Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.02.2003. In Literaturen erklärt Antonio Negri, warum Revolution notwendig ist. Timothy Garton Ash geißelt in Prospect den "vulgären Kaganismus". Wolf Biermann wettert im Spiegel gegen das einig Volk von Hurra-Pazifisten. In der Kommune erklärt Gerd Koenen, warum die Nazis die Damenwahl fürchteten. Profil widmet sich der Frauenfrage bei den Wiener Philharmonikern. Die London Review of Books sieht Tony Blair im Abseits. Und Atlantic Monthly erzählt, wie Wynton Marsalis apathische Zuhörer einfängt.

Literaturen (Deutschland), 01.03.2003

Literaturen hat sich auf die Spur einer in unserer Zeit ausgestorben geglaubten Spezies begeben: den Utopikern.

Ob man mit Utopikern auch reden kann, hat Hanna Leitgeb versucht herauszufinden, im Gespräch mit dem italienischen Philosophen Antonio Negri, der in seinem Buch "Empire" den Marxschen Denkansatz weiterspinnt und den Übergang des modernen kapitalisitschen Imperialismus in das postmoderne kapitalistische Imperium feststellt. Und dies, so Leitgeb, ohne die übliche altlinke Larmoyanz. Denn der globale Ort definiere auch die Akteure neu - die mannigfaltige "Multitude" habe das Proletariat abgelöst - und berge "Freiräume des Handelns", gerade für die Demokratie, doch seien diese bislang nicht erfasst worden. Doch wenn es kein außen mehr gibt, so Leitgebs skeptische Nachfrage, ist dann nicht die Revolution zu einer "hoffnungslos romantischen Utopie" geworden? "Die Revolution ist keine Utopie", so Negris Antwort, "die Idee der Revolution ist notwendig. Viele Klassen und Gruppen, die Revolutionen gemacht haben, aber auch diejenigen, gegen die sie gekämpft haben, sind bereits tot: Das Ancien Regime gibt es nicht mehr und den Zaren auch nicht. Und ich bin überzeugt, dass auf eine gewisse Weise auch Bush und seine Freunde schon tot sind. Sie sind nichts, sie haben auf Dauer keinen Wert."

Zum Thema gibt es unter anderem auch ein Gespräch mit Mathias Greffrath, Michael Jeismann, Thomas Meinecke und Herfried Münkler, in dem sich das Post-Utopische als das Prä-Utopische herausstellt. Christian Geulen fragt mit Blick auf Slavoj Zizek, wie aktuell ist Lenins Leiche. Und Ian Buruma fragt, warum Eric Hobsbawm "der blutigen Sache des Kommunismus so lange treu geblieben" ist - allerdings nur in der Printausgabe.

Weitere Artikel: "Wie heißt eigentlich das Gegenteil von Alzheimer?" Richard David Precht sucht nach einem Namen für "die Krankheit, nichts vergessen zu können", und ist überrascht, auch prominente Kranke unter den Großen der Literatur zu finden. Stefan Zweifel geht auf kulturellen Streifzug durch Frankreich, mit anderen Worten durch Paris. Boris Langendorf berichtet aus Bertelsmann-Kreisen, dass es mit der Veranstaltung "Leipzig liest" zuende gehen könnte, doch glauben kann er das nicht, denn das Gerücht ist schon so alt, wie die Veranstaltung selbst. Schließlich findet Aram Lintzel es seltsam und erfreulich, dass aus jeder Zeile des Online-Tagebuchs von Internet-Guru William Gibson der Lobgesang auf das gedruckte Wort spricht.

Nur im Print zu lesen: ein Porträt Judith Herrmanns von Frauke Meyer-Gosau und natürlich Rezension, unter anderem von Ralph Dutli über Daniil Charms "Zirkus Sardam".
Archiv: Literaturen

Prospect (UK), 01.03.2003

Der Prospect stimmt uns etwas brutal auf seinen Inhalt ein: "Wenn Sie das lesen, könnte ein Angriff auf den Irak begonnen haben, die NATO zugrunde gegangen sein und die EU kurz davorstehen, sich in zwei Blöcke zu spalten."

Timothy Garton Ash scheint das beidseitige Hochkochen des zwischen Amerika und Europa bestehenden Grabens leid zu sein. Dazu scheine allen Beteiligten kein Anlass zu fadenscheinig und keine Äußerung zu komplex, als dass man sich ihrer nicht bedienen könne. Genau dieses Schicksal prophezeit Ash auch Robert Kagans Buch "Paradise and Power", das zwar von der Feststellung ausgehe, "Amerika und Europa teilten weder dieselbe Weltsicht noch bewohnten sie dieselbe Welt", diese aber schrittweise auflöse und als Forderung zur Zusammenarbeit formuliere. Dabei übersehe Kagan zwar, dass Macht nicht nur militärisch-politischer Natur sei, und dass weder die EU noch Europa eine einheitliche Position vertreten. Gefährlicher aber sei, was man sehr wahrscheinlich aus seinem Buch machen werde. "Die wahre Gefahr ist, dass der vulgäre Kaganismus sich auf beiden Seiten des Atlantiks ausbreitet, weil die Leute an Kagans "duale Karikatur" glauben oder - und ich denke, das passiert gerade - weil sie Wege suchen, den Graben zu vergrößern. Kurzum, Kagan könnte das Gegenteil von dem bewirken, was er beabsichtigt. Sein Schluss wird sich nur dann bewahrheiten, wenn Amerikaner und Europäer sich einig sind, dass sein Aussgangspunkt falsch ist."

