Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
12.07.2005. Foreign Affairs warnt vor islamischen Attentätern mit europäischem Pass. In der Gazeta Wyborcza zieht Timothy Garton Ash eine Lehre aus den Anschlägen in London: Es gibt keine Außenpolitik mehr. Pascal Bruckner fragt sich im Figaro, ob die Europäer den Geschmack an der Freiheit verloren haben. In Plus-Minus charakterisiert Agnes Heller die Terroristen als frustrierte Intellektuelle mit wenig Talent. Im Espresso wundert sich Andrzej Stasiuk über die symbolische Erhöhung des polnischen Klempners. Im ES-Magazin feiert György Konrad den Hedonismus des europäischen Gehirns. Und Al Ahram skizziert die transglobale HipHop-Umma.

Foreign Affairs (USA), 01.07.2005

Robert S. Leiken beschreibt den neuen Albtraum amerikanischer Sicherheitsbehörden: den Mudschaheddin mit europäischem Reisepass: "In rauchigen Kaffeehäusern in Rotterdam und Kopenhagen, in behelfsmäßigen Gebetshäusern in Hamburg und Brüssel, an islamischen Bücherständen in Birmingham und 'Londonistan' und in den Gefängnissen von Madrid, Mailand und Marseilles bewerben sich Einwanderer oder ihren Nachkommen als Freiwillige für den Dschihad gegen den Westen. Es war ein Muslim marokkanischer Abstammung, geboren und aufgewachsen in Europa, der im vergangenen November in Amsterdam den Filmemacher Theo van Gogh ermordete. Eine Untersuchung des Nixon Centers fand unter 373 Mudschaheddin in Westeuropa und Nordamerika mehr als doppelt so viele Franzosen wie Saudis und mehr Briten als Sudanesen, Yemeniten, Emiratis, Libanesen oder Libyer. Ein Viertel der verzeichneten Dschihadisten waren westeuropäischer Nationalität - berechtigt, ohne Visum in die USA zu reisen."

Für unbedingt erfolgreich hält Richard N. Haass die Strategie des Regimewandels, mit der immerhin ein Drittel der "Achse des Bösen" unschädlich gemacht worde sei (womit er den Irak meint). Leider fürchtet er, dass dieses Konzept für den Iran und Nordkorea nicht aufgehen wird. Hier brauche es wohl einen breiteren Ansatz aus Sanktionen, Gewaltandrohung und "geschmackloser Diplomatie".
Archiv: Foreign Affairs

Gazeta Wyborcza (Polen), 09.07.2005

Die Antwort auf die Anschläge in London sollte nicht der verstärkte Krieg gegen den Terror sein, warnt in der polnischen Tageszeitung Timothy Garton Ash. "Polizeieinsätze im Innern und nicht kriegerische Interventionen in fremden Ländern sind das beste Mittel gegen die Bedrohung durch Terroristen, die seit Jahren unter uns wohnen - in London, in Madrid, also auch in Toronto, Paris, Sydney und Berlin. Der Einmarsch in den Irak war ein Fehler, aber ein noch größerer Fehler wäre, sich jetzt zurück zu ziehen. Alle demokratischen Länder sollten sich vereinen, um dem Irak Frieden und relative Freiheit zu bringen. Das, was fern von uns passiert, hat einen direkten Einfluss darauf, was mit uns zwischen den U-Bahnstationen King's Cross und Russell Square passiert. Es gibt keine Außenpolitik mehr. Das ist die wichtigste Lektion von London."

Niklas Frank
, Sohn von Hans Frank, dem "Generalgouverneur" im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs, hat ein neues Buch über seine Familie geschrieben, "Meine deutsche Mutter". Adam Krzeminski empfindet es als recht wohltuend: "Niklas Frank rechnet scharf ab mit seiner Mutter Brigitte, 'der Königin von Polen', und anderen deutschen Frauen. Er scheint ihnen zu sagen: Jammert nicht darüber, wie ihr von den Engländern ausgebombt, von Russen vergewaltigt und von Polen vertrieben wurdet. Erzählt eher, wie ihr jüdische Wohnungen besetzt habt, wie ihr eure Männer in die NSDAP gedrängt und von ihren Beuten profitiert habt."

