Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.06.2003. Im Merkur untersucht R.W.B. McCormack wie lülülü die Österreicher heute noch sind. In Folio erklärt der Biochemiker Luca Turin, wie Franzosen gerne riechen. Le Point fragt: War der Surrealismus ein Totalitarismus? Outlook India enthüllt: Der Mittelstand geht vietnamesisch essen. Der Nouvel Obs stellt ein "Dictionnaire des cultures Gays et Lesbiennes" vor. Die NYT Book Review feiert die Erinnerungen von Gene Kellys Ehefrau Betsy Blair.

Merkur (Deutschland), 01.06.2003

Ein hübsches Highlight findet sich in den Marginalien. R.W.B. McCormack, bekannt durch seine streng ethnolinguistischen Studien "Tief in Bayern" und "Mitten in Berlin", hat diesmal einen genaueren Blick auf die Österreicher geworfen und folgendes bemerkt: "Wandlungen im kollektiven Bewusstsein der Österreicher sind keinesfalls geopsychologisch bedingt, denn die Berge stehen ja wie eh und je. Man muss wohl nach historischen Ursachen fahnden, um aktuell zu beobachtende Gemütsveränderungen zu begreifen. Noch im Abendrot der Habsburgermonarchie konnte ein General zu seinen Rekruten sagen: 'Wenn Sie einmal austreten müssen, dann bitt' ich mir aus: Scharfer Strahl und nicht so lülülü wie die Zivilisten.' Bevor die letzten Tage der Menschheit anbrachen, sah man k.u.k. Grenadiere rennen, bis die Tapferkeitsmedaillen schepperten. Zumindest das Lebenstempo hat sich seither verlangsamt. 'Nur net hudeln', heißt die Devise, und nicht nur, weil man vom Hudeln Kinder kriegt."

Ansonsten pflegt der Merkur in diesem Monat seinen ästhetischen Konservatismus. Online zu lesen ist ein Beitrag von Thomas Steinfeld, der sich auf einen Schmerzensgang durch die moderne Architektur begibt, um Erlösung vom Neoklassizismus zu erhoffen: Man müsste, um die Städte von ihren vielzähligen Wunden zu heilen, zu einer "Architektur des menschlichen Maßes" zurückkehren, findet Steinfeld, "man müsste, kurz gesagt, fast einhundert Jahre Architekturgeschichte ungeschehen machen und zu einem schon modernen, aber noch handwerklichen Bauwesen zurückfinden wollen, wie es vor dem Triumph des Funktionalismus bestand, bei Peter Behrens etwa oder bei Greene und Greene." Heute, meint Steinfeld, baut so Hans Kollhoff.

In seiner Ökonomiekolumne erklärt Rainer Hank am Beispiel von Kanada und Burundi, dass nicht der exportierte Kapitalismus der Imperialisten schuld an der Unterwicklung der armen Länder sei. "Im Gegenteil: Nicht zuviel, sondern zu wenig Kapitalismus ist - auch historisch - schuld an der heutigen Armut vieler Länder. Hätten die Kolonisatoren ihnen die Marktwirtschaft eingepflanzt, anstatt sie nur auszubeuten, wären die armen Länder heute womöglich reiche Länder."

Weitere Artikel: Gustav Seibt folgt den Spuren des Dichter und Essayisten Rudolf Borchardt (mehr hier), dessen Welt in den Jahren des Dritten Reichs zusammenbrechen musste. Claudia Schmölder befasst sich mit einer seltsamen Ressource, die durch Verbrauch nicht abnimmt, sondern wächst, die sich nur langsam aufbaut, aber schnell und nachhaltig zerstört werden kann - dem Vertrauen. Gadi Taub erkennt in Raymond Carvers minimalistischem Existenzialismus die Suche nach dem Mitgefühl (mehr hier).
Archiv: Merkur

