Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
18.01.2005. Es ging bereits durch die Abendnachrichten: der Reporter Seymour Hersh beschreibt im New Yorker Pläne der Bush-Regierung, mit einem Militärschlag die Atomanlagen des Iran zu zerstören. Outlook India ärgert sich über das rassistische Vokabular der indischen Medien. In chilenischen Radar empfiehlt der Schriftsteller Alejandro Jodorowsky: Zertrümmern Sie mit bloßer Faust sieben Wassermelonen. Im Espresso fürchtet Umberto Eco, das erste Kapitel seines Romans "Baudolino" könnte Käufer abschrecken. Die London Review durchschaut nach Lektüre des Oxford-Biografielexikons die englische Gesellschaft. Das polnische Plus-Minus feiert ein neues Talent: den Schriftsteller Rafal Wojasinksi. Im Nouvel Obs beschreibt Aharon Appelfeld unterschiedliche Formen der Erinnerungen an den Holocaust.

New Yorker (USA), 24.01.2005

In einem Artikel, der es gestern bereits in die Abendnachrichten gebracht hat, beschreibt der Reporter Seymour Hersh ("Die Befehlskette) Pläne der Bush-Regierung, militärisch gegen den Iran und seine Atomanlagen vorzugehen. Erleichtert werde dies dadurch, dass der Präsident eine Reihe von Vorschriften unterzeichnet hat, die dem Pentagon "verdeckte Operationen" erlauben, die nicht vom Parlament kontrolliert werden können: "Der Präsident und seine Berater für die Nationale Sicherheit haben ihre Kontrolle über die strategischen Analysen und verdeckten Operationen der militärischen und nachrichtendienstlichen Abteilungen konsolidiert, und dies in einem Grad, der seit der Erhöhung der Nationalen Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erreicht wurde. Bush hat aggressive und ehrgeizige Pläne, diese Kontrolle in seiner zweiten Amtszeit einzusetzen - gegen die Mullahs im Iran und gegen Ziele im noch immer andauernden Krieg gegen den Terror. Die C.I.A. wird weiter entmachtet und zunehmend als 'Vermittler' der Politik von Präsident Bush und Vizepräsident Dick Cheney dienen, wie es ein Regierungsberater mit engen Verbindungen zum Pentagon formulierte. Dieser Prozess ist bereits auf dem besten Weg."

Weiteres: John Lee Anderson untersucht, ob "der Schattenmann" Iyad Allawi, derzeit Interimspremierminister im Irak, das Land nach seiner möglichen offiziellen Wahl wirklich zusammenhalten kann. Andy Borowitz glossiert die Hauserwerbspraxis amerikanischer Filmstars. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Ice" von Thomas McGuane.

Besprochen werden eine Biografie über den "Vater der Eugenik", den britischen Naturforscher und Schriftsteller Francis Galton ("Extreme Measures: The Dark Visions and Bright Ideas of Francis Galton", Bloomsbury). John Updike rezensiert Haruki Murakamis Roman "Kafka am Strand". Peter Schjeldahl führt durch die Ausstellung "East Village USA" im New Museum Hilton, die der "do-it-yourself"-Kunstszene der 80er Jahre gewidmet ist. Und David Denby porträtiert den Schauspieler Ben Stiller, der gerade in "Meet the Fockers" von Jay Roach an der Seite von Robert de Niro, Barbra Streisand und Dustin Hoffman zu sehen ist.

Nur in der Printausgabe: eine Reportage von Jane Kramer über den aktuellen Stand der Fuchsjagddebatte in Europa und Lyrik von Jack Gilbert und Franz Wright.
Archiv: New Yorker