Zigtausend Einwohner der Region um Oppeln leben gleichzeitig in Polen und in Deutschland, berichtet Aldona Krajewska. Da die angestammte schlesische Bevölkerung Anfang der neunziger Jahre problemlos einen deutschen Pass bekommen konnte, können sie legal die Übergangsfristen auf dem EU-Arbeitmarkt umgehen. Ihr im Westen verdientes Geld schicken sie dann Verwandten in der Heimat, die sie alle paar Monate besuchen. Das hat allerdings gravierende soziale Folgen: "In schön renovierten Häusern sitzen einsame Frauen und Kinder. Sie sind gefangen wie Geiseln in einem goldenen Käfig."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Figaro (Frankreich), 09.07.2005

Vor dem Hintergrund der Anschläge in London warnt der französische Romancier und Essayist Pascal Bruckner (mehr) in einem Interview vor der verbreiteten europäischen "Beschwichtigungsrhetorik" gegenüber der terroristischen Bedrohung und deren "Leugnung". Seine erste Reaktion auf die jüngsten Attentate: "Liegt es an der englischen Insellage? Oder ist es der Tradition geschuldet, die schon angesichts des Nazismus bemerkenswerte Größe bewiesen hat? Jedenfalls beugt sich Großbritannien in der Konfrontation dem apokalyptischen Zerstörungswillen heute ebenso wenig wie gestern. Es widersetzt sich auf 'Churchill-Art'. Im Gegensatz zu den Spaniern nach den Anschlägen von Atocha reagieren die Engländer kaltblütig. Sie fordern von ihrer Regierung nicht den Abzug ihrer an amerikanischer Seite im Irak stehenden Truppen. (...) Außerdem setzt Blair, gemeinsam mit seinem Volk, eine Tradition von Freiheit fort, bei der ich mich manchmal frage, ob das kontinentale Europa nicht den Geschmack daran verloren hat."
Archiv: Figaro
Stichwörter: Bruckner, Pascal, Irak

Express (Frankreich), 11.07.2005

Auch der Express bringt ein Interview zu den Anschlägen in London. Darin stellt der Islamexperte Dominique Thomas (jüngste Veröffentlichung: "Londonistan: la voix du djihad", Edition Michalon) fest, dass die Methoden der Terroristen immer perfekter werden. "Im Fall London hoffen die Islamisten ohne Zweifel ebenfalls, die ablehnende Haltung der öffentlichen Meinung jenseits des Ärmelkanals gegenüber der Intervention im Irak zu schüren. Die internationale Djihad-Bewegung hat in der Zwischenzeit bessere Kenntnisse über die westliche Welt. Sie verfügt über weltweite Strukturen und ihre Techniken haben sich verfeinert. So stellen heute Filmfirmen Videos von Attentaten im Irak her, in der Hoffnung, dass ihre Bilder von Fernsehkanälen weltweit ausgestrahlt werden. Die 2004 auf der Bildfläche aufgetauchte Front islamique internationale d?information ist ein bevorzugtes Instrument der Prediger geworden. All das passt natürlich in einen globalen Plan. Die Organisation selbst ist allerdings nicht so strukturiert, dass man von einem Unternehmen sprechen könnte. Darin liegt ihre Stärke."
Archiv: Express
Stichwörter: Irak, Westliche Welt

Plus - Minus (Polen), 09.07.2005

Die Philosophin Agnes Heller zieht ins Feld gegen einige - nicht genannte - "bekannte amerikanische und deutsche Intellektuelle", die den Terrorismus entweder als Rebellion der Armen gegen die Reichen, der Verlierer und der Gewinner der kapitalistischen Globalisierung, oder als quasi natürliche Reaktion gegen den Imperialismus Amerikas erkären wollen. "Die Menschen, die hinter dem globalen Terrorismus stehen, sind selbst globale Kapitalisten, so wie Hitler von deutschen Industriellen und Finanziers unterstützt wurde. Der Antikapitalismus dient lediglich als Slogan, um massenweise Ressentiments gegen die Reichen zu schüren und einen rassistischen oder religiösen Krieg zu führen. Viele von ihnen sind frustrierte Intellektuelle - junge Menschen, die in einer sehr gewöhnlichen Welt außergewöhnlich sein wollen, die große Ambitionen, aber wenig Talent haben, oder deren Karriere aus anderen Gründen verhindert wurde."