John J. Mearsheimer and Stephen M. Walt sind sich einig: Dass die amerikanische Kriegs-Argumentation Rhetorik ist, dazu genügt ein kurzer Blick. "Diejenigen, die für einen Präventivschlag plädieren, fangen erst einmal damit an, Saddam als Serien-Aggressor darzustellen, der darauf versessen ist, den persischen Golf zu beherrschen. Außerdem behauptet die Kriegspartei, Saddam sei entweder irrational oder neige zu ernsthaften Fehlkalkulationen, was heißt, er kann nicht in Schach gehalten werden, auch nicht durch glaubhafte Vergeltungsdrohungen." Doch ob Saddam Massenvernichtungswaffen besitze oder nicht, ob er die Atombombe wolle oder nicht, dieser Krieg, das habe die Vergangenheit gezeigt, in der Saddam sich habe immer wieder abschrecken lassen, ist "unnötig".

Weitere Artikel: Julian Stallabrass begegnet den Vorurteilen gegen Computerspiele und prophezeit diesem Medium für das nächste Jahrhundert das Wirkungsspektrum, das der Film im 20. Jahrhundert hatte. Stephen Daldrys Film "The Hours" ist, trotz Staraufgebot, kein "richtig guter Film", findet Mark Cousins, wie überhaupt fast alle Literaturverfilmungen. Vielleicht sollte man einfach Ingmar Bergmans Rat folgen: "Film hat nichts mit Literatur zu tun. Wir sollten es vermeiden, aus Büchern Filme zu machen." Und Richard Barry geht der Frage nach, wie Großbritanniens Chancen stehen, das für 2012 geplante Nachfolgeabkommen von Kyoto zu erfüllen.

Nur im Print zu lesen: Reiner Luyken sieht in der Antikriegshaltung Deutschlands letztes Tabu.
Archiv: Prospect

Spiegel (Deutschland), 24.02.2003

Vor fünfzig Jahren "offenbarte sich zwei jungen Forschern die Struktur des Erbmoleküls DNS". Der Spiegel nennt das den "Startschuss zum Eingriff in die Schöpfung" und widmet ihm seinen Titel.

Im Print wird außerdem gleich zweimal über "die Deutschen" nachgedacht: Wolf Biermann wettert gegen das "einig Volk von Hurra-Pazifisten": "Da verbünden sich aufrichtige Pazifisten, die ich immer respektieren und achten werden, mit verrentnerten Kadern der heuchlerischen DDR-Nomenklatura und mit militanten Alt-68ern. Stramme SPD-Genossen und stramme Christdemokraten kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch deutsche Friedensfreunde. Sogar Punks und Skins und Skins reihen sich ein. Es ist nun offenbar 'in echt' zusammengewachsen, was im schlechtesten Sinn zusammengehört." Und mit dem Philosophen Odo Marquard spricht der Spiegel "über die deutsche Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen".

Online gibt Alexander Osang den Verächtern des Donald Rumsfeld Zucker - macht es ihnen aber zugleich auch schwerer. Denn der Mann sagt zwar Sachen wie: "Wissen Sie, ich habe einiges mit diesem Flugzeugträger gemein." Aber richtig ist wohl auch, wie Osang schreibt: "Mit 29 Jahren war er der jüngste Kongressabgeordnete in Washington. Er setzte sich für die Bürgerrechte der Schwarzen ein, bekämpfte die Erzkonservativen in seiner Partei. Er sah gut aus, sein Lachen war ansteckend, er galt als ein John F. Kennedy der Republikaner."

Bei einem Ortstermin in "Bullenhausen" hat Alexander Smoltczyk feststellen können, dass sich nach dem Besuch "des Irren" nun wieder ein verantwortungsvoller Nachbar um die etwas schwächelnde Inge Meysel kümmert.

Ein weiterer Beitrag befasst sich mit den Plänen der Bundesregierung für die Reform des Gesundheitssystems. Vorgerechnet wird, wie viel "das System nach diesen Plänen sparen würde - und wie viel dies die Menschen kosten würde.
Archiv: Spiegel

Times Literary Supplement (UK), 20.02.2003

Anlässlich der Erinnerungen von Antonio Negri ("Du Retour") und Olivier Rolin ("Tigre En Papier") an ihre revolutionären Zeiten fragt sich Richard Vinen, warum politischer Radikalismus in Italien heute so viel lebendiger ist als in Frankreich, warum Negri ungebrochen dem antifaschistischen Kampf die Stange halten kann, während Rolin sich nur noch an eine "traurige und schäbige Zeit" erinnert. Vinens Antowrt: "Der französische Staat war großzügiger gegenüber seinen Opponenten. Philosophen wurden nicht eingesperrt, wenn sie sich zu Verteidigern des politischen Extremismus oder politischer Gewalt machten. Tatsächlich kam Frankreichs wichtigster Vordenker der radikalen Linke, Louis Althusser, nicht einmal ins Gefängnis, als er seine Frau erwürgte. Weit davon entfernt, durch äußere Repression zerschlagen zu werden, wurde die französische 68-Linke von Selbstzweifeln und inneren Konflikten zerfressen."