Folio (Schweiz), 02.06.2003

Das Folio-Heft widmet sich Düften. Stefanie Friedhoff hat sich zu Pamela Dalton gewagt, der "Herrin der Düfte", die für das amerikanische Militär an der Zusammenstellung einer effizienten Geruchswaffe, sprich "Stinkbombe" arbeitet. Dalton erklärt, worauf es dabei ankommt: "Eine Stinkbombe muss einen Geruchscocktail verbreiten, der für jeden Adressaten mindestens einen unbekannten Gestank enthält. Und jede Komponente allein sollte möglichst viele verschiedene Menschen ängstigen. Letzteres erweist sich allerdings als kompliziert. Das Riechen scheint auch deshalb das Stiefkind der Forschung zu sein, weil es sich als komplexer entpuppt hat als Sehen und Hören, Fühlen und Schmecken.

Präsentiert wird ein Auszug aus Chandler Burrs Buch "The Emperor of Scents", eine Porträt des Biophysikers Luca Turin, der eine neue Theorie des menschlichen Geruchssinns aufgestellt hat, mit der er die "Biologie und einige Multimilliardendollarkonzerne revolutionieren" und Mrs. Daltons Arbeit erleichtern könnte - vorausgesetzt, er hat Recht. Turin geht es nämlich um nichts weniger als den Beweis für eine These, die 1938 erstmals der Engländer Malcolm Dyson vortrug: "Die Nase ist ein Spektroskop." Turin, der künftig monatlich eine Parfumkritik für NZZ-Folio schreiben soll, erklärt unter anderem, warum er sich für Düfte interessiert: "Überall in Frankreich stößt man auf diese Vorstellung, dass die Dinge ein bisschen schmutzig, überreif, ja beinahe ein wenig fäkalisch sein müssen. Franzosen lieben verdorbenen Käse und schmutzige Laken und ungewaschene Frauen. Guy Robert, ein Parfumeur der dritten Generation, der für Hermes den Duft 'Caleche' schuf, fragte mich einmal: 'Est-ce que vous avez senti some molecule or other?' Ich antwortete, nein, ich hätte noch nie an dem Parfum gerochen, wonach es denn rieche? Er wiegte gewichtig das Haupt und erwiderte: 'Ca sent la femme qui se neglige' -­ es duftet nach einer Frau, die sich vernachlässigt."

Weitere Artikel: Was es bedeutet, nichts mehr zu riechen, hat Martin Lindner von der an Anosmie erkrankten Natascha Thümmler erfahren. Reto U. Schneider hat sich einem Selbstversuch mit Sexuallockstoffen unterzogen - mit leider nur allzu mäßigem Erfolg. Viviane Manz erläutert das Prinzip des Star-Parfums. Hans Peter Treichler sieht in der Nase viel mehr als nur das bloße Riechorgan. Außerdem bekommen wir eine kleine Kollektion der Alltagsdüfte gereicht, und schließlich schreibt Eleonore Frey vom glücklosen Aufeinandertreffen von Duft und Sprache
Archiv: Folio

Point (Frankreich), 28.05.2003

War der Surrealismus totalitär? Jean Clair, Direktor des Picasso-Museums in Paris und berühmt-berüchtigt für seine Pamphlete gegen den abstrakten Expressionismus oder die deutsche Kunst, schlägt mal wieder zu. " Du surrealisme considere dans ses rapports au totalitarisme et aux tables tournantes" (Editions mille et une nuits) lautet der etwas blumige Titel seines neuen Buchs. In Le point unterhält er sich mit Elisabeth Levy. Er liebe weiterhin de Chirico und Max Ernst, beteuert Clair. "Aber ich reagiere heute extrem empfindlich auf den libertären Hintergrund, der sich zugleich von toalitären Dogmen in Versuchung führen lässt und der für den intellektuellen Niedergang Frankreichs mit verantwortlich ist." Selbst für die Nazis habe sich die surrealistische Bewegung kurzzeitig begeistert, behauptet Clair.
Archiv: Point

