Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
06.05.2002. Im NZZ-Folio denken Autoren wie David Landes und Joseph Stieglitz über "Arm und Reich" nach. In der NY Review of Books verzweifelt Amos Elon über den Nahen Osten. In Outlook India kritisiert Amitav Ghosh scharf die indische Regierung, weil sie den gewalttätigen Mob gegen die Muslime unterstütze. L'Express widmet sich dem Alptraum Le Pen. In der NYT Book Review bespricht Colin McGinn zustimmend das neue Buch von Francis Fukuyama. Der Economist denkt über gefallene Helden der Wirtschaft nach. Der Spiegel berichtet über die Finanzkrise bei FAZ und SZ.

New York Review of Books (USA), 23.05.2002

Der letzte Satz dieses großartigen Artikels sagt alles: "Angesichts der erstarrten Positionen praktisch aller Akteure gibt es wohl nur eine einzige Perspektive - weiteres Blutvergießen." Eine verzweifelte Bestandsaufnahme der Lage im Nahen Osten liefert der israelische Publizist Amos Elon. Unter anderem dämpft er die Hoffnung, dass die Israelis die Siedlungen in den besetzten Gebieten räumen könnten: "Mehr als 400.000 Israelis (200.000 davon in Ost-Jerusalem), fast zehn Prozent der Jüdischen Bevölkerung von Israel, leben heute jenseits der Demarkationslinie. Aus Gründen der Wahltaktik ist es in einem Land der knappen Mehrheiten extrem riskant, wenn nicht unmöglich, größere Teile davon zurückzuziehen. Nach den großzügigsten israelischen Angeboten im letzten Jahr wären immer noch 250.000 Siedler in Ost-Jerusalem und abgelegeneren Gebieten verblieben - eine potenziell irredentistische Bevölkerungsgruppe. Der Wahnsinn der israelischen Regierungen - sowohl des Labor- als auch des Likud-Blocks -, die die Besiedelungen vorantrieben, lag niemals so offen zu Tage wie heute... Die Siedlungen sollten ... dem Land mehr Sicherheit geben. In Wirklichkeit binden sie der Regierung die Hände bei allen Friedensverhandlungen. Die Siedlungen haben das Land nur unsicherer gemacht."

Auch sonst ist die New York Review mal wieder an Höhepunkten reich: Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger des letzten Jahres, bespricht George Soros' Buch "On Globalization" und fragt nach Möglichkeiten einer gerechteren Weltwirtschaft. Garry Wills denkt über Pädophilie in der Kirche nach - erster Satz seines Artikels: "A man without a wife to puncture his pomposity, without children to challenge his authority, in relations carefully structured to make him continuously eminent, easily becomes convinced of his superior wisdom." Margaret Atwood schreibt einen langen Essay über den neuen Krimi von Elmore Leonard, "Tishomingo Blues". Alan Lightman porträtiert anlässlich seiner Memoiren den Atomphysiker Edward Teller. Man kann sich vor der Qualität dieser Zeitschrift nur immer wieder verneigen!

Folio (Schweiz), 06.05.2002

Auch im NZZ-Folio wird über die Weltwirtschaft nachgedacht. "Arm und reich" ist der Titel des neuen Hefts. Der Wirtschaftshistoriker David S. Landes, Autor von "Wohlstand und Armut der Nationen", schildert die Globalisierung als einen jahrhundertelangen Prozess, in dem die Europäer es im Gegensatz zu den anfangs überlegenen Chinesen und Moslems schafften, von anderen Völkern zu lernen und durch diesen wissenschaftlichen Fortschritt wirtschaftliche Dominanz zu erlangen. Darum will er die Globalisierungskritik der chinesischen und moslemischen "Globalisierungsopfer" nicht anerkennen. "Beide brachten sie sich selber in Armut, indem sie auf ihrer kulturellen und technischen Überlegenheit über die Barbaren ringsumher insistierten, indem sie es ablehnten, von Völkern zu lernen, die sie als minderwertig betrachteten. Hochmut ist ein Gift und kommt, wie das Sprichwort sagt, vor dem Fall. Was China angeht, kostete die Weigerung, von den europäischen Eindringlingen zu lernen, das Land vierhundert Jahre eines möglichen Fortschritts. Westliche Sinologen versuchen bisweilen, die Chinesen zu trösten, indem sie den Vorsprung des Westens so spät wie möglich datieren und dessen Ausmaß so gering wie möglich veranschlagen. Die Chinesen wissen es besser. Und weil sie es besser wissen, versuchen sie jetzt, etwas in der Sache zu unternehmen."

