso

Economist (UK), 23.03.2002

Es gibt viele Gründe (religiöse, historische, die Tradition betreffende), warum die arabische Welt sich schwer tut mit der Demokratie. Alles keine Entschuldigung dafür, es nicht zu versuchen, meint der Economist in seiner Cover Story. Weder seien die Araber besonders gut gefahren ohne sie noch dürfe man Beispiele wie die Türkei oder den Iran übersehen, wo man dabei sei, "die Muskeln des Pluralismus" zu trainieren. Der Westen indessen "must not impose its values, but needs to say out loud that its own achievements of religious tolerance and liberal democracy are not just luxuries to be consumed at home. They are universal ideals that can, and should, be welcomed by Arabs too."

Sie tragen Fundsachen grundsätzlich ins Fundbüro, arbeiten gern ehrenamtlich und geben Trinkgeld, auch wenn sie den Kellner nie wieder sehen? Dann sind sie ein "starker Reziprokator". Was das nun wieder ist? Schweizer Wissenschaftler haben es herausgefunden: "A person is a strong reciprocator if he is willing to sacrifice resources to be kind to those who are being kind, and to punish those who are being unkind. Significantly, strong reciprocators will behave this way even if doing so provides no prospect of material rewards in the future." Erklären würde diese Idee "both previously inexplicable altruistic acts and the existence of spite", schreibt der Economist und hat auch einen Vorschlag zur gesellschaftlichen Nutzbarmachung: "If policymakers want to achieve certain public goods, such as the sharing of common resources, it might be useful to provide opportunities for the public-spirited to punish the free-riders in society ... Extending these sorts of penalties to society at large could pit the better side of human nature against its other half, and make things better for everyone." Wer's glaubt.

Ferner zu lesen: Über besorgte Mienen in Hollywood: die Filmpiraterie im Internet nimmt Napster-Dimensionen an. Ein penibel recherchierter Special Report zeigt, welchen wirtschaftlichen Schaden die Demokratisierung des Glamours in der Luxusgüterindustrie anrichtet. Und Books and Arts gibt einen Überblick über laufende Video-Kunst-Ausstellungen in New York, Berlin, Turin.
Archiv: Economist

Express (Frankreich), 21.03.2002

Frankreich ist im Wahlkampffieber. Anlässlich der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen muss der Express feststellen: Die Politik ist ein einziges Spektakel und ein undurchschaubares Spiel mit der Macht. "Sind die Wahlen eigentlich nicht eine große Lachnummer? Würde man über die Kanditaten nicht lieber lachen als weinen?", fragt sich Laurence Liban. Zumindest findet dies Christophe Barbier, Regisseur der Amateurtheatergruppe "L'Archicube" und Redaktionsleiter beim Express. Schon im vergangenen Oktober schrieb er deshalb eine Komödie mit dem Titel "La guerre de l?Elysee n'aura pas lieu", die man derzeit in Paris im Theatre Trevise sehen kann. Einen Wahlkampfzirkus veranstaltet auch der Radiosender France Culture mit der Sendung "Polit'Circus" von Jean-Pierre Pelaez. Zum Lesen empfiehlt der Express "100 Ans pour rire" von Hugues Leforestier und die Kolumne "Les Coriaces" von Michel-Antoine Burnier (jeden Dienstag in "La Liberation"). "Wir leben in einer Gesellschaft, die Voraussagen liebt und Unsicherheiten fürchtet. Das Theater und die Hochrechnungen zu den Wahlen spielen darin ihre jeweilige Rolle", sagt Jean-Marc Lech, der Direktor von Ipsos im Gespräch mit dem Express.

Francois Busnel stellt in der Bücherschau die italienischen Bücher vor, die die Franzosen am liebsten lesen. Italien ist der Länderschwerpunkt auf dem "Salon du Livre" in Paris. Buchrezensionen zu den einzelnen Werken von Alessandro Barrico, Andrea Camilleri, Carlo Lucarelli, Antonio Tabucchi und anderen Autoren finden Sie hier. François Busnel bespricht auch den neuen Roman von Nicole Avril "Moi, Dora Maar", die dafür in die Rolle von Picassos Muse geschlüpft ist. Eric Conan stellt eine neue historische Studie zu Konzentrationslagern in Frankreich vor. Das Buch "La France des camps, L?Internement, 1938-1946" von Denis Peschanski basiert auf bisher unveröffentlichtem Archivmaterial.

Außerdem: Wenn Sie schon immer einmal wissen wollten, was Victor Hugo und der Ozean gemeinsam haben, dann besuchen Sie doch die aktuelle Ausstellung der Bibliotheque Nationale de France in Paris.
Archiv: Express