Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.12.2002. L'Express veröffentlicht ein Manifest der "neuen Reaktionäre". Die NY Review of Books poträtiert Putin als Hans im Glück. Im Nouvel Obs erklärt Batya Gur, warum die linken Schriftsteller in Israel religiöser sind als die rechten. Im Merkur denkt Hans-Ulrich Treichel über Leserbriefe und das Schreiben nach. Die London Review of Books lobt einen Band über den Fall Berlins. Outlook India sieht Hoffnung für Indiens Frauen. Prospect plädiert für eine neue Hauptstadt im Norden Großbritanniens: Elizabetha.

New York Review of Books (USA), 19.12.2002

Für Christian Caryl zeigen die Ereignisse der Moskauer Geiselnahme, wie es um die russische Demokratie steht. "Wladimir Putin ist ein wirklicher Glückspilz. Er lebt in einem Land mit einer passiven Öffentlichkeit, einer schwachen und entmutigten unabhängigen Presse und einer unterwürfigen politischen Elite. All dies erklärt, warum er und seine Regierung es geschafft haben, ohne ersichtlichem Glaubwürdigkeits- oder Beliebtheitsverlust, der russischen Bevölkerung nicht genau sagen zu müssen, was während der katastrophalen Geiselrettung (...) passiert ist." Dabei handele es sich um eine "spezifisch russische Tradition mystischen Autoritarismus, in dem der höchste Führer als eine Art unfehlbarer Gott auf Erden angesehen wird, während alle irdischen Verfehlungen seinen Untergeordneten anhaften - en Gedanke, den ein Sprichwort, das man in letzter Zeit öfter hört, hübsch ausdrückt: 'Tsar khorosh, boyary plokhi' - 'der Zar ist gut; die Adligen sind schlecht'."

Amos Elon passiert die Geschichte der israelischen Staatsgründung Revue und macht klar, wie schwierig schon die Ausgangslage war: "Andere Nationalismen zielten auf die Befreiung unterdrückter Menschen ab, die die gleiche Sprache sprachen und auf dem selben Boden lebten." Die Zionisten jedoch riefen Menschen nach Israel, "die in Dutzenden von Ländern lebten und Dutzende von verschiedenen Sprachen sprachen." Allein der Vorsicht und der Bedachtheit der ersten politischen Führer Israels sei es zu verdanken, dass es nicht schon früh zu nennenswerten Eskalationen gekommen sei. "Vielleicht ist Israels größte Tragödie die sich über die Jahre verschlechternde Qualität der israelischen Führung", die die Spannungen nunmehr verschärft anstatt sie zu lösen.

Weitere Artikel: Brian Urquhart geht ausführlich auf Kenneth Pollacks Buch "The Threatening Storm" ein, in dem Pollack die These vertritt, dass den USA nur die Wahl bleibt zwischen einem jetzt geführten und wohlmöglich kostspieligen Krieg gegen den Irak und einem erheblich schlimmeren Krieg in nächster Zukunft. Jennifer Homans' hohe Erwartungen an Charles M. Josephs Buch über die kongeniale Zusammenarbeit von Komponist Igor Stravinsky und Ballettmeister George Balanchine sind enttäuscht worden. Der Musikspezialist Joseph verstehe eben nichts vom Tanz. Ian Buruma findet, dass die reisende Max Beckmann-Ausstellung (Centre Pompidou, Tate Britain und MoMA) dem Maler alle Ehre macht. Gut, meint Anne Barton, dass Byron die nach seinem Tode einsetzende Flut mehr oder weniger mythisierender Darstellungen um seine Person nicht mehr erleben musste. Dazu zählt Barton auch David Cranes Byron-Buch, in dem man vergeblich versuche, Biografie von Fiktion zu unterscheiden. Fiona McCarthys Biografie allerdings könne es mit Leslie Marchands großer Byron-Biografie aufnehmen (ein wunderbares Dossier mit Artikel zu Byron - u.a. von Harriet Beecher Stowe - findet sich bei Atlantic Monthly).

Express (Frankreich), 28.11.2002

Der Express steigt ein in die Debatte um die neuen Reaktionäre, die Daniel Lindenberg mit seinem Buch "Le rappel a l'ordre" losgetreten hat (mehr hier). Eric Conan erklärt, dass hier eine "alte Tradition aufgegriffen wird: die Liste der Schlecht-Denkenden". Der Express wolle, so Conan weiter, "den Angeklagten das Wort geben, nicht um einer Vorgehensweise zu antworten, die übrigens keine Diskussion sucht, sondern um gegen die Einschüchterung durch die Zensoren zu protestieren und die Freiheit des Denkens, für alle, zu verteidigen."