Weitere Artikel: Wütende, junge Männer aus der amerikanischen Arbeiterklasse sind in der Literatur bedeutend seltener als in der Wirklichkeit anzutreffen, meint Roz Kaveney und freut sich, dass Dave Eggers mit seinem neuen Roman "You Shall Know our Velocity" diese Lücke etwas kleiner werden lässt - und nebenbei eine wunderbare Elegie auf das Ende der Jugend liefert. Anlässlich einer Biografie erinnert Barry Humphries (mehr hier) an den australischen Impressionisten Charles Conder (1868 - 1909, mehr hier), den er dabei aus unerfindlichen Gründen zum "letzten Bohemien" erklärt. Und Thomas Laqueur diskutiert eine Studie über die frühen Wissenschaften im antiken China und Griechenland.

Kommune (Deutschland), 01.03.2003

Die Kommune hat gründlich bei sich aufgeräumt. Sie erscheint jetzt nur noch zweimonatlich, stellt dafür aber erfreulicherweise jede Menge Artikel ins Netz.

Thema des neuen Hefts sind die transatlantischen Beziehungen. Peter Lohauß konstatiert gravierenden Lernbedarf seitens der Europäer: "Viele Europäer halten die Amerikaner für prinzipienlos und nur auf kurzsichtige und kurzfristige Interessen ausgerichtet. Sie verstehen nicht, dass zum einen die Bevorzugung des Wertes der Freiheit amerikanischen Regierungen grundsätzlich einen weiteren Entscheidungsspielraum gewährt als europäischen und dass vor allem der amerikanische Pragmatismus sehr viel flexibler in der Mittelwahl ist als europäisch verstandene Treue zu Prinzipien ... Man muss sich nur daran erinnern, dass die USA in der Not der deutschen und japanischen Aggression im Zweiten Weltkrieg der Sowjetunion ein treuer Alliierter waren, um zu wissen, dass die zukünftigen Handlungen der USA aus ihrer inneren demokratisch-freiheitlichen Orientierung zu schließen sind und nicht aus ihren gegenwärtigen Alliierten."

Ulrich Speck meint allerdings, dass Europa in Sachen Irak-Politik einen wichtigen Etappensieg errungen hat, schließlich habe es die UN gestärkt und einen Alleingang der USA verhindert.

In einem weiteren Schwerpunkt überlegt Gerd Koenen (mehr hier) fast zwanzig Jahre nach dem Historiker-Streit, welche Rolle der Bolschewismus als Schreck- und Vorbild, aber auch als "Schüttelbild" für die Nationalsozialisten gespielt hat. Dabei kommt er - unter vielen anderen - zu folgendem Schluss: "Der Affekt gegen den 'Bolschewismus' meinte häufig Phänomene, die mehr der rapiden Amerikanisierung der Alltagskultur als irgendeiner fiktiven 'Sowjetisierung' entsprangen. Plakativ gesagt, ging es nicht allein und nicht einmal in erster Linie um Guillotinen oder Erschießungskommandos, um rote Kommandeure und Kommandeusen, sondern um 'zerhackte' Verse oder Bilder, um aufgelöste Harmonien und entwertete Geldzeichen, um kurze Haare und Damenwahl beim Tanz."

Weitere Artikel: Ernst Köhler diskutiert die Debatte um die "Neuen Kriege". Balduin Winter stellt den Börsenpräsidenten Bush vor. Und Martin Altmeyer macht sozialdemokratische Klientel- und Subventionspolitik, sowie gewerkschaftlichen Strukturkonservatismus für die soziale Desintegration im Lande verantwortlich.
Archiv: Kommune

The Atlantic (USA), 01.03.2003

Die Titelgeschichte ist leider nur im Print zu lesen. Dabei hätten wir gerne von Bill Clinton erfahren, was wir von ihm noch alles zu erwarten haben. Das sagt er nämlich im Interview.

Entschädigt werden wir aber mit einem großartigen Porträt des gestürzten "Herrschers über das Jazz-Universum", Wynton Marsalis (mehr hier und hier). David Hajdu beschreibt eine wunderbare Szene während eines Konzerts, das Marsalis im Sommer 2001 in einem New Yorker Jazzclub gab. So alt und schwer geworden, dass ihn nicht einmal seine versammelten Anhänger erkannten, spielte er gerade das Stück "I Don't Stand a Ghost of a Chance With You", und kaum jemand hörte zu: "Am Höhepunkt angelangt, spielte Marsalis die Titelphrase, wobei er jeden Ton länger hielt als den vorigen. 'I Don't stand...a ghost...of...a...chance...' Ausgerechnet im dramatischsten Moment klingelte ein Handy. Die Leute fingen an zu kichern und wieder ihre Drinks zu schlürfen. Der Moment - der gesamte Auftritt - war entzaubert. Marsalis machte eine kurze Pause, die Augenbrauen hochgezogen. Der Störenfried verzog sich mit seinem Handy in die Vorhalle, die Gespräche im Raum wurden lauter. Noch immer wie zu Eis gefroren, spielte Marsalis auf einmal die alberne Handy-Melodie Note für Note nach. Dann wiederholte er sie und begann über diese Tonfolge zu improvisieren. Langsam kam das Publikum zu ihm zurück. In wenigen Minuten löste er die Improvisation auf - und endete exakt dort, wo er aufgehört hatte: '...with... you'. Die Ovationen waren überwältigend."