Der Historiker Tomasz Szarota erzählt, wie im November 1939 eine Delegation polnischer Juden aus Schlesien zu Adolf Eichmann reiste, um ihn von ihrem Ausreisewillen zu überzeugen. Die deutschen Besatzer in Polen waren anfangs daran interessiert, die jüdische Bevölkerung loszuwerden, sie zur Emigration zu zwingen. "Es hat nicht funktioniert, weil die Juden nirgendwo hin konnten. Alle westlichen Länder verschlossen die Tore vor ihnen. Tausende, wenn nicht hunderttausende Menschen hätten gerettet werden können, wenn die Mächte auch nur im Ansatz Verständnis für das Schicksal dieser Menschen aufgezeigt hätten. Bis heute wird diese Angelegenheit verschwiegen...
Archiv: Plus - Minus

Outlook India (Indien), 18.07.2005

Die Ausgabe ist den Naturwissenschaften und der Technologie in Indien gewidmet. Unter den Bilanzen, Ausblicken und Plädoyers findet sich ein Text, der sich dem erstaunlichen Potential der Literatur zur Konzeption und Voraussage widmet: "Jeder wichtige technologische Fortschritt der vergangenen 200 Jahre", schreibt Devangshu Datta, "war bereits Thema von Romanen, bevor er realisiert wurde. Und vieles von dem, was heute der letzte technologische Schrei ist, wurde bereits vor Jahrzehnten von Schriftstellern beschrieben." Da gibt es die Phantasien der klassischen Science-Fiction-Autoren, von Jules Verne, der über die Mondfahrt schrieb, bis zu Robert Heinlein, der sich 1948 Mobiltelephone und Mikrowellenherde einfallen ließ. Überraschender aber ist, so Datta, dass die "sozialen Allegoristen" wie Huxley, Kafka oder Vonnegut, die sich nicht primär für die Technologie interessierten, oft sehr präzise Voraussagen trafen. Oder E. M. Foster, der in einer Novelle 1909 das Fernsehen beschrieb. Was natürlich die Frage nahe legt: "Was wird die Zukunft bringen, wenn wir Science-Fiction-Texte von heute als Realitätsbeschreibungen von morgen lesen?"

Ein weiterer Text: Der indische Präsident A. P. J. Abdul Kalam, selber ein renommierter Wissenschaftler, entwickelt seine Vorstellung davon, wie technologischer und wissenschaftlicher Fortschritt mehr als bisher sozialen Fortschritt bringen kann.
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 14.07.2005

Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk versteht nicht, warum alle Angst vor dem polnischen Klempner haben. Nur durch die Konfrontation des Überkommenen mit dem Neuen könne Europa Leben eingehaucht werden. Ein wenig wundert er sich dann aber schon über die symbolische Erhöhung eines Berufsstands, der eigentlich nur im Kommunismus mächtig war. "Er nahm eine Anzahlung, man machte einen Termin aus, aber zum verabredeten Zeitpunkt erschien er nicht. Er kam, wann es ihm passte. Zum Beispiel nach einer Woche. Verdreckt, sich nach einer Dusche verzehrend, empfingen ihn die Bewohner trotzdem wie einen Heiland. Sie boten ihm Kaffe an, Essen und Alkohol und huldigten ihm. Der Klempner aß, trank, hörte sich die Schmeicheleien an und machte sich dann in würdevoller Langsamkeit an die Arbeit. Er schraubte irgendwo herum, montierte etwas anderes ab, verursachte eine verheerende Überschwemmung in der Küche oder im Bad, um dann plötzlich die Lust zu verlieren, er gab vor, ihm fehle ein Teil, dann verließ er den Ort des Geschehens und versprach, am nächsten Morgen wiederzukommen, um schließlich nach einer Woche nur dank einer weiteren Anzahlung wieder aufzutauchen."