Joseph E. Stiglitz ist auch in diesem Heft prominent vertreten. In einem Interview über Entwicklungshilfe plädiert er für ein internationales Konkursverfahren für verschuldete Länder: "Ich bin optimistisch. Verschiedene Regierungen, mit denen ich Kontakte pflege, unterstützen den Gedanken. Im 19. Jahrhundert entsandten die Briten und Franzosen noch Truppen in Länder, die ihre Schulden nicht zurückzahlten. Das ist heute nicht mehr so. In der Tat wird man zur Einsicht gelangen müssen, dass man selbst dafür verantwortlich ist, wenn man jemandem Geld ausleiht, der es nicht zurückzahlen kann."

Weiteres: Der Ethnologe Nigel Barley weist nach, dass Bilder von Armut und Reichtum kulturell bedingt seien. Ram Etwareea schildert den wirtschaftlichen Aufstieg seiner Heimat Mauritius. Stefanie Friedhoff stellt Therapien für Neureiche vor, die am " Sudden Wealth Syndrome" leiden. Christiane Henkel schreibt ein Städteporträt über Sao Paolo, eine Stadt mit 2.300 Morden im Jahr. Peter Haffner versucht zu begreifen, "was es heisst, Schweizer und arm zu sein."
Archiv: Folio

Nouvel Observateur (Frankreich), 02.05.2002

Die französischen Präsidentschaftswahlen sind entschieden, die Analysen des ersten Wahlgangs und des darauf folgenden nationalen Schocks bleiben gleichwohl interessant. Der Politologe Etienne Schweisguth diagnostiziert die "paradoxe Situation", dass das "Angebot der Politik niemals zuvor ebenso groß wie unbefriedigend war", Obs-Chef Jacques Juillard konstatiert einen "Bauernaufstand der kleinen Leute", Ex-Gewerkschaftschef Edmond Maire beklagt den "tödlichen Irrtum" der Sozialisten, die "Macht der Zivilgesellschaft" unterschätzt" zu haben, der Historiker Jean-Noel Jeanneney beschreibt, wie "rechtsextreme Wellen" entstehen und wie "die Linke sie eindämmen kann", der Politologe Marc Lazar erklärt, wie in sich verschiedenen europäischen Ländern dieselben Ängste und Probleme politisch völlig unterschiedlich auswirken, und der Psychoanalytiker Michel Schneider interpretiert den ersten Wahlgang als "Muttermord".

In einem kleinen Schwerpunkt erfahren wir Näheres über eine Reihe "pamphletartiger" Publikationen, die sich gegen "die Bastionen der intellektuellen Macht" richten. So beklagen etwa die Schriftsteller Alina Reyes und Stephane Zagdanski in ihrem Buch "La Verite nue" das gestörte Körperverhältnis der aktuellen "Pornoliteratur" von Millet, Houellebecq und Co: "Viele Leute glauben heute, dass ihre Leiden, ihr Infantilismus und ihre Hysterie dazu ausreichen, ein Buch zu schreiben." Der Literaturprofessor Pierre Jourde schlägt in die gleiche Kerbe und geißelt die "litterature sans estomac" - mit teilweise beleidigenden Ausfällen. Die Autorin Marie Darrieussecq etwa bezeichnet er als ein "kleines vertrocknetes Stück Scheiße". Die Journalistin Elisabeth Levy schließlich wettert in ihrem Buch "Maitres censeurs" über intellektuelle Debatten der vergangenen zehn Jahre gegen die "weiche Zensur" der "linken Moral", die "das Denken uniformiert" habe: in antitotalitären Haltungen und einer Verrechtlichung des Gedankenaustauschs".

