Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.11.2003. Die London Review of Books hat einem Bildungsfunktionär bei der Arbeit zugesehen. Im Express kritisiert der Schauspieler Charles Berling die Dominanz der Regisseure, die große Schauspieler verhindert. Im Espresso erklärt Virginia Postrel den Erfolg von Starbucks und Schwarzenegger. Das beste Mittel gegen Antisemitismus ist Aggression, findet Henryk M. Broder im Spiegel. Warum Manuel Puigs Homosexualität in seinem Heimatdorf heute noch Irritationen auslöst, erzählt die argentinische Zeitschrift Radar. Der Economist widmet den USA ein Dossier.

Outlook India (Indien), 17.11.2003

Mit Pauken und Trompeten verkündet Outlook India die Erfolgsgeschichte eines neuen Industriezweiges, der gut gebildete junge Leute mit Geld versorgt: Outsourcing. Große westliche Konzerne lassen computergestützte Arbeiten von der Kundenbetreuung über Verwaltungstätigkeiten bis hin zu Entscheidungsprozessen in Indien erledigen und die Outlook-Redaktion vermutet: "Die Sache könnte größer werden als die Software-Revolution." Allerdings steht in einem zweiten Artikel, warum der Boom in ein paar Jahren schon wieder vorüber sein könnte.

In Indiens Metropolen wird nicht mehr getanzt, berichtet Shobita Dhar - zumindest nicht dort, wo die Avantgarde des Nachtlebens verkehrt. Man geht nicht mehr aus sich raus, man geht in sich, redet und hört dem eklektischen Musikmix zu: "Die Generation, die den Club-und-Pub-Lifestyle in schwindelerregende Höhen trieb, hat ihre jugendlichen Ambitionen, hip zu sein, überwunden." Beziehungsweise: Lounge is the new hip, ob beim Ausgehen, in der Mode, in der Musik und sogar beim Tourismus: Guatemala ist so loungy!

Und gleich drei interessante Bücher werden vorgestellt. Mushirul Hasan hat eines gelesen, das dem mäßig kundigen Outlook-Leser zum Handbuch werden könnte: eine zweibändige Geschichte der Babri-Moschee in Ayodhya, dem Symbol und teilweise auch Austragungsort ewiger Kämpfe zwischen der muslimischen Minderheit und den Hinduisten. 1992 von radikalen Hindunationalisten zerstört, ist die Debatte um die Moschee am vermeintlichen Geburtsort der Hindu-Gottheit Rama bis heute wahlentscheidend. Gut, dass A. G. Noorani das Thema ausgewogen aufbereitet, wenn auch, findet der Rezensent, etwas zu detailreich.
Außerdem ist Madhu Jain voll des Lobes für Gayatri Sinhas Einführung in die indische Kunst. Und schließlich wird eine Textsammlung von Sham Lal, dem legendären Redakteur der Times of India, besprochen, in der Prem Shankar Jha nicht weniger als eine ideengeschichtliche Chronik der Entstehung und Entwicklung der modernen indischen Nation gefunden hat.

Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 13.11.2003

In einem interessanten Gespräch erklärt die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Virginia Postrel dem Italiener Enrico Pedemonte, was Starbucks und Arnold Schwarzenegger mit der Ästhetisierung unserer Lebenswelt zu tun haben. "Starbucks hat nicht den ästhetischen Genuss in den Cafes erfunden, das ist eine italienische Erfindung. Aber sie waren Pioniere, wenn es darum ging, das Erlebnis für den Kunden in einen wirtschaftlichen Wert zu verwandeln. Sie haben vor allen Anderen verstanden, dass man beim Besuch einer Bar nicht nur einen guten Kaffee oder gutes Essen sucht, sondern man immer am Ambiente, an der Atmosphäre, an der ästhetischen Erfahrung interessiert ist, die man dort macht." (Mrs. Postrel führt ein weblog hier.)

