Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.03.2005. In der New York Review of Books bewundert J. M. Coetzee die verrückte Loyalität William Faulkners zu Weib, Verwandtschaft und Studioverträgen. Die Gazeta Wyborcza diskutiert über ein polnisches Museum für moderne Kunst. Prospect staunt über die absurden Kriterien der britischen Asylbehörde im Lunar House. Im Nouvel Obs erwägt la-Repubblica-Gründer Eugeno Scalfari, sich bei Bush für den Irakkrieg zu bedanken. Das TLS verteidigt Bernard-Henri Levy als willkommenen Störenfried. Elet es Irodalom weiß, warum die Lissabon-Strategie scheitern muss. Der New Yorker widmet sich der Krise in der Werbebranche.

New York Review of Books (USA), 07.04.2005

Einen wunderschönen Text über den Nobelpreisträger William Faulkner hat Nobelpreisträger J. M. Coetzee geschrieben. Anlass ist die Faulkner-Biografie "One Matchless Time" von Jay Parini, die Coetzee allerdings nur mäßig gelungen findet (ein gutes Gespür für den Autor spricht er ihm zu, aber auch die "Bereitschaft, ihn zu vulgarisieren"). Coetzee selbst schreibt etwa über Faulkners seltsame Entscheidung, seine besten und produktivsten Jahre in Hollywood zu verschwenden: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Faulkner um ein ausgeglichenes Konto bemühte. Von Beginn an dachte er von sich selbst als poete maudit, und es ist das Los eines poete maudit, gering geschätzt und schlecht bezahlt zu werden. Alles, was also überrascht, ist, dass die Last, die er auf sich lud - eine verschwenderische Frau, die mittellose Verwandtschaft, die unvorteilhaften Studioverträge - mit solcher Ausdauer getragen wurde, sogar auf Kosten seiner Kunst. Loyalität ist ein wichtiges Thema in Faulkners Leben und Schreiben, aber es gibt auch so etwas wie verrückte Loyalität, verrückte Treue (der konföderierte Süden war voll davon)."

"Brauchen wir nach dreißig Jahren ein weiteres Buch über die Pentagon-Papiere? Ja, tun wir", schreibt Anthony Lewis über John Prados' and Margaret Pratt Porters "Inside the Pentagon Papers", das noch einmal die Geschichte jener Papiere dokumentiert, die bewiesen, dass die USA bereits die Intervention in Vietnam planten, als sie noch öffentlich jegliches Interesse daran leugneten. Absolut aktuell findet Lewis die Fragen nach der Macht des Präsidenten, der Rolle der Gerichte und der Aufgaben der Presse in Kriegszeiten. "Die entscheidende Lektion, die wir aus den Pentagon Papieren und danach aus Watergate gezogen haben, war, dass Präsidenten nicht über dem Gesetz stehen. So dachten wir zumindest. Heute aber erklären uns Regierungsanwälte, dass der Präsident tatsächlich über dem Gesetz steht - dass er die Folter von Gefangenen anordnen darf, auch wenn internationale Verträge und Bundesrecht dies verbieten."

Weitere Artikel: James C. Goodale greift den Bericht eines angeblich unabhängigen Panels auf, das den Fernsehsender CBS dafür kritisiert, Dokumente über George W. Bushs nachlässigen Dienst bei der Nationalgarde vorschnell an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Allerdings meint Goodale, dass der Bericht nichts über die Echtheit der Dokumente sagt und somit am Thema vorbeigeht. John Leonard gibt zu Protokoll, dass es ihn nicht die Bohne interessiert, was Jonathan Lethem über Howard the Duck oder Obi-Wan Kenobi denkt, weshalb er Lethems neue Erzählungen "Men and Cartoons" völlig überflüssig findet. Über Don DeLillo würde er aber gern was von Lethem lesen. Patricia Storace feiert die Erinnerungen "Persepolis" der iranischen Comic-Zeichnerin Majane Satrapi als brillante Erzählung, außerordentlich frisch und fesselnd. Margaret Atwood preist die Neuauflage des Buches "Visa for Avalon" der englischen Schriftstellerin Bryher.