Im Kulturteil kündigt Andrea Visconti "Colorado Kid" (mehr) an, den ersten Roman von Stephen King, der ohne Horror auskommen soll und sich am Groschenroman der Fünfziger orientiert. Lorenzo Soria verweist auf die derzeit recht aktive Schauspielerin Natalie Portman. Und Moses Naim hofft im internationalen Teil, dass sein Nachfolger an der Spitze der Weltbank, Paul Wolfowitz, aus der Institution keine amerikanische Filiale machen wird, sondern die Weltbank den Unilateralisten in einen Internationalisten verwandelt.
Archiv: Espresso

Spectator (UK), 09.07.2005

Der Genozid an den Indianern, Lynchmorde an Schwarzen, Pinochet, der Holocaust, außerdem Guantanamo und Abu Ghraib - die Gedenkstätte bei Ground Zero wird Ausdruck eines "ultimativen Schuldkomplexes", schäumt Mark Steyn, der am Ort des Anschlags gerne mehr westliches Selbstbewusstsein gesehen hätte. "Ich habe mich nie für die Twin Towers interessiert, die nie mehr als ein Paar überdimensionierter Schrottteile aus den Siebzigern waren. Aber als die Islamspinner sie abgerissen hatten und die diversen 'international anerkannten' Architekten anfingen, immer schlaffere und geschmackvollere Entwürfe einzureichen, erkannte ich, dass Donald Trump recht hatte: Baut die hässlichen Motherf*** wieder auf, aber macht sie größer, und setzt einen gigantischen ausgestreckten Mittelfinger auf jeden von ihnen, oder lasst vielleicht diese Saddam-Satue seitlich vom Dach hängen, so dass er ewig gestürzt wird. Der jüngste, hastig überarbeitete Entwurf des Freedom Tower streicht die 'lebensbejahenden vertikalen Gärten' und einige andere rückgratlose Einfälle von Daniel Libeskind, aber es ist immer noch eine schwächliche unamerikanische Weicheierei."

Danny Kruger beschreibt den Umgang mit der stadtbekannten 13-köpfigen Asbo-Familie, die sich in seiner vornehmen Straße in North Kensington eingenistet hat. Mittlerweile hat die Nachbarschaft, alles liberale Journalisten, eine professionelle Vermittlerin engagiert. Ein ungenannter Leitartikler freut sich, dass Jacques Chirac so herzerfrischend direkt erklärt hat, die britische Küche sei nach der Finnlands die schmutzigste der Welt. "Nun kann endlich ohne Rücksicht auf die diplomatische Etikette gesagt werden, wie dieser verkrustete alte Dinosaurier der weltweiten Entwicklung schadet und wir können nach Herzenslust seine Landwirtschaft boykottieren, bis er Reformen verspricht."
Archiv: Spectator

Revista de Libros (Chile), 08.07.2005

Wozu braucht man (heute noch) Journalisten? fragt sich Gabriela Esquivada in einem melancholischen Bericht über eine Veranstaltung zum zehnten Geburtstag der von Gabriel Garcia Marquez begründeten Fundacion Nuevo Periodismo Iberoamericano: "Um gut informiert zu sein, muss man zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr unbedingt Zeitung zu lesen. Aus verschiedenen Gründen erscheint Zeitungslesen heute oft schon als der reinste Luxus." Journalisten, die angesichts von längst in die Millionen gehenden Bloggern und anderen Bescheidwissern ihre Existenz auch künftig rechfertigen wollen, sollten sich zumindest Fragen stellen wie diese: "Haben wir Einfluss? Erzählen wir alles, was wir wissen? Wem fühlen wir uns vor allem verpflichtet, den Lesern oder den Zeitungseigentümern? Wissen wir, wer uns bezahlt? Sind wir uns der Tatsache bewusst, dass unsere Quellen versuchen, uns zu manipulieren? Haben wir ausreichend Mittel, um zu recherchieren?"