Schließlich lesen wir noch einen Bericht über das möglicherweise bevorstehende Ende das Laizismus in Frankreich. Erziehungsminister Jacques Lang und der Philosoph Regis Debray haben eine gemeinsame Forderung nach schulischem Religionsunterricht vorgelegt. Gerade in einem Immigrationsland seien "die Kulturen ohne Kenntnis der ihnen zu Grunde liegenden Religion" nicht zu verstehen. Der Bericht dokumentiert außerdem Ergebnisse einer Umfrage unter 6- bis 10-Jährigen zu ihrem religiösen Grundwissen.

Express (Frankreich), 02.05.2002

Der "Alptraum Le Pen" lässt die Franzosen nicht los. Der Express bringt mehrere Hintergrundberichte anlässlich der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen. Jerome Dupuis und Romain Rosso haben recherchiert, welche Hintermänner Le Pen den Rücken stärken: "In der kleinen Firma 'Le Pen' findet man Anhänger der ersten Stunde, traditionsbewusste Katholiken, Nostalgiker, die Vichy oder einem französischen Algerien nachhängen, aber zunehmend auch Dreißigjährige und pragmatische Jungunternehmer."

Romain Rosso geht anhand der Studie "Les Cent Premiers de Le Pen a l'Elysee" von Jean-Claude Martinez der Frage nach, wie es in Frankreich aussehen würde, wenn Le Pen Präsident wäre. Über dem gesamten sozialen und politischen Leben würde das ungeschriebene Gesetz stehen: "Die Zugehörigkeit zu einer Nation bekommt man vererbt oder man verdient sie." Gilles Gaetner zeichnet die politische Laufbahn Le Pens nach und versammelt alle politischen Skandale, darunter die sogenannte "affaire du detail": "Ich habe nicht behauptet, dass die Gaskammern nicht existiert hätten", sagte Le Pen, "aber ich glaube, dass dies ein Detail der Geschichte des zweiten Weltkriegs ist." In einer Reportage schildert Romain Rosso die politische Stimmung in Frankreich.

Francois Busnel hat mit Paul Auster über New York, den 11. September und das Schreiben gesprochen. Von dem Verlangen seines Romanhelden David Zimmer, seine Manuskripte nach seinem Tod verbrennen zu lassen, distanziert sich Paul Auster entschieden: "Was mich angeht, bin ich erst mal froh, dass meine Bücher schon veröffentlicht sind. Die Zeit wird entscheiden: Wenn 50 Jahre nach meinem Tod meine Bücher nicht mehr gelesen werden, dann werden sie wie von selbst verschwinden, ohne dass es nötig gewesen wäre, sie zu verbrennen." Solche kafkaesken Gedanken überlässt Auster lieber der Fiktion.

Außerdem: Francois Busnel porträtiert den Autor Gerard Oberle. Er ähnelt seinem Helden, der in seiner freien Zeit am liebsten in barocken Gedichten schmökert, findet Busnel. Michel Grisolia empfiehlt einen Interviewband mit dem Schauspieler Jean-Louis Trintignant, erschienen unter dem meditativen Titel "La Passion tranquille". Dominique Lagarde bespricht die Reflexionen des Historikers und Islamwissenschaftlers Muhammad Talbi über den Islam. Daniel Rondeau lobt noch einmal die Studie "Cioran, Eliade, Ionesco, L?oubli du fascisme". Die ersten Seiten lesen Sie hier. Und für alle, die zu den sogenannten Fußballintellektuellen gehören oder gehören möchten: Der CNRS legt - kurz vor der Fußballweltmeisterschaft - neue wissenschaftliche Untersuchungen zur Frage vor, warum der Ball immer wieder begeistert ins Tor geschossen wird.
Archiv: Express

Outlook India (Indien), 06.05.2002

(Coverdatum 13.5.02) Mit außergewöhnlicher Schärfe kritisiert der Schriftsteller Amitav Ghosh in einem Essay die Haltung der indischen Regierung angesichts der jüngsten Pogrome gegen die muslimische Minderheit: "The recent carnage in Gujarat is not just a fresh chapter in the subcontinent's annals of horror: it may well prove to be the prologue to horrors yet-undreamt-of. In the aftermath of the slaughter, it has become clear that the machinery of state and possibly even the financial apparatus of the commercial world were bent to the task of instigating and supporting mob violence. In other words, two of the most important forces of order in society were turned to exactly the opposite purpose: undermining peace and promoting violence ... one of the least remarked but most important foundations of government lies in the ethical authority that is vested in it ... it was in this sense that Hegel called the modern state a 'conscious ethical institution'. This unacknowledged duty is in fact one of the invisible pillars of legitimate government: it was precisely on ethical grounds that Mahatma Gandhi challenged, and eventually toppled, the British Raj. In publicly endorsing the actions of a mob, the present government has undermined the Indian state's ethical claims to legitimacy."