Gazeta Wyborcza (Polen), 19.03.2005

In Warschau soll ein neues Museum für moderne Kunst entstehen... oder doch eher für zeitgenössische Kunst? Darüber diskutieren in der Gazeta Wyborcza der Historiker Krzysztof Pomian ("Der Ursprung des Museums") und der Kunst- und Architekturhistoriker Andrzej Turowski. "Die polnische zeitgenössische Kunst und die polnische Gesellschaft kamen bisher ohne ein zeitgenössisches Museum aus. Wir können nur erahnen, welche Vor- und Nachteile das bisher mit sich brachte", schreibt Turowski. Jetzt werde es aber Zeit für ein neues Museum, das "seine modernistischen Wurzeln nicht verschweigt. Es muss an das 20. Jahrhundert anknüpfen, aber die in der Moderne mystifizierten Kategorien, Klassifizierungen und Abstraktionen hinterfragen. Es sollte ein Museum sein, das den aktuellen Stand der Kunst widerspiegelt und gleichzeitig ihren Platz in einer demokratischen Kultur verhandelt."

"Ein Museum für moderne Kunst wäre zwangsläufig ein Museum der künstlerischen Avantgarde. Ein Museum für Anhänger jener Avantgarde und nicht für all jene, denen man den Wandel der Kunst im 20. Jahrhundert erst erklären muss: die Brüche und das Aufbegehren gegen materielle, technische, formelle und thematische Grenzen", meint Pomian. "Das Museum sollte so geplant werden, dass es nicht von vornherein auf Ausstellungen festgelegt wird. Ich bin für eine größtmögliche Öffnung des Museums, das Kunst im weitesten Sinne zeigen sollte: Mode, Innenaustattung, Architektur, Film, Werbung und Propaganda. Alle Materialien und Techniken, die im 20. Jahrhundert verwendet wurden, sollten zugelassen werden. Das einzige Kriterium sollte die Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch sein. Auch wenn diese Unterscheidung manchmal fraglich ist, und später revidiert werden kann."

Piotr Buras und Basil Kerski analysieren, inwieweit die (ost-)deutschen Erfahrungen mit dem Erbe der Stasi wirklich Vorbild für die Polen sein können: "Wie tiefgreifend war die Entkommunisierung in Ostdeutschland? Wurde die Offenlegung der Stasi-Akten für politische Abrechnungen missbraucht? Die Fälle Stolpes oder Gysis zeigen, dass das nicht immer der Fall war." Die Autoren behaupten, dass der Staatsapparat in Ostdeutschland nicht etwa von ehemaligen IM's gesäubert, sondern einfach durch westliche Beamte ersetzt wurde. "Ohne die Wiedervereinigung hätten wir Zustände wie in Albanien oder Moldawien", wird der Historiker Stefan Wolle zitiert. Insgesamt finden die Autoren die Berufung auf das deutsche Vorbild durch einige Anhänger der radikalen Lustration in Polen übertrieben, vor allem, weil die institutionelle Aufarbeitung des Erbes der DDR nur ungenügend von einer moralischen Aufarbeitung begleitet worden sei.
Archiv: Gazeta Wyborcza