Über Vergangenheit und Zukunft der lateinamerikanischen Stadt meditiert der peruanische Schriftsteller Alfredo Bryce Echenique: "Während in Nordamerika die Urzelle der Stadt, das Symbol der Kolonisierung, das 'Fort' darstellte, wie wir es aus Wild West-Filmen kennen, hinter dessen Mauern sich Siedler verschanzten, die in keiner Weise auf die Arbeitskraft der Eingeborenen angewiesen waren, ja, diese ausschlossen, ließen die Begründer der südamerikanischen Städte - die Repräsentanten von Gegenreform und Inquisition, Katholizismus und Aristokratie - die Masse der ursprünglichen Landesbewohner - ihre künftige Dienerschaft - auf einem großen Platz im Zentrum zusammenkommen, wo sie von allen vier Seiten aus die neue Macht am eigenen Leib verspüren konnten." Für die wild wuchernden südamerikanischen Städte der Gegenwart, "die sich jeglicher staatlichen Kontrolle entziehen und alle Versuche urbanistischer Rationalität unmöglich machen", steht jedoch "in jeder Hinsicht als großes Vorbild Miami - inzwischen de facto die Hauptstadt Lateinamerikas".

Elet es Irodalom (Ungarn), 08.07.2005

Der ungarische Schriftsteller György Konrad betrachtet die Weltgeschichte als "Konkurrenz der sich miteinander unterhaltenden Selbstporträts und Selbstdefinitionen" der Kontinente und plädiert dafür, neue Ideen des Europäischen (und der Europäischen Union) zu entwerfen: "Die Substanz Europas ist die Neugier (die lässlichste Sünde und reizvollste Tugend vielleicht), der Hunger des Lernens und Forschens, die Sehnsucht nach Verstehen, der Hedonismus des Gehirns. Das Besondere an Europa ist der lebhafte Dialog zwischen Tradition und Innovation, der Auszug der Bücher aus den Ordenhäusern während der Gutenberg-Revolution, die Entstehung der selbstständigen Inseln der Intellektuellen." Laut Konrad sollten die Potentiale der Kultur für die europäischen Verständigung auch von den Politikern endlich erkannt werden: "Über Kunstwerke können wir andere Völker erlebnishaft verstehen. Romane zu lesen ist bekanntlich eine gute Methode, uns in Empathie zu üben. Wenn ihr eine Union wollt, dann sollt ihr manchmal in der Haut anderer Europäer stecken mögen, zum Beispiel indem ihr ihre Bücher lest. Lass uns doch gegenseitig unsere Komplexität erkennen, um uns über sie zu freuen oder zu amüsieren!"

Weiteres: Die Literaturkritikerin Judit Ambrus ärgert sich, dass immer mehr Autorinnen Helen Fieldings moppelige Heldin "Bridget Jones" nachahmen: "Mein Gott, bitte gib uns nur einmal eine Bridget mit Anorexie!" Anne Kotzan schreibt über die Martin Munkacsi Retrospektive "Think while you shoot!" in Hamburg. Und der Fotograf Laszlo Lugosi Lugo stellt fest, dass die "Revolution der digitalen Fotografie" darin, besteht, dass die "Fotografie durch die Digitalität zu einem allen zugänglichen Instrumenten, zu einer echten demokratischen Sprache geworden ist."