In seiner Bustina echauffiert sich Umberto Eco schön sarkastisch über die Forderung des Berlusconi-Vertrauten Giuliano Ferrara, die Zeitung l'Unita zu schließen, weil sie ihm mit ihrer Kritik angeblich Terroristen auf den Hals hetze. "In einer mangelhaften Demokratie wird nicht die Redaktionen der oppositionellen Zeitungen angezündet und die Chefredakteure in die Verbannung geschickt. Es reicht die Anmerkung, dass jede nicht so höfliche Kritik zur Waffe in der Hand eines Fanatikers wird."

Der große Kino-Komponist Ennio Morricone feiert seinen 75. Geburtstag, und widerspricht Alberto Dentice sehr energisch, wenn der ihn als Western-Spezialisten abkanzeln will. "Von meinen 400 Filmen sind nur 30 Western." Paola Caridi meint eine erotische Ägypten-Renaissance entdeckt zu haben und stellt die neuen Bücher zu Schleiertanz und mehr vor. Der Titel widmet sich den italienischen Verbrauchern, denn auch eine ganz normale Hausfrau kann sich am Wochenende in einen Lifestyle-Yuppie verwandeln, wie Maurizio Maggi recherchiert hat.

Im Gesellschaftsteil widmet sich der Espresso der Welt des Weins: Ein gutes Tröpfchen aus dem Kerker darf Monica Maggi (die Maggis scheinen eine Journalisten-Dynastie zu sein) ankündigen, denn unter den frühen Novello-Weinen feiert dieses Jahr auch der "Fuggiasco" aus dem Gefängnis von Velletri Premiere. Für den Weinliebhaber gibt es außerdem eine lange Liste mit Italiens besten Winzern, den besten Jahrgängen und den preiswertesten Abfüllungen.
Archiv: Espresso

Radar (Argentinien), 09.11.2003

Die Schwierigkeit - und das offenkundige Bedürfnis - zu vergessen, beschäftigt die aktuelle Ausgabe von Radar, der Literaturbeilage der argentinischen Tageszeitung Pagina 12. In einem langen Artikel äußert sich Umberto Eco zum Thema "La memoria del mundo" und klärt darüber auf, daß es offensichtlich unmöglich ist, absichtlich zu vergessen: "Gesualdo schlug in seiner Plutosophie das folgende Experiment vor: Man denke sich ein Zimmer, randvoll mit den Symbolen von Erinnerungen, die man vergessen möchte; sodann sich selbst, wie man sich daran macht, all diese Erinnerungen zum Fenster hinaus zu werfen: Alles, was man damit erreicht, ist, dass die Erinnerungen nur um so fester im Gedächtnis verankert werden." Erstaunlicherweise gilt das jedoch nicht für kollektive Erinnerungen, was Eco zufolge daran liegen könnte, "dass unser kollektives Gedächtnis an Spezialisten delegiert wird, an Historiker, Archivare, Journalisten, die die Wahl haben zwischen verschweigen, verdrängen, zensieren."

In einem anderen Beitrag berichtet Cecilia Sosa unter der Überschrift "The Villegas Affair" von einem Besuch in General Villegas, der Heimat(klein)stadt des zu Lebzeiten "skandalumwitterten" argentinischen Schriftstellers Manuel Puig, wo man auch 30 Jahre nach Erscheinen von "The Buenos Aires Affair", dem vielleicht skandalösesten von Puigs Romanen, die Affären um Puigs Leben nicht vergessen zu können scheint - so wenig, wie es Puig offensichtlich selbst gelang, jemals die Erinnerung an seine gehasst-geliebte Heimat(klein)stadt loszuwerden: "Auf der Toilette des 'Club Social Eclipse' machen sich drei Mädchen vor dem Spiegel zurecht. 'Puig?' - 'Der ist doch hier geboren.' - 'Er war schwul.' - 'Schwul?' Die Lockige mit der Brille reißt die Augen auf: 'Mir hat man gesagt, er sei homosexuell gewesen.' - 'In diesem Kaff ist alles möglich.'"
Archiv: Radar