Prospect (UK), 01.04.2005

Lunar House heißt der "Orwellsche, undurchsichtige und niemandem Rechenschaft schuldige" Ort in Großbritannien, an dem über sämtliche Asylanträge entschieden wird. James Fergusson war da und schildert die Missstände. Dazu gehört für ihn vor allem die mangelnde Bildung und Ausbildung der Antragsprüfer, wie es im Fall eines Afghanen deutlich wurde, der behauptete, in seinem Heimatland verfolgt zu werden, und dessen Antrag abgewiesen wurde: "Der Punkt ist, dass die Behörde seinen Antrag nicht mit der Begründung abwies, seine Befürchtungen bezüglich der Verfolgung seien unbegründet (?), sondern mit der Begründung, er stamme nicht aus Kabul, wie er behauptet hatte. Sie beschuldigten ihn - eine üble Beleidigung -, ein Pakistani zu sein, der nur vorgab, Afghane zu sein. Sie waren zu diesem Schluss gekommen, nachdem sie ihm eine Reihe von Fragen gestellt hatten, von denen eine lautete: 'Wie heißt der Flughafen von Kabul?' Das verblüffte den Tadschiken, denn der Flughafen von Kabul ist unter Afghanen als? 'Flughafen von Kabul' bekannt. 'Falsch', sagten die Interviewer, 'Er heißt Khwaja Rawash!' Technisch gesehen hatten die Interviewer Recht: Der Flughafen von Kabul liegt in einem abgelegenen Bezirk dieses Namens. Doch eine solche Frage zu stellen war so, als erwarte man von einem Londoner, dass er weiß, dass Heathrow in der Gemeinde Hillingdon liegt." (Die Geschichte hat übrigens noch eine Pointe: Wenig später begegnet besagter Antragsteller einem Pakistani, der sich erfolgreich als Afghane ausgeben konnte, weil er die unter Asylbewerbern mittlerweile bekannte Flughafen-Frage richtig beantwortet hatte, und dem somit das Aufenthaltsrecht erteilt wurde.)

Weitere Artikel: Wer sind wir eigentlich? Und müssen wir unbedingt wissen, wer wir sind? - Aufmacher ist ein von David Goodhart moderiertes Gespräch über die Notwendigkeit einer Wiederentdeckung britischer Identität, an dem Intellektuelle und Politiker unterschiedlicher Couleur (unter anderem Gordon Brown, Neal Ascherson, Kenan Malik und Billy Bragg) mitgewirkt haben. Owen Harries unterzieht die gängigen Vorstellungen darüber, wie sich Außenpolitik und Moral zueinander verhalten, einer gründlichen Prüfung und spricht sich schließlich für eine Ethik der Umsicht aus. Paul Barker schwärmt abgöttisch von Nikolaus Pevsners mittlerweile legendärer, weil hellsichtiger Architekturführer-Reihe "Buildings of England" und bedauert es zutiefst, dass Ost-Londons Stadtplaner sich nicht eingehender mit Pevsners "London 5" beschäftigt haben (in Wahrheit bezweifelt Barker, dass sie besagten Führer überhaupt gelesen haben). Anthony Robinson sieht in der Yukos-Affäre das Potential einer russischen Dreyfus-Affäre. Und schließlich behauptet Brenda Maddox nach der Lektüre von Adam Phillips' "Going Sane", dass wir keine Definition davon brauchen, was Gesundheit überhaupt ist.
Archiv: Prospect

Plus - Minus (Polen), 19.03.2005

"Die Sprache, Guinness, Musik und Kampf - das ist irische Identität." Das Magazin der Rzeczpospolita berichtet aus Belfast, wo das Gälische (eine Kostprobe) dank verschiedener Initiativen - wie zum Beispiel Geal Linn - wieder zum Leben erweckt werde. "Kein fremdbeherrschtes Volk in Europa (Polen, Tschechen, Ungarn, Finnen) wurde einer so repressiven Sprachenpolitik unterzogen wie die Iren", schreibt die Reporterin. Die größten irischen Schriftsteller wie Wilde, Joyce, Shaw, Beckett oder Heaney wurden wegen ihrer auf Englisch verfassten Werken kaum als Iren wahrgenommen. "Aber das zum Aussterben verurteilte Gälisch erwacht zu neuem Leben. In Irland und in Ulster. Es findet immer mehr Anhänger, selbst auf der Straße hört man Menschen wieder Gälisch sprechen."
Archiv: Plus - Minus