In einem kollektiven Manifest erklären die angeklagten Intellektuellen (Alain Finkielkraut, Marcel Gauchet, Pierre Manent, Philippe Muray, Pierre-Andre Taguieff, Shmuel Trigano und Paul Yonnet), über diese Indexierung als "neue Reaktionäre" gleichermaßen empört, überrascht und geehrt zu sein. Empört über die von Lindenberg benutzten "Mittel, die "an die schönsten Tage des Stalinismus erinnern". Überrascht, sich "auf diese Art unter derselben Anklage wiederzufinden. Wir dachten, wir seien verschieden, in unseren Ansätzen, unseren Schlussfolgerungen, da unter uns Diskussionen, Widersprüche, Polemiken und Widerstände keineswegs Mangelware sind." Das Einzige, was sie wohl gemeinsam haben, sei die kritische und - im Gegensatz zu Lindenberg - demokratische Auseinandersetzung mit der Realität. Es sei also der Konformismus, der hier den Antikonformismus anklage, und mit dem Begriff des "reactionnaire" versuche "die Sorge und das freie Denken als faschistisch hinzustellen". Daher "sind wir stolz darauf, zur Zielscheibe zu werden."

In einem Interview wundert sich der in Tschechien geborene Regisseur Milos Forman, dass es so viele Leute gibt, die sich in einem totalitären Regime wohlfühlen. Das sei für ihn wie "ein Leben im Zoo".
Archiv: Express

Nouvel Observateur (Frankreich), 28.11.2002

Im Debattenteil findet sich in dieser Woche ein kleiner Schwerpunkt zum Israel-Palästina-Konflikt. In einem teilweise sehr zugespitzten Text wundert sich die israelische Krimiautorin Batya Gur (mehr hier) über eine "Handvoll Schriftsteller und Lyriker" - darunter Samuel Yizhar, Amos Oz, Avraham B. Yehoshua und Yehuda Amichai -, die derzeit die einzigen seien, die "dem Feind Recht geben und die Bomben verstehen, die Kinder töten". Damit verbinde sich eine entschiedene Absage an den "politischen Zionismus". Links sei allerdings lediglich die "bewusste Position der hebräischen Literatur", behauptet Gur. "Ihr innerer, unbewusster Zustand ist national, ja sogar religiös." Gerade "Großmeistern der literarischen Linken" wie Samuel Yizhar oder Nathan Zach verdanke man die "interessantesten religiösen Erfahrungen der modernen hebräischen Literatur".

Weiteres zum Thema: Gabriel Baramki, unter anderem Präsident des Palästinenserrates für Gerechtigkeit und Frieden, erinnert daran, dass sich das Leiden und die Angst auf beiden Seiten gleichen. Und der Pariser Soziologe Michel Maffesoli (mehr hier) denkt schließlich allgemein über "den guten Gebrauch des Bösen" nach und stellt fest, dass der lange von unserer jüdisch-christlichen Gesellschaft verdrängte dionysische Exzess sich notwenigerweise irgendwann rächt. Man sollte ihm begegnen und "sich seiner annehmen, sowohl intellektuell als auch praktisch". Schließlich sei das Leben Konflikt.

Im Dossier geht es diesmal um die neue Sinnsuche: "Wie gibt man seinem Leben Sinn? Kann man sich an das Unglück gewöhnen?" Ursula Gauthier umkreist eine ganze Liste mit Büchern zum Thema, Catherine David blättert in einer Philosophiegeschichte des "spirituellen Abenteuers Humanität", außerdem lesen wir ein Interview dem Pariser Philosophen Andre Comte-Sponville über die "Befreiung des Ichs von sich selbst" als Voraussetzung von Weisheit.

Besprochen werden überdies zwei jetzt erschienene Bände mit Vorlesungen, die Roland Barthes (mehr hier) zwischen 1976 und 1978 am College de France gehalten hat: "Comment vivre ensemble" und "le Neutre" (beide Seuil).