Spiegel (Deutschland), 02.06.2003

"Dann dachten sich die Deutschen einen grausamen Trick aus. Sie schrien: 'Hier sind die Sanitäter. Wer noch am Leben ist, komme hervor ...' Nach einiger Zeit krochen etwa 20 Menschen unter größter Anstrengung hervor, blutig, verletzt und verängstigt ... Mit einer MG-Salve wurden die restlichen Überlebenden getötet." Soweit ein Augenzeuge, den Georg Bönisch und Frank Hartmann in ihrem Report über eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg zu Wort kommen lassen. Etwa 5.000 italienische Soldaten sind dabei 1943 auf der griechischen Insel Kephallenia von deutschen Gebirgsjägern regelrecht abgeschlachtet worden. In den sechziger Jahren wurde zwar schon einmal ermittelt, dass Verfahren dann aber eingestellt. Warum, erklärt Simon Wiesenthal: "Weder die SS noch die Gestapo waren am Kephallenia-Massaker beteiligt - 'dieses Verbrechen', so Wiesenthal, 'hatte die Wehrmacht begangen, und in der Bundesrepublik waren einflussreiche Kräfte bestrebt, die Wehrmacht aus allen Kriegsverbrecherprozessen herauszuhalten.'" Jetzt wird wieder ermittelt.

In einem Interview diagnostiziert der amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton in den USA ein Supermacht-Syndrom und vergleicht Präsident Bush mit Bin Laden - beide hätten einen Hang zu "apokalyptischer Gewalt": "Apokalyptische Gewalt bezeichnet die Bereitschaft, enorme Zerstörung anzurichten im Dienst einer spirituellen Säuberung. Eine Welt soll aufhören zu existieren, um Platz zu machen für eine bessere. Ich habe herausgefunden: Man kann nur dann große Mengen von Menschen umbringen, wenn man es im Namen absoluter Rechtschaffenheit tut. Apokalyptische Gewalt ist so gefährlich, weil sich, wer sie anwendet, auf heiliger Mission wähnt."

Außerdem im Netz: Der iranische Außenminister Kamal Charrasi gibt im Interview Auskunft über die Haltung seiner Regierung zum Irak, zu Israel, zu Europa und zu den USA. Außerdem erzählt Metro-Chef Hans-Joachim Körber, bekannt geworden durch die "Geiz ist geil"-Werbung, im Interview, mit welchen Tücken die Eroberung neuer Märkte verbunden ist: "In Asien haben wir zum Beispiel gelernt, dass 'frisch' oftmals 'lebend' bedeutet." Außerdem erfährt man von einem Computerprogramm, mit dem die zerrissenen Stasi-Dokumente wieder zusammengesetzt werden sollen - es "vermisst die Umrisse eingescannter Papierfetzen und sucht in Sekunden das angrenzende Teil." Wird man also künftig auch noch mal genauer überlegen müssen, was man der heimischen Altpapiertonne überantwortet?

Der Titel beschäftigt sich diesmal mit den Wettlauf zwischen Europa und den USA um die Erforschung des Planeten Mars.
Archiv: Spiegel

Times Literary Supplement (UK), 30.05.2003

Peter Davison and D. J. Taylor haben eine bemerkswerte Entdeckung gemacht: die bisher unveröffentlichte Korrespondenz zwischen George Orwell (mehr zum Beispiel hier) und dem Schriftsteller Malcolm Muggeridge (mehr hier oder hier) aus den Jahren 1945 bis 1950. Aus einem Brief Orwells vom 4. Dezember 1948, in dem er sich auf seinen Roman "1984" bezieht, zitieren sie etwa: "Ich bin gerade mit einem Roman fertig geworden, an dem ich seit vorigem Sommer herumbastele. Ich bin nicht wirklich zufrieden mit ihm, aber ich glaube, die Idee ist gut."