Nouvel Observateur (Frankreich), 17.03.2005



Im Debattenteil denkt Eugeno Scalfari, Gründer von la Repubblica, darüber nach, ob man sich bei Bush für den Irakkrieg bedanken müsse. Immerhin, schreibt er am Ende seines Beitrags, sind zumindest "Anzeichen für Freiheit und Demokratie" im Irak erkennbar. "Aber vorerst haben die USA ein Land mit Ruinen und Toten übersät. Es heißt, Bush werde dafür vor der Geschichte und der Nachwelt gerade stehen müssen. Doch das Urteil der Nachwelt ist nur für die Nachwelt von Interesse. Den heute Lebenden kann es reichlich egal sein. Sicher, für jene, die daran glauben, wird es das Jüngste Gericht geben. Doch wenn ein Mann überzeugt ist, Gott auf seiner Seite zu haben, an oder sich eigentlich, pardon, Seit an Seit mit Gott wähnt, ist das Urteil des Jüngsten Gerichts schon gesprochen. Bush wird deshalb vermutlich unter den Seligen sein."In der gleichen Abteilung ist eine Liebeserklärung an Istanbul von Jean Baudrillard zu lesen ("Jede Stadt hat ihre Phänomenologie. Doch jede Stadt hat auch ihren Grundton, der sich in keinster Weise mit seinem Ursprung deckt"). Der bisher unveröffentlichte Text aus dem Jahr 1999 erscheint in der 84., dem Philosophen gewidmeten Ausgabe der "Cahiers de l?Herne", die auch Beiträge von Edgar Morin, Michel Maffesoli und Jacques Donzelot enthält.

Aus Anlass des Salon du Livre porträtiert der Nouvel Obs den mächtigsten Literaturagenten Frankreichs, Francois-Marie Samuelson. Er vertrat und vertritt unter anderem Marguerite Duras, Philippe Djian, Pierre Assouline und Michel Houellebecq und genießt unter Verlegern den Ruf eines "gefährlichen Genies", der den Autoren den Kopf verdrehe und die Honorare hochtreibe. Ergänzend wird sein angelsächsisches Gegenstück Andrew Wylie vorgestellt, der etwa Martin Amis, Norman Mailer, Saul Bellow, Orhan Pamuk, Philip Roth und Salman Rushdie betreut.

Zu lesen ist außerdem eine Zusammenfassung der neuesten kunstwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Mona Lisa, die im Louvre einen neuen Saal bezieht, sowie ein Bericht über die Szene der agilen argentinischen Kulturschaffenden in Paris.

Times Literary Supplement (UK), 18.03.2005

"Lieber mit Bernard-Henri Levy irren, als mit Philippe Cohen recht behalten", will Frederic Raphael, der die französische Debatte um den Star-Philosophen aufgreift. In seinem Buch "BHL" hatte Cohen Levy als intellektuellen Abenteurer und mittelmäßigen Philosophen gebrandmarkt, der nicht einmal eine eigene Theorie zustande gebracht habe. Frederic Raphael bezweifelt, dass Cohens Argumente in Großbritannien schlagen: "Cohens Vorwürfe basieren auf Annahmen, deren negative Anklänge schwerlich über den Kanal reichen dürften. Das Entwerfen von Konzepten, das Vorlegen von Theorien und die Vorstellung von intellektuellen Entdeckungen sind genauso oft die Kennzeichen falscher Propheten und eitler Kritiker wie die innovativer Bedeutung. Wenn BHL, dem König der nouveaux philosophes, ein Anti-Anti-Amerikanismus und die Ablehnung der 'clotures' (der nationalen und sozio-kulturellen Abschottung) vorgeworfen wird, dürfte er eher als willkommener Störenfried angesehen werden, denn als intellektueller Hausierer, dessen Eklektizismus ein Zeichen für mangelnde Seriösität sei."
Stichwörter: Levy, Bernard-Henri

