Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
28.06.2005. Für die Briten ist Europa nur eine Frage des Geldes, glaubt Nepszabadsag. Für die New York Review of Books dürfen die Europäer auch Nationalisten sein. Für Prospect ist die EU-Verfassung vor allem ein stilistischer Irrtum. Für Le Point war das Non ein Angriff auf Kant. Die Gazeta Wyborcza wünscht sich etwas mehr Respekt für die Gründer der EU. Der Spectator stellt uns die WaBenzis in Afrika vor. Im Guardian schreibt Annie Proulx über eine Cowboy-Ausstellung im britischen Warwickshire. Im Nouvel Obs verfolgt der Sozialphilosoph Jean-Pierre Dupuy die Frage des Bösen. Im New York Times Magazine führt Michael Ignatieff einen platonischen Ein-Mann-Dialog über den Demokratieexport der Amerikaner.

Nepszabadsag (Ungarn), 22.06.2005

Der in London lehrende Politikwissenschaftler und ungarische EP-Abgeordnete George Schöpflin kritisiert im Interview Tony Blairs Europapolitik: "Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass sich die Briten Europa nicht verpflichtet fühlen. Sie betrachten die ganze Sache sehr pragmatisch: was können wir da herausholen, was ist gut für uns? Das war's. Die Vorstellung, dass Europäer zu sein auch darüber hinaus eine Bedeutung haben könnte, ist für die Briten nebensächlich, zufällig, oder sogar schädlich." Laut Schöpflin sei Tony Blairs Kritik an der Wirtschaftspolitik Deutschlands und Frankreich zwar berechtigt, aber "er versucht alles in die Sprache der Wirtschaft und des Handelns zu übersetzen, um möglichst viel politische Inhalte auszufiltern." Der Briten-Rabatt ist für die Engländer laut Schöpflin "keine Frage des Geldes mehr, er wurde zu einem Symbol. Er bildet einen wesentlichen Teil der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens."
Archiv: Nepszabadsag

New York Review of Books (USA), 14.07.2005

Mit ihrem Nein zur Verfassung - und vor allem zur stetigen Erweiterung - haben die Franzosen und Niederländer der EU einen großen Dienst erwiesen, meint ein recht realpolitscher William Pfaff: "Die EU ist keine internationale Hilfsorganisation, sie ist nicht dazu da, die Menschheit zu reformieren oder alle Zivilisationen miteinander zu versöhnen (auch nicht, um die amerikanische Außenpolitik zu unterstützen, wie einige Amerikaner das gerne hätten). Das niederländische und französische Votum beweist ein Gespür dafür, dass die oberste Verpflichtung einer jeden politischen Gemeinschaft, ob nun national oder international, sich selbst gegenüber besteht, gegenüber der eigenen Sicherheit, der eigenen Integrität und dem eigenen erfolgreichen Funktionieren. Die Europäische Union muss erfolgreich sein, um konstruktiven Einfluss auf andere zu haben, und dies stand auf dem Spiel."

Tony Judt bekräftigt noch einmal, dass der Irakkrieg "der falsche Krieg zur falschen Zeit" war, und stellt drei Bücher vor, die dies mehr oder weniger unternauern: David Rieffs desillusionierter Blick auf die Möglichkeiten humanitärer Interventionen "At the Point of a Gun", Andrew J. Bacevichs Abrechnung mit der Militarisierung der USA "The New American Militarism" und Amnesty Internationals Report on the United States.

Weitere Artikel: Der Physiker Freeman Dyson ist hocherfreut über die neue Norbert-Wiener-Biografie "Dark Hero of the Information Age", die nicht nur das des Mathemikgenie würdigt, sondern endlich auch den Erfinder der Kybernetik ins rechte Licht setzt. Arthur Kempton empfiehlt eine neue Billie-Holiday-Biografie von Julia Blackburn, "With Billie".

Prospect (UK), 01.07.2005

"Die Verfassung ist tot - Lang lebe die Verfassung!" Auch nachdem Franzosen und Niederländer mit "Nein" gestimmt haben, sieht der amerikanische Politologe Andrew Moravcsik das europäische Projekt keineswegs als gescheitert an. "Weit entfernt, den Niedergang der EU zu demonstrieren, zeigt sich ihre Stabilität und Legitimation in der Krise. Der zentrale Irrtum der Gestalter der EU-Verfassung ist stilistischer und symbolischer Art, nicht substantieller. Die Verfassung enthält eine Reihe bescheidener Reformen, wie sie von den meisten Europäern bevorzugt werden. Jedoch haben die europäischen Politiker das pragmatische Konstrukt selbst gekippt, indem sie die Reformen zur großen Vorlage für konstitutionelle Veränderungen und eine Demokratisierung der EU aufgeputzt haben."