New York Times (USA), 01.12.2002

Die New York Times Book Review beschäftigt sich heute intensiv mit Deutschlands Vergangenheit und bespricht zwei Bücher über die schicksalsträchtigen Verhandlungen zwischen und während den beiden Weltkriegen. Margaret McMillans Margaret McMillans Studie über die Friedenskonferenz in "Paris 1919" (erstes Kapitel) tritt an gegen "Peacemaking 1919" von Harold Nicolson und John Maynard Keynes "The Economic Consequences of the Peace". Auch wenn McMillan an deren Stil und "intellektuelle Feuerkraft" nicht heranreicht, löst sie ihre Aufgabe doch recht gut, findet Tony Judt. Besonders die Kapitel über die einzelnen Länder gefallen ihm. In ihrem Element sei McMillan, "wenn sie Persönlichkeiten beschreibt und charakterisiert, nicht nur die führenden wie Woodrow Wilson, David Lloyd George und Georges Clemenceau, sondern auch Randfiguren wie Königin Marie von Rumänien und eine Reihe von eher glücklosen Unterhändlern von Peking bis Budapest."

Michael Beschloss hat seine Untersuchung der Rolle von Roosevelt und Truman bei den Verhandlungen über die Zukunft Deutschlands unterbrochen, um auf die Öffnung einiger Archive zu warten, und diese Besinnungspause hat "The Conquerors" (erstes Kapitel) gutgetan, schreibt Thomas Powers. Besonders Roosevelt, der die Formel der bedingungslosen Kapitulation geprägt hat, erscheine in einem neuen Licht. "Der gewöhnliche Amerikaner sah in Roosevelt einen Fels, ernst und zuversichtlich, aber für die Männer in seiner Umgebung war er ein Rätsel. Niemand kannte seine wahren Pläne, niemand konnte sicher sein, was er anderen erzählte oder wann die Linie des Präsidenten sich ändern würde und Mitarbeiter plötzlich um ihren Rücktritt gebeten würden."

Dick Teresi hätte sich für seine "Lost Dicoveries" (erstes Kapitel), in denen er überzeugend und erschöpfend auf die nicht-westlichen Ursprünge der Wissenschaft hinweist, keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, jubelt Stephen S. Hall. Und spannend sei die Suche nach den arabischen, indischen, chinesischen oder polynesischen Wurzeln unseres Denkens auch noch. Hall empfiehlt es als Pflichtlektüre, für die High School wäre es vielleicht "ein bißchen zu detailliert und überwältigend, geradezu ideal könnte es aber für Seminare über den westlichen Kanon an der Universität sein, oder noch besser, als Grundlage für eine Lektion der Ideengeschichte namens 'Demut 101'."

Außerdem zu lesen in dieser wahrhaft lohnenden Ausgabe: Robert W. Merry ist hoffentlich objektiv, wenn er John F. Stacks "Scotty", ein Porträt der Journalistenlegende James B. Reston (kurze Biografie hier), als klarsichtig und unsentimental feiert. Er nennt Reston die "mächtigste Stimme der mächtigsten Zeitung des Landes" - der New York Times. In den "Selected Poems, 1957-1994" kann man nicht nur die herausragende Poesie des Ted Hughes (alle besprochenen Bücher hier, mehr über Hughes hier) bewundern, sondern bekommt auch neue Einblicke in die künstlerische Entwicklung von Englands großem Poeten, verspricht Peter Davison. Die Krimi-Ecke birgt fünf Kurzbesprechungen neuer Kriminalliteratur, unter anderem Richard Starks "Break Out". Judith Shulevitz schaudert es schließlich im Close Reader vor Dichtern, die ihre Werke nicht vorlesen können, und rät Poeten mit diesbezüglichen Defiziten, doch bitte zu trainieren - für sich und ihre Zuhörer.
Archiv: New York Times

London Review of Books (UK), 28.11.2002

In einer äußerst informativen und interessanten Besprechung lobt Neal Ascherson Antony Beevors Buch über die deutsch-russischen Gefechte um Berlin am Ende des Zweiten Weltkrieges. "The Fall of Berlin" sei einerseits eine eindrucksvolle "Erzählung" und andererseite eine "riesige Collage", die sich auf umfangreiche und "gut ausgewählte" Quellen stütze. Besonders Beevors Beschäftigung mit den von russischen Soldaten verübten Vergewaltigungen habe Aufsehen erregt. Nicht dass diese Informationen neu gewesen wären, "doch das Hinschauen wurde nicht ermutigt". Denn "selbst wenn der Stalinismus abscheulich war, wer hätte den Ruf des einfachen russischen Soldaten beflecken wollen, der Europa vor Hitler gerettet hatte?"