Elet es Irodalom (Ungarn), 18.03.2005

Die bisherigen Reformprojekte der EU - zum Beispiel der Binnenmarkt, die Währungsunion und die Osterweiterung - wurden mehr oder weniger pünktlich Wirklichkeit. Warum klappt es nicht mit der Lissabon-Strategie, fragt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Janos Gacs. Seine Antwort: einerseits sei die Lissabon-Strategie der europäischen Öffentlichkeit praktisch unbekannt geblieben. Es kam zu keiner öffentlichen Debatte, die für die Durchsetzung beziehungsweise Weiterentwicklung eines Reformprojektes unerlässlich sei. Andererseits erinnere der Glaube an die "Allmächtigkeit der Planung" an Maximen der sozialistischen Planwirtschaft: "Die Absicht, ein anderes System einzuholen, die vielen ambitionierten Pläne, ... die Naivität des 'wenn wir das nur stark genug wollen, wird es schon gelingen' ist uns Osteuropäern leider sehr gut bekannt ... Die Europäische Union ist jedoch keine Planwirtschaft, .. sondern eine Gruppe kooperierender Marktwirtschaften. Keine zentrale Institution kann daher die Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedstaaten vollkommen beeinflussen."

New Yorker (USA), 28.03.2005

Funktioniert Werbung eigentlich noch und hat sie überhaupt eine Zukunft? Diese Frage untersucht Ken Auletta in einer Reportage über die gegenwärtigen Arbeitsweisen und Probleme der Branche angesichts von Internet und neuer Technologien. "In vielerlei Hinsicht ist das Werbegeschäft des frühen 21. Jahrhunderts für die Generation, die einst auf der Madison Avenue den Ton angab, nicht mehr wiederzuerkennen. Deren traditionelle Annahme bestand darin, dass die Werber Zeitpunkt und Ort für ihre 'Einbahnpräsentation' bestimmten. Der Kunde war dabei das unfreiwillige Publikum. Heutzutage hetzen die Werbeleute den Konsumenten mit einer gewissen Verzweiflung hinterher." Ergänzend dazu ist nachzulesen, wie die Werbebranche 1938 funktionierte.

Larry Doyle glossiert zeitgenössische Mesaillancen ("Lynda Schmeltzer und Geoff Punt begannen im November miteinander auszugehen, womit die langanhaltende Serie ungesunder Beziehungen von Ms. Schmeltzer zu Arschlöchern endete. Jetzt ist Mr. Punt ein Arschloch.") Zu lesen ist außerdem die Erzählung "A Secret Station" von David Gates.

John Updike bespricht Joakim Garffs Kierkegaard-Biografie, und Louis Menand rezensiert den neuen Roman von Kazuo Ishiguro (mehr) "Never Let Me Go". John Lahr begutachtet das Monty Python-Musical "Spamalot", das am Broadway einschlägt. Alex Ross stellt neue Opern von Poul Ruders - "Kafka's Trial" - und Mark Adamo - "Lysistrata" - vor. Und Antony Lane sah im Kino das Sequel "The Ring Two? von Hideo Nakata und "Oldboy" von Park Chanwook, der 2004 die Goldene Palme in Cannes gewann.

Nur in der Printausgabe: eine Reportage über städtisches Wintergolf, ein Porträt des Richters Antonin Scalia und Lyrik von Michael Ryan und Deborah Garrison.
Archiv: New Yorker

Al Ahram Weekly (Ägypten), 17.03.2005

Abdel-Wahab M. Elmessiri hat "köstliche Stunden" damit verbracht, ägyptische Videoclips anzusehen, um das Genre historisch und ästhetisch zu bewerten und vor den Auswirkungen der Popkultur auf die arabische Identität zu warnen. Ein paar seiner Thesenbegriffe: die Normalisierung des "Abnormalen", der "Tod der Subtilität", die Reduzierung der formalen Audrucksformen. Auch das Geheimnis des Erfolges von Videoclips hat er gelöst - es ist der Horizontaltanz: "Wir alle sind mit Tanzdarbietungen vertraut; wir kennen sie aus Filmen, Fünf-Sterne-Hotels und Nachtklubs. Aber da waren sie immer vertikal. Beim horizontalen Tanz liegt die Künstlerin auf dem Boden, anstatt zu stehen, was ihre Bewegungen berauschend und verführerisch werden lässt. Der Zuschauer kann sich nur noch hingeben." Und obgleich Elmessiri sich, wie er schreibt, dem Anblick der spärlich bekleideten Körper recht gern hingibt, betrachtet er die Popularität von Videos als erschreckendes Zeichen von Postmoderne, Globalisierung, Konsumerismus und Wertewandel: An die Stelle des Connaisseurs rückt der "lustfixiert-konsumeristische Mann", und der mag es eben - genau wie die multinationalen Konzerne, denen Kunden lieber sind als Individuen - horizontal.

Weitere Artikel: Amr Hussein stellt Sahara vor, die einzige Rai-Band in Ägyptens Musikszene. Serene Assir schreibt über die Ärmsten der ägyptischen Gesellschaft: "In Äypten gibt es traditionell wenig, was schlimmer ist als das Schicksal einer alleinstehenden Frau - außer das einer alleinstehenden Mutter." Und Injy El-Kashef berichtet über ein besonderes Theaterstück. Es heißt "Memoirs of a Martyr" und "ist inspiriert von der Geschichte des palästinensischen Kindermärtyrers Mohamed Al-Dorra - erschossen vor fünf Jahren von einem israelischen Soldaten". Das besondere daran ist natürlich nicht der Inhalt, sondern die Tatsache, dass es für das Internet geschrieben und nur dort aufgeführt wurde. Ist es dann überhaupt Theater, fragt sich El-Kashef?
Archiv: Al Ahram Weekly

Magyar Narancs (Ungarn), 17.03.2005

Adam Földes, Mitarbeiter der Hungarian Civil Liberties Union, analysiert die subtilen Strategien des ungarischen Staates, den einen oder den anderen Gesetzesentwurf vor der Öffentlichkeit zu verstecken: "Das Datenschutzgesetz würde die Entscheidungsträger am liebsten auch vor der Sonne oder gegen Nässe schützen, als ob sie stets von bösen Lobbysten und ihren mit Schmiergeld gefüllten Aktentaschen verfolgt würden. So werden die Gesetzesentwürfe luftdicht verschlossen, obwohl die beste Medizin gegen Korruption gerade die Öffentlichkeit ist. ... Wenn alles beim alten bleibt, wird sich auch die Bürokratie keinen Hauch ändern: sie wird weiterhin die am schwierigsten kontrollierbare gesellschaftliche Kraft und der dunkelste Bereich auf den Entscheidungswegen bleiben."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Bürokratie, Aktentasche

Economist (UK), 18.03.2005

In einem der Türkei gewidmeten Dossier plädiert der Economist dezent, wenn auch unmissverständlich für deren EU-Beitritt. In der Tat müsse man die vielbeschworene Differenz zwischen den derzeitigen EU-Staaten und der Türkei zeitlich perspektivieren: "Die heutige Türkei ist nicht diejenige, die letztendlich die erste muslimische Nation werden könnte, die der weitgehend christlichen EU beitritt, genausowenig wie die heutige EU nicht derjenige Club ist, dem die Türkei letztendlich beitreten könnte." Inmitten der europäischen Unruhe, so der Economist weiter, geben sich die Türken jetzt dementsprechend betont gelassen, man könnte auch sagen pragmatisch: "Istanbuls Taxifahrer, die als sicheres Barometer der Lage ihrer Nation gelten können, wissen, dass schon die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft ihr Land verändert hat. 'Es wäre jetzt nicht mehr schlimm, sollten wir es nie schaffen, in die EU zu kommen', sagt einer. 'Sehen Sie nur die unglaublichen Veränderungen, zu denen wir es gebracht haben, allein schon bei dem Versuch hineinzukommen.'"

In zwei umfangreichen Artikeln begutachtet der Economist die Reform der Geheimdienste in den USA und Großbritannien. Dabei erweist sich die amerikanische Reform (die Ernennung eines "Chefs der nationalen Geheimdienste") als hoffnungsloses Gewurschtel, während die eher prinzipiellen britischen Reformbemühungen laut Economist eine adäquate Antwort auf den Butler Report darstellen.