Larry Siedentop, Gisela Stuart, John Kay, Sunder Katwala, Charles Grant, Philippe Legrain und Michael Maclay sehen das skeptischer. (Schade, dass nur amerikanische und britische Autoren nach ihrer Meinung gefragt wurden.) Fast alle betonen übrigens, wieviel sozialer Großbritannien ist als Frankreich oder Deutschland. "Schneller auf als jedes andere Land in Europa baut Großbritannien gerade seinen Wohlfahrtsstaat auf, der zum Teil auf dem skandinavischen Modell basiert", schreibt etwa Moravcsik.

Weitere Artikel: David Rieff hinterfragt das politische Bewusstsein der großen Spenden- und Hilfsorganisationen am konkreten Beispiel der Hungersnot-Katastrophe in Äthiopien Mitte der achtziger Jahre. Jonathan Power, der zwanzig Jahre lang als Freiwilliger am sozialistischen Aufbau in Tansania mitgewirkt hat und dem Land schließlich verbittert den Rücken kehrte, berichtet 21 Jahre später von seiner Rückkehr in das Land, in dem sich gleichzeitig nichts und alles geändert zu haben scheint. Und Jonathan Heawood verteidigt die neue BBC-Comedy-Serie "The Thick of It" (in der sich ein unglückseliger Minister und sein nutzloser und manipulativer Mitarbeiterstab Sandkastenkämpfe liefern) gegen Anschuldigungen, sie stellte die politische Realität der britischen Regierung verzerrt und klischeehaft dar.

Nur im Print: das ehemalige Tory- und jetztige Labour-Mitglied Robert Jackson erklärt in einem Brief an Dear Angela Merkel, warum Großbritannien und Deutschland so ein feines Team sein könnten.
Archiv: Prospect

Point (Frankreich), 23.06.2005

Bernard-Henry Levy meldet sich nochmal zum Nein der Franzosen zur EU-Verfassung zu Wort und geht zum Gegenangriff über. "Die Franzosen", erklärt er, "haben nicht nur zu Chirac NEIN gesagt, sondern auch zu Kant. Sie haben sich nicht gegen Europa entschieden, sondern gegen den zentralen Text der Aufklärung. Es ist ein souveränistisches, populistisches, nationalistisches, manchmal auch fremdenfeindliches Votum - aber es war ein Votum, das, vor allem anderen, in der Gesamtheit dieser Reflexe, Partei ergriff gegen die Aufklärung und ihr kantisches Ideal der Freiheit." Nach einem kleinen Rekurs auf Hannah Arendt und Frage der Menschenrechte plädiert Levy für Europa und eine gemeinschaftliche Verfassung: "Nur Europa", schreibt er, "wird den Arbeitern, Konsumenten, Bürgern der europäischen Länder die Rechte gewähren, die nicht einem endgültig globalisierten Warenstrom gehorchen."
Archiv: Point
Stichwörter: Arendt, Hannah

Gazeta Wyborcza (Polen), 25.06.2005

Der Politologe Aleksander Smolar erklärt in einem lesenswerten Interview die Krise zwischen den Gründern der EU und den neuen Mitgliedsstaaten: "Die EU war immer ein offener Raum, ohne klare Grenzen. Dagegen rebellieren heute die Länder des 'alten Europas'. Viele Menschen in Westeuropa haben das Gefühl, dass wir letztes Jahr ein sicheres und reiches Haus betreten haben und uns verhalten, als hätten wir damit jemandem einen Gefallen getan - ohne Respekt für diejenigen, die das Haus erbaut haben und jetzt unterhalten. Und dann noch unsere Politiker, die den alten Bewohnern erklären wollen, was moderne Wirtschaft ist, und ihnen Egoismus vorwerfen. Man muss sich bewusst machen, dass wir für sie ferne Cousins sind, von deren Existenz sie vor kurzem nichts wussten, und deren Geschichte und Geografie erst lernen müssen."