Christopher Hitchens wundert sich, dass wir Imperialismus noch immer mit der Formel "Teile und Herrsche" in Verbindung bringen, dabei sollten wir seit dem Britischen Empire wissen, dass sein Konzept des "Teile und verzieh Dich" die bedeutend fataleren Konsequenzen hatte. Mit Blick auf Pakistan und Indien, Nordirland und Zypern stellt er fest: "Als generelle Regel kann man wohl fassen, dass jede Teilung mit Ausnahme Deutschlands zu einem Krieg führte oder zu einer weiteren Teilung oder zu beidem.

David Brooks räumt mit dem gängigen Vorurteil auf, dass die Welt immer säkularer geworden sei. "Der Säkularismus hat keine Zukunft, er ist höchstens die gestrige, irrige Vision einer Zukunft." Und Jonathan Rauch bricht schließlich eine Lanze für das bedauernswerte Häuflein der Introvertierten, die nicht nur in den USA, aber dort wohl besonders, ein hartes Dasein fristen.

Außerdem zu lesen: eine Kurzgeschichte von Kimberley Elkins sowie Gedichte von Lee Upton
Archiv: The Atlantic

London Review of Books (UK), 20.02.2003

Wo man hinsieht, herrscht Krieg, wenn auch nur auf dem Papier. So auch in der London Review.

"Wo ist Blair da bloß reingeraten?" fragt Conor Gearty und meint die rückhaltlose Schulterschluss-Politik mit den USA. Blairs "größte Fehleinschätzung", so Gearty, betreffe die "besondere Beziehung" zwischen den USA und Großbritannien, von der immer wieder die Rede sei. Zwar gibt es diese durchaus, meint Gearty, doch "was die Öffentlichkeit sieht, ist, dass der Premierminister immer wieder nach Washington fährt, um mit dem mächtigsten Mann der Welt privat darüber zu sprechen, wie die britischen Streitkräfte bei einer aggressiven Militäraktion, die tausende Meilen von zu Hause entfernt stattfinden soll, behilflich sein können. Am Vorabend des Krieges sind Blairs Doktrinen der Weltgemeinschaft und der besonderen Beziehung darauf reduziert worden."

Michael Byers ist besorgt über die zunehmende Nachlässigkeit, mit der die US-Regierung internationale Kriegsrechts-Abkommen behandelt. Er sieht dabei einen Zusammenhang zu Amerikas hochentwickeltem Waffenarsenal, mit dem die USA jeden Krieg gewinnen können, ohne dabei ihre Soldaten einer hohen Gefährdung auszusetzen. "So haben einige US-Politiker angefangen, den Krieg nicht als hochriskanten letzten Ausweg, sondern als attraktive Option der Außenpolitik in Zeiten innenpolitischer Skandale oder wirtschaftlicher Schwäche zu betrachten. Diese veränderte Denkweise hat schon zu einem ungenierteren Umgang mit dem 'jus ad bellum' (das Kriegsrecht, das das Eintreten in den Krieg legitimiert) geführt, wie die Bush-Doktrin der vorbeugenden Selbstverteidigung zeigt. Ähnliche Auswirkungen beginnen sich in Hinblick auf das 'jus in bello' (das über die Art der Kriegsführung wacht) abzuzeichnen. Wenn Krieg als gewöhnliches Mittel der Außenpolitik gesehen wird - 'Politik mit anderen Mitteln' - dann stören politische und finanzielle Betrachtungen das Gleichgewicht zwischen militärischer Notwendigkeit und menschenfreundlichen Bedenken. Soldaten werden bei lebendigem Leib begraben, weil die Leute zu Hause keine Leichensäcke mögen."

Weitere Artikel: Aus Tel Aviv schreibt Yitzhak Laor, Normalität sei in Israel zu einem "nationalen Wert" geworden, bedeute inzwischen jedoch nichts anderes als "Gleichgültigkeit". Tatsache sei nämlich, dass jegliches Demokratieverständnis dieser Normalität zum Ofer gefallen sei. David Ramsbotham, britischer Generaladjutant im ersten Golfkrieg, hegt Zweifel daran, ob es gut ist, dass die schon überstrapazierte British Army in einen vorbeugenden Irak-Krieg hineingezogen wird. Und in Short Cuts denkt Thomas Jones über Menschen nach, die darüber spekulieren, was in anderer Leute Kopf vor sich geht.

Besprochen werden Bevis Hilliers "New Fame, New Love", eine 700 Seiten starke Biografie des Dichters John Betjeman (mehr hier), die laut Rezensent Ian Sansom eine "herrliche Zeitverschwendung" ist. Die Ausstellung "Constable to Delacroix: British Art and the French Romantics" in der Londoner Tate Gallery , die Peter Campbell begeistert hat und für die er in Alexandre Dumas' "Graf von Monte Christo" einen geeigneten Wegbegleiter gefunden hat.