Außerdem zu lesen: der Nachruf auf den Physiker Hans Bethe, der es nie bereut hat, an der Erfindung der Atombombe mitgewirkt zu haben, ein Porträt der in Großbritannien weit verbreiteten Spezies des leidenschaftlichen Vogelbeobachters (alias der Zwitscherer, alias der Trainspotter des post-industriellen Zeitalters) und die zwiegespaltene Besprechung von Jeffrey D. Sachs' Buch über die Bekämpfung der Armut ("The End of Poverty: Economic Possibilities for Our Time"), das sich als zuverlässiges Abbild seines Autors erweist: "brillant, leidenschaftlich, optimistisch und ungeduldig".
Archiv: Economist
Stichwörter: Atombombe, Bethe, Hans

Revista de Libros (Chile), 18.03.2005

Nirgendwo ist die Vergabe von Literaturpreisen so korrupt wie in der spanischsprachigen Welt. Alle wissen über die Manipulationen Bescheid, trotzdem funktioniert das Ganze verblüffend gut. Zum ersten Mal sind nun aber der Gewinner eines solchen Schein-Wettbewerbs, dessen Agent sowie der Verlag, der den Preis ausgelobt hatte, gerichtlich zu einer Geldstrafe verurteilt worden - am Ende eines Prozesses, der sich über acht Jahre hinzog. Der Titel des strittigen Werks lautet sinnigerweise "Brennender Zaster". Um den Fall ist ein endloser Streit zwischen Literaten entstanden. Wenig elegant bediente sich der beklagte Autor, der bekannte argentinische Essayist und Romancier Ricardo Piglia, der guten alten "Haltet den Dieb!"- Methode, als er zwei Wochen nach dem Gerichtsurteil sein Schweigen beendete und seinen Kontrahenten attackierte, den argentinischen Schriftsteller Gustavo Nielsen: "Der typische Streber-Autor, wie ihn schon Borges beschrieb, hat einen Literaturwettbewerb verloren und stürzt sich daraufhin wie ein Besessener auf den Gewinner, um ihn zu verleumden." Das Gericht gelangte dennoch zu der Auffassung, dass die Entscheidung der Jury zugunsten von Piglia seinerzeit auf einer ebenso klaren wie illegitimen Absprache beruhte, weswegen es dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz zubilligte.

Dieser wehrt sich gegen Piglias Attacke mit der Äußerung, ihm sei es vor allem darum gegangen, die Transparenz der literarischen Wettbewerbe zu sichern, zumal diese für die meisten lateinamerikanischen Schriftsteller die einzige Möglichkeit darstellten, mit ihren Werken nennenswerte Geldsummen zu verdienen. Die chilenische Revista de Libros berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe vom bislang letzten Kapitel der Auseinandersetzung, einem offenen Brief des argentinischen Kultautors Enrique Fogwill, der Piglia vorwirft, ein Scheingefecht über literarische Qualität zu führen, statt die Wahrheit über die Manipulationen des seinerzeitigen Verlagsleiters und heutigen Agenten Piglias offenzulegen. Kaum weniger peinlich ist die Geschichte für die Mitglieder der damaligen Jury, zu der unter anderem so bekannte Autoren wie Mario Benedetti, Tomas Eloy Martinez und Augusto Roa Bastos gehörten.

Offensichtlich unberührt von derlei Streitigkeiten äußert der spanische Schriftsteller Enrique Vila-Matas in einem Text für dieselbe Ausgabe der Revista de Libros über die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Literaturproduktion: "Es gibt nichts Friedfertigeres auf dieser Welt als einen Menschen, der sich in das Buch vertieft, das er in seinen Händen hält."
Stichwörter: Borgen, Martinez, Tomas Eloy