"Paradoxerweise kann der neue, konservative iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad zu einem demokratischen Umsturz beitragen. Angesichts der zu erwartenden repressiveren Politik wird sich die Opposition einigen, und die unzufriedenen Menschen werden auf die Straßen gehen". Diese Meinung äußert der liberale Studentenführer Abdollah Momeni in einem Gespräch mit der Gazeta Wyborcza. Er glaubt weder an den Sinn einer neuen Revolution, noch an eine militärische Intervention der USA. Beide würden Tausende von Toten kosten. Dagegen sollten die Reformer auf den Aufbau einer Zivilgesellschaft setzen, die ihre Rechte von der Regierenden einfordern wird - wie in der Ukraine (!).

Aber auch über die Lage in Russland ist man besorgt. Für die Politologin Lilia Schevtzova führt die Zentralisierung der Macht dazu, dass die politische Verantwortung und die Schuldzuweisungen sich auf Präsident Putin konzentrieren. Auch die wirtschaftliche Monokultur, die Russland zu einem Öl-Staat a la Nigeria macht, und die Tendenzen zur staatlichen Monopolisierung zum Beispiel im Gassektor versprechen nichts Gutes. Hinzu kommt eine missglückte Sozialpolitik. Noch ist eine Entwicklung wie in Kiev unwahrscheinlich, aber das System wankt schon, meint Schevtzova. "Das monopolistisch-korporative System funktioniert nur, wenn folgendes vorhanden ist: eine tragende Ideologie, die Bereitschaft zur staatlichen Repression, eine soziale Duldung dieser Repression und eine Isolierung von der Außenwelt. Wenn eines wegfällt, wankt das ganze System. Allein die Tatsache, dass man im Kreml nach neuen Feinden sucht und zur stalinistischen Rhetorik greift, zeugt von einer wachsenden Unruhe in der Regierung".
Archiv: Gazeta Wyborcza

Espresso (Italien), 30.06.2005

Der marokkanische Schriftsteller Tahar ben Jelloun kritisiert den palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmoud Abbas, der Anfang Juni wieder Palästinenser öffentlich hat hinrichten lassen, die mit Israel kollaboriert hatten. Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein Zeichen der Zivilisation, meint Jelloun. "Die progressiven Araber haben immer geglaubt, dass Palästina mit gutem Beispiel voran gehen und vor allem anders sein muss als die anderen Staaten der Region, die zum größten Teil von Politikern angeführt werden, die die Demokratie verabscheuen und mit feudalen Methoden regieren."

Repression oder Toleranz? Im Titel registriert der Espresso eine zunehmende Feindseligkeit gegenüber Ausländern. Die "Extracomunitari" fallen der Öffentlichkeit momentan vor allem dadurch auf, dass sie öfter im Gefängnis sitzen.
Archiv: Espresso

Elet es Irodalom (Ungarn), 27.06.2005

György Klein, Professor Emeritus der Karolinska-Universität und 25 Jahre lang Mitglied der Nobel-Kommission für Medizin, verrät im Gespräch, wie die Entscheidung über den Nobelpreis gefällt wird: "In der Nobel-Kommission sitzen fünfzehn, die verschiedensten Gebiete der medizinischen und biologischen Forschung repräsentierende Professoren. Diese Gebiete kann man so wenig miteinander vergleichen wie den Apfel mit der Birne. Jedes Kommissionsmitglied vertritt ein Gebiet, aber in den anderen Gebieten kennt er sich nicht so gut aus. ... Die Entscheidung hängt letztendlich davon ab, welcher Vertreter der zwei aussichtsreichsten Kandidaten die anderen von der Bedeutung des vertretenen Gebietes überzeugen kann. Es geht hier nicht mehr darum, wer wirklich gut war, denn alle Kandidaten waren ausgezeichnet. Den Preis bekommt, wessen Paradigma die Welt veränderte."