Weitere Artikel: Lorna Hutson stellt Alan Fowlers offenbar wegweisende Studie "Renaissance Realism" vor, in der Fowler untersucht, inwieweit die Perspektive auch bei Lesern der Renaissance-Literatur sozusagen die Standard-Einstellung war, bevor Literaturkritiker sich darauf festgelegt haben. Terry Apter hat einen ganzen Stapel Bücher über Familienplanung und Kinderziehung gelesen, fragt sich aber immer noch, warum Menschen sich das antun, wo doch zumindest alle vernünftigen Gründe dagegen sprechen. Sousa Jamba bespricht Justin Willis' Sozialgeschichte des Alkohols in Afrika, "Potent Brew", die feststellt, dass es sich beim Biertrinken um eine ausgesprochen prestigeträchtige Angelegenheit handelt, was der Abstinenzler Jamba aus leidvoller Erfahrung nur bestätigen kann. William Boyd lobt James Tobins Buch über die Gebrüder Wright "First to Fly", das ihm die ein für alle Mal die Überheblichkeit gegenüber provinziellen Vogelliebhabern ausgetrieben hat.

Profil (Österreich), 02.06.2003

In seiner neuesten Ausgabe widmet sich profil der Familiengeschichte österreichischer Politiker - im Speziellen der Sippengeschichte des österreichischen Vizekanzlers Herbert Haupt: Sein Urgroßvater soll jener "ausbeuterische Fabrikant" gewesen sein, der Gerhart Hauptmann zu seinen "Webern" animiert habe. Der erste Satz des Artikels lautet: "Eigentlich hat Herbert Haupt die Fragen schon damals erwartet, als er Sozialminister wurde." Unabhängig davon, dass profil des Naturalisten Vornamen konsequent mit "d" statt mit "t" schreibt, wollen wir der Meldung doch vertrauen. Herbert Haupt selbst ist um Distanz zu seinem Vorfahren bemüht: "Ich hab ja auch einen Ausbeuter in der Familiengeschichte. Aber der ist bei uns immer ein Ausreißer geblieben, und so wird es auch weiterhin sein."
Archiv: Profil

New Yorker (USA), 09.06.2003

In einem wie immer brillant recherchierten Artikel untersucht Barry Werth, wie die amerikanische katholische Kirche die Psychiatrie schon seit Jahrzehnten zum Schutz von Priestern benutzte, die Kinder missbrauchten. Werth stützt sich dabei vor allem auf Veröffentlichungen des Psychotherapeuten und ehemaligen Priesters Richard Sipe, der sich ausführlich mit diesem Thema befasst hat. "Wenn ein verirrter Priester sich zu sehr schämte, einem anderen Priester zu beichten, wurde er dazu aufgefordert, dies einem Laienpsychiater gegenüber zu tun, der ihn nicht aus moralischen Gründen verurteilen würde und nicht darüber sprechen durfte (...) Sipe schrieb 1996 in einem Bericht über drei Fälle: 'Psychiatrie und Psychologie wurden dazu benutzt, den anstößigen Kirchenmann zu behandeln, Skandale zu vermeiden und das Rechtssystem zu beschwichtigen, wenn der Betroffene mit dem Gesetz in Konflikt geriet.'"

Weitere Artikel: Hendrik Hertzberg kommentiert die Versuche, Bagdad wieder "zum Laufen" zu bringen. Simon Schama rezensiert eine Biografie über George Nathaniel, Viscount Curzon, den ehemaligen britischen Vizekönig von Indien, dessen Frau bekanntlich einer Schildkrötensuppe ihren Namen gab (Farrar, Straus & Giroux). Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, die sich in dieser Woche allesamt mit Publikationen zur Antike beschäftigen. Haruki Murakami (mehr hier) steuert seine Erzählung "The Folklore of Our Times" bei.

John Lahr bespricht zwei Theaterstücke: Athol Fugard's "Master Harold' . . . and the Boys" und "I Am My Own Wife", Doug Wright's Adaption der Lebenserinnerungen von Charlotte von Mahlsdorf. Alex Ross berichtet über die Aufführung von Liszt's letzter, unvollendeter Komposition, dem Oratorium "Sankt Stanislaus" auf dem May Festival in Cincinnati. Anthony Lane schließlich sah den Zeichentrickfilm "Finding Nemo" von Andrew Stanton. Zu hören sind darin Geoffrey Rush als Pelikan und Willem Dafoe als ein "ozeangestählter Schlägertyp von Fisch namens Gill".