Ross McKibbin ist entsetzt über das Vorhaben der britischen Regierung, in der Sekundarschule das Selektionsprinzip wiedereinzuführen. Dies sei nicht nur "unhistorisch", sondern beruhe auf der konservativen - und somit eigentlich regierungsfremden - Ansicht, das einheitliche Schulsystem sei "gescheitert". Und so ruft er die drei Gründe in Erinnerung, die damals zur Abschaffung des Zwei-Klassen-Systems geführt hatten: "Der erste war, dass Selektion eine riesige Vergeudung des nationalen Potentials darstellt. (...) Der zweite war politisch. Der demokratische Aufbau hängt von der Gemeinsamkeit sozialer Erfahrung ab. (...) Der dritte Grund war praktisch. Ein selektives Schulsystem schafft soziale Sackgassen."

Weitere Artikel: Iqbal Ahmed schildert sein Emigranten-Dasein in London und schließt mit dem entzauberten Satz: "Manchmal fühle ich mich, als hätte ich keinen anderen Wunsch als Kaschmir wiederzusehen und in Frieden zu sterben. Ein Emigrant zu sein bedeutet, ein erbärmliches Leben zu führen." Der Historiker Martin Jay wirft David Simpson vor, die These seines Buch "Situatedness" laufe auf einen Rückzug vor der Verantwortung hinaus. Peter Campbell nimmt die Gainsborough-Ausstellung in der Londoner Tate Britain zum Anlass, den Maler ausführlich zu porträtieren.

Leider nur im Print zu lesen ist unter anderem eine Besprechung mehrerer Bücher zum Thema britische Identität - gerne hätten wir darüber etwas erfahren - und ein Artikel zur Türkei - nach der Wahl.

Merkur (Deutschland), 01.12.2002

Hans-Ulrich Treichel schreibt über das Schreiben und über das Glück, nicht nach dem Sinn, sondern nach dem Stil zu fragen, und die wenigen Begleitumstände, die der literarischen Tätigkeit ihren Reiz nehmen können: Leserbriefe etwa, in denen erst eifrig gelobt wird, um dann besser Vermittlerdienste für das eigene Werk einfordern zu können ("Es darf auch ein Suhrkamp-Buch sein"), oder die berüchtigten Fragen an den Autor "Was haben Sie eigentlich gegen Ostwestfalen?" oder "Warum schreiben Sie". Aber schließlich gibt Treichel doch die Antwort: "Wenn ich mich heute selber fragen würde, warum ich schreibe, dann würde ich sagen, dass ich auch deshalb schreibe, weil ich es nicht ertrage, noch immer aus dem imaginären Fenster meines Zimmers im ostwestfälischen Elternhaus auf die nur mäßig befahren Kreuzung, die Apotheke, den Eisenwarenladen und den neben der Bushaltestelle angebrachten CVJM-Mitteilungskasten zu schauen, dabei von der bodenlosen Traurigkeit eines Zwölfjährigen erfüllt zu sein und diese mit niemandem teilen zu können."

Rainer Paris erklärt in der Kolumne "Soziologie" die melancholische Kaltschnäuzigkeit zur Grundtugend seines Fachs.

Im Print beklagt Karl Heinz Bohrer die deutsche Stillosigkeit: Studenten kommen mit Pizza in den Hörsaal, PDS-Abgeordnete demonstrieren im Bundestag gegen die USA, und der Spiegel macht zum 50-jährigen Thronjubiläum von Queen Elizabeth die britische Monarchie lächerlich. Nirgends Geschmack, Stil, Ausdruck! Nirgends Maniera! Des weiteren finden sich Texte zur Psychoanalyse der Bildenden Kunst, zur Lage der Poesie, zu Claude Simons und Heinrich Böll, und zwei Erzählungen von Undine Gruenter.


Archiv: Merkur

Outlook India (Indien), 09.12.2002

Outlook ist diese Woche recht innenpolitisch ausgerichtet: Die Titelgeschichte beschreibt das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden großen Parteien BJP (die in Indien regierenden Hindu-Nationalisten) und Congress wenige Wochen vor den Wahlen in Gujarat. Kommentiert wird die Lage in Kaschmir und ein Korruptionsskandal, der sich in einen Justizskandal auszuweiten droht.