Der Anglist Tamas Benyei versucht die für Kontinentaleuropäer manchmal rätselhafte englische Seele in einer Sammelrezension der Bücher des Philosophen und Essayisten Roger Scruton und der Schriftsteller Jonathan Coe (mehr hier), Ben Elton (mehr hier) und Irvine Welsh (mehr hier) zu entschlüsseln.
Stichwörter: Welsh, Irvine, Coe,jonathan

Express (Frankreich), 27.06.2005

Dominique Lagarde ist durch Marokko und das Atlasgebirge gereist und beschreibt eine erstarkte Berberbewegung in Marokko, die durch Kommissionen, in lokalen Initiativen und mit Kulturfestivals für die Anerkennung der eigenen Kultur und Sprache in der marokkanischen Verfassung wirbt. Etwa zehn Millionen Marokkaner gehören zu den Berbern, erklärt Lagarde, das seien etwa 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. Dass die Sprache der Berber auch in den Schulen unterrichtet werden soll, ist keine Frage mehr - man streitet allerdings über das Wie. "Denn bevor man die Lehrbücher überarbeiten will, muss man sich für eine Schrift entscheiden. Der Kampf war hart. Die einen, eine Strömung innerhalb der Berberbewegung, die aus der islamistischen Bewegung hervorgegangen ist, plädieren für die arabische Schrift; die anderen, militant laizistische Organisationen, sind für die lateinische. Der Verwaltungsrat der IRCAM (einer vom Staat eingesetzten Kommission, .d. red.) empfahl einen dritten Weg, um diese Debatte zu durchbrechen: die marokkanischen Schüler werden in Tifinagh schreiben lernen, der ursprünglichen Berberschrift." (Mehr dazu hier)
Archiv: Express
Stichwörter: Marokko

Spectator (UK), 25.06.2005

Auf Suaheli heißen sie WaBenzi: Die Führer Afrikas, die internationale Hilfsgelder zuallererst in eine gepanzerte Langversion des Mercedes S600L investieren (zu bestellen bei der südafrikanischen Dependance). Anlässlich des britischen Schuldenerlasses für die ärmsten Länder der Welt und der wieder belebten Live 8-Konzerte zeigt Aidan Hartley, dass ein Großteil der für die bettelarme Bevölkerung bestimmten Gelder in Stuttgarter Luxuslimousinen investiert werden. "So muss es nicht sein. Die Afrikaner selbst sehen die WaBenzi als Symbol des kranken Afrikas. Ihr erster Märtyrer war Thomas Sankara, der Präsident Burkina Fasos, der seine Minister zwang, ihre Mercedesse gegen Renault R5s einzutauschen. Er ließ sie sogar joggen. 1987 wurde Sankara von Blaise Campaore gestürzt und hingerichtet. Campaore ist noch immer an der Macht." (Dieser wie auch alle weiteren verlinkten Artikel können nach kostenloser Registrierung gelesen werden.)

Ruth Dudley Edwards klagt über den wirklichkeitsfernen, zynischen britischen Boulevardjournalismus dieser Tage, der aus Bürotürmen und nicht mehr von der Straße kommt. Mit maoistischem Esprit rät sie zur Umerziehung. "Ich würde die Journalismusschulen schließen und niemandem erlauben, in einer Zeitung in London anzufangen, ohne zuvor zehn Jahre lang in regionalen Büros gearbeitet zu haben. Dann hätten wir vielleicht Politiker, die die Leute wählen wollen und Journalisten, die die Menschen besser machen wollen."

Außerdem lässt Roger Scruton die Gedanken und das Leben Jean Paul Sartres in knapper Folge Revue passieren.
Archiv: Spectator

Clarin (Argentinien), 25.06.2005

Das Melodrama, behauptet der mexikanische Journalist und Schriftsteller Carlos Monsivais in N, der Kulturbeilage der argentinischen Tageszeitung Clarin, ist das prägende Grundmuster bei der Ausbildung des Bewusstseins der Bewohner Lateinamerikas: "Welche Beziehung besteht hier zwischen Sentimentalität und Politik? Wie weit nimmt jeder Einzelne die Politik durch den Filter seiner education sentimentale wahr? Die Antwort lässt für gewöhnlich wenig Platz für Zweifel: In der Tradition Lateinamerikas gelangt man zur politischen Erfahrung durch das Format des Melodramas - das Land leidet und braucht uns, der Unschuldige wird geopfert, die Schuld an allem, was uns zustößt, lässt sich auf einem einzigen Foto, in den spezifischen Gesichtszügen eines Einzelnen zusammenfassen. Die Demokratie verzichtet hier bis heute in krisenhaften Momenten niemals auf die Sprache, die Metaphern und Erzählungen des Melodramas. In den letzten Jahren hat man immer wieder einmal politische Episoden als 'Telenovelas' bezeichnet, während man genauer von missratenen, nicht überzeugenden Melodramen sprechen sollte."