Milenio semanal (Mexiko), 09.11.2003

Erinnerungs- bzw. Vergessenspolitik auch in Milenio semanal, der Kulturbeilage der mexikanischen Tageszeitung Milenio (Zugang nach einfacher Registrierung): Fernando Vallejo ("Die Madonna der Mörder"), in diesem Jahr Gewinner des wichtigsten lateinamerikanischen Literaturpreises Premio Romulo Gallegos und zweifellos ein würdiger Nachfolger Manuel Puigs in Bezug auf radikal ausgestellte Homosexualität und Freude an Skandal und Provokation, äußert sich unter der Überschrift "Mörder der Erinnerung" ebenfalls über seinen Traum, vergessen zu können: "Ich wünschte, es gäbe etwas, um Erinnerungen auszuradieren; das heißt, es gibt so etwas, zum Beispiel eine Alzheimer-Erkrankung, Senilität, oder den Tod, aber das sind ziemlich drastische Mittel. Ich lebe stattdessen in der Hoffnung, meine Erinnerungen auslöschen zu können, indem ich sie zu Papier bringe. Das funktioniert einigermaßen, es ist jedenfalls das, was meinem Traum davon am nächsten kommt."
Archiv: Milenio semanal

Economist (UK), 07.11.2003

In dieser Ausgabe geht es nur um das Eine: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA waren schon immer besonders, meint der Economist, na und? "Für die Außenwelt ist Amerika ein seltsam rätselhaftes Land - seltsam, aufgrund der Offenheit seiner Gesellschaft und der Fülle an Informationen, die wir darüber haben. Von Zeit zu Zeit jedoch wird aus dem Rätseln Sorge." Mit dem Irakkrieg stelle sich wieder einmal die Frage, ob man die amerikanische Besonderheit als "größte Gefahr" fürchten oder sie als "größte Hoffnung" begrüßen sollte. Dass diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten ist, wusste schon Alexis de Tocqueville, auf den der Begriff "American exceptionalism" zurückgeht.

Dazu hat der Economist auch ein ganzes Dossier zusammengestellt - über die USA und den 11. September, über den amerikanischen Patriotismus, über die tiefe inneramerikanischen Wertespaltung ("ein Land, zwei Kulturen"), über seine besondere Art der Religiosität und über seine besondere, kriegsähnliche Politikauffassung. Wer über Amerika schreibt, kann über George Bush nicht schweigen. Unter dem unheilverkündenden Titel "Dr. Jekyll und Mr. Bush" fragt der Economist: Ist George Bush besonders? Und schließlich geht es aufs Ganze: Ist Amerika "die letzte, beste Hoffnung auf Erden"?

In weiteren Artikeln lesen wir, warum George Bush trotz Steuersenkungen kein Ronald Reagan ist, warum Deutschlands grundgesetzlich verankerter Föderalismus dringend überdacht werden muss, dass sich im Irakkrieg die Front nach Amerika verschoben hat, ob Afghanistan in Zukunft die Islamische Republik Afghanistan heißen wird, und dass Ariel Sharon mit seiner derzeitigen, milderen Haltung eine Wende im Nahost-Friedensprozess einleiten könnte. Zuletzt ein schwungvoller Nachgesang auf den exzentrischen Tenor Franco Corelli (der so schön war, dass man endlich verstand, warum sich Mimi oder Violetta entführen ließen) und ein Lob für Ivan Hewetts leidenschaftliches Plädoyer ("Music: Healing the Rift") für eine lebendige moderne E-Musik.

Nur in der Printausgabe zu lesen: Alles, was Sie schon immer über Anglikaner wissen wollten.
Archiv: Economist

New Yorker (USA), 17.11.2003

In einem launigen Porträt stellt Peter J. Boyer den ehemaligen Armeegeneral und jetzigen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, Wesley Clark, vor und resümiert dessen "gefeierte, aber auch umstrittene" Militärkarriere. Clark, den Bill Clinton zum "einzigen Demokraten neben Hillary" erklärte, der das Zeug zu einem "Politstar" habe, antwortet auf Boyers Frage, wie er sich selbst seine Anziehungskraft erklärt: "Die Demokraten brauchen dringend jemanden, der eine kohärente Botschaft und den Mumm hat, sie auch zu verwirklichen. Ich finde einfach, dass der demokratische Dialog in den letzten Jahren während der Vorwahlen programmatische Begriffe betonte. 'Er ist für ein umfassendes Gesundheitssystem.' Oder: 'Er ist für was anderes.' Oder man benutzte Attribute, etwa 'Er ist gemäßigt', 'Er ist ein Liberaler'. Ich glaube, dass man meine Kandidatur nicht so leicht etikettieren kann."

Weitere Artikel: Calvin Trillin entwickelt einen Fragekatalog mit "freundlichen", "strategischen" und "Zen-Fragen" für die nächste Pressekonferenz mit George W. Bush. Er hat sogar eine "Alternative für die freundliche Frage" in petto: "Glauben Sie, dass die Blumen, mit denen, wie ihre Regierung gesagt hat, die Iraker unsere Truppen begrüßen würden, jemals gefunden werden?" Außerdem ist das erste Cartoon-Kreuzworträtsel des New Yorker zu lösen. Alex Ross lobt die brillante Akustik von Frank Gehrys neuer Walt Disney Concert Hall in Los Angeles (Bilder hier), allerdings fehlten ihr "Wärme und Seele". "Kein schlechtes Stück Stadtarchitektur" urteilt Paul Goldberg gnädig über das Time Warner Center am südwestlichen Rand des Central Park, das eine turbulente Baugeschichte hinter sich hat (Bild hier). Zu lesen ist die Erzählung "Hunting Knife" von Haruki Murakami (mehr hier).

Anthony Lane sah den neuen Film von Peter Weir "Master and Commander: The Far Side of the World", eine Adaption von Motiven aus den Seefahrerromanen von Patrick O?Brian (mehr hier). Ruth Franklin beschreibt anlässlich neuer Bände der englischen Werkausgabe den "Mythos" Arthur Rimbaud, und Hilton Als bespricht die Inszenierungen der Theaterstücke "The Caretaker" von Harold Pinter und "The Violet Hour" von Richard Greenberg,

Nur in der Printausgabe: ein Porträt des schottischen Schauspielers Billy Connolly (homepage), ein kryptisch betitelter Text über das Verwöhnen eines "etwas anderen" Filmstars (könnte sich um ein Tier handeln) und ein Gedicht von Sharon Olds.
Archiv: New Yorker

Express (Frankreich), 06.11.2003

Eine Art zeitgenössisches Volkstheater schwebt dem französischen Schauspieler Charles Berling vor. Bloß wie kann man ein solches Konzept umsetzten, wenn die Strukturen in der französischen Theaterlandschaft derart verkrustet sind? Für seine Hamlet-Inszenierung, die im Januar in Nanterre zu sehen sein wird, musste er vier Jahre lang um Fördermittel kämpfen. Berling stellt auch - mit Worten, die ein hiesiger Schauspieler nicht anders wählen würde - das Regietheater in Frage: "Seit 35 Jahren werden die subventionierten Theater von den Regisseuren dominiert. Nicht dass ich die einen gegen die anderen ausspielen will... Aber diese Übermacht hat eine gewisse Zahl großer Schauspieler an ihrer Entfaltung gehindert. Sie haben keinen wirklich Platz im öffentlichen Theater gefunden, konnten sich nicht popularisieren... Dieses Auslöschen der großen Schauspieler nützt dem Theater nicht."

Make love, not war, so könnte das neue Album von Juliette Greco heißen. Sein Titel: "Aimez vous les uns les autres ou bien diparaissez". Blumig-melancholisch äußert sie sich gegenüber dem Express zur Vergänglichkeit des Menschen, um sich im nächsten Atemzug mit einer Schlange zu vergleichen: "Ich esse die Wörter wie eine Schlange. Ich verdaue sie langsam und eines Tages erscheinen sie zwischen meinen Lippen und sie werden zu meinen eigenen Worten, denn ich habe sie ausgewählt. Keiner wird mich dann küssen, der mir nicht gefällt". Die inzwischen 76-jährige Sängerin ist im Februar im Pariser Olympia zu erleben. Küssen verboten.

Und: Vorbei die Zeit, in der nüchtern ja geradezu klinisch kühl über Sexualiät geschrieben wurde, berichtet der Express. Laurence Debril und Ada Mercier stellen Neuerscheinungen der erotischen Literatur vor. Na dann ziehen Sie sich mal warm an.
Archiv: Express

London Review of Books (UK), 06.11.2003

Es ist kein Kinderspiel, ein intelligentes, richtungsweisendes Papier für die Zukunft der Universitäten zu erarbeiten, gibt Stefan Collini zu, doch was das britische Bildungs-Ministerium in seinem Papier "The Future of Higher Education" liefert, sei schlicht hirnlos: "Wir stellen uns ein Hochschulwesen vor, das den Bedürfnissen der Wirtschaft in Bezug auf Ausbildung, Forschung und Technologie-Transfer entspricht. Gleichzeitig muss es allen angemessen qualifizierten Individuen erlauben, ihr intellektuelles und persönliches Potential zu entfalten, und für die notwendige Ansammlung von Fachwissen sorgen, in Wissenschaft und Technologie, in den Künsten und Geisteswissenschaften, die unsere Zivilisation und Kultur definieren." Diesen zwei Sätzen sehe man geradezu an, wie sie entstanden sind: "Sowie die Ergebnissse der letzten Umfragen eintreffen, schneidet ein Funktionär all die Dinge aus, die als gut bewertet wurden, und klebt sie in einer Zeile zusammen. Sobald sich eine ansehnliche Anzahl von Begriffen in dieser Weise angesammelt hat, setzt er einen Punkt ans Ende und nennt das einen Satz." Dies nimmt Collini zum Anlass, die Eckpunkte der Universitätsdebatte ins rechte Licht zu rücken.

Weitere Artikel: Virginia Tilley begräbt das Zwei-Staaten-Modell für den Frieden in Nahost. Ein Ein-Staat-Modell muss her. Thomas Jones findet es zweifelhaft, wie Christopher Ricks ("Dylan's Visions of Sin") über Bob Dylan schreibt: Den Meister nur auf das Motiv der Sünde hin zu lesen, verfälsche ihn. Am meisten jedoch stört Jones, dass Ricks zwar über Dylans Lieder schreibt, sich aber nicht mit der Musik auseinandersetzt. Gary Indiana amüsiert sich über den Kindergarten-Gouverneur Arnold Schwarzenegger, scheint ihm aber dennoch einiges zuzutrauen. "Präzision ist konzeptuelle Schönheit" - diesen Gedanken hat Peter Campbell von der Ausstellung "The Great Arc" mit nach Hause genommen, die zum 200-jährigen Jubiläum der indischen Landvermessung in der Londoner Atlantis Gallery stattfindet. Und John Sturrock gratuliert schließlich John Kampfner zu seinem Buch "Blair's Wars", das die Wandlung des eisernen Zivilisten Blair zum eisernen Kriegsherren Blair veranschaulicht.

Nur in der Printausgabe zu lesen: Michael Dobson ist dem Shakespeare-Bild auf der Spur.

Spiegel (Deutschland), 10.11.2003

"Lieber Täter als Opfer": Unter diesem Titel überlegt Henryk M. Broder, was wirklich gegen Antisemitismus helfen könnte. Jedenfalls nicht das neue Buch von Paul Spiegel ("Was ist koscher?"), mit dem dieser über das Judentum aufklären möchte. Das nütze überhaupt nichts. "Der Zentralrat könnte zum Beispiel, statt die Justiz wie im Falle Hohmann anzurufen, die Beziehungen zur CDU einfrieren, solange die Partei ihren Abgeordneten nicht ausschließt. Ein wenig Aggression statt höflicher Regression wäre das richtige Mittel. Keine Ideallösung, aber besser und überzeugender als jede Antwort auf die Frage: 'Was ist koscher?'"

Außerdem berichtet der Spiegel aus den USA, dass die Ausstrahlung einer "eher harmlosen" TV-Mini-Serie über das Leben von Ex-Präsident Ronald Reagan vom Fernsehsender CBS abgesagt wurde - was "einmal mehr" zeige, dass "die amerikanische Rechte mittlerweile alle Medien-Scharmützel gewinnt, noch bevor die Linke überhaupt weiß, was los ist".

Im Print: Ein Gespräch mit Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi "über den Missbrauch des Islam durch die Politik". Ein Bericht über den Konkurrenzkampf zwischen Klavier- und Flügelherstellern. Und ein Interview mit Kylie Minogue über "Sex-Bilder in der Popwelt" und ihre neuen Lieder.

Im Titel geht es um die Probleme der Lehrer in Deutschland.
Archiv: Spiegel

Times Literary Supplement (UK), 07.11.2003

Par Rogers hat die Briefe der Hester Lynch Piozzi ("The Piozzi Letters") gelesen, die ihre Liebe ebenso der Literatur wie den Literaten schenkte. Absolut bewunderungswürdig findet Rogers die Großzügigkeit, mit der die reiche Witwe ihren untreuen Proteges begegnete - von Samuel Johnson bis James Boswell: "Die besten Schriftsteller sind nicht unbedingt die besten Freunde. Letztere werden mehr geschätzt - zumindest von ihren Zeitgenossen. Nach 50 Jahren jedoch wird den anderen der Applaus gehören", schrieb Piozzi.

Weiteres: David Caute empfiehlt Caroline Mooreheads exzellente Biografie der Journalistin Schriftstellerin und Neuen Frau Martha Gellhorn. John Burnside begeistert sich für Redmond O'Hanlons teils haarsträubende, teils surreale Studie über Nordatlantik-Fischer, deren Hochsee-Fahrten ein Kinderspiel seien verglichen mit ihren Kampf gegen die Londoner und Brüsseler Bürokratie. Stephen Abell befindet, dass Kultautor Russell Hobans mit seinem neuen Roman "Her Name was Lola" vorhersagbar geworden ist (immerhin ist es schon sein zwölfter). Und David Coward versichert nach Lektüre von Jean-Paul Bertauds neuer Biografie, dass Choderlos de Laclos ein ehrenhafter Aristokrat von republikanischer, aber nicht jakobinischer Gesinnung war und deshalb überhaupt nichts mit dem Valmont aus den "Gefährlichen Liebschaften" gemein hatte.

Nouvel Observateur (Frankreich), 06.11.2003

In einem Interview erläutert Marcel Gauchet, Philosoph, Historiker und Chefredakteur der Zeitschrift Le Debat, warum Frankreich derzeit zwar eine "Krise der Demokratie" erlebe, er aber dennoch nicht an einen "Niedergang" glaubt. Anlass ist das Erscheinen seines Gesprächsbandes "La Condition historique" (Stock). Entgegen der Thesen der "Prediger des Verfalls" glaubt Gauchet nicht an eine "verhängnisvolle Dekadenz". Die das gesellschaftliche Leben bestimmenden Werte seien "im Prinzip" nach wie vor gültig, was dagegen "Probleme bereitet, ist ihre praktische Unsetzung".

Ein Dossier befasst sich mit einer neuen "Welle" der Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs in Frankreich. Ein Hintergrund für die verstärkte Erinnerungsarbeit: Die letzten Überlebenden und Zeitzeugen dieses "europäischen Massakers" verschwinden allmählich. Neben Texten über die Auseinandersetzung mit dem Krieg im Film (hier) und in der Literatur (hier), informiert eine Publikationsliste über interessante Neuerscheinungen und in einem Interview erklären zwei junge Autoren, warum sie den Stoff in ihren - erfolgreichen - Romanen verarbeitet haben.

Die französische Historikerin und Expertin für die französische Revolution, Mona Ozouf, bespricht einen Band mit Liebesbriefen von Madame Roland, genannt Manon (1754-1793), Girondistin und Gattin des französischen Innenministers Jean Roland de la Platiere. Vorgestellt werden außerdem ein Band mit Texten und Gesprächen von Gilles Deleuze aus den Jahren 1975 bis 1995 (Minuit), und der zweite Film seiner Tochter Emilie Deleuze, "Monsieur V.".

Zu lesen ist schließlich noch ein interessantes Doppelporträt der "revolutionären" aus Mali stammenden Sängerinnen Oumou Sangare (mehr hier) und Rokia Traore (mehr hier).

New York Times (USA), 09.11.2003

Holden Caulfield auf Ritalin (mehr): Sam Sifton kann seine Begeisterung über "Vernon God Little" nicht verbergen. Einen "gefährlichen, gewieften, lächerlichen und sehr lustigen" Erstling habe der geheimnisvolle Autor unter dem Pseudonym DBC Pierre (Gewinner des Man Booker Prize 2003) da abgeliefert. Vernon Gregory Little, dessen bester Freund 16 Mitschüler und dann sich selbst erschossen hat, wird zur Zielscheibe der Lust nach Vergeltung in seiner Stadt. "Die Schreibe ist einfach unglaublich. Es gibt da eine zerissene Punk-Rock-Empfindsamkeit in Pierres Stil, die wirklich einzigartig ist. Natürlich ist 'Vernon God Little' kein perfekter Roman. Das will er auch gar nicht sein. Es ist ein Aufschrei satirischen Protests", findet Sifton. "Holden Caulfield hätte Vernon Little gemocht, besonders wenn er Zugang zu einer Packung Ritalin gehabt hätte."

Einen gewaltigen Verriss fährt sich Martin Amis (mehr auf Deutsch oder im Original) mit seinem neuen Roman "Yellow Dog" ein. Die Parodie um einen Mann, der nach einen Schlag auf den Kopf zum Lüstling wird, angereichert mit einem schmierigen Boulevardjournalisten und dem neuen König von England, veranlasst Walter Kirn zu einer recht ungnädigen Diagnose. "Wenn die heimliche Freude am Negativen dem aufrichtigen Drang zum Pedantischen weicht, dann erreicht der Satiriker die Grenzen seines Genres."

Weiterer Artikel: Ethan Bronner stellt zwei Werke zur Gründungsgeschichte Israels vor, die die von jungen israelischen Historikern attackierte Größe der Gründergeneration wiederherstellen wollen, dabei aber nicht als wissenschaftliche Studien missverstanden werden dürften. "Es sind Polemiken, aber von der intelligenten Sorte." Adrian Frazier findet offensichtlich auch den zweiten Teil von R. F. Fosters Yeats-Biografie großartig (hier eine schöne Seite zu Leben und Werk des Dichters). Dickes Lob auch von Terrence Rafferty an Peter Carey für "My Life as a Fake", einen virtuosen Stilmix mit einem wundervollen, perversen Dreh: ein literarischer Scherz erwacht zu echtem Leben und übertrifft seinen Schöpfer.

Im New York Times Magazine geht's diesmal fast ausschließlich um Film. Rob Walker schildert ein Imageproblem der Oscars: Sie werden zu elitär. Das schlimmste Jahr war 1997. Die ausgezeichneten Filme - "The English Patient", "Sling Blade", "Shine", "Fargo", "Breaking the Waves", "Secrets and Lies" - hatte kaum jemand gesehen. Quentin Tarantino und Brian Helgeland (L.A. Confidential) plaudern übers Drehbuchschreiben. A. O. Scott erklärt, warum Steven Spielberg - Godards Spott zum Trotz - der größte lebende amerikanische Filmregisseur ist. Lynn Hirschberg stellt Tim Burtons neuen Film vor: "Big Fish" - mit viel Dialog und Albert Finney in der Hauptrolle. Daphne Merkin erklärt uns, was die Kamera in Cate Blanchett sieht. Und Maria Ruffo beschreibt Jude Laws Verwandlung in "a thoughtful woman's idea of a leading man".
Archiv: New York Times