Nicht nur ein landesweit diskutierter dreister Vergewaltigungsfall vor den Augen vieler Passanten in Delhi lässt die Lage der Frauen in der Hauptstadt derzeit bedrohlich aussehen. Dabei, stellt ein längerer Artikel fest, hatten sie in Delhi noch nie so viel Macht: "In einem Jahr, in dem Verbrechen gegen Frauen in der gesetzlosen Hauptstadt eine beispiellose Zahl erreicht haben, gibt es auch einen Hoffnungsschimmer: 2002 haben die Frauen heimlich, still und leise die Macht in der Stadtregierung erobert." Die Bürgermeisterin der Stadt sowie weitere Frauen in Schlüsselstellungen sind freilich die Ausnahme in einer männlich dominierten Gesellschaft. So sitzen im 543 Mitglieder umfassenden Parlament gerade 25 Frauen, im öffentlichen Dienst des Landes machen die Frauen nicht mehr als 15 % aus.

Dazu passt die Rezension eines Buches, in dem die Autorin Subhada Butalia berichtet, wie stark die entrechtende - und für Frauen manchmal tödliche - Institution der Mitgift noch in der Gesellschaft verankert ist. "Butalia schreibt darüber, wie wenig Hilfe von der eigenen Familie zu erwarten ist - von Eltern, die der gefolterten Tochter den Gehorsam befehlen. Sie berichtet von einer Frau, die sich illoyal vorkam, als sie sich an Frauengruppen oder die Polizei wandte - nur um nach der Rückkehr ins Haus ihres Mannes ermordet zu werden."
Archiv: Outlook India

Spiegel (Deutschland), 02.12.2002

Schwarz der Hintergrund, rot und gold die Schrift, dazu nur der Bundesadler, vom Spiegel-Titel menetekelt's diesmal, buchstabenschwindsüchtig: "Warum der Staat von den Bürgern immer mehr Geld verlangt, ab r imm r weni er b kom t." Die dazu gehörige Titelgeschichte trägt, auch nicht fröhlicher, die Überschrift: "Die Verzweiflungstäter".

Da hilft nur noch Humor. Den sollte man im Interview mit Ex-Monty-Python John Cleese erwarten, aber da geht's dann erst mal um nicht so komische Dinge wie britische Vorurteile gegen Deutschland oder den Niedergang des Fernsehens. Immerhin erfährt man auch, wie das geht, komisch zu sein: "Ja, definitiv, man muss einen Knopf drücken. Es ist ein bisschen so, wie ein kryptisches Kreuzworträtsel zu lösen. Man fängt an, anders zu denken." Nur der neue Bond, in dem John Cleese wieder Q spielt, der kommt, auch wenn er der Anlass des Interviews ist, so gut wie gar nicht vor.

Weitere Artikel: Näheres erfährt man zum Stasi-Spion unter den Waffenkontrolleuren im Irak, die jüngsten Nachrichten aus Kuweit künden vom Aufkommen des Fundamentalismus. Aus den USA hingegen ist zu hören, dass Al Gore, der die letzten Präsidentschaftswahlen, wie er wohl immer noch meint, nicht verloren hat, an einem Comeback bastelt. Unvermeidbar auch: Möllemann.

Nur im Print: Artikel über den Mythos vom erfolgreichen Widerstand gegen die Judenverfolgung der Nazis, zur Debatte in Großbritannien über Sinn und Unsinn des Bombenkriegs gegen Hitler-Deutschland, über den klassischen Konzertbetrieb zwischen Krise und Euphorie und ein Interview mit dem Ökonomen Eisuke Sakakibara (kurze Biografie, Interviews) über die weltweite Deflationsgefahr.
Archiv: Spiegel

Economist (UK), 29.11.2002

"Kaum ein Tag vergeht in New York ohne Proteste." Denn New York steckt in der finanziellen Krise, und die Lösungsvorschläge der Lokalpolitiker stimmen niemanden fröhlich, berichtet der Economist. Und doch - die Opferbereitschaft der New Yorker sei erstaunlich hoch, was sich vor allem in Anbetracht des Anschlags auf das World Trade Center erklären lasse. Dies birgt für den Economist jedoch die Gefahr, "die Auswirkung des Anschlags auf das World Trade Center zu übertreiben und die langfristige Unausgeglichenheit des Haushalts zu ignorieren. Trotz aller schlechten Nachrichten geht es weder der nationalen noch der lokalen Wirtschaft sonderlich schlecht. Der Arbeitslosenanteil in der Stadt liegt unter acht Prozent, tiefer als vor fünf Jahren. Die gegenwärtige Krise entspringt nicht der Wirtschaft, sondern armseligen politischen Entscheidungen."