Außerdem gibt es ein Porträt des argentinischen Malers und Bildhauers Xul Solar (eigentlich Oscar Alejandro Agustin Schulz Solar). Im Museum für Lateinamerikanische Kunst in Buenos Aires ist soeben eine umfangreiche Retrospektive dieses surrealistischen Einzelgängers und engen Freundes von Jorge Luis Borges eröffnet worden.
Archiv: Clarin

Outlook India (Indien), 04.07.2005

Nanu? Aussgerechnet "Hindutva-Hardliner" Lal Krishna Advani bezeichnet Mohammed Ali Jinnah, den Staatsgründer Pakistans und bösen religiösen Eiferer indischer Geschichtsbücher als Vorbild in Sachen Säkularismus? Die Historikerin Ayesha Jalal nimmt das unerwartete Lob und die berechenbare Entrüstung von indischer Seite zum Anlass, die Gründungsmythen der beiden Länder neu zu betrachten: "Das säkulare Indien und das islamische Pakistan, als Zwillinge geboren, durch Bitterkeit zu Feinden geworden, haben ihre nationalen Identitäten in gegenseitiger Abgrenzung entworfen. Der indische Säkularismus ist die Antithese von allem, was mit Teilung und Pakistan zu tun hat." Allerdings, fährt Jalal fort, "würde man erwarten, dass ein Volk, dass so stolz auf seine säkuläre Weltanschauung ist, sich von der verbreiteten Fehleinschätzung frei macht, der zufolge die Teilung ein Resultat der religiösen Differenz zwischen Hindus und Muslimen war." Was wirklich der Grund war, und was das mit Advani und der derzeitigen politischen Annäherung zu tun hat, erklärt Jalal in einem sorgfältigen und fundierten Text.

Außerdem: Kennen Sie Shivani? Fragt Manjula Padmanabhan. Shivani war eine der berühmtesten und verehrtesten Autorinnen Indiens, doch als sie 2002 starb, kannte man sie im literarischen Establishment trotzdem nicht, denn sie schrieb auf Hindi. Auch Padmanabhan hat erst jetzt von ihr erfahren, durch die Erinnerung von Shivanis Tochter Ira Pande. K. S. Shaini berichtet von einer bedeutenden archäologischen Fundstelle im Bundesstaat Chhattisgarh: "eine 1.500 Jahre alte Stadt mit Palästen, Tempeln, Häusern und einem buddhistischen Bildungszentrum, das Platz für 10.000 Studenten bot." Maloy Krishna Dhar beglückwünscht Bernard-Henri Levy zur Erfindung eines "neuen Genres": Sein Buch "Who Killed Daniel Pearl", schreibt er, ist "sowohl ein packender Roman, als auch eine scharfsinnige Ermittlung".

Und zweimal Indira Gandhi: Inder Malhotra empfiehlt einen Prachtband mit Fotos von Raghu Rai, die der politischen Bedeutung der Nehru-Tochter mit dem umstrittenen Vermächtnis gerecht werden. Dazu passt - oder passt nicht - der nur im Netz zugängliche Text von Arun Jaitley, der Rais Ausrufung des Notstandes 1975 mit Hitlers Machtübernahme vergleicht.
Archiv: Outlook India

Guardian (UK), 25.06.2005

Im richtigen Wilden Westen hätte die Cowboy-Ausstellung im englischen Warwickshire niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt, bemerkt Annie Proulx, die sich im Titel daran macht, den Mythos der Helden zu Pferde gründlich zu zerpflücken. Cowboys wollten vor allem Geld verdienen, waren oft homosexuell und vor allem nicht viel länger als 20 Jahre im Einsatz. "Viele waren schlechtbezahlte und ärmlich bewaffnete Teenager aus Texas, die in ihrer kurzen Zeit nach dem Bürgerkrieg Kühe auf die Weidegründe im Norden trieben (...) . Heroisch wurde der Cowboy erst unter den Federn und Pinseln der Maler des sogenannten Alten Westens. George Catlin (mehr), Frederick Remington (mehr), Charles Russell (mehr) und Will James sind immer noch die Meister ihrer Disziplin. In ihren Hunderten von Bildern und Skulpturen, die mutige Männer in schrecklichem Kampf - meist gegen Indianer - darstellten, haben Remington und Russell den Cowboy als Helden erschaffen."