New York Times (USA), 20.03.2005

In einem Essay beklagt Joe Queenan die Inflation der Ghostwriter. Niemand könne sich mehr sicher sein, ob er nun die Meinung des Prominenten oder des angeheuerten Schreiberlings lese. Der Basketballveteran Charles Barkley soll sich darüber beschwert haben, in seiner Autobiografie falsch zitiert worden zu sein. Und durch die ängstlichen, schüchternen, politisch korrekten Zweitautoren seien all diese Werke so unerträglich sauber. Keiner traue sich mehr wie Klaus Kinski in seinen Memoiren zu wüten: "Kein Außenstehender kann sich die Dummheit, Hysterie, das Autoritätsgehabe und die lähmende Langweile vorstellen, die bei einem Dreh für Billy Wilder vorherrscht."

Dass Flo Conway und Jim Siegelman mit ihrem Buch The Dark Hero of the Information Age den Erfinder der Kybernetik Nobert Wiener vor dem Vergessen bewahren wollen, hält Clive Thompson für angebracht. Richtig faszinierend aber findet er die Erkenntnis, wie eine Lebenskrise des zeitweilig mit Einstein auf gleicher Höhe verkehrenden Wiener auch seine Bedeutung für die Nachwelt zerstörte. Zoe Heller bewundert an Ian McEwans Roman "Saturday" (erstes Kapitel) nicht nur die "strukturelle Eleganz und Schlüssigkeit", sondern auch die "aristotelische Disziplin", mit der Mc Ewan die Handlung nur auf einen Samstag im Leben eines distinguierten britischen Neurochirurgen beschränke.

Neil Genzlinger erfährt aus zwei Büchern über Hollywood, die im Augenblick im Wochentakt herauszukommen scheinen, dass die Studios immer weniger Wert darauf legen, dass ein Film im Kino Erfolg hat: Denn dann wird er auch länger gezeigt, und das verzögert den Geldfluss aus dem mittlerweile zentralen DVD-Markt. (Hier das erste Kapitel von "Blockbuster" und hier von "The Big Picture".) Wenig überzeugt ist Jack Shafer vom Etikett "New New Journalism", das Robert S. Boynton einigen von ihm verehrten jungen Journalisten aufklebt. Allerdings, und das müsse man Boyntons Buch zugute halten, schreibt Shafer, bekommt man eine Ahnung davon, was und wer das Genre des literarischen Journalismus ausmacht.

Im New York Times Magazine berichtet Ben Neihart aus der Parallelwelt von Degrassi. Das ist eine 25 Jahre alte kanadische Endlosserie über Jugendliche, die aufgrund ihrer ungewohnten Offenheit in den USA Furore macht. Hier wird über Kondome gesprochen! Mittlerweile ist "Degrassi" ein eigener Kosmos geworden. "Die übriggebliebenen Schauspieler, die sich selbst 'Degrassi Classic' nennen, spielen nun Eltern oder beraten und unterrichten die neue Besetzung. Mit dem Recyceln von Charakteren und Schauspielern können nun Handlungsstränge über Jahrzehnte fortlaufen und damit erwachsene Anhänger mobilisiert werden, die sich an die früheren Ausgaben erinnert fühlen." Stacie Mistysyn hat einen Großteil ihres Lebens in der Serie verbracht. Mit zehn Jahren hat sie angefangen, mit 33 ist sie immer noch dabei.

Weiteres: Stephen J. Dubner stellt einen "Baby-Star" der Wissenschaft vor: Roland Fryer ist Ökonom, 27 Jahre alt, Professor ohne Lehrverpflichtung in Harvard und vor allem - schwarz. Er kann als "Betroffener" ungehemmt erforschen, wo die schwarzen Amerikaner etwas falsch machen. Alex Kotlowitz bringt eine Reportage über Ibrahim Parlak, einst beliebter Cafe-Besitzer in Michigan, nun ein Terrorist - zumindest in den Augen der Regierung. Und Deborah Solomon befragt Jeff Gannon, wie er als falscher Reporter unter falschem Namen zwei Jahre lang einen Zugang zu den Pressekonferenzen des Weißen Hauses bekam.
Archiv: New York Times