Der Aufmacher der Printausgabe beschäftigt sich mit den angesichts der bioterroristischen Bedrohung getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Der einzige Artikel, der zu diesem Thema online zu lesen ist, zeigt die amerikanische Vorreiterrolle in Sachen Sicherheitsvorkehrungen auf.

Weitere Artikel: Hundert Jahr - falsches Haar: der bald 100-jährige republikanische Kongress-Abgeordnete Strom Thurmond wird mit zweifellos gemischten Gefühlen porträtiert. Und Wandlung in der Nahrungskette: Aus FPÖ-Beute Wolfgang Schüssel ist ein FPÖ-Jäger geworden, so ein Kommentar zum Österreichs Wahlausgang. Nur im Print lesen dürfen wir einen Artikel über Deutschlands mächtige Gewerkschaften.
Archiv: Economist

Times Literary Supplement (UK), 29.11.2002

Als die "beste Greene-Geschichte seit Carol Reeds 'The Third Man'" und das Beste über Vietnam seit 'Apocalypse Now'" lobt Jeremy Treglown Phillip Noyces Neuverfilmung von Graham Greenes 1955 erschienenen Roman "The Quiet American". Der Film lasse zwar die religiösen Aspekte der Vorlage weitgehend außer Acht, lenke dafür aber die Aufmerksamkeit auf "Greenes Vorahnung der Vietnam-Tragödie" und sei eine "Fabel für heute". Doch gerade das mache seine unerhörte Kraft aus, was dazu geführt habe, dass der Kinostart nach dem 11. September verschoben wurde. Durchaus lehrreich könnte sich der Film auch für die Kriegsherren von heute erweisen: "'The Quiet American' gesellt sich zu David O. Russells erschreckender Nach-Golfkriegs-Satire 'Three Kings' auf dem Programm, von dem man sich wünsche, George W. Bush und Tony Blair würden sich zusammensetzen und es sich zusammen anschauen, noch dieses Wochenende."

Weitere Artikel: Tom Paulin zeigt auf, wie sich der Einfluss des Ökonomen Maynard Keynes in T. S. Eliots "The Waste Land" bemerkbar macht. T. G. Otte freut sich, dass John Griggs Biografie des englischen Staatsmannes George Lloyd "viele der Mythen zu Grabe trägt, die diesen Mann umgeben". Mark Ford bespricht zwei Studien über den amerikanischen Dichters Wallace Stevens, der versucht hat, seinen Weg zwischen materiellen Verpflichtungen und dichterischem Schaffen zu finden.

New Yorker (USA), 09.12.2002

Ari Shavit schreibt in einem "Letter from Jerusalem" aus dem "Niemandsland" einer allmählich "verschwindenden Stadt". "Seit 1990 haben mehr als 140.000 jüdische Jerusalemer die Stadt verlassen, die meisten von ihnen jung, säkular und gut ausgebildet. (?) Es scheint, als würden wahrscheinlich nur die ultra-konservativen und die Armen zurück bleiben. Es gibt immer weniger Gründe, Jersalem für eine vibrierende westlich Stadt zu halten." Er werde häufig gefragt, wann er gehe und was ihn bei den ultraorthodoxen Juden und den Arabern halte. "Ich frage mich manchmal auch, warum ich in diesen dürren Hügeln bleibe, im Zentrum von Fanatismus und Konflikten. Ich denke, es ist Loyalität."

Weitere Texte: Rebecca Mead stellt ein Buch über das "Vergnügen, in Sünde zu leben" vor, das es so wahrscheinlich nur in den USA geben kann: "Unmarried to Each Other: The Essential Guide to Living Together as an Unmarried Couple". Und um Sünde, genauer: "frühe Eindrücke" von derselben, geht es auch in einer Erzählung von John Updike.