Salman Rushdie weist darauf hin, dass es ziemlich viele Wahrheiten gibt. Im Fall Guantanamo zählt er drei Gruppen: die Wahrheit der ausländischen Beobachter, die Wahrheit der Demokraten und die der Republikaner. "Die konservative Wahrheit, die so etwas wie 'konservative Fakten' schafft, lautet in etwa so: Es gibt einen Krieg, und diese Gefangenen sind unsere Todfeinde. Warum gibt es soviel Geschrei darüber, wie man Leute behandelt, deren Verbündete ihre eigenen Gefangenen köpfen? Und warum gibt es keinen Aufschrei über die eindeutig nachgewiesene Zerstörung von heiligen Büchern des Christentums und Judentums in muslimischen Ländern?"
Archiv: Guardian

Ozon (Polen), 23.06.2005

Stefan Chwin ist zurück. Der Schriftsteller aus Danzig veröffentlicht seinen neuen Roman "Die Frau des Präsidenten" ("Zona prezydenta"), pünktlich zu den politischen Auseinandersetzungen um eine von der Präsidentengattin Jolanta Kwasniewska geführte charitative Stiftung und ihre dubiosen Sponsoren. Allerdings erklärt Chwin im Interview: "Das hat nichts mit der gegenwärtigen First Lady zu tun. Mich interessieren wichtigere Fragen als irgendwelche Gerüchte um einen Untersuchungsausschuss. Dank eines befreundeten Arztes las ich einige Texte eines psychisch Kranken. Seine Ansichten zur gegenwärtigen Lage in Polen und der Welt haben mich beeindruckt. In meinem Buch erzählt ein solcher Patient seine Geschichte, weil ich den gegenwärtigen Seelenzustand im Prisma der Geisteskrankheit darstellen wollte. Ich wollte unsere Phobien, Obsessionen und Ängste betrachten, die wir ungern laut eingestehen."
Archiv: Ozon
Stichwörter: Chwin, Stefan, Danzig

Al Ahram Weekly (Ägypten), 23.06.2005

Tutenchamun, im Bewusstsein der Neuzeit der emblematische Pharao, ist ja derzeit wieder in den Schlagzeilen: Es gibt Ausstellungen, CT-Analysen, Rekonstruktionen seiner Gesichtszüge. Jill Kamil nimmt das zum Anlass, die Ereignisse zu rekapitulieren, die dazu führten, dass die Entdeckung der Grabstätte des jugendlichen Pharaos durch Howard Carter 1922 zum Politikum werden konnte: "Als Carter nur vier Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges seine Entdeckung im Tal der Könige machte, erlebte Ägytpen eine Welle des Nationalismus. Eine konstitionelle Monarchie stand in den Startlöchern, und es war daher unvermeidbar, dass die Entdeckung einer intakten königlichen Grabstätte politische Bedeutung erlangen würde. Carter aber schien sich dessen nicht bewusst zu sein." Er dachte vielmehr, er könnte die Bestimmung des Fundes festlegen, exklusive Reportagerechte verteilen und - dümmster Fehler! - die Forderungen der damals noch französisch dominierten Behörden übergehen. Ein Fehler, der ihn teuer zu stehen kam.

Weitere Artikel: In einem bewegenden Text beschreibt Youssef Rakhaaus den Tod seines Vaters und wie die Trauer ihn erstmals verstehen ließ, was Sartre mit der Trennung von Selbst und Bewusstsein meinte. Maggie Morgan porträtiert Samir Morcos als Autorität moderner koptischer Identität, vor allem aber als Stimme einer antisektiererischen Vernunft und als jemanden, der sich nicht scheut, oppositionelle Identitätspolitik - die vermeintlich gerechte Frontbildung der Verfolgten - als Engstirnigkeit zu bezeichnen. Ali Guindi porträtiert Hoda Wasfi, die Chefredakteurin des vierteljährlich erscheinenden Literaturmagazins Fusoul, das sie mitbegründete, als der sozialistische Realismus das Gebot der Stunde war und das sie durch den philosophischen und politischen Zeitgeist hindurch gestaltend in die Gegenwart begleitete.
Archiv: Al Ahram Weekly