Economist (UK), 21.02.2003

Krieg ist das Thema, auch beim Economist - der naturgemäß einen scharfen Blick in die Kriegskasse wirft.

Gibt es eine Mehrheit, die den Krieg befürwortet?, fragt der Economist angesichts des europäischen Widerstandes, sowohl auf diplomatischer Ebene, als auch unter der Bevölkerung, wie es die Großdemonstrationen des letzten Wochenendes bewiesen hätten. Und trotzdem, meint der Economist, laute die Antwort "Ja". Denn der Großteil der Protestierenden sei laut Umfragen gegen den amerikanischen Alleingang aufgebracht, wäre aber mit einem von der UNO gebilligten Angriff einverstanden. Doch sollte man mit dieser Mehrheit den Krieg auch tatsächlich führen? Für den Economist ist das die einzige Lösung, denn diesen Krieg zu führen, ist "bei weitem besser, als an der verfehlten und tödlichen Politik der letzten zwölf Jahre festzuhalten. Jetzt wäre es klug, sich einer UNO-Unterstützung zu versichern, um den Krieg gleichzeitig weniger riskant und den Nachkriegs-Frieden dauerhafter zu machen. Doch letztlich bleiben die Tatsachen: Wenn Hussein die Entwaffnung verweigert, ist es richtig, in den Krieg zu ziehen. Soddom, wenn wir es tun, aber auch Soddom, wenn wir es nicht tun."

Weiterhin untersucht der Economist die wirtschaftlichen Risiken eines Irakkriegs und fragt nach den Kosten. Glauben sollte man einer eventuellen Antwort allerdings auf gar keinen Fall, denn die grobe Unterschätzung von Kriegskosten sei eine der zähesten Konstanten der Geschichte.

Europa ist gespalten, und der Economist möchte ein bisschen Ordnung reinbringen: "Auf einer Linie mit Amerika stehen Großbritannien, Italien, Spanien, Dänemark, Portugal, die Niederlande und Irland; in der Nur-Geduld-Mannschaft haben wir Deutschland, Frankreich, Belgien, Griechenland, Finnland, Schweden und Österreich, während Luxemburg, der kleinste EU-Staat vor Unentschlossenheit gelähmt zu sein scheint." Entscheidend für diese Aufteilung seien nicht etwa der Irak oder andere Probleme, sondern die "Einstellung gegenüber den Vereinigten Staaten und deren Vorrangstellung".

Weitere Artikel: Altes Europa und Junges Amerika? Von wegen! Der Economist dreht den Spieß einfach um. Dogma-Filme sind gut - immer noch. Und das liegt für den Economist auch daran, dass man dem Geist des Dogma treu bleibt und nicht unbedingt seinen Vorschriften. Außerdem lesen wir einen Nachruf auf Walt Rostow, der Berater im Weißen Haus zur Zeit des Vietnam-Kriegs war. Und viele Fragen: Wie wird Palästinas Verfassung aussehen? Braucht die Welt Luxus-Handys? Gibt es kein angstfreies Management? Und wie steht es um Brasilien?
Archiv: Economist

Profil (Österreich), 24.02.2003

Das neueste profil-Heft widmet sich in seiner Titelgeschichte der Wiederauflage der Schwarz-Blauen-Koalition; aber dazu findet man im Feuilleton leider nichts. Ebenso schweigt der profil-Kulturteil seit Wochen zur Irak-Krise ... Nun denn: Dafür hat profil aber die "Zwei-Prozent-Gesellschaft" entdeckt - und zwar bei einer österreichischen Institution: bei den Wiener Philharmonikern. Vor sechs Jahren war beschlossen worden, Frauen ins Orchester aufzunehmen. Doch von den 149 Planstellen des Orchesters sind nur drei Stellen mit Musikerinnen besetzt, das sind zwei Prozent. "Wir zählen sicher zu den besten Orchestern der Welt", verkündet stolz Philharmoniker-Geschäftsführer Peter Schmidl im profil-Interview, "aber eines wäre auch sehr schön: dass wir mehr geliebt werden, nicht nur geachtet." Es heiße immer nur, "die sind schon gut, aber die wollen ja keine Frauen."
Profil präsentiert eine Statistik der Frauenanteile in Orchestern und dröselt die elendige Frauengeschichte der Philharmoniker auf. Und das "einschlägige Sündenregister" ist lang, trotz der trotzigen Versicherung Schmidls: "Wenn eine Frau besser ist, müssen wir sie engagieren, sonst machen wir uns lächerlich." Den Musikerinnen schlägt unter den Kollegen kaum Begeisterung entgegen: "Drei Frauen sind schon zu viel", sagt ein Streicher. "Wenn wir einmal zwanzig Frauen haben, wird das Orchester ruiniert sein. Wir haben einen großen Fehler gemacht und werden ihn noch bitter bereuen", meint der traditionalistische Hardliner im Orchestergraben. Peter Schmidl meint dagegen, dass "ein Viertel Frauen" in zehn Jahren schön wäre und dass sich das Problem "in zehn Jahren" erledigt haben werde. Dies versprachen die Philharmoniker schon zweimal: 1981 und 1996 ?
Archiv: Profil