Besprochen werden Terry Teachouts Biografie des Journalisten H. L. Mencken (1880 - 1956), ein erzkonservativer, jazzhassender Hitlerbewunderer. Der Autor, selbst Journalist, ist "konservativ genug, nicht über Mencken schockiert zu sein und verschwendet deshalb unsere Zeit auch nicht mit seiner moralischen Überlegenheit über sein Subjekt", lobt Rezensentin Joan Acocella. Adam Gopnik beschäftigt sich anlässlich zwei neuer Bücher über Märchen - "The Annotated Classic Fairy Tales" (Norton) und "Fairy Godfather: Straparola, Venice, and the Fairy Tale Tradition" (Pennsylvania) - mit der Frage, was ein Märchen eigentlich ist: Jedenfalls nicht Harry Potter, behauptet er. Vorgestellt werden auch neue Filme: "Adaptation" von Spike Jonze und Charlie Kaufman und Steven Soderberghs Stanislas Lem-Verfilmung "Solaris".

Nur in der Printausgabe: ein Essay von Susan Sontag (mehr hier) über Fotografie und Gewalt, ein Porträt der indischen Regisseurin Mira Nair (mehr hier), ein Text über einen Sturm im Ballett anlässlich eines neuen Spitzenschuhs und Lyrik von Linda Bierds, Paul Muldoon und James Tate.
Archiv: New Yorker

Prospect (UK), 01.12.2002

Was ist bloß in die Briten gefahren? Sie reden von einer neuen Hauptstadt. Und da man bei allem Neuen nicht die Tradition aus den Augen verlieren soll - soll sie Elizabetha heißen. Diese Diskussion geht zurück auf einen 1962 im Economist erschienenen Artikel, in dem Alastair Burnet und Norman Macrae kühn fragten: "Was hat der britische Süden, das der Norden wirklich wollte? Kurze Antwort: den wirtschaftlichen und sozialen Stimulus eines London. Was hat der Süden, das er gerne loswerden wollte? Kurze Antwort: Die Ineffizienz eines verstopften zentralen London. Die Lösung? "Der offensichtlichste Kandidat ist die Industrie der Zentralregierung selbst." Die Idee laute folglich, "eine neue Regierungshauptstadt für Großbritannien zu bauen - ein Washington, ein Canberra, ein Bern, ein Brasilia - irgendwo nördlich des Trent, und die Queen, das Parlament und den öffentlichen Dienst dorthin zu verlegen."

Paul Barker malt sich heute die neue Hauptstadt aus, die Großbritannien aus der Nord-Süd-Polarisierung retten soll: "Stell dir vor, mitten in Yorkshire ist eine Stadt namens Elizabetha aus den sumpfigen Feldern erstanden, und sie sieht aus wie Milton Keynes. Seit vierzig Jahren ist dies die Hauptstadt Großbritanniens. Doch es hat Ewigkeiten gedauert, sie fertig zu stellen." Viel wurde versucht, um die britische Zentralisierung aufzubrechen, so Barker, doch vergebens. "Es ist Zeit, Elizabetha aus dem Schrank der Geschichte hervorzuholen." Antwort auf die Frage: "Die Hauptstadt verschieben - ja oder nein?" geben auch britische und nicht-britische Intellektuelle aller Sparten, unter anderem auch Josef Joffe.

Robert Cooper schert aus dem Elizabetha-Chor aus und schreibt lieber über Staatsgewalt, Legitimationsfragen und das Buch des "großen Strategen" Philip Bobbitt ("The Shield of Achilles"). Bobbitts These, "dass der Staat seine Form ändert - wobei Militärtechnologie und Ideen der Legitimität eine Rolle spielen - und die internationale Ordnung mit ihm", findet Cooper überzeugend, kreidet ihm aber an, die Konflikte des 20. Jahrhundert als "vereinzelte Geschehnisse" zu betrachten und "das internationale Recht gering zu schätzen".

Weitere Artikel: Tobias Jones verfasst einen verfrühten Nachruf auf Papst Johannes Paul II. und versucht, sich seinen Nachfolger vorzustellen.David Lipsey stellt klar, dass der hochgelobte BBC-Chef Greg Dyke seinem Vorgänger John Birt viel, wenn nicht sogar alles zu verdanken hat.Christopher Lord denkt über post-konzeptuelle Kunst in einer post-konzeptuellen Gesellschaft nach. Anlässlich des Todes von John Rawls (dazu auch unser Link des Tages) kann man Ben Rogers Porträt des Philosophen aus dem Jahr 1999 lesen.
Archiv: Prospect