Outlook India (Indien), 24.01.2005

"Ja, es geht ihr prächtig, der Anthropologie, sie lebt auf den Inseln und macht gerade einen Ausflug in die Nachrichtensendungen." Bissig kommentiert Kai Friese die Konjunktur des rassistischen und kolonialistischen Vokabulars in den Medien, wenn es um die Ureinwohner der Andamanen und Nikobaren geht: "Willkommen auf den Andamanen, wo Genetik und Genozid, neolithische Stämme und Neanderthaler-Funktionäre in einer ebenso düsteren und chronischen Farce miteinander herumtollen. Ich war nicht mehr dort seit der Flutwelle, aber ich war früh genug dort um zu begreifen, dass die einheimischen Stämme ihre 'Überlebenstricks' in einem Tsunami namens Indien gelernt haben. Es ist eine Tatsache, dass die ethischen Dilemmata, die mit der Frage des Überlebens der Ureinwohner verbunden sind, immer schon wie ein Tierschutzproblem behandelt wurden. 'Keine wilden Tiere, nur wilde Menschen' wurde mir am Jirkatang Gate der Andaman Trunk Road mitgeteilt, einem Bau, der in den Achtzigern einen kleinen, aber blutigen Krieg mit den Jarawas auslöste."

Mehr zu den Nachwirkungen des Tsunami: Sheela Reddy hat provisorische Waisenhäuser besucht, mit Kindern und Betreuern gesprochen und erfahren, dass massenhaft Anträge zur Adoption aus zweifelhaften Quellen vorliegen. Ihrer Ansicht nach sind die Waisen in den staatlichen Häusern oft besser aufgehoben als bei Verwandten. Vor allem sind sie dort vor Kinderhändlern sicher. Seema Sirohi betrachtet die Spendenbereitschaft des Westens als Sieg der Menschen über ihre Regierungen.

Außerdem: Pramila N. Phatarphekar berichtet aus dem Keoladeo National Park in Rajasthan, ein Vogelschutzgebiet mit 540 Arten, das von der UNESCO zum Welterbe gezählt wird: Offizielle Stellen haben die Wasserversorgung eingeschränkt, mit der Folge dass tausend Nester verlassen wurden, und Krähen die Eier fressen. Namrata Joshi gibt einen hoffnungsfrohen Überblick über die Filme des neuen indischen Kinojahres: "Auf dem Papier erscheint 05 reich an interessanten neuen Themen und Stilen, nicht nur an den Rändern des Filmzirkus, sondern auch im Zentrum des Mainstreams."
Archiv: Outlook India

Radar (Argentinien), 16.01.2005

Martin Solares hat für Radar den chilenischen Schriftsteller Alejandro Jodorowsky (mehr hier) besucht, der seit Jahren jeden Mittwoch in einem Pariser Cafe eine "psychomagische" Ambulanz betreibt. Jodorowsky, der einst die Vorlagen für die Pantomimen von Marcel Marceau schrieb, später mit Fernando Arrabal und Roland Topor die Bewegung "Panique" gründete und in den sechziger Jahren in Mexiko mit seinen Filmen und Theaterinszenierungen regelmäßig Skandale auslöste, verdient sich heute als über Siebzigjähriger seine Rente mit Tarot-Sitzungen, zu denen die Leute stundenlang anstehen: "Kunst ohne Heilkraft interessiert mich nicht. Früher bewunderte ich Dostojewski, Proust, Kafka, aber ihre Werke sind nur Ausdruck einer großen Neurose. Sie verbringen ihre Zeit mit Nabelschau, Beschreibungen ihrer Neurosen. Als ich das begriffen hatte, sagte ich mir: 'Schluss, ich habe es satt, was ich will, ist eine Kunst, die heilt.'" Unter anderem empfiehlt Doktor Jodorowsky seinen Patienten: "Begehen Sie einen Raubüberfall, ernähren Sie sich 22 Wochen lang von einem Steak, zertrümmern Sie mit bloßer Faust sieben Wassermelonen, legen Sie neun weiße Rosen auf das Grab eines Großvaters."

Der Schriftsteller Rodrigo Fresan kommentiert nicht ohne Häme die große neue Borges-Biografie des Oxford-Professors Edwin Williamson (die bereits die Zustimmung von Christopher Hitchens und vernichtende Kritik durch David Foster Wallace erfahren hat): "Für englischsprachige Leser ein korrektes, funktionelles, angemessenes Buch, aber für uns total überflüssig. Wir erfahren so gut wie nichts Neues. Aber geben wir es zu: Borges' Biografie ist einfach nicht besonders interessant oder amüsant. Das ist bei den meisten Schriftstellern so. Im Vergleich zu anderen üben sie schlichtweg einen ziemlich bewegungsarmen Beruf aus. Erst in seinen letzten Jahren verwandelte sich Borges in eine Art blinden Phineas Fogg, der - freiwillig oder gezwungenermaßen - mehrfach die Welt umkreisen sollte, um nichts zu sehen und dabei zu viel zu reden." (Hier eine Übersicht über die in den letzten Jahren erschienenen argentinischen Borges-Biografien.)
Archiv: Radar