Weltwoche (Schweiz), 07.07.2005

Die unter einem Pseudonym veröffentlichende Katharina Wille-Gut beschreibt en detail und sehr amüsant das anstrengende Leben von Edel-Hausfrauen an der Zürcher Goldküste. "Was die Partnerschaft anbelangt, sind wir halb jungen Goldküstenfrauen ziemlich leidensfähig. Weniger Scheidungen und Trennungen als in Oberglatt oder Emmenbrücke sind das Resultat. Allenfalls in schlimmen Ehekrisen checken wir die Chancen auf dem Arbeitsmarkt ab und liebäugeln mit der finanziellen Unabhängigkeit. Mit vernichtenden Resultaten. Für ein einziges Thierry-Mugler-Kostüm - so rechnete ich bereits vor Jahren aus - hätte ich zwei ganze Wochen lang arbeiten müssen. So schlecht ist meine Ehe dann doch wieder nicht, beschloss ich damals bei einem Glas Champagner im Savoy, kündigte den Job sofort und konzentrierte mich fortan auf das gute Gelingen meiner eigentlichen Aufgaben." (Hier das Ganze in Buchformat.)
Archiv: Weltwoche

Economist (UK), 08.07.2005

Nach den tödlichen Bombenattentaten auf die Londoner City spricht ein furchtloser Economist den Attentätern jegliche Form von Erfolg ab und den Londoner Mut zu. "Keine Stadt kann Terroristen restlos stoppen. Man kann jedoch sagen, dass auch Terroristen nicht in der Lage sind, Städte zu stoppen. Vielleicht könnte dies einer Armee gelingen, wenn sie Anschlagwelle auf Anschlagwelle durchführte, vor allem wenn es sich dabei um biologische, chemische oder nukleare Waffen handelte. Ansonsten werden Städte nach dem anfänglichen Schock immer schnell wieder auf ihre Beine fallen. Sie sind unverwüstliche Organismen, mit starken sozialen und wirtschaftlichen Gründen, den Terrorismus abzuschütteln. New York und Madrid zeigen dies beide auf triumphale Weise. Und das gleiche wird sicherlich auch für London zutreffen."

Weitere Artikel: Angesichts des Misstrauensvotums gegen Bundeskanzler Schröder nennt der Economist Deutschland ein Land mit zwei Regierungen und fragt sich, ob die Deutschen bereit sind für ein politisches Experiment. Drei Bücher beleuchten laut Economist auf sehr unterschiedliche Weise, wie Rom zur Ewigen Stadt wurde. In seinem Nachruf auf Jack Kilby würdigt der Economist den Nobelpreisträger für seine Erfindung des integrierten Stromkreises, die unsere technologisierte Welt, wie sie ist, erst ermöglicht hat. Eine Tatsache übrigens, die Kilby selbst in seiner Dankesrede vor der Königlichen Schwedischen Akademie kommentiert hat: "Biber und Hase starren auf den Hoover-Damm. Sagt der Biber zum Hasen: 'Nein, ich habe ihn nicht selbst gebaut. Aber er basiert auf einer meiner Ideen!' "

Außerdem zu lesen: Inwiefern die Amtsniederlegung der Obersten Richterin Sandra Day O'Connor George Bush vor die schwierigste innenpolitische Entscheidung seiner Amtszeit stellt, warum von den möglichen Kandidaten zur Nachfolge des scheidenden Tory-Chefs Michael Howard nur die drei Davids - Davis, Willetts und Cameron - stichhaltig sind, dass Amerikas drei Atombomben-Labore voraussichtlich nicht in universitärer Hand bleiben werden, und warum kaum Hoffnung auf afrikanische Selbsthilfe besteht.
Archiv: Economist