Outlook India (Indien), 03.03.2003

Die Cricket-WM ist vom Titel, der sich diese Woche anderen aufregenden Dingen widmet wie dem drohenden Irakkrieg. Dessen Aspekte werden in einem Bündel von Artikeln aufgerollt. Seema Sirohi rekapituliert für alle Cricket-Fans die Entwicklungen der vergangenen Wochen, legt die Interessen der USA dar und erklärt die Gegnerschaften zwischen den westlichen Verbündeten. Mehrere Texte beschäftigen sich mit den weltweiten populären Bewegungen gegen den Krieg: Sanjay Suri betrachtet die Situation in Großbritannien und erklärt, warum die dortige massenhafte Mobilisierung zum Zünglein an der Waage werden könnte: "Wenn irgendjemand George Bushs Kriegsmarsch bremsen kann, dann ist es Tony Blair. Die Macht des Volkes wiederum könnte Tony Blair bremsen." V. Sudarshan berichtet aus Berlin, und Anita Pratap kommentiert die Friedensbewegungen so: Die Kriegsgegner legten ein eindrucksvolles Zeugnis funktionierender Demokratie ab, aber genau deshalb sollte sich ihr Blick nunmehr weniger auf die USA als auf den Irak richten, wo ziviler Widerspruch unmöglich ist und wo Saddam sich weiterhin weigert, seinen Teil zum Frieden beizutragen.

Stephanie Nolen berichtet von einsamen Kriegsbefürwortern im Nordirak: den Kurden. Hier, schreibt sie, wäre alles andere als ein baldiger amerikanischer Militärschlag eine bittere Enttäuschung - auch wenn 1991 noch allzu gut in Erinnerung sei, als man von den Amerikanern schließlich im Stich gelassen wurde. Doch stärker sei die Hoffnung auf eine Befreiung vom Tyrannen Saddam Hussein. Schließlich geht es in zwei Artikeln um mögliche Kriegsfolgen im Irak: Nahlal Ayed prophezeit, dass eine militärische Auseinandersetzung den völligen Zusammenbruch von Nahrungsversorgung und medizinischer Betreuung zur Folge hätte, und Prem Shankar Jha entwirft für den Fall einer von den Amerikanern eingesetzten Regierung aus exilierten Regimegegnern gleichfalls düstere Szenarien.

Weitere Artikel: Madhu Jain berichtet, dass die Arbeiten bildender Künstler massenhaft gefälscht werden; je häufiger, desto bedeutender das Werk - und desto höher der Marktwert. Indische Gegenwartskunst boomt, und einige Künstler, so wird vermutet, mischen - und verdienen - selber bei dem Spiel mit. Manjira Majumdar kündigt einen ungewöhnlichen indischen Science-Fiction-Film an ("Patalghar - The Underground Chamber") und erklärt, warum sich damit ein Kreis schließt, der vor Jahrzehnten schon einmal durch Hollywood führte. Und Manu Joseph setzt seine Betrachtungen zur laufenden Cricket-WM fort.
Archiv: Outlook India

New York Times (USA), 23.02.2003

Am interessantesten ist ein Artikel, der zwar auf den Buchseiten, aber nicht direkt in der Review steht: David D. Kirkpatrick berichtet über Querelen bei Random House. Nachdem die renommierte Cheflektorin Ann Godoff gefeuert worden war, weil sie nicht genug Profit gemacht haben soll, lockt sie jetzt renommierte Random House-Autoren (darunter auch Bestsellerautoren) zu ihrem neuen Arbeitgeber Penguin USAGina Centrello, Verlagschefin von Ballantine und Random House, hat Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden, weil der offenbar sehr viel weniger Entscheidungsfreiheit haben wird als Godoff. Dafür muss er enger mit Ms. Centrello zusammenarbeiten, die von der Marketing- und Finanzseite kommt. Außerdem auf den Buchseiten: eine zwiespältige Rezension von John Rockwell zu Frederic Spotts Studie über Hitler als Kunstkritiker.

T. Coraghessan Boyle (homepage) hat sich für seinen "unmäßig unterhaltsamen" neuen Roman "Drop City" eine Hippie-Kommune im Kalifornien der Siebziger ausgesucht, die als Hintergrund für zwei ungewöhnliche Liebesgeschichten dient, wie Dwight Garner in seiner Rezension erklärt. Boyle schreibe "unglaublich gut über die Freak-Parade, die er da auf den Leser loslässt", lobt Garner und ist erstaunt darüber, "wie viel menschliche Komplexität" Boyle in dieses Szenario packt. Kurz und gut, "einer der lustigsten und gleichzeitig subtilsten Romane über die Hippie-Ära, die langsam zu verblassen scheint", urteilt Garner, der nur einen Wermutstropfen beklagt: den etwa übereilten Schluss.

In seinem neuen Buch "Spooky Art" (erstes Kapitel) hat Norman Mailer (mehr hier) einige seiner Aussagen zur Kunst des Schreibens versammelt. Das Buch sei aber keineswegs eine Liste von Do's and Don'ts, beruhigt James Campbell, "aber wenn es professionelle Tipps gibt, dann sind sie recht grundlegend". Viele von Mailers Überlegungen hätten aber auch rein gar nichts mit dem Schreiben zu tun. Mit dem Schlusskapitel, in dem Mailer über andere Autoren und Kritiker herzieht, kann Campbell nichts anfangen. "Ein solches Übermaß an Neid und Konkurrenzdenken ist ungesund", rät er dem Altschriftsteller und bescheidet Mailer schließlich, dass er wie viele seiner Kollegen wenig hilfreich sei, andere in die Kunst des Schreibens einzuführen.

"Die Schriftsteller sind unsere öffentlichen Intellektuellen geworden, unsere Universalgelehrten, unsere Geografen, unsere Erforscher der materiellen Welt", stellt Judith Shulevitz in ihrem Close Reader fest. Trotzdem sind Intellektuelle als Handelnde Mangelware im modernen Roman, wundert sie sich, um sich dann einem Buch zu widmen, in dem alles anders ist: Richard Powers' ''The Time of Our Singing'' (hier die Rezension).

Außerdem: Timothy Naftali hält Thomas Powers Abriss der Geheimdienstarbeit seit 1941, "Intelligence Wars", für eine nützliche Einführung in einen bisher vernachlässigten Teil der amerikanischen Geschichte. Kathryn Harrison findet in Valery Martins "Property" (erstes Kapitel) vor allem die Nebengeschichte spannend und faszinierend, den Kampf zwischen der vernachlässigten Ehefrau eines Plantagenfarmers und ihrer Sklavin Sarah. Colin McGinn, Philosophieprofessor an der Rutgers University, verreißt Antonio Damasios "Looking for Spinoza" (erstes Kapitel). Damasio ist Neurologe und hat bereits zwei Bücher über Gefühl und Gehirn geschrieben. Und schließlich druckt die Book Review Tropico, ein Gedicht von Nicholas Christopher, das schon recht tropisch beginnt: "On the abandoned tennis court in the coconut grove where the cows chew weeds along the baseline ...".
Archiv: New York Times

Nouvel Observateur (Frankreich), 20.02.2003

Im Debattenteil findet ein Streitgespräch (zweiteilig, hier und hier) zwischen den Autorinnen Catherine Millet (mehr hier) und Marie Desplechin (mehr hier) über Sex, Prostitution und "Porno-Chic" statt. Hintergrund ist ein neues französisches Gesetz, das auch passives Kundenwerben unter Strafe stellt und Prostituierte belohnt, wenn sie ihre Zuhälter anzeigen. Millet hatte dazu am 9. Januar in Le Monde ein Manifest veröffentlicht ("Weder Täter, noch Opfer: die Freiheit, sich zu prostituieren"), das Desplechin ebenfalls in Le Monde mit einem Manifest konterte ("Prostitution: über den echten feministischen Chic"). Beide Veröffentlichungen waren von zum Teil prominenten Unterstützerinnen mitunterzeichnet worden. Die Standpunkte der beiden fallen erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aus. So ist Desplechin "empört" über Millets "Verwechslung", auch Prostituierte seien "Bürgerinnen" und hätten demnach ebenso viel Würde wie jede andere "soziale Schicht", schließlich befindet sich, so Desplechin, die Mehrzahl der Prostituierten "in einer irregulären und sehr unsicheren Situation". Vollkommen unverständlich findet sie auch Millets Überzeugung, Sexualität sei "zumindest in einem symbolischen Sinne ein Grundbedürfnis wie Essen und Schlafen, nur komplexer".

In einer Reportage beklagt Autorin Anne Crignon die teilweise bedrohlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, unter denen Literaten und sonstige Geistesarbeiter inzwischen auch in Frankreich zu leiden haben. Es habe sich bereits eine Art "intellektuelles Sub-Proletariat" gebildet. "Unter den Bedürftigsten", weiß sie, "verteilt die Societe des Gens de Lettres jedes Jahr 76.000 Euro als Einzelfallhilfe. Also keine Vermögen oder gar Renten, sondern 700 Euro für eine Heizungsreparatur hier oder 600 Euro zum Begleichen der Mietrechung dort."

Darüber hinaus gibt es Buchbesprechungen, darunter die Rezension einer Studie der Anthropologin Florence Heymann (mehr hier), "Le Crepuscule des lieux" (Stock), über eine der einstmals bedeutendsten jüdischen Gemeinde Europas in der rumänischen Stadt Czernowitz.

Express (Frankreich), 20.02.2003

Es rauscht mal wieder im französischen Blätterwald: Der Express titelt mit Enthüllungen rund um die französische Tageszeitung Le Monde: "Hinter der Maske des journalistischen Ideals verbirgt sich ein Wille zur Macht, der an all das erinnert, was die Presse schon immer unterwandert hat: Zynismus, Denunziation, psychologische Repressalien, Missbrauch der eigenen Position, ja Autokratie", so die These von Pierre Pean und Philippe Cohen, die Autoren des Buches "La face cachee du Monde". Der Express bringt gleich mehrere Auszüge aus unterschiedlichen Kapiteln. Wenn Sie ihre Meinung auch loswerden wollen, nehmen Sie einfach an dem Leserforum teil. "Eh oui", meint beispielsweise ein gewisser Kiki, "Korruption ist in Frankreich äußerst verbreitet". Eh oui, wie anderswo.

