Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
08.03.2004. Für die London Review of Books lernt Neal Ascherson in Georgien, wie man manierlich Khinkali-Klößchen isst. Der New Yorker bewundert den Glamour afroamerikanischer Frisuren. Umberto Eco erklärt im Espresso den Unterschied zwischen Faschisten und Populisten. Radar porträtiert lateinamerikanische Comic-Helden. Der Economist forscht in den Hirnen von sieben Karmelitischen Nonnen. Das New York Times Magazine porträtiert den Saudi Mansour al-Nogaidan, Ex-Islamist, heute ein Liberaler.

London Review of Books (UK), 04.03.2004

Was wird aus Georgien nach seiner "samtenen Revolution", hat Neal Ascherson in Tiflis und anderswo gefragt und sich von der ganz eigenen, georgischen Art zu antworten bezaubern lassen: "Am nächsten Tag besuchten wir einen Buchladen, und dann schoss das kleine Auto einfach so davon, aufs Land. Doch in weniger als einer Stunde sollte ich jemanden in der Stadt interviewen. 'Wohin geht es denn?' Die drei Frauen brachen in entzücktes Lachen aus. 'Es geht vom Autoritarismus in Richtung Demokratie!' Als wir endlich anhielten, lernte ich in einem Straßencafe in der Nähe von Mtskhekta, wie man Khinkali-Klöße isst, ohne sich sich die ganze Hose zu bekleckern." (Lesen Sie zur samtenen Revolution auch unseren Brief aus Tiflis.)

Andrew O'Hagan liebt Fans, die über ihr Idol schreiben. Vor allem, wenn sie, wie Mark Simpson (hier) und Simon Goddard (hier) über eins von seinen eigenen Idolen schreiben - Morrissey: "Ich sah die Smiths im nächsten Sommer in Manchesters G-Mex wieder, beim Festival zum zehnten Geburtstag des Punk. Im Publikum waren ein paar tausend Freaks mehr als notwendig gewesen wäre, um das Bild der Nation für immer zu verunstalten. Morrissey kam auf die Bühne mit einem Transparent, auf dem 'The Queen is dead' zu lesen war - noch besser, dachte ich - und jede der anwesenden Personen schien im gleichen Augenblick den jedem Briten angeborenen Sinn für Maßstäbe zu verlieren." Kein Wunder, bei den Songtexten: "Und da brach ich in den Palast ein / Mit einem Schwamm und einem rostigen Schraubenschlüssel / Sie sagte: 'Hey ich kenne Sie, und Sie können nicht singen.' / Ich sagte: 'Das ist noch gar nichts, Sie sollten mich mal Klavier spielen hören.' (The Queen is dead)"

Außerdem: Sehr interessant der Artikel von Hilary Mantel, die vor allem bei Rudolph Bell und Cristina Mazzoni ("The Voices of Gemma Galgani: The Life and Afterlife of a Modern Saint") nachgelesen hat, wozu weibliche Heilige imstande sind (vom Ausschlürfen eines Eitergeschwürs bis zum Todesfasten). Sich selbst jedoch sieht sie außerstande, auch nur auszusprechen, was die heilige Franziska von Rom getan hat (wir haben vergeblich versucht, es herauszufinden, und sind dankbar für jeden Hinweis). In Short Cuts widmet sich Thomas Jones der Bibel des britischen Pfadfinders, Lieut.-General R.S.S. Baden-Powell CB FRGS' "Scouting for Boys", in dem man unter anderem lernt, alles vom Emu aufwärts auf einer asphaltierten Straße zu verfolgen. Und schließlich verschmilzt Nicholas Penny mit dem verflixt roten Braun von El Greco, dessen Bilder in der Londoner National Gallery zu sehen sind.

New Yorker (USA), 15.03.2004

In einer herrlichen Reportage berichtet Judith Thurman von den Künsten afroamerikanischer Haarstylisten in Los Angeles, die in Frisiershows - in Hotels oder im Fernsehen - ihre teilweise abenteuerlichen Kreationen zeigen. Die Popularität derartiger Veranstaltungen, erklärt Thurman, habe durchaus etwas mit einem ganz speziellen Interesse zu tun: "Eine der kleinen Ironie der black history besteht darin, dass die bescheidenen Summen, die Millionen von Leuten für die 'Entkrausung' ihrer Haare ausgeben, einen ziemlichen Batzen ausmachen; dieses Geld blieb aber in der community und machte die kleinen Unternehmer auf diesem Sektor reich."

Weiteres: Malcolm Gladwell gratuliert der Mall zum 50. Geburtstag. Seit Einführung dieser Form von Einkaufszentren sei "Amerika nicht mehr dasselbe". William Finnegan untersucht, ob die Beziehungen der Familie Bush zu den Exil-Kubanern in Florida allmählich problematisch werden. Hendrik Hertzberg erklärt, warum junge Konservative die Homoehe unterstützen, und Nancy Franklin räsoniert über die spontaneitätsfreie Oscar-Verleihung. Die Erzählung "In the Palace of the End" kommt von Martin Amis.

Besprechungen: Nicholas Lemann las die Erinnerungen des ehemaligen Times-Journalisten Jayson Blair, der aufgrund "journalistischer Missetaten" gefeuert wurde und nun unter dem beziehungsreichen Titel "Burning Down My Masters' House" seine Version der Affäre liefert. Kurzbesprechungen gelten unter anderem dem Buch "Disarming Iraq" von Hans Blix und einer Studie über Somerset Maugham. Hilton Als schreibt über zwei "entthronende" Theaterinszenierungen am Lincoln Center, und Anthony Lane sah im Kino "Distant" von Nuri Bilge Ceylan ("ruhig und stagnierend, aber von seltsamer Anziehungskraft") und "The Run" von Andrey Zvyagintsev.

Nur in der Printausgabe: ein Modespecial mit einem Text über den Kimono und einem Porträt Miuccia Pradas, ein Bericht über die Rückkehr des Cowboys und Lyrik von Robert Wrigley und Henri Cole.
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 08.03.2004

Umberto Eco erklärt in einer lesenswerten Grundsatz-Bustina den Unterschied zwischen Konservativen, Revolutionären und Faschisten, um dann auf den Populismus a la Berlusconi überzuschwenken, der keine Inhalte hat, sondern nur Methode ist. "Es ist eine Form des Regierens, die, um die parlamentarischen Kompromisse zu umgehen, eine direkte Verbindung zwischen dem Führer und den Massen herzustellen versucht." Perfektes Beispiel sei das geplante neue Jagdgesetz, das die Jagdsaison erheblich verlängern soll (hier formiert sich der Widerstand). "Das diskutierte Gesetz fährt die Beschränkungen auf prä-ökologische Dimensionen zurück. Warum? Weil man mit diesem Vorschlag auf alte Strömungen eingeht, auf das Tiefe im Volk, das alle Kritik und Reform der Tradition ablehnt. Dieser Gesetzesvorschlag zeigt wieder einmal die populistische Beliebigkeitsnatur einer kriecherischen Regierung, die sich von Appellen an die unkontrollierten Instinkte der weniger gebildeten Wähler ernährt." Das Gesetz ist schließlich zurückgezogen worden, erfahren wir vom WWF.

Der Schwerpunkt dieses Frühlingsheftes liegt auf dem Essen. Graziarosa Villani legt dar, nach welchen Kriterien sich die Italiener am Supermarktregal entscheiden. Überraschung: "Meistens ist es die Lust auf etwas." Im ellenlangen Titel propagiert Paola Emilia Cicerone zeitgemäß die "neue Ernährungspyramide", diverse Schlankmacher und Diäten. Ciao, Panna cotta! Ade, ihr wundervollen Cornetti con crema!
Archiv: Espresso
Stichwörter: Eco, Umberto, Populismus, Cicero

Radar (Argentinien), 07.03.2004

Alles, was Kult ist, in der aktuellen Ausgabe von Radar, der Wochenendbeilage der argentinischen Tageszeitung Pagina 12:

Ein "Exklusivabdruck" von Passagen aus Oliver Stones' Marathon-Filminterview mit Fidel Castro "Comandante": So, schwarz auf weiß, präsentiert sich das Ganze als ein einziges "Um den heißen Brei"- (wie auch "aneinander vorbei"-) Gerede: "Sind Sie ein Diktator?"- "Was ist ein Diktator? Weiß das jemand wirklich? Und ist es schlecht, ein Diktator zu sein? Denn die US-Regierungen, zum Beispiel, waren sehr gute Freunde der größten Diktatoren. Marx spricht von der Diktatur des Proletariats, nicht von einer persönlichen Diktatur", usw. usf.. Der zweite Exklusivabdruck bietet Fotos und Passagen aus dem Drehbuch von Pedro Almodovars allerneuestem Film "La mala educacion", der das diesjährige Filmfestival von Cannes eröffnen darf.

Ein weiterer Filmartikel resümiert die kursierenden Gerüchte über die Dreharbeiten an noch einer neuen Che Guevara-Biografie, diesmal unter der Regie von Terrence Malick - als wären nicht gerade erst die beiden Che Guevara-Filme von Walter Salles (bei dem Gael Garcia Bernal - der auch eine Hauptrolle in Almodovars "La mala educacion" übernommen hat - den Che gibt) und Gianni Mina (mehr über den Film hier) vorgestellt worden. Malick soll allerdings schon 1967, gerade von Philosophiestudien in old Germany (u. a. bei einem Herrn Heidegger) zurückgekehrt, als Journalist an einem Auftrag gescheitert sein, den er für den New Yorker hätte ausführen sollen: ein Che Guevara-Porträt. Malicks Che ist übrigens Benicio del Toro, der für diese Rolle nicht abspecken muss, denn der Film widmet sich vor allem den letzten Jahren Guevaras.

Außerdem in Radar: Eine Hymne auf die "Clever & Smart"-Verfilmung (im spanischen Original heißen die "Mortadelo y Filemon") von Javier Fesser, mit Benito Porcino in der Rolle des Mortadelo: "Keine Ahnung, ob Porcino ein guter oder ein schlechter Schauspieler ist - aber er ist Mortadelo!", schwärmt Regisseur Fesser. Passend dazu Porträts von zehn Comic-Superhelden, die an der Peripherie von Super-, Bat- und Spiderman in ihren Heimatländern Heldenstatus genießen: So der Italiener Dylan Dog, der Kubaner Supertinosa, die russische Blondine Oktobriana, der Chilene El Manque oder aus Japan Ultraman. Nicht weniger eigenwillig die portugiesische Malerin Paula Rego, die seit vielen Jahren in London lebt, wo sie soeben Charlotte Brontes "Jane Eyre" illustriert hat - Maria Gainza stellt die Künstlerin vor, die auch schon einmal für den Turner-Prize nominiert war.

Wer nach alledem noch nicht genug Bilder im Kopf hat, braucht in Buenos Aires nur den Nahverkehrszug zum Ausflugsort El Tigre am Parana-Delta zu besteigen: Dort erwarten ihn paradiesische Refugien wie El Hornero, wo bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein fröhlicher Homo-Karneval gefeiert wird.
Archiv: Radar

Folio (Schweiz), 01.03.2004

Das neue Folio steht unter dem Stern des wohlkultivierten Gesundheitswahns. Martin Linder hat eine Schlossklinik am oberbayrischen Abtsee besucht, die sich auf die planmäßige Drosselung des Alterungsprozesses (man sagt dazu heute auch Anti-Aging) spezialisiert. Der Chefarzt der Klinik nimmt im Prinzip jeden auf. "'Einmal hat mich eine über 90-jährige ungarische Gräfin aufgesucht', erzählt Wagner. Was er für sie tun solle, habe er ein wenig ratlos die bereits etwas faltige Dame gefragt, worauf sie antwortete. 'Schaun S'mich on, möchten S'so rumlaufen? Tun S'wos!'" Viel konnte Wagner nicht tun, aber darauf, lernt man aus dem Artikel, kommt es auch gar nicht an. Ein medizinisches Geheimnis immerhin bringt uns Linder mit: die beste Chance auf eine Verlängerung des Lebens besteht darin, weniger zu essen.

Weitere Artikel: Udo Pollmer erklärt uns, warum Ernährungstipps nur Schuldgefühle produzieren: "Die Angst, die einst die Sexualität umgab, haben wir erfolgreich aufs Essen übertragen". Werner Bartens ist überzeugt, dass vor allem der Kult um die Gesundheit uns krank macht. Jedoch: "Die steile Karriere vom ominösen Syndrom zum anerkannten Leiden ist nicht mehr aufzuhalten". Stephanie Friedhoff liefert zu dieser These eine Reportage aus Florida, wo sich viele Menschen inzwischen "einen eigenen Doktor für jedes Körperteil" leisten. Markus Schneider fragt sich, warum die Schweiz das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt hat.

Luca Turin schließlich plädiert konsequent und mit gut durchdachten Argumenten für ein unvernünftiges Leben: "Die Bereitschaft zu einer Kosten-Nutzen-Analyse ist stets ein Anzeichen für intellektuelle Reife. In Wirklichkeit sind die Vorzüge aller gebräuchlichen Drogen enorm, und die Weigerung, sie angemessen zu würdigen, grenzt an Undankbarkeit. 'Junge trifft Mädchen' wäre ungleich heikler ohne ihr Zutun. Viele von uns (die termingerecht um Ende September herum geboren wurden) verdanken ihr blankes Leben den während des Äthanoldämmers zwischen Weihnachten und Neujahr eingeleiteten, glücklichen chemischen Reaktionen."

Archiv: Folio

Economist (UK), 05.03.2004

Ist Gott Chemie? Nun, genau so wollen die Gehirnforscher der Universität Montreal ihre derzeitige Versuchsreihe nicht verstanden wissen (wohl auch wegen der zu erwartenden Proteststürme). Es geht ihnen vielmehr darum, so der Economist, den Wirkungszusammenhang zwischen chemischen Stoffen - etwa Meskalin - und Spiritualitätserfahrungen zu erforschen: "Im ersten Experiment erfassen Dr. Beauregard und sein Doktorant Vincent Paquette anhand von Elektroden die elektrische Aktivität in den Gehirnen von sieben Karmelitischen Nonnen. Ihr Ziel ist es, die Gehirnprozesse zu identifizieren, die der 'Unio Mystica' - dem christlichen Begriff für die mystische Einheit mit Gott - zugrundeliegen. (...) Am Ende jeder Sitzung bittet Dr. Beauregard die Nonnen einen Fragebogen auszufüllen, in dem sie nicht nur das Gefühl der Liebe und der Nähe zu Gott einschätzen sollen, sondern auch Zeit- und Raumverzerrungen. 'Je intensiver die Erfahrung, desto größer die zeitlich-räumliche Desorganisation', sagt er. Typischerweise verlangsamt sich die Zeit, und das Selbst scheint in einer größeren Einheit aufzugehen, die die Nonnen als Gott beschreiben."

Weitere Artikel: Samuel Huntington scheint seinen nächsten Kulturclash gefunden zu haben: in der letzten Foreign Review beschrieb er die apokalyptische Vision, dass die Latino-Immigranten Amerika spalten. Der Economist findet das ein bisschen einspurig gedacht. BBC-Legende Alistair Cooke, der seit 1946 2.869 Mal mit seiner "Letter from America" auf Sendung ging, hört mit 95 auf. Und der Economist begrüßt Bruce Caldwells Einführung in Friedrich von Hayeks ökonomisches Gedankengebäude ("Hayek's Challenge").

Zu gegebenem Anlass, der Aufmacher (leider nicht online) und ein Special Report über Haiti mit Artikeln über Haiti nach Aristide, die Bedeutung des Aufstands für die amerikanischen Wahlen, und die Verbesserung der franko-amerikanischen Beziehungen.

Außerdem lesen wir, warum der Economist John Kerry als Linkspopulisten einschätzt, wie der Jahresbericht des Paten lauten könnte ("Signori, Signore, ich freue mich, Ihnen berichten zu können, dass Ihre - das heißt unsere - Organisation ein Jahr der Wachstums hinter sich hat"), was der Galapagos-Insel-Effekt ist und warum Japans Justizreform ihn wahrscheinlich verstärken wird, und was mit der "Haarlosigkeit" schwarzer Löcher gemeint ist.

Und last but not least, ein Mode-Dossier, das mit den landläufigen Vorurteilen aufräumen will. Etwa mit diesem: "Keine Frau, die bei gesundem Menschenverstand ist, wird sich in einem Aufzug auf die Straße begeben, als sei sie gerade aus einem altägyptischen Grab gestiegen.
Archiv: Economist

Nouvel Observateur (Frankreich), 04.03.2004

Amos Oz (mehr) äußert sich anlässlich des Erscheinens seines Buchs "Une histoire d'amour et de tenebres" unter anderem über sein Verhältnis zu Europa, zum Terrorismus, zum Schreiben, zum jüdischen und palästinensischen Staat. Zum Stichwort jüdisches Leben in Frankreich schreibt er: "Ich lebe in Israel und verwünsche Sharon jeden Tag laut und deutlich. Ich schreibe jede Woche einen Artikel, worin ich wiederhole: Scher' dich zum Teufel, Sharon! Das schreibe ich ununterbrochen, aber aus irgendeinem mir unbekannten Grund, schert sich Sharon nicht zum Teufel ... Wenn ich in Frankreich lebte, hätte ich vielleicht ein kleines Problem damit, diesen Satz zu sagen - und zugleich ihn nicht zu sagen. (...) In Israel habe ich damit nicht das geringste Problem: Scher' dich zum Teufel, Sharon, aber Hand in Hand mit Arafat - marschiert gemeinsam in den Sonnenuntergang, wie in einem schlechten Hollywoodfilm."

Des weiteren bringt der Obs einen Auszug aus dem autobiografischen Buch "L'Africain" (Mercure de France) des französischen Schriftstellers Jean-Marie Gustave Le Clezio. Darin erzählt er, inzwischen 64 Jahre alt, von einer Afrikareise, während der er als damals Achtjähriger erstmals seinem Vater - einem in Nigeria arbeitenden Arzt - begegnet (die Rezension finden Sie hier). Vorgestellt werden drei neue Publikationen, mit denen der Mittelalterexperte Jacques Le Goff (mehr) "seinen 80. Geburtstag feiert" und in denen er seine Methode erläutert. Besprochen wird ein Essay des Pariser Philosophen Vincent Delecroix ("A la porte", Gallimard).

Zu lesen ist außerdem ein Porträt des gefeierten "Ausnahme-Schauspielers" Roland Dubillard (mehr hier), und fünf - auf der Website leider nicht namentlich genannte - Lyriker besingen die Ausstellung "La Grande Parade" im Grand Palais, die den Clowns gewidmet ist.

Outlook India (Indien), 15.03.2004

William Dalrymple geht hart mit V.S. Naipaul ins Gericht, genauer gesagt mit dessen "absurd einseitigem Verschnitt der mittelalterlichen Geschichte Indiens". Denn ob es um den Niedergang Vijayanagars oder die Herrschaft der Moguln geht - für Sir Vidia zeuge alles nur von einer "fatale Kombination von islamischer Aggression und hinduistischer Schwäche". Und selbst am Taj Mahal könne er kein gutes Haar lassen, den Naipaul als dekadente, grausame Extravaganz bezeichnet hat. "Es bedarf schon einer ungewöhnlichen Perversion, eines der schönsten Gebäude der Welt als bloßen Teil des kulturellen Vandalismus zu betrachten. Naipauls absolut negative Sicht auf die Geschichte des islamischen Indiens ist fest in der imperialistischen Geschichtsschreibung des Viktorianischen Großbritanniens verwurzelt".

Weiteres: S. Anand geht dem "kleinen dreckigen Geheinnis" nach, das Tausende von indischen Mittelklasse-Haushalten hüten: Die Beschäftigung von Kindern als Domestiken. Im Politikteil ist ein umfassendes Dossier den Wahlen im April gewidmet; die Meinungsumfragen sehen die BJP kurz vor der absoluten Mehrheit. Schließlich gibt es noch ein Interview mit Sri Lankas Premierminister Ranil Wickramasinghe und einen Serviceteil zum cleveren Geldanlegen.
Archiv: Outlook India

Times Literary Supplement (UK), 05.03.2004

Paul Barker hat eine großartige Studie über die Architektur englischer Shops gelesen: Kathryn A. Morrison lässt die Geschichte der Shops vom Mittelalter bis heute Revue passieren, erzählt Barker, und verknüpfe sie mit sozialgeschichtlichen Fragen. Denn "Die High Street kann als Palimpsest des sozialen Wandels gesehen werden", erkläre die Autorin, die heute einen Verfall des Einzelhandels und seiner Architektur befürchte: "Die Ladenbesitzer müssen sehr schnell laufen, nur um still zu stehen. Sie zerstören dabei gewaltsam einen Großteil ihrer vormaligen architektonischen Innovationen. Kaum eines der Laden-Interieurs der fünfziger und sechziger Jahre überlebt, außer in Co-ops; und das ist sowohl Ursache als auch Wirkung der Tatsache, dass die Co-ops im Rennen um Verkauf und Innovation zurückbleiben." 

Weitere Artikel: Der Kurator des British Museums J. D. Hill rügt seinen Kollegen Ronald Hutton, er habe "dem historischen und kulturellen Kontext, in dem der Tod des 'Lindow Man' zu verorten ist, zu wenig Beachtung geschenkt". Hutton hatte kürzlich entgegen der gängigen wissenschaftlich Interpretation behauptet, die auf 1 bis 250 AD datierte Torfleiche "Lindow Man", die im British Museum ihre letzte Ruhestatt fand, sei keinem heidnischen Ritualmord zum Opfer gefallen. Besprochen werden Muriel Sparks Roman "The Finishing School" und die von Michael Eberle-Sinatra und Robert Morrison editierte Neuausgabe der "Selected Writings of Leigh Hunt", die den viktorianischen Journalisten Leigh Hunt als "scharfsinnigen, eloquenten und gewissenhaften Fürsprecher sozialer und ästhetischer Reformen offenbart".

Spiegel (Deutschland), 08.03.2004

Marcel Reich-Ranicki bespricht den letzten Roman Undine Gruentners "Der verschlossene Garten": "Vielleicht haben wir noch nicht ganz begriffen, welche Lücke der Tod Undine Gruenters hinterlassen hat. Dieser Ton ist einmalig, diesen Stil gibt es nicht mehr in der deutschen Literatur."

Nur im Print: Ein Gespräch mit dem Sammler Friedrich Christian Flick über seine Familie und das umstrittene Berliner Museum für seine Bilder. Der Titel widmet sich "Merkels Präsident" Horst Köhler, der dem Spiegel ein Interview gewährt.
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 07.03.2004

3299 Seiten, 20 Jahre Arbeitszeit. William T. Vollmann (mehr) präsentiert "Rising Up and Rising Down", ein Monster von Buch, das nicht weniger sein soll als eine erschöpfende Analyse der Gewalt. "Ein seltsames Buch", meint Scott McLemee, "rigoros wie die euklidische Geometrie, und doch verschlungen wie eine Bretzel." Vollmann möchte Formeln entwickeln, die bestimmen, wann Gewalt legitim ist. Der Rezensent glaubt, er hat sich damit übernommen. "Manchmal verbinden sich die narrativen und theoretischen Erzählstränge und der Autor scheint kurz davor, sein Material zu synthetisieren... Aber solche Passagen werden schnell von der Flut an Logorrhöe weggespült." Keine Einzelperson wisse wohl mehr über Gewalt als der obsessive Vollmann, konstatiert der Rezensent schließlich, aber im Endeffekt sei diese Studie vor allem "ein beachtenswertes Beispiel des Buchs als Möbelstück".

Als "Südafrikas einzigen tragikkomischen Roman von Weltformat" preist Rob Nixon Marlene van Niekerks Debüt "triomf", das zehn Jahre nach seinem Erscheinen nun ins Englische übertragen wurde. Die inzestuöse weiße Benades-Familie will vor der Demokratie in den Norden fliehen, falls die ersten Wahlen im Jahr 1993 an die Schwarzen gehen. Niekerk zeige uns "Menschen, deren Voreingenommenheit und leichthändige Brutalität sich mit wachsender Zärtlichkeit und Liebe zu vermischen beginnen, wie das im Leben oft geschieht. Die Benades sind Geschichte, aber sie sind auch eine der unterhaltsamsten Familien der Gegenwartsliteratur."

Interessiert besprochen werden auch Sarah Dunants Renaissance-Roman "The Birth of Venus" (erstes Kapitel) über die Liebe zu Botticelli und den Klatsch als historische Kraft, Graham Robbs "Strangers", eine Untersuchung über die überraschend weit verbreitete Homosexualität im 19. Jahrhundert sowie Paul Baileys "Uncle Rudolf", eine Erzählung des "Herrn der Briefe" über das Gefühl, am falschen Platz zu sein.

Das New York Times Magazine startet eine Serie von Elizabeth Rubin über "Eindringlinge in das Haus Saud". Im ersten Teil liefert sie ein großartiges Porträt von Mansour al-Nogaidan, der sich vom fanatischen Islamisten in einen Liberalen verwandelte.
Archiv: New York Times