Al Ahram Weekly (Ägypten), 07.07.2005

Dass HipHop sich von einer lokal verankerten afroamerikanischen Subkultur zur globalen Jugendkultur und Wirtschaftskraft gewandelt hat, ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Neu dagegen ist der Ansatz von Hesham Samy Abdel-Alim, der - politisch parteiisch, eher thesenstark als subtil, aber dennoch analytisch erfrischend - in einem ausführlichen Artikel die weltweite Verbreitung von HipHop parallel zu einer posttraditionellen islamischen Identitätspolitik liest: "Wir erleben gerade eine gewaltige Bewegung muslimischer Künstler, die überall auf der Welt die Wirkkraft der HipHop-Kultur nutzen, um sich zu vernetzen." Die entstehende Gemeinschaft bezeichnet der Autor als "transglobale HipHop-Umma", seine Vertreter - von der New Yorker Underground-Ikone Mos Def bis zu palästinensischen Rappern - als die "Avantgarde des modernen Islam". "Werden solche Erkenntnisse", fragt er abschließend ketzerisch, "unseren" - gemeint ist der islamische - "Blick auf Popkultur, insbesondere HipHop-Kultur, verändern? Wird man sie als Komponente zur Konstruktion eines zeitgenössischen Islam ernst nehmen?"

Weitere Artikel: David Tresilian würdigt die Aufnahme von Assia Djebar als erste frankophone Autorin aus dem Maghreb in die Academie francaise. Rania Khallaf setzt die Artikelserie zu E-Books und zum Internet-Verlagswesen in der arabischen Welt fort. Youssef Rakha hat das Nachtleben von Beirut getestet und sich manchmal sogar an das "Paris des Ostens" aus der Vorkriegszeit erinnert gefühlt.
Archiv: Al Ahram Weekly

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 08.07.2005

Sehnsucht nach Alexandria hat den israelischen Autor Amos Elon gepackt, als er Michael Haags "Alexandria - City of Memory" gelesen hat. Oder vielmehr die Sehnsucht nach ihrer schillernden Vergangenheit, wie sie schon E.M. Forster, Konstantinos Kavafis und Lawrence Durell besungen haben. "Alexandria war das New York der antiken Welt. Laut dem griechischen Geografen Strabo war es die erste Weltstadt: ungeheuer reich, das 'größte Warenhaus' der besiedelten Erde. Die Stadt war (wie Manhattan) von Wasser umgeben, und ihre Straßen waren durchweg als gerade Linien angelegt, rechtwinklig durchkreuzt von prächtigen Alleen. Wie in New York trafen hier die verschiedenen Völker, Sprachen, Kulturen und Religionen aufeinander. Und wie New York war auch Alexandria die Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde der Welt. Hier gab es eine jüdische Diaspora schon lange vor der Zerstörung von Jerusalem im Jahre 70 A. D. Mehr als drei Jahrhunderte lang war Alexandria der gelehrteste Ort auf Erden. Hier fand die Welt des alten Ägypten eine neue Gestalt im rationalen Geiste von Hellas. Jerusalem verschmolz mit Athen." Zweifel kamen Elon übrigens an der Schönheit Kleopatras, deren alexandrinische Porträtbüste eine doch recht vorspringende Stirn enthüllt.

In zwei Schwerpunkten geht es außerdem die Politik der "konstruktiven Instabilität", die die USA im Nahen und Mittleren Osten betreiben sowie um die globalen Strategien, aus Sozialhilfeempfängern wieder Lohnempfänger zu machen.

New York Times (USA), 10.07.2005

In einem langen Porträt im New York Times Magazine umkreist James Bennet die Frage, ob Syriens Präsident Bashar al-Assad wirklich für Offenheit und Demokratie steht oder einfach ein arabischer Diktator nach traditioneller Bauart ist, dessen westliche Maske langsam bröckelt. "Obwohl er in Washington teilweise als bloße Marionette gesehen wird, behauptet er, dass er kurz davor steht, die alte Garde aus den Zeiten seines Vaters durch pragmatische Technokraten zu ersetzen. Während seine syrischen Kritiker ihn als Gefangenen im Sytem seines Vaters sehen, als Mitläufer oder einfach Unschlüssigen, behauptet Assad, er habe einen Plan, könne ihn aber nur in einer Geschwindigkeit umzusetzen, die Syrien angesichts der turbulenten Vergangenheit und sozialen Spannungen auch aushält. Wie dem auch sei, er handelt wie ein Mann, der viel Zeit hat."

Außerdem diskutiert Jim Holt die Richtlinien, die niederländische Ärzte für das Töten von schwerkranken Neugeborenen fordern (mehr). Gