Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
11.11.2002. Der New Yorker hat u.a. mit Orhan Pamuk und Cengiz Candar über eine islamische Demokratie in der Türkei gesprochen. Das TLS ärgert sich über eine neue Byron-Biografie: immer diese unbewiesenen Sodomievorwürfe! Der Economist erklärt, warum die Saudis keinen Krieg den Irak wünschen: er könnte am Ende demokratisch werden. Der Nouvel Obs stellt die Korrespondenz Henri Bergsons vor. Outlook India berichtet, dass die niedrigen Kasten Indiens scharenweise zum Buddhismus konvertieren - das soll jetzt verboten werden. L'Espresso erzählt die Geschichte eines amerikanischen Soldaten, der nach einem Kidnapping vierzig Jahre in Nordkorea leben musste.

New Yorker (USA), 18.11.2002

David Remnick berichtet in einer ausführlichen Reportage aus der Türkei und fragt sich, ob das Land künftig ein Modell für eine "islamische Demokratie" werden kann. Die allgemeinen Einschätzungen im Lande tendieren zu einer Art wachsamer Gelassenheit. So zitiert Remnick u.a. den Schriftsteller Orhan Pamuk (mehr hier): "There is a whole range of people in Turkey who play around with Islam, beginning with some who are like the Christian Democrats in various European countries. And there are fundamentalists who will make no concession to the West: God is in power and democracy is merely a tool to seize power for Him. (...) I don't think the fundamentalists can take power by themselves, but I fear they will use the umbrella of the so-called 'modern' Islamists." Auch der Liberale und Journalist Cengiz Candar befürchtet keinen wirklich starken politischen Einfluss der Islamisten: "Turkey is developing a synthesis of democracy and Islam. The Justice and Development Party (jene islamische AKP, die am 3. November die Wahlen gewann. Anm.d.Red.) sees itself as a conservative party and the core leadership tends to the political center, not Sharia. The real fear is that the Islamists will create enough tension so that the military will again not let them rule the country. We are exhausted by this pattern in Turkey. Also, the Islamists might not be competent enough to run the country according to the International Monetary Fund's straitjacket."

Besprochen werden eine neue Studie über das zwischen 1660 und 1690 in einer Geheimschrift verfasste Tagebuch des englischen Verwaltungsbeamten Samuel Pepys (mehr hier); die Anthologie "Katharine Graham's Washington" mit Texten der ehemaligen Herausgeberin der Washington Post (der "enthusiastische Untertitel": "A huge, rich gathering of articles, memoirs, humor, and history, chosen by Mrs. Graham, that brings to life her beloved city"); außerdem gibt es Kurzbesprechungen, unter anderem der Dokumentation der ehemaligen Pekinger Radiojournalistin Xinran über ihr für chinesische Verhältnisse "radikales" Nachtprogramm, in dem es nur um persönliche Geschichten und Probleme ging ("one woman wondered 'why her heart beat faster when she accidentally bumped into a man on the bus'").

Vorgestellt werden die Ausstellung über Manet und Velazquez im Pariser Musee d'Orsay, die Theaterstücke "Hollywood Arms" und "Book of Days" und zwei Schauen im Museum of the Fashion Institute of Technology: "Femme Fatale: Fashion and Visual Culture in Fin-de-Siecle Paris" sowie eine Retrospektive des amerikanischen Modeschöpfers Arnold Scaasi (mehr hier). Außerdem Filme: "Far from Heaven" von Todd Haynes mit Julianne Moore und Dennis Quaid sowie "Ararat" von Atom Egoyan.

Nur in der Printausgabe: Überlegungen zur "Schlachtordnung" im zukünftigen Krieg im Irak, die Geschichte einer Rettung aus einer überfluteten Mine, nicht näher bestimmbare Betrachtungen zum Chrysler Building und Lyrik von Richard Wilbur und Michael Ryan.
Archiv: New Yorker

Times Literary Supplement (UK), 09.11.2002

Anne Fleming ist enttäuscht. Gerade von der Schriftstellerin Fiona MacCarthy hatte sie sich eine Byron-Biografie erhofft, die von den um Lord Byron (mehr hier) wuchernden Legenden Abstand nimmt und sich nur auf verlässliche Quellen stützt. Doch obwohl sie ein großes literarisches Einfühlungsvermögen beweist und alle biografischen Szenen äußerst lebhaft und ansprechend sind, finden sich auch bei MacCarthy Vorwürfe der Grausamkeit, der Sodomie und sonstiger liederlicher Ausschweifen. Man habe argumentiert, dass solche Legenden das Interesse am Dichter wachhalten würden und somit einem guten Zweck dienten. Dies, so Fleming, habe Byron nicht im Geringsten nötig. Was er nötiger habe, sei Quellentreue der Biografen und keine "allumfassenden psychologische Erklärungen" von Seiten der Rezensenten: "Lassen Sie uns die Reaktionen auf Mrs. Stowe im 19. Jahrhundert mit den Reaktionen im 20. Jahrhundert auf ähnlich skandalöse Anschuldigungen vergleichen: die viktorianischen Kommentatoren gewinnen mit links. Sie glaubten es nicht. Und dass sie es nicht glaubten, lag daran, dass sie das taten, was heutige Rezensenten nicht tun. Sie suchten nach Beweisen."

Weiteres: Auch wenn Austin Woolrychs Geschichtswerk "Britain In Revolution 1625-1660" unweigerlich zum Standardwerk über diese umstrittene Epoche werden wird, findet Mark Kishlansky, dass Woolrych ein "moralischer Kompass" fehlt. Nur in Auszügen: Für Stefan Collini zeigen die ausgewählten Werke des Literaturkritikers und Schriftstellers Cyril Connolly, was ihn bemerkenswert macht, nämlich "über das Schreiben zu schreiben". Schließlich berichtet John Barrell, wie sehr sich die Londoner Tate Gallery und die Kunstkritiker abmühen, die Gainsborough-Ausstellung als "modern" zu verkaufen, und erklärt, warum es ihnen gelingen müsste.

Economist (UK), 08.11.2002

Die Coverstory dieses Heftes über den "sensationellen Erfolg" der Republikaner bei den Kongress-Wahlen, ist leider nur im Druck zu lesen. Freigegeben ist dagegen der Special Report , der George Bushs Chancen analysiert, nach seinem Wahlerfolg Amerikas politischen Stillstand aufzuheben.

In einem Artikel zum Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi Arabien wird die Haltung der Saudis analysiert, die mal Hüh und mal Hott sagen zu einer Unterstüzung für einen amerikanischen Krieg gegen den Irak. "Lässt man alle innenpolitischen Gründe beiseite, ist für die Saudis ziemlich klar, dass ein Sturz von Hussein nicht wirklich in ihrem Interesse sein kann. Das Königreich leidet unter einer enorm angewachsenen Arbeitslosigkeit und sinkenden Lebensstandards. Die Ölflut, die sich aus einem 'befreiten' Irak - dem einzigen Land, dessen Reserven denen der Saudis nahe kommen - ergießen würde, könnte sich verheerend auswirken. Außerdem wäre ein pluralistischer, pro-westlicher Irak, sollte es je zu einem solchen kommen, eine Herausforderung nicht nur der saudischen Autokratie, sondern auch eine Gefährdung der bisher dominanten strategischen Position des Königreichs."

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Besprechung zweier Buchtitel zu Saddam Hussein. Es geht um Kenneth Pollacks "The threatening storm, the case for invading Iraq" und Con Coughlins Biografie des irakischen Diktators, "King of Terror". Pollack argumentiert für einen Krieg gegen den Irak unter der Voraussetzung, dass sich die Vereinigten Staaten anschließend um einen Aufbau des Landes kümmern, und das heißt, sehr viel Geld zu investieren; ungefähr 300 000 Besatzungssoldaten, so rechnet Pollack vor, plus Gelder für den Wiederaufbaus eines zerstörten Landes. Ziemlich ausführlich wird das alles vorgerechnet, meint der Economist, "aber wer eine kühle, detaillierte und kenntnisreiche Analyse der Optionen für den Irak sucht - hier ist sie". Und wem dieses Buch zu blutleer daher kommt, greife zum "King of Terror", in dem unter anderem erzählt wird, welche Torturen Saddam Hussein seinem Volk zugemutet hat, - und sich selbst. Letztere Zumutung besteht darin, im Verlauf von drei Jahren vierundzwanzig Liter Blut gespendet zu haben, - um eine Korankopie daraus schreiben zu lassen, die in einem Seitentrakt der Gedenkmoschee namens "Mutter aller Schlachten" ausliegt...