Espresso (Italien), 20.01.2005

Umberto Eco macht sich ein paar Gedanken über digitale Buchläden. Sicher gibt es viele Vorteile, meint Eco, immerhin könne man bei Amazon das Inhaltsverzeichnis und ein Kapitel aus vielen Büchern lesen. Er sorgt sich allerdings um die Verkaufszahlen seines Romans "Baudolino"! "Ich habe bei Amazon gesehen, dass in der amerikanischen Version nur das erste Kapitel gelesen werden kann." Das allerdings, so Eco, habe er in einer Fantasiesprache geschrieben. "Ich glaube diese Sache lässt viele Leser zurückschrecken, wahrscheinlich denken sie, auch der Rest des Buches ist so geschrieben. Ich fühle mich ein bisschen betrogen." Eco empfiehlt aber bei allem Jammern auch eine nützliche Seite für Bibliophile.

In der Titelgeschichte widmet sich Giorgio Bocca wieder der Ermordung der Journalistin Ilaria Alpi in Somalia im Jahr 1994. Laut Bocca verdichten sich die Hinweise darauf, dass Alpi sterben musste, weil sie dem international organisierten und staatlich sanktioniertem Handel mit Waffen und radioaktiven Abfällen in die Quere gekommen war. "Ein Skandal von internationalem Ausmaß, in den Dutzende Regierungen verwickelt sind, europäische und andere ..." Nun soll der Fall endlich wieder aufgenommen werden, fordert der Espresso.

Leider nur im Print: ein Interview mit Architekt Peter Eisenman oder die Besprechung des neuen Buchs des Altmeisters Alberto Bevilacqua.
Archiv: Espresso

Nouvel Observateur (Frankreich), 13.01.2005

Am 27. Januar ist es sechzig Jahre her, dass Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit wurde. Diesem Anlass widmet der Nouvel Observateur in dieser Woche sein Titeldossier, in dem unter anderem Interviews mit dem britischen Historiker Ian Kershaw und der Politikerin Simone Veil sowie Porträts und Erinnerungen von überlebende französischen Insassen (alle Links hier) zu lesen sind.

In einem Essay im Debattenteil denkt der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld, dem 1942 als Zehnjährigem die Flucht aus einem KZ gelang, über die generationsbedingt unterschiedlichen Formen der Erinnerung nach. Er stellt fest, dass den älteren Überlebenden eine fast "minuziöse" Beschreibung des Holocaust wichtig sei. Deshalb sei ihm häufig mangelnde Präzision vorgeworfen worden. Ihm gehe es aber darum, den Holocaust "auf ein menschliches Maß zurückzuführen. Das ist das entscheidende Problem, weit davon entfernt, einfach nur ein technisches zu sein. Mit 'zurückführen' meine ich nicht, das Entsetzen zu vereinfachen oder abzumildern. Sondern dafür zu sorgen, dass sich die Geschehnisse durch das Individuum ausdrücken, dass das Leiden aus den Statistiken heraustritt, aus der furchtbaren Anonymität, dass der Name des Individuums wiederhergestellt wird, der Qual die menschliche Gestalt zurückgegeben, die ihr genommen wurde. Die überlebenden Kinder sollten sich nicht wie die Erwachsenen an den Holocaust erinnern. Ihr Beitrag ist untrennbar mit ihren erlebten Erfahrungen verknüpft. Und diese Erfahrungen, so begrenzt sie sein mögen, sitzen tief. Nicht erstaunlich also, dass die Literatur über den Holocaust mit ihnen geboren werden sollte."