Times Literary Supplement (UK), 24.06.2005

Der norwegische Oxford-Soziologe Stein Ringen empfiehlt in einem sehr lesenswerten Text über die Armut und ihre Bekämpfung - besonders in Afrika - zwei Bücher zum Thema: "The End of Poverty" von Jeffrey Sachs und Gareth Stedman Jones' Ideengeschichte "An End to Poverty?", die die Diskussion um die Bekämpfung der Armut seit Paine und Condorcet nachzeichnet. "Paine und Condorcet stimmten in Sachen Armut überein, aber nicht in der Frage der Umverteilung. Paine wollte die Reichen besteuern und das Geld den Armen geben. Condorcet setzte auf Erziehung. Ihm war wichtig, die Machtlosen in die Lage zu versetzten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen." Sachs folgt Condorcet. "Natürlich müssen die Reichen den Armen helfen, aber eher durch Investitionen als durch Spenden. Der Wunsch nach Verbesserung ist universal. Menschen werden immer dafür arbeiten, ihren Lebensstandard und den ihrer Kinder zu verbessern. - wenn sie es denn können. Das Problem der Armut ist gelöst, wenn jeder 'die Chance hat, die Leiter nach oben zu steigen'."

Freudig erregt zeigt sich Martin West über die Rekonstruktion eines Sappho-Gedichts, mit dem sich die Zahl der vollständig erhaltenen Gedichte auf ganze vier erhöht. Die Fragmente waren 2004 von Martin Gronewald und Robert Daniel in der Universität Köln entdeckt worden. "Dieser Text, entdeckt in der Kartonnage einer ägyptischen Mumie, ist das früheste bisher bekantte Manuskript ihres Werks. Er wurde im dritten Jahrhundert vor Christus kopiert, nicht viel mehr als dreihundert Jahre, nachdem sie ihn geschrieben hatte." Leider haben wir keine deutsche Übersetzung gefunden. West präsentiert seine Englische. Es geht ums Altern! "... This state I oft bemoan; but what's to do?' / Not to grow old, being human, there's no way."

Außerdem: Tom Holland empfiehlt Filmemachern, Xenophon zu lesen. Robert Elsie widmet dem albanischen Schriftsteller Ismail Kadare ein ausführliches Porträt, das online leider nur in Auszügen zu lesen ist.

Economist (UK), 24.06.2005

In einem ausführlichen Artikel versucht der Economist die Frage zu klären, warum das religiöse Amerika politisch zunehmend nach rechts abdriftet und macht dafür liberale Tendenzen in anderen Bereichen der Gesellschaft verantwortlich - etwas die Verbote der Schulgebete und die Zulassung von Abtreibung durch die Rechtsprechung: "Die Tatsache, dass die Gerichte der öffentlichen Meinung in diesem allgemein religiösen Land so weit voraus waren, stärkte der religiösen Rechten in zweierlei Hinsicht den Rücken: Zum einen hatte dies zur Folge, dass weiße Gläubige sich ins politische Getümmel zu stürzen. Und zum anderen überzeugte dies alle religiösen Richtungen sich miteinander zu verbünden. Protestanten und Katholiken, die sich einst ständig in den Haaren lagen, haben jetzt Gemeinsamkeiten entdeckt, insbesondere was die Frage der Abtreibung angeht."

Weitere Artikel: Diesen Herbst jährt sich die Schlacht um Trafalgar zum 200. Mal, und der Economist nimmt sich ihres Helden und Siegers - General Nelson - an. Drei Neuerscheinungen werden vorgestellt und gelobt, ganz besonders Roger Knights Biografie "The Pursuit of Victory", die nach Ansicht des Economist das Zeug zum endgültigen Nelson-Porträt hat. Und der Economist gibt der Legende des jiddischen Theaters Lilian Lux das letzte Geleit.

Außerdem: "Hallo Nachbarn!" Im Dossier schaut der Economist nach Osten, von den unmittelbaren Anrainerstaaten der EU bis hin nach Russland, und geht der Frage nach, wie eine osteuropäische Integrationspolitik in Zukunft aussehen könnte. Dazu gibt es auch etwas auf die Ohren: ein Interview mit dem Zentraleuropa-Korrespondenten Robert Cottrell.
Archiv: Economist