Ein weiterer, weniger blutiger Artikel beschäftigt sich mit der Frage, ob Microsoft seine dominante Position halten kann oder ähnlich auf kleineres Format zurechtgestutzt werden wird wie IBM in den achtziger Jahren. Und in einem Bericht über den Prozess gegen den früheren Butler Lady Dianas finden wir ein kühles Bekenntnis zu einem republikanischen Britannien: "... das Gefühl wächst, dass die Monarchie zu einer schlampig geschriebenen Soap opera herunterkommt. Wenn die Zuschauer müde oder genervt sind, werden sie abschalten. Und das sollten sie auch." Und lesen dürfen wir schließlich noch einen höflichen aber harten Verriss des neuen Buchs von Naomi Klein.

Nur im Druck: ein Artikel über die deutsch-französische Freundschaft und über die Lufthansa ("flies high").
Archiv: Economist

Nouvel Observateur (Frankreich), 07.11.2002

In dieser Woche braucht man für die Lektüre des Nouvel Obs starke Nerven und etwas Zeit, da jeder angeklickte Text erst einmal sekundenlang von einer schrecklichen Anzeige für Gaz de France verdeckt ist. Das soll das Neueste auf dem Internet-Werbemarkt sein, ist aber einfach schlicht unerträglich! Schreiben Sie doch einen Protestbrief!
Der muss ja keineswegs so teuer sein wie der von Sean Penn. 56. 000 Dollar hat es sich der amerikanische Schauspieler kosten lassen, dem amerikanischen Präsidenten seine Meinung zu sagen. Das war der Preis für eine Seite in der Washington Post, in der Penn am 18. Oktober einen offenen Brief an George W. Bush zu dessen Irak-Politik veröffentlichte. Der Nouvel Obs dokumentiert den Brief, in dem Penn - in ausgesucht höflichem Ton und durchaus Verständnis für Bushs" schwierige Aufgabe" äußernd - auch deutlich wird: "Viele Ihrer derzeitigen Handlungen oder Vorschläge scheinen sämtliche grundlegenden Prinzipien des Landes zu verletzten, dessen Präsident Sie sind: die Intoleranz der Debatte (?), die Förderung der Angst durch eine bodenlos Rhetorik, die Manipulation der Medien (...). All das widerspricht dem Geist jenes Patriotismus, den Sie für sich in Anspruch nehmen."

Mit Briefen geht es auch weiter. Vorgestellt wird die Erstveröffentlichung (bei PUF) von über 1800 Briefen aus der Korrespondenz des Philosophen Henri Bergson (mehr hier). Unter den Briefpartnern befinden sich zahlreiche Kollegen, aber auch Marie Curie oder Marcel Proust. Lesen können wir Auszüge eines Briefes von Bergson an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt, in dem es um die Notwendigkeit einer amerikanisch-europäischen Allianz gegen Hitler geht.

Besprochen werden außerdem die Lebenserinnerungen "C'est en hiver que les jours rallongent" (Seuil) des Auschwitz-Überlebenden Joseph Bialot. Ein "Zeitzeugnis", so urteilt der Rezensent, das "an der Seite von Primo Levi und Jorge Semprun" rangiere.

Outlook India (Indien), 18.11.2002

Während das indische Mainstream-Kino, meist Bollywood genannt, sich in einer enormen Krise befindet, feiern Filme wie "Kick it Like Beckham" Erfolge, zunächst in der Diaspora, vor allem in den USA und Großbritannien, inzwischen aber auch in Indien selbst. Es handelt sich um Werke indischer Desis (oder NRIs - Non Resident Indians -, beides bezeichnet im Ausland lebende Inder), die genau das Leben in der Fremde thematisieren. Im jüngsten Erfolg, dessen Titel "American Desi" (hier die Kritik in einem früheren Outlook-Heft) schon alles sagt, läuft das nicht auf Sozialkritik hinaus, sondern auf komödiantische Karikaturen. Ästhetisch bewegen sich die Regisseure und Regisseurinnen oft zwischen Hollywood und Bollywood und auch das wird zum Gegenstand der Geschichten: "Krishna Gopal Reddy, the hero of Piyush Dinker Pandya's campus comedy, 'American Desi', can't understand Hindi and abhors Bollywood films. Yet he falls in love with an Indian-at-heart girl and woos her over some vigorous garba-dandiya dance sessions."