London Review of Books (UK), 20.01.2005

Weniger eine Besprechung als eine Hymne schreibt Stefan Collini auf das schon im September erschienene, riesige Oxford-Biografielexikon. Es hilft enorm, so Collini, die englische Gesellschaft zu durchschauen: "Grob gesagt gibt es sieben soziologische Hauptschichten. Zuallererst sind da jene, die in der Abbey begraben sind: Könige, Staatsmänner, Prälaten. Als nächstes die Land-und-Ehre-Meute: viele Hektar sein eigen zu nennen und viele Ausländer erschlagen zu haben war schon immer eine der zuverlässigsten Eintrittskarten zu Ruhm im englischen Leben. Dann gibt es da den Athenaeum Club: Richter, Schreiber, Beamte, Wissenschaftler, Professoren. Als nächstes kommt das Institut der Direktoren: Die Herrscher des Kapitals und überhaupt die Chefklasse. Danach die Hallo!-Gang: die Berühmten, die Berüchtigten, die Neureichen, die ewig Schamlosen. Dann haben wir die historischen Seltsamkeiten: die sehr Alten, die sehr Verrückten, die sehr Unwahrscheinlichen. Und schließlich diejenigen, 'die auf eine Gartenparty im Buckingham Palace eingeladen worden wären': lokale Bekanntheiten, die besten Krankenschwestern, die Gonghalter."

Weitere Artikel: Colin Burrow unterstellt dem Autor der neuen Shakespeare-Biografie Stephen Greenblatt schnöde finanzielle Interessen. Anders kann er sich die Veröffentlichung des Buches, das keine der Erwartungen des Rezensenten erfüllt, kaum erklären. Richard Rorty bespricht Scott Soames Geschichte der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts (Band 1, Band 2) recht wohlwollend, auch wenn er sie ein wenig anders erzählt hätte. Trotzdem ein "energiegeladenes, nachhaltiges und lobenswertes Buch", in dem Rorty besonders die Frage fasziniert, wieviele Sandkörner einen Haufen ausmachen. Und Peter Campbell besucht das Modellstädtchen Port Sunlight außerhalb von Liverpool, das einst der Seifenbaron William Hesketh Lever neben seiner Fabrik errichten ließ. Außerdem hat dieser eine recht "substantielle" Kunstsammlung zustande gebracht, meint Campbell, die ebenfalls in Port Sunlight zu sehen ist.

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 14.01.2005

Der israelische Schriftsteller Amos Elon stellt Antony Davids Biografie des "Kulturpapstes" Salman Schocken vor. Schocken war "ein rundlicher Mann von kleiner Statur, mit einem massigen Nacken und einem auffallend mächtigen Kahlkopf. Sein 1931 gegründetes dreisprachiges Verlagshaus - anfangs mit Sitz in Berlin, Jerusalem und Tel Aviv, bald auch mit Sitz in New York - war auf moderne hebräische Literatur und Judaika spezialisiert, aber sein kostbarstes Gut waren die Rechte am Gesamtwerk von Franz Kafka. Der Beitrag, den Schocken zum säkularen jüdischen Nationalismus und zur kulturellen Identität Israels geleistet hat, lässt sich kaum ermessen." Über diesen Mann, "der maßgeblich an der Erfindung des säkularen jüdischen Nationalismus mitgewirkt hat, liegt jetzt die vorzügliche Biografie von Antony David vor. David schreibt mit Verve und psychologischem Gespür, kritisch und sardonisch, aber auch mit einem klugen Blick für die oftmals extremen Widersprüche in der Persönlichkeit vom Salman Schocken. Dieser war, bemerkt er zum Beispiel, 'ein kosmopolitischer Jude in einer Zeit, da die Geschichte die Juden gezwungen hatte, eine Nationalflagge zu hissen und sich dem neuen jüdischen Staat anzuschließen'. Er war der Inbegriff des deutsch-jüdischen Liberalismus, 'ein Symbol der deutschen Juden (und) ihrer erstaunlichen Vitalität'."

Weitere Artikel: Jean-Christophe Servant beschreibt die Enttäuschung der Kenianer über die ursprünglich so enthusiastisch gefeierte neue Regierung Mwai Kibakis. Außerdem gibt es ein umfangreiches Dossier zu Energiefragen.

Plus - Minus (Polen), 15.01.2005

Das Magazin der Rzeczpospolita entdeckt ein neues Talent der polnischen Literatur: Rafal Wojasinski (die Leseprobe wird gleich mitgeliefert). "Mit kurzen, rauhen Wörtern beschreibt Wojasinski ein Leben im monotonen Rhythmus des menschenleeren Kujawien, er spricht über das Elend und die Erniedrigungen, denen man sich widersetzen soll. Respekt ist eine Frage der Überwindung von Angst und Mitleid - sagt er. Letztendlich zählen nur die Stärksten. Es ist, wie es einst Jozef Wittlin über das Werk Ernest Hemingways formulierte, eine Art barbarischer Humanismus".

"Die Reisen des jungen Che" kommt in die polnischen Kinos und ein anonymer kubanischer Schriftsteller (Pseudonym Eduardo Sanchez) erinnert sich daran, wie er als Pionier Che die Treue schwören musste, und erst später den Revolutionär eben durch jene Tagebücher entdeckte. Er fragt auch nach dem Fortleben des Mythos': "Was wäre aus dir geworden, Ernesto, wenn du überlebt hättest? Wärst du ein Archetyp geworden? Ein General, der uns herum kommandiert? Ein geliebter Anführer? Ein Don Quichotte des 21. Jahrhunderts? Eine Postkarte? Oder auch nur ein weiterer politischer Dinosaurier?"
Archiv: Plus - Minus

Times Literary Supplement (UK), 14.01.2005

David Coward erzählt die Geschichte der Schriftstellerin Irene Nemirowsky, deren 1942, kurz vor ihrer Ermordung in Auschwitz geschriebene "Suite Francaise" ein Sensationserfolg auf dem französischen Buchmarkt ist. "Geboren wurde sie 1903 in Kiew in eine Mittelklasse-Familie. 1914 war ihr Vater, ein energischer Kapitalist, einer der reichsten Bankiers Russlands ... Doch je mehr Erfolg ihr jüdischer Ehemann hatte, umso mehr glaubte Fanny Nemirowsky, unter Stand geheiratet zu haben. Sie distanzierte sich von seinem Klan und wurde zu einer eitlen herrschsüchtigen Grand Dame mit erheblichen Defiziten in mütterlicher Fürsorge. Irene Nemirowsky lernte ihre Mutter hassen und hinterließ in ihren Romanen bittere Porträts von ihr. In ihrem Werk drückte sich aber immer wieder auch eine beträchtliche Feindschaft gegenüber Juden aus, über die sie mit 'fasziniertem Horror' schrieb, wie Myriam Anissimow in ihrer exzellenten biografische Einführung zur "Suite Francaise" beobachtet. Dabei unterschied Nemirowsky sehr genau zwischen integrierten französischen Juden, deren Werte und Sehnsüchte sie teilte, und den kosmopoliten Geschäftsmännern (wie ihrem Vater), bei denen 'die Liebe zum Geld alle andere Gefühle ersetzt hatte'."

Abgedruckt werden auch Rudyard Kiplings Empfehlungen aus dem Jahr 1918 für das Ministry of Information, die gerade vom National Archive freigegeben wurden: "Soweit ich das sehe, ist es wichtiger als alles andere, die Munitionsfabriken mit steter Propaganda zu füttern, denn sie scheinen mit am stärksten isoliert. Was sie brauchen, sind Neuigkeiten und Beschreibungen von dem, was die von ihnen hergestellten Materialien alles bewirken können... Nehmen Sie die Flugzeuge. Sobald sie gefertigt sind, kommt kein Wort mehr über ihre Bewährung im Feld in die Fabrik zurück. Das ist genauso dumm, wie die Trainer und Stallknechte in einem Rennstall nichts davon zu berichten, wie sich ihre Pferde auf der Bahn geschlagen haben."

Besprochen werden weiter eine neue Werkausgabe von Mallarme und das Biopic über Bobby Darin "Beyond the Sea" mit Kevin Spacey.

Gazeta Wyborcza (Polen), 15.01.2005

War Witold Gombrowicz nur ein Spötter? Ein Nihilist? Keineswegs, meint der Publizist Slawomir Sierakowski, Chefredakteur der Zeitschrift Krytyka Polityczna, in der Wochenendausgabe der Gazeta Wyborcza. Schon im Frankreich der sechziger Jahre sei Gombrowicz missverstanden worden. Man betrachtete ihn dort als als ewigen Spötter, der einer Kultur, die sich Gottes, des Vaterlands, der viktorianischen Moral, des Verstands, sogar des Anstands entledigt hatte, genau das sagte, was sie hören wollte. Aber auch im heutigen Polen wird Gombrowicz missverstanden, meint Sierakowski. Vorreiter einer Schriftstellergeneration, die nur noch gegen etwas schreiben könne - "gegen das Vaterland, gegen die Tradition, gegen die Religion, gegen jede Ideologie und Weltanschauung, die sich selbst ernst nimmt und letztendlich gegen jeden Versuch, auf den Trümmern einer dekonstruierten Form eine neue zu errichten" - hätte Gombrowicz nie sein wollen.

"Ich glaube einfach, dass es Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt, auch wenn wir am Schluss verlieren sollten." Der Politologe und Philosoph Pierre Hassner erklärt im Gespräch mit dem Publizisten Artur Domoslawski, dass die heutige Welt sich zwischen Zivilisation und Barbarei entscheiden müsse. Doch müssten wir auch bedenken, "dass das, was wir im Westen für Fortschritt, Zivilisation und Universalismus halten, in großen Teilen der Welt als Arroganz und Hegemonialbestrebungen des Westens, insbesondere der USA, ausgelegt wird. Ich bin für den Universalismus und humanitäre Interventionen, aber oft nehmen sie repressiven Charakter an, statt auf ein positives Programm und Solidarität zu setzen."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Al Ahram Weekly (Ägypten), 13.01.2005

Kairo erlebt in dieser Woche die Premiere von Yousry Nasrallahs "Bab Al- Shams" - "Das Tor zur Sonne", der Verfilmung von Elias Khourys preisgekröntem Roman gleichen Namens. In einer langen Betrachtung entblättern Amina Elbendary und Mohamed El- Assyouti die Schichten der komplexen Erzählung und begründen, warum sie "Bab Al-Shams" schon jetzt für einen "Klassiker des arabischen und internationalen Kinos" halten: Er erzähle die palästinensische Geschichte von 1943 bis zum Osloer Abkommen episch, aber anhand des Schicksals von Individuen, die nicht als Platzhalter für Ideen einstehen müssen. Der Fim wird sich jedoch nicht nur Freunde machen, vermuten die Autoren, denn er handele auch vom Konflikt zwischen den Generationen: die der Kämpfer, die "ihre" Geschichte für die einzige halten, und die der Jüngeren, die im libanesischen Exil groß geworden sind und Palästina nur aus den Erzählungen der Älteren kennen, jetzt aber auf ihr eigenes Recht zu erzählen pochen - eine Generation, der auch der Regisseur angehört.

Weitere Artikel: Serene Assir wundert sich, dass die internationalen Beobachter den palästinensischen Wahlen einen einwandfreien Verlauf bescheinigt haben. Und Dena Rashed berichtet von den Debatten der Stadtplaner, die die Lebensqualität im Moloch Kairo verbessern wollen.
Archiv: Al Ahram Weekly

Economist (UK), 14.01.2005

Wir sind in einem Teufelskreis des Unglücks gefangen, behauptet Richard Layard in "Happiness", einer Abhandlung über die Glücksökonomie, die der Economist recht interessiert bespricht. Glück werde in zunehmender Weise als wichtiger wirtschaftlicher Faktor betrachtet, allerdings sei der Glückspegel in den industrialisierten Ländern schon seit Jahrzehnten eingefroren. "Wenn man 90 Stunden pro Woche im Büro verbringt, verbessert man vielleicht sein eigenes Einkommen, aber man macht im Gegenzug andere Leute unzufrieden mit ihrem Verdienst. Vielleicht werden sie dadurch angespornt, mehr zu arbeiten, um mithalten zu können, indem sie sich die Zeit nehmen, die vorher für Familie und die Gemeinschaft aufgebracht wurde."

Ein anderer Artikel stellt das neue Feld der Neuroökonomie vor, die ein wenig Angst macht. "Ökonomen werden sich nicht länger auf grobe statistische Modelle verlassen müssen, um herauszufinden, wie die Leute auf politische Kursänderungen wie eine Zins- oder Steuererhöhung reagieren. Sie werden vielmehr direkt ins Gehirn spähen können, um das Verhalten vorherzusagen."

Außerdem gibt es einen Nachruf auf den verstorbenen Comic Zeichner Will Eisner, einen hoffnungsvollen Blick auf die irakischen Wahlen, die vielleicht nur von den Sunniten boykottiert werden, neue Ergebnisse über die Entstehung von Universen und Sonnensystemen, eine Antwort auf die Frage, warum Frauen länger leben, eine Zusammenfassung der aktuellen Lageeinschätzung des britischen Kapitalismuskritikers Will Hutton, der seine vor zehn Jahren erstellte Analyse überprüft, einen Artikel über die gar nicht so isolierten Taliban-Geistlichen in Pakistan und eine kurze Schilderung der Schwierigkeiten der baltischen Staaten mit den Weltkriegsfeiern in Moskau.

Ein Special Report befasst sich mit den Punkten, die George Bushs zweite Amtszeit prägen werden, etwa die derzeit heiß diskutierte Frage nach der Zukunft der Sozialversicherung. Aus dem Taiwan-Schwerpunkt ist leider nur ein Beitrag über die mittlerweile völlig voneinander unabhängigen Wirtschaften der beiden Erzfeinde frei geschaltet.
Archiv: Economist

New York Times (USA), 16.01.2005

Nach zwanzig Jahren hat die New York Times Book Review wieder eine Reihe junger Autoren wie Jonathan Safran Foer, Susan Choi, Zadie Smith oder JT Leroy nach ihren literarischen Vorbildern gefragt. Nell Freudenberger glaubt nicht, dass man von anderen Schriftstellern etwas lernen kann: "Die meisten wünschen sich das auch gar nicht. Wie Zirkuskünstler wollen sie vor einem Publikum auftreten, dass sich zurücklehnt und verführen lässt - und nicht nach Hause rennt und Trapezstunden nimmt."

Unsere Intuition ist meist sogar besser als langes Nachdenken, behauptet Malcolm Gladwell in "Blink" nach einem wilden Ritt durch mehrer Wissenschaftsdisziplinen. David Brooks kann das nicht ganz glauben, ist aber trotzdem begeistert: "Wenn sie meinem ersten Eindruck glauben möchten, kaufen Sie dieses Buch: Sie werden entzückt sein. Wenn Sie meiner reflektierteren zweiten Einschätzung folgen möchten, kaufen Sie es: sie werden entzückt sein, aber frustriert, und verstört mit dem Willen nach mehr zurückgelassen werden." Hier das erste Kapitel.

Weitere Artikel: Elissa Schappell empfiehlt Curtis Sittenfelds Debütroman "Prep" (erstes Kapitel) wegen der "schneidenden und unparteiische Art", mit der Sittenfeld über Klassenunterschiede an Eliteschulen schreibt: Die Heldin lerne nämlich, dass "die Reichen nicht nur komplex und interessant sind, sie können ein Mittelklassemädchen etwas über Toleranz und Grazie lehren". In einem Essay entdeckt Virginia Postrel in der Neuauflage des erfolgreichen Handbuches zur Arbeitssuche "What Color Is Your Parachute?" eine Gegenthese zu Max Webers protestantischer Ethik: Hier muss die Arbeit nicht nur Erfüllung sein, sondern auch Spaß machen.

Im New York Times Magazine warnt Roger Lowenstein titelgebend davor, was die Regierung in den nächsten vier Jahren alles mit dem amerikanischen Sozialsystem anstellen will. Das "könnte mehr dazu beitragen, den New Deal rückgängig zu machen, als Goldwater, Stockman und Reagan sich je hätten träumen lassen."

Weitere Artikel: Arthur Lubow porträtiert Thom Mayne, den Lieblingsarchitekten der Regierung: Die großen öffentlichen Ausschreibungen der vergangenen Zeit hat sein Büro Morphosis fast alle gewonnen (ein Buch hat er auch schon darüber geschrieben). Andreas Killen blickt zurück zurück und schildert die ersten Flugzeugentführungen in den Siebzigern, als in den USA allein alle zwei Wochen ein Jumbo gekidnappt wurde. Und Deborah Solomon befragt den Schotten Craig Ferguson, warum er als Moderator für die Late Late Show eingestellt wurde, obwohl er so gut aussieht.
Archiv: New York Times