Nur in der Printausgabe: ein Porträt des Lyrikers Robert Lowell (mehr hier), ein Bericht von der Weltmeisterschaft der Tierpräparatoren (mehr hier), ein Text über die Probleme, ein zeppelinartiges Luftschiff namens "blimp" zu fliegen, und Lyrik von Donald Hall, Stanley Moss und Michael Longley.
Archiv: New Yorker

Economist (UK), 30.05.2003

"Waren die irakischen Massenvernichtungswaffen nur ein Vorwand für den Irak-Krieg?", fragt der Economist leicht irritiert. Angesichts der von Bush und Blair ausgemalten Bedrohungsszenarien, sei es nun doch "überraschend, dass trotz der angestrengten Nachforschungen der amerikanischen Inspektions-Teams keine Massenvernichtungswaffen zu Tage gefördert wurden: keine." Und dies findet der Economist höchst beunruhigend, denn sollte es tatsächliche keine gegeben haben, sei der Krieg unberechtigt gewesen, oder schlimmer noch, sollte es sie gegeben haben, ist es ungewiss, in wessen Hände sie geraten sein mögen. "Die vermasselte Jagd nach den irakischen Massenvernichtungswaffen könnte noch schlimmer als nur peinlich werden."

Wie will die amerikanische Regierung mit den anderen Schurkenstaaten umgehen, die gegen die internationalen Nuklear-Waffen-Abkommen verstoßen oder sie heimlich unterlaufen? Zumal die amerikanischen Abrüstungs-Forderungen, angesichts ihrer eigenen Aufrüstungs-Programme, eher unglaubwürdig und willkürlich erscheinen, grübelt der Economist.

Weitere Artikel: Kein Wunder, meint der Economist, dass man in Großbritannien nichts mehr vom Euro hört, geschweige denn von einer Volksabstimmung über den Euro-Beitritt. Der Labour-Regierung schaudere es allein bei dem Gedanken, die Presse könnte sich der Debatte annehmen, und sie zur Schlammschlacht machen. Zum selben Thema, wenn auch aus etwas anderer Perspektive, fragt der Economist, inwiefern die international geprägte europäische Fußball-Landschaft zum Abbau nationaler Vorurteile beigetragen hat.

Und zweimal Südostasien : Obwohl das eher synkretistische Indonesien von einer Welle muslimischer Orthodoxie heimgesucht wird, glaubt der Economist nicht an eine fundamentalistische Wende. Trotzdem müsse es zu einer öffentlichen Diskussion über Religion und Toleranz kommen. Indonesien, so der Economist weiter, ist das unbekannteste unter den großen Ländern der Erde. Grund genug, Theodore Friends Überblick ("Indonesian Destinies") über diesen noch ziemlich jungen Staat zu begrüßen.

Außerdem erfahren wir, wie die Nahost-Region auf die neue geopolitische Lage im Irak reagiert, warum die von George Bush geplante Steuerreform geistlos und kurzsichtig ist, und schließlich, warum die klassische Musik anstatt des gewohnten "largo doloroso" ein "allegro con brio" anstimmen könnte.

Leider nur in der Printausgabe zu lesen: George Bushs diplomatische Weltreise und sein Verhältnis zur Pro-Israel-Lobby.
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 09.06.2003

Prem Shankar Jha denkt in einem Kommentar über den neuesten "bösen Jungen" der US-Regierung nach: Iran. "Iran wird der drei tödlichen Sünden angeklagt, die auch der Irak begangen haben soll: es entwickelt und besitzt eine Reihe von Massenvernichtungswaffen, es beschützt Terroristen, und es hat jahrelang die Menschenrechte verletzt." Grund für einen Angriffskrieg? Unser Kommentator empfiehlt, diesmal etwas genauer hinzusehen als beim Irak. Dort seien nämlich bis heute keinerlei Massenvernichtungswaffen gefunden worden. "Die Schlussfolgerung ist unausweichlich: während der letzten zehn Monate hat das verachtete Regime von Saddam Hussein die Wahrheit gesprochen, und die zwei ältesten, verantwortungsbewusstesten und friedliebendsten Demokratien der Welt haben gelogen."