Der Journalist M. J. Akbar hat ein "eher seltsames" Buch über den Heiligen Krieg und den Konflikt zwischen Islam und Christentum geschrieben, wie P. B. Mehta in einer Rezension dieser Ausgabe erklärt: "Although it engagingly recounts the potent and recurring power associated with jehad at various times in Muslim history, it does not expand the theme. The preface promises to 'explain the origins and nature of the battle and the battlefield' in the aftermath of 9/11. The book does neither, unless one's convinced that just recounting the hold jehad has over the Muslim imagination explains ten centuries of geopolitics."

Vorgestellt wird auch eine zweibändige Anthologie mit "kenntnisreich und elegant" ins Englische übersetzten Telugu-Dichtungen (die Rezensentin empfiehlt sie insbesondre den "Rushdies und Naipauls unserer Zeit"), und in der Rubrik Kino geht S. Anand den rätselhaften Suizidfällen unter den Starlets der tamilischen Filmindustrie Kollywood nach.
Archiv: Outlook India

New York Times (USA), 05.05.2002

"A timely, thoughtful and well-argued contribution to an important subject" nennt der Philosoph Colin McGinn in einer Besprechung von Francis Fukuyamas Buch "Our Posthuman Future" (Auszug), das die von den neuen Biotechnologien ausgehende Gefährdung des Menschen analysiert. Von einigen Einwänden gegen Fukuyamas Konzeption einer universellen "menschlichen Natur" abgesehen ("brauchen wir so etwas, um die kommenden Technologien zu bewerten?"), scheint McGinn d'accord. Nicht zuletzt mit Fukuyamas aristotelischem Verständnis vom menschlichen Wohlergehen als oberstem Ziel der Politik: "There is no alternative to figuring out what allows human beings to prosper in deciding what policies to pursue. Freedom unconstrained by a substantive conception of that which makes life worthwhile is a recipe for meaninglessness. And this is where we need our philosophers. As Fukuyama rightly insists, the standard mix of utilitarianism and scientific materialism is not an adequate basis for evaluating the new technologies."

Der Naipaul- und Rushdie-Kenner Michael Gorra bespricht eine Kipling-Biografie David Gilmours (Auszug "The Long Recessional"), die ihm ganz im Kipling-Trend zu liegen scheint, mit dem wichtigen Unterschied allerdings, dass Gilmour sich nicht auf den Künstler, sondern auf den politischen Kipling, Kipling "als Apostel des Empires", konzentriert und dadurch einiges auslässt. "Yet in emphasizing Kipling's 'public role', Gilmour risks forgetting that he had a private one as well, and that the border between them was never quite distinct ... Other things have been left out, too; I missed, for example, any substantive account of Kipling's finances or of the rhythms and routines of his daily life. Nor does Gilmour offer any but the most scattered reference to the picaresque wonders of 'Kim', that infectious and irreplaceable book to which all later descriptions of India in English remain indebted."

Ferner in der Review: Joseph Roths "Gesammelte Erzählungen", von denen der Rezensent ganze zwei für meisterhaft hält, dann ein Buch, das die Geschichte des Panzers aufrollt, ein anderes, das die Essgewohnheiten italienischer, jüdischer und irischer Immigranten in Amerika auf ihre kulturelle Bedeutung abklopft, neue und ausgewählte Gedichte des polnischen Dichters Adam Zagajewski (Leseprobe "Without End"), und Judith Shulevitz führt ein in die Welt der "blogs" - "the diminutive of 'Weblog', an online news commentary written, usually, by an ordinary citizen, thick with links to articles and other blogs and studded with non sequiturs and ripostes in sometimes hard-to-parse squabbles."
Archiv: New York Times