Außerdem: Die Titelgeschichte berichtet von der radikalen Lösung, die viele Mitglieder der im hinduistischen Kastensystem verachteten Gruppe der Dalits suchen. Sie konvertieren nämlich vom Hinduismus in eine andere Religion, insbesondere zum toleranteren Buddhismus. Die Hindu-Nationalisten - die bekanntlich die indische Regierung stellen - erwägen inzwischen ein gesetzliches Verbot solcher Konversionen. Übrigens stellt sich auch heraus, dass es für eine Konversion zum Hinduismus keinerlei vorgesehene Prozeduren gibt. Im südwestindischen Staat Kerala (mehr hier)- der sich selbst nicht nur "God's Own Country" nennt , sondern auch bekannt ist für die vergleichsweise starke Stellung der Frauen - hat ein Gericht einem lesbischen Paar die Genehmigung zum Zusammenleben erteilt. Im Interview äußert sich der soeben 90 Jahre alt gewordene Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith zu seinen Jahren als US-Botschafter in Indien unter Kennedy und zu seiner Freundschaft mit Nehru.
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 14.11.2002

Mager, mager, diese Woche: Keine Bustina, und wenn Marco Lupis nicht eine filmreife Geschichte aus Nordkorea zu erzählen hätte, wäre es zappenduster im Espresso. Dramatisch schildert Lupis die Wiederauferstehung des sechzigjährigen Charles Robert Jenkins, der seit fast vierzig Jahren in Nordkorea lebt - ohne es zu wollen. "Ein Mann aus dem Schattenreich, ein Gespenst, das redet, ein Totgeglaubter, der wrklich spricht und läuft. Fast vierzig Jahre sind vergangen seit jener Nacht des 5. Januars 1965, als er während eines Patrouillengangs auf der amerikanisch kontrollierten Seite der demilitarisierten Zone zwischen den beiden Koreas um halb drei Uhr morgens mysteriöserweise verschwand, nachdem er etwas Verdächtiges untersuchen wollte und seinen Kameraden gehießen hatte, stehen zu bleiben und zu warten. Er verschwand spurlos, verschluckt von der Dunkelheit.? Kim Yong Il hat erstmals die Entführungen amerikanischer und japanischer Soldaten zugegeben. Einige sollen noch am Leben sein, berichtet Lupis. Die USA fordern sofortige Aufklärung über alle verschleppten Soldaten.

Weiteres: Ralph Fiennes spricht über seine beiden jüngsten Filme "Spider" und "Red Dragon" und seine Vorliebe für die dunklen Seiten der Menschheit. Lorenzo Soria freut sich diebisch über den größten Flop in Madonnas Karriere, den sehr teuren und sehr erfolglosen Streifen "Swept Away". Andrea Visconti stellt die Vereinigung der schwulen und lesbischen Polizisten von New York vor: Goal.
Archiv: Espresso
Stichwörter: Nordkorea, Korea

New York Times (USA), 10.11.2002

In regelmäßigen Abständen warnt uns Richard Preston vor den Gefahren durch tödliche Bakterien, Viren und Mikroben. Offensichtlich hat er prominente Leser. Nach der Lektüre seines zweiten Buches soll Präsident Clinton das Budget für die Verteidigung gegen biologische Waffen deutlich erhöht haben. Prestons neues Buch "Demon in the Freezer" (erstes Kapitel hier) widmet sich den Pocken. Die bewährte Mischung aus "Terror, Technologie und Trivialität" will aber diesmal nicht so recht zünden, meint Rezensent Harold Varmus. Etwas unzusammenhängend wirken auf ihn die Essays über das Virus, die Fallgeschichten und Interviews mit Forschern. Nur stellenweise lese man Preston in Bestform, etwa wenn er schildert, "wie eine einzige infizierte Person (wie der zurückkehrende Reisende in Meschede, Westdeutschland, 1970 - heute wäre er wohl ein Bioterrorist) eine Epidemie auslösen kann; und wie schrecklich die Krankheit sein kann (in der hämorrhoiden Variante 'verfärbt sich die Haut bis sie verkohlt aussieht, und kann sich dann in Streifen vom Körper lösen?)."