In Indiens Metropolen schießen neue Restaurants nur so aus dem Boden und der "Mumbai Good Food Guide" ist 900 Seiten stark - die indische Mittelklasse, berichtet Paromita Shastri in der Titelgeschichte, isst immer häufiger nicht zu Hause: "Die Arbeitszeiten in den Büros werden länger, die Angestellten werden jünger, gute Köche sind schwer zu finden, die Frau des Hauses ist häufig berufstätig (...) Und vor allem übernehmen Kinder und junge Erwachsene im Haushalt mehr Entscheidungen, und eine davon ist es, weniger von Mamas Mahlzeiten zu essen." Elf Prozent des Einkommens wird bereits in Edelrestaurants und Fast-Food-Läden getragen, am beliebtesten ist authentisches ethnisches Essen von italienisch bis vietnamesisch. Gute Zeiten also für risikowillige Unternehmer - nach der Informationstechnologie kommt das Essen an die Reihe.

Weitere Artikel: Chander Suta Dogra berichtet aus wohlhabenden ländlichen Gebieten des Staates Punjab, in denen mehr als vierzig Prozent der jungen Leute drogensüchtig sind, Poornima Joshi fragt sich, ob die indische Gesundheitsministerin allen Ernstes die Ausbreitung von AIDS mit Kampagnen bekämpfen will, denen das Wort "Kondom" zu schmutzig ist und Manu Joseph ist aufgefallen, dass die männlichen Bollywood-Stars vom Typ "heldenhafter Liebhaber" alle um die vierzig sind - auch nicht mehr die Jüngsten.

Archiv: Outlook India

Nouvel Observateur (Frankreich), 29.05.2003

Das Titeldossier beschäftigt sich mit der Schwulenbewegung und was sie seit der ersten öffentlichen Demonstration 1969 in New York verändert hat. In einem Interview gibt der Philosoph Didier Eribon Auskunft über seinen "Dictionnaire des cultures Gays et Lesbiennes" (Larousse), in dem er die Geschichte dieser "Revolution" von A bis Z durchbuchstabiert. Darin erklärt er unter anderem, warum der Christopher Street Day eigentlich ein "Mythos" sei. So habe es bereits "seit Ende des 19. Jahrhunderts" in Städten wie Paris, London, Berlin und New York "einen unglaublichen Reichtum homosexuellen Lebens gegeben", der erst "durch den Zweiten Weltkrieg vernichtet" worden sei; anschließend folgte der "Konservativismus der 50er und 60er Jahre". "Alles was davor geschehen war, wurde dadurch aus dem kollektiven Gedächtnis und dem historischen Wissen gelöscht. Und als 1968 an den Mauern der Sorbonne Plakate eines 'comite d?action pederastique' klebten, glaubte man, die Schwulen seien damit erstmals in der Geschichte aus dem Schatten getreten."

Eine Rezension seines Dictionnaires lobt dieses als "Meilenstein im Pfuhl der Vorurteile": "Seine wissenschaftliche Objektivität, die Vielzahl der berücksichtigten Gebiete - von der Music-Hall bis zur Ethnologie - die Einfachheit der Einleitungen (...), die Qualität der Abbildungen machen es zu einem Nachschlagewerk, dem der Erfolg gewiss ist."
In kleinen Porträts werden Märtyrer, Vorkämpfer und Denker der Bewegung vorgestellt (von Magnus Hirschfeld über Oscar Wilde bis zu Michel Foucault). Berichtet wird über den schwulen Pay-TV-Sender Pink TV, der bald auf Sendung gehen soll, ein Artikel untersucht, wie (unterschiedlich) die Werbung in den USA und Frankreich den milliardenschweren Markt anspricht und erobern will, und ein kleiner Text widmet sich schließlich alten und neuen Formen der Homophobie.