Economist (UK), 04.05.2002

Die Cover Story befasst sich mit den gefallenen Helden der Wirtschaft. Schneller als Marx und Engels nach dem Fall der Mauer holte man sie heutzutage vom Sockel, heißt es in dem Artikel: Bernie Ebbers von WorldCom, Diana Brooks von Sotheby's, "even Jack Welch, the former boss of General Electric who was perhaps the best-known celebrity chief executive of all, has seen his reputation dive". Möglich, dass derartiger Misskredit auch mit dem Abschmieren der Aktienkurse zusammenhängt und mit der persönlichen Raffgier der Firmenbosse. Einen anderen Grund dafür aber kannte schon Büchner: "It is also a reaction against the worship heaped on them in the 1990s. Revolutions devour their children, and the impact of new technology and the bull market on business was little short of a revolution. Now for the devouring." Weiser Ratschlag der Economisten: "By all means tear the statues down, but don't destroy them. The faces can be rechiselled next time round."

Ein Wissenschaftsbeitrag lehrt, dass Widerstand erlernbar ist: "For example, people often do not resist advertising, because they have the illusion of invulnerability to its effects. They believe that advertising is something that only affects everybody else. But ... if you demonstrate to somebody that this is not true by showing them that they have been fooled, this causes a powerful increase in resistance." Für Politiker und Werbeleute sicher gut zu wissen.

Weiterhin lesen wir einen Nachruf auf Ruth Handler, die vor 43 Jahren die Barbie-Puppe erfand. Wir erfahren, warum die schöne Provence den hässlichen Le Pen wählt. Und "Books and Arts" empfiehlt ein Buch der US-Journalistin Sandra Mackey, das erwägt, wie ein Irak ohne Saddam aussehen könnte.
Archiv: Economist

Spiegel (Deutschland), 06.05.2002

Im Titeldossier nehmen Psychologen die schwarze Seele des Robert S. auseinander, während ein anderer Beitrag aufdeckt, wie Schily und Beckstein (die jetzt nach strafferen Gesetzen rufen) sich in Sachen Waffenrecht von der Schützenlobby über den Tisch ziehen liessen.

Gleich auf zwei Netzseiten verhandelt wird die Finanzkrise bei den überregionalen Zeitungen. Einbußen im Anzeigengeschäft bis zu 40 % (bei der FAZ) und teure Prestigeprojekte (FAZ am Sonntag, NRW-Ausgabe der SZ) zwingen die Blätter zu Stellenabbau und Fusionsplänen. Für den Spiegel ein Alarmsignal auch in publizistischer Hinsicht: "Weniger Redakteure und weniger Seiten - das bedeutet auch weniger Recherche, weniger Information, weniger Hintergrund. Es geht um Meinungsvielfalt in Deutschland, um ein tägliches Forum für Politik, Wirtschaft und Kultur, von dem niemand sagen kann, wie es künftig aussehen wird." Da könnte der Spiegel doch gegensteuern, indem er seinen Kulturteil ausbaut!

Klaus Wiegrefe schließlich stellt das Buch "Generation des Unbedingten" vor, in dem der Hamburger Historiker Michael Wildt eine hanebüchene Verbindung zwischen der jüdischen Philosophin Hannah Arendt und dem Germanisten und ehemaligen SS-Obersturmbannführer Hans Rößner aufdeckt. Rößner wurde nach dem Krieg Verlagsleiter bei Piper und betreute u.a. ausgerechnet Arendts Schrift über den Eichmann-Prozess. O-Ton Rößner: "Was Sie über Menschlichkeit und Wahrheit sagen, gehört für mich zum Erhellendsten, was darüber seit langer Zeit gesagt worden ist." Obgleich Rößner nach Arendts Tod versucht habe, eine Neuauflage des Eichmann-Buches zu verhindern, so Wiegrefe im Spiegel, warne Wildt davor, Rößner für einen zeitlebens verkappten Alt-Nazi zu halten. "Wildt sieht in dem Fall vielmehr ein Beispiel für die 'Kälte, mit der Täter in Nachkriegsdeutschland den Opfern gegenübertraten' - selbst wenn sie diese bewunderten."

Weiter gibt's im Kulturteil zwei Artikel über Gewaltverherrlichung in Film, Video und Popmusik (nur im Print).
Archiv: Spiegel

New Yorker (USA), 06.05.2002

Der New Yorker bastelt noch an seiner Online-Ausgabe, deshalb derzeit leider nur als Schwarzfläche aufrufbar: Joe Kleins Politiker-Porträt eines "Fantasten aus dem Süden", der in den Senat will, und die Erzählung "The Fruit Cage" von Julian Barnes.

Besprechungen: Gelobt wird eine neue Biografie über die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim. Enttäuscht haben dagegen die Filme "Spider-Man", unter anderem mit Willem Dafoe, und "The Lady and the Duke" von Eric Rohmer. Rohmer, der stets so "effektfrei wie möglich" gefilmt habe, greife diesmal für seine Geschichte, die während der Französischen Revolution spielt, tief in die Trickkiste: "Now, at the sprightly age of eighty-two, he has decided to junk the habit of photographing the real Paris in favor of a computerized rejig". Besprochen werden außerdem das Musical "Into the Woods" und "The Man Who Had All the Luck" von Arthur Miller sowie ein Monteverdi-Festival in Brooklyn.

Nur in der Printausgabe: ein Bericht vom "Warten auf den Krieg" in Kolumbien, ein Porträt Larry Cramers, der sich um die Zurkenntnisnahme von AIDS verdient gemacht hat, ein Text zur Streitfrage, wie Hamlet zu lesen sei, sowie Lyrik von Donald Justice und Katha Pollitt.
Archiv: New Yorker

L'Indice (Italien), 01.05.2002

Der Turiner Bücherindex L'Indice dei Libri, der von der Aufsatzsammlung zur Bioethik bis zum Filmalmanach so ziemlich alles unter die Lupe nimmt und in dem wir zur Abwechslung geblättert haben, stellt drei Besprechungen aus seiner Maiausgabe ins Netz:

Piergiorgio Odifreddi schreibt über David E. Stannards im englischen Original bereits 1993 erschienenes Buch "Olocausto americano. La conquista del Nuovo Mondo". Eine "erschütternde Totenmesse in Erinnerung an die Opfer des größten Genozids der Menschengeschichte" nennt er das Buch, das in drei Abschnitten Fakten zusammenträgt, nach Erklärungen sucht und in einem "imaginären Prozess", der, so erklärt Odifreddi, "würde er je geführt, Nürnberg und Den Haag zu Nebenschauplätzen der Geschichte degradierte", schließlich Anklage erhebt gegen Spanier, Portugiesen, Briten und Amerikaner als die Eroberer der Neuen Welt. "Die Anklage betrifft vier Jahrhunderte (1494-1891) ununterbrochenen Mordens, zwischen dem Einfallen der Spanier in Santo Domingo und dem der Amerikaner in Wounded Knee. Die Zahl der Toten schätzt man auf 65 bis 100 Millionen: Ein Viertel der Weltbevölkerung jener Zeit."

Giuseppe Antonelli möchte Alessandro Bariccos soeben erschienenes Globalisierungsbuch "Next" am liebsten umbenennen in "Wie erkläre ich die Globalisierung meinem Filius". Mit Anklängen an Platon und Voltaires Candide, so spielerisch und mit Analogien hantierend, vermutet Antonelli etwas hämisch, sei "Next" am Ende gar kein Buch über die Globalisierung, "sondern über Züge, Reisen, den Westen und ein Spiel, das an Fussball denken lässt". Anstatt wirklicher Erklärungen finde man doch bloß Reflexionen, Überlegungen, Spekulationen, Meinungen.

Und Francesco De Angelis lobt den Hölderlin-Exegeten Luigi Reitani für die Betreuung einer zweisprachigen Gesamtausgabe von Hölderlins Dichtungen ("Tutte le liriche") - für die Eleganz der grafischen Umsetzung der verschiedenen Textvarianten bzw. Arbeitsphasen sowie für die Ausführlichkeit des Kommentars und eine "klare Übersetzung".
Archiv: L'Indice