Hinter den Türen der unscheinbaren Adresse 42, rue de Fontaine, eröffnete sich dem Besucher bislang eines der größten surrealistischen Sammelsurien. Selbst unter dem Sofa konnte man angeblich noch kunsthistorische Schätze finden, darunter "La femme cachee" von Rene Magritte. Gehütet wurde das dadaistisch anmutende Gesamtkunstwerk in Andre Bretons Atelier bis vor kurzem von seiner Tochter Aube. Doch Sie konnte den Traum vom eigenen Museum nicht verwirklichen. Einzelne wertvolle Stücke kommen nun unter den Hammer. Einen Hauch von kreativem Chaos kann man zumindest noch spüren, wenn man die Wand aus Bretons Arbeitszimmer betrachtet, die in der Kunstsammlung Nordrhein Westfalen ausgestellt war. Aber eben nur einen Hauch.

Weitere Artikel: Annick Colonna Cesari hat sich eine Ausstellung über "Neue Sachlichkeit" im Musee de Grenoble angesehen. In der Bücherschau wird "Quitte a avoir un pere" von Florence Mongorce-Gabin besprochen, Anekdoten und Erinnerungen an den Vater Jean Gabin. Einen Auszug lesen Sie hier.

Und - le philo, c?est rigolo: Francois Busnel feiert ein "Antimanuel de la philosophie". Denn sich über Philosophie lustig zu machen, ist die wahre Philosophie. Das wusste schon Pascal.
Archiv: Express

New Yorker (USA), 24.02.2003

Elizabeth Hudson untersucht die Frage, wie sicher eigentlich das Atomkraftwerk Indian Point River (mehr hier) gegenüber einem Terroranschlag ist. Die Anlage liegt gut 35 Meilen nördlich von Manhattan am Hudson River, und in einem 50-Meilen-Radius leben über zwanzig Millionen Menschen. Sie sprach dafür unter anderem mit dem zuständigen Sicherheitschef, der erwartungsgemäß keine Katastrophe, für welchen "worst case" auch immer, befürchtet. Ein über fünfhundert Seiten starkes unabhängiges Gutachten zum offiziellen Katastrophenplan kam dagegen zu völlig anderen Ergebnissen: dass es nämlich "schlicht zu viele Leute und zu wenige Straßen gibt, um die Gegend effektiv zu evakuieren. (?) Das Gutachten beurteilte den Plan als 'nicht ausreichend, Menschen vor einer inakzeptabeln Strahlendosis zu schützen'."

Anlässlich des Erscheinens der Essaysammlung "The Writer and the World" (Knopf) hat sich Hilton Als noch einmal systematisch die Bücher von V.S. Naipaul (mehr hier) vorgenommen. Im Ergebnis seiner Rundumlektüre kommt er zu der Einschätzung, Naipaul habe ein "Rassenproblem" und "entenglische das Englische" (out-Englishes the English). Er zitiert aus einem Essay von Derek Walcott: "Naipauls Abscheu vor Schwarzen ... ist eine körperliche und historische Abscheu, die, wie jedes Vorurteil, den Beobachter entstellt, nicht sein Objekt." Als fügt hinzu, der "Widerwille gegenüber Schwarzen" sei "unter Indern weit verbreitet", und "Naipaul ist zu sehr damit beschäftigt, ein 'guter Immigrant' zu sein, um die Falschheit seines eigenen 'Weiß-Seins' zu erkennen".

Joyce Carol Oates bespricht den neuen Roman "A Ship Made of Paper" von Scott Spencer (Ecco), außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter einer Studie zu Frederic Spotts' "Hitler and the Power of Aesthetics". Und von Louise Erdrich lesen wir die Erzählung "The Painted Drum".

Peter Schjeldahl präsentiert die Ausstellung "Matisse Picasso", die bereits in Paris und London zu sehen war und während der Umbauarbeiten im MoMA in Manhattan im Museum of Modern Arts in Queens gezeigt wird. Alex Ross würdigt den kürzlich verstorbenen Komponisten Lou Harrison und bespricht eine Inszenierung der Oper "Die Trojaner" von Hector Berlioz, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum zweihundertsten Mal jährt. David Denby sah die Filme "The Life of David Gale" von Alan Parker mit Kevin Spacey und Kate Winslet und "Daredevil" von Mark Steven Johnson mit Ben Afflek.

Online diesmal ausnahmsweise auch ein Gedicht, genauer drei Haikus von Jack Kerouac (mehr hier). Eines davon lautet. "Run over by my lawnmower, / waiting for me to leave, The frog" (Etwa: Von meinem Rasenmäher überfahren, / wartet er, dass ich gehe / Der Frosch).

Nur in der Printausgabe: Porträts von UN-Generalsekretär Kofi Annan und der Schauspielerin Frances McDormand (mehr hier) sowie Lyrik von Seamus Heaney und C. K. Williams.
Archiv: New Yorker