Nouvel Observateur (Frankreich), 23.06.2005

Im Interview erläutert der französische Sozialphilosoph Jean-Pierre Dupuy, warum er die Natur- und politischen Katastrophen des 20. und 21. Jahrhunderts in einen Zusammenhang bringt. Auf die Frage der Reporter, ob man denn diese Dinge miteinander verbinden dürfe, erklärt er: "Vergleichen heißt nicht vermengen. Mein Buch ("Petite Metaphysique des tsunamis", Seuil) ist eine kurze Einführung in die moderne Philosophie seit dem 18. Jahrhundert, die ich als von der Frage des Bösen verfolgt lese. Die großen Katastrophen, die naturbedingten ebenso wie die politischen, haben dermaßen viele Erdbeben zur Folge gehabt in der Art und Weise, wie wir das Böse darstellen. Ich folge der Spur dieser 'Tsunamis' und arbeite ihre Unterschiede wie auch ihre Ähnlichkeiten heraus. Auschwitz ist der Gipfel des beabsichtigten Bösen, aber das Wort, das wir benutzen, um dem Schrecken einen Namen zu geben, bezeichnet eine Naturkatastrophe: Shoah."
Stichwörter: Erdbeben, Shoah, Tsunami

New York Times (USA), 26.06.2005

Michael Ignatieff diskutiert im New York Times Magazine kundig und historisch weit ausholend die Mission Amerikas, weltweit die Demokratie zu verbreiten. Verschiedene Präsidenten haben es versucht: in Deutschland, in Vietnam, in Osteuropa. Ein nobles Vorhaben, das aber zu zwiespältigen Ergebnissen führen kann, wie George W. Bush gerade erfährt. "Der Terrorismus hat dazu geführt, dass die Freiheit fremder Völker und die nationalen Interessen der USA übereinstimmen. Aber nicht jeder glaubt daran, dass ein demokratischer Naher Osten Amerika sicherer machen wird, nicht mal mittelfristig. Thomas Carothers vom Carnegie Endowment for International Peace etwa zweifelt an der 'leichtfertigen Annahme, dass es eine direkte Verbindung zwischen demokratischem Fortschritt und dem Austrocknen des islamischen Terrorismus gibt.' Eine Demokratisierung in Ägypten könnte zum Beispiel kurzfristig nur die Muslimische Bruderschaft an die Macht bringen."

Weitere Artikel: Nancy Updike porträtiert den israelischen Schriftsteller Etgar Keret, der mit seiner politischen und ideologischen Enthaltsamkeit recht originell und erfolgreich ist. Jaime Wolf stellt den Radiomoderator Nic Harcourt vor, der mit seiner Show Morning Becomes Eclectic zum Herold unbekannter Musiker geworden ist. Im Titel grübelt Jonathan Dee, wie man Kindern erklären soll, dass sie noch vor ihrer Geburt mit HIV infiziert wurden.

In der New York Times Book Review: Die polnische Journalistin Hanna Krall hat in ihrem Erzählband "The Woman From Hamburg" (erstes Kapitel) einen neuen Stil kreiert, den die begeisterte Elena Lappin "Holocaust Gonzo Journalismus" tauft. "Sie berichtet die grundsätzlichen Fakten, versieht sie aber mit einem romanhaften Dreh, was ihre Interviews zu eleganten, vielschichtigen Erzählungen macht. In Madeleine G. Levines subtiler Übersetzung spricht Kralls ausdrücklich kunstlose Prosa mit der Kraft der Fiktion - eine mysteriöse Verschmelzung, die sie in ihrer Geschichte 'Salvation' auch anerkennt. 'Bei meiner Arbeit als Reporterin habe ich gelernt, dass logische Geschichten, ohne Rätsel und Löcher, in denen alles offensichtlich ist, meistens unwahr sind. Und dauernd geschehen Dinge, die man beim besten Willen nicht erklären kann.'"

Weitere Besprechungen: Wer etwas über den skandalumwölkten Dichter Robert Lowell erfahren will, sollte besser Lowells Lyrik lesen statt der jetzt erschienenen Briefe (Auszüge), rät Walter Kirn. Jeffrey Steingarten findet Tom Hodgkinsons Vorschläge, jede Stunde des Tages perfekt mit Müßiggang zu füllen, bis drei Uhr nachmittags ganz nett, dann wird es ein wenig eintönig. Hodgkinson ist übrigens nicht nur Autor von "How to Be Idle" (erstes Kapitel), sondern seit 1993 auch der Gründer der schönen britischen Zeitschrift The Idler. Sollten wir das New York Police Department mit Taschenausgaben der "Sonnette aus dem Portugiesischen" ausstatten, fragt sich David Orr, dem in zwei aktuellen Romanen aufgefallen ist, dass Gewalt auch durch Poesie verhindert werden kann.
Archiv: New York Times