Der gefeierte Jonathan Franzen präsentiert sich mit seiner Essaysammlung "How to be Alone" ("Anleitung zum Einsamsein") mit Magazinartikeln aus den vergangenen Jahren als nachdenklicher, sensibler und origineller Beobachter der Welt um uns herum, schwärmt A. O. Scott. "Er beginnt mit der jedem guten Schriftsteller vertrauten Hypothese, dass noch die einfachsten, trivialsten Aktivitäten - das Ausdrücken einer Zigarette, das Aufgeben eines Briefes, das Wählen einer Telefonnummer, das Lesen eines Buches - vor Komplexität nur so strotzen, und dann zerlegt er, mit beispielhafter ethischer Ernsthaftigkeit, grimmiger Konsequenz und feinem Witz, diese Komplexitäten in ihre moralischen, psychologischen und historischen Komponenten."

Außerdem: Brooke Allen ist begeistert von Margaret Drabbles elegantem, unaufdringlichem und effektivem Stil in "The Seven Sisters" (erstes Kapitel hier), wo Mauerblümchen Candida mit ihren Freundinnen auf den Spuren von Aeneas von Karthago nach Neapel reist. John Leonard ist noch mitten im Geschwindigkeitsrausch von Dave Eggers' (mehr hier) zweitem Roman "You shall know our Velocity" (erstes Kapitel hier), einem Roman über die atemlose Flucht zweier Freunde von Chicago nach Marrakesch und wieder zurück. Neil Gordon empfiehlt "The Secret", Eva Hoffmans packenden Erstling über eine Frau auf der Suche nach ihrer Identität im Jahr 2025. Und Murray Sayle stellt "A Secret History of the IRA" von Ed Moloney vor.

In der Science-Fiction-Ecke tummeln sich intergalaktische Geheimagenten und 12-jährige Assassinen.
Archiv: New York Times

Spiegel (Deutschland), 11.11.2002

Diese Woche ist beim Spiegel, naturgemäß, einiges anders als gewohnt. Ein großer Teil der Artikel dreht sich um den verstorbenen Herausgeber Rudolf Augstein, dessen Bild auch den Titel ziert. Anders als sonst sind die im Internet freigeschalteten Titelgeschichten - vor allem eine beeindruckende Zahl von Nachrufen - diesmal kostenfrei. Einige der am Samstag noch zugänglichen Texte wurden übrigens am Sonntag wieder aus dem Netz genommen, so Bischof Karl Lehmanns wenig barmherzige Abrechnung mit fast fünf Jahrzehnten Augsteinscher Kirchenkritik.

Zu lesen aber sind: Der als Hausmitteilung deklarierte Nachruf von Chefredakteur Stefan Aust, der ein bisschen aus dem Nähkästchen der Redaktion plaudert und mit einem firmenpolitischen Zukunftssignal schließt: "Nach ihm kann und wird es keinen Herausgeber geben, der diesen Titel verdient. Die Schuhe sind zu groß. Sie sich anzuziehen wäre eine Anmaßung." Wolfram Bickerich gibt einen höchst lesenswerten Einblick in die Managementmethoden Augsteins, unter der Überschrift "Führung durch Nichtführung".

Der Rest sind Erinnerungen und Einschätzungen hochrangiger Prominenz aus Politik und Kultur: von Johannes Rau, Gerhard Schröder, Michail Gorbatschow, Henry Kissinger, Joschka Fischer und Marcel Reich-Ranicki, der neben höchstem Lob für Augsteins Verstand, ein wenig maliziös feststellt: "Das Schreiben gehörte nicht zu den starken Seiten seines außerordentlichen Talents."

Es kommen auch, erstaunlich genug für das männerbündische Spiegel-Milieu, ein paar Frauen zu Wort: Monika Hohlmeier erinnert an die Stigmatisierung der Familie, an die "tiefen Wunden", die die eine oder andere Spiegel-Breitseite hinterließ. Angela Merkel lobt - auf höchst ausgewogene Weise - die von Augstein geförderte Streitkultur in Deutschland. Und Alice Schwarzer schreibt eine Liebeserklärung. Augsteins Grübchen haben es ihr angetan - und zugleich blieb er doch der Vertreter einer verlogenen Männergeneration: "Männer, die ihren Schmerz kaschiert haben hinter einer eisernen Faust oder einem ironischen Lächeln."

Daneben ist der Rest des Heftes im Grunde ohne Belang.
Archiv: Spiegel