In einem kleinen Schwerpunkt wird der 100. Geburtstag von George Orwell begangen: mit einem Porträt, Laurent Joffrin, erklärt, weshalb gerade die Linke Orwell (wieder) lesen sollte und der Philosophiedozent und Orwell-Spezialist Jean-Claude Michea begründet in einem Interview, inwiefern Orwell heute "aktueller denn je" sei. Besprochen werden ein Band mit den gleichermaßen "traurigen und witzigen" Porträts junger Franzosen ("Jeunesses", Le Dilletante), die Henri Calet 1954 für die Zeitschrift "Elle" geschrieben hat. Vorgestellt wird schließlich noch ein 800-Seiten-Wälzer des französischen Außenministers Dominique de Villepin über die "Leidenschaft ihres Lebens: die Poesie" ("Eloge des voleurs de feu", Gallimard).

Außerdem zu lesen: ein Interview mit Jimmy Page, dem Gitarristen von Led Zeppelin, anlässlich eines Comebacks per neuer DVDs und CDs und ein Hinweis auf zwei Ausstellungen über die Entdeckung der Sahara im Musee de l?Homme und im Museum d?Histoire naturelle.

New York Times (USA), 01.06.2003

Mit ihrem frechen und provokativen "The Memory of All That" (erstes Kapitel) hat Betsy Blair, die Frau von Gene Kelly (nicht nur ein Tänzer) und "rothaariges Showgirl, Schauspielerin, Linke, Ehefrau und Mutter, Abenteurerin und Europhile - im inspirierenden Alter von 79 Jahren ihr literarisches Debüt vorgelegt", schreibt James Toback und legt noch ein dickes Lob nach: "Ich kenne kein anderes Buch, das aus der Innenperspektive dieser mythisch-historischen Hollywood-Welt heraus geschrieben wurde, schon gar nicht eines von außen her, dass auch nur annähernd jene Stimmung wieder so lebendig machen würde." Denn als Kelly "die Nummer 1 als Schauspieler, Sänger, Tänzer, Choreographer und Regisseur war, umfasste die soziale und professionelle Welt der beiden praktisch jeden berühmten Namen der Zeit", erklärt Toback. Er hofft, dass sich Lady Blair entscheidet, "noch mehr zu schreiben, weiterzumachen, immer wieder zu überraschen".

Für die Sommerlektüre hat die New York Times Book Review eine ganze Liste an Empfehlungen zusammengestellt, basierend auf den Besprechungen seit Weihnachten und aufgeteilt in Belletristik und Sachbuch. Außerdem gibt es Lesetipps zu den Bereichen Reise, Garten und Kochen.

Weitere Rezensionen: Überraschend lustig findet Lisa Zeidner Mayra Monteros Don-Juan-inspirierte Fabel "Deep Purple" (Leseprobe). Mit träumerischer Intensität lasse die kubanische Autorin ihren Helden von seiner lebenslangen Kampagne berichten, mit jeder namhaften Interpretin klassischer Musik zu schlafen. Richard Eder hält die ungewöhnlich lange fünfjährige Wartezeit für Thomas Bergers neuen Roman "Best Friends" (erstes Kapitel) für angemessen. Denn die "dicht geflochtene Tragikkomödie", die den Alltag aus mythischer Sicht beschreibe, gehöre zu den besten von Bergers bisher 22 Erzählungen. James R. Kincaid dagegen empfiehlt "Star of the Sea" (erstes Kapitel), Joseph O'Connors "mutigen und kunstvollen" Roman, in dem sich ein Ire im Jahre 1847 aufmacht, einen Adligen zu töten, bevor ihr gemeinsames Schiff den Hafen von New York erreicht.
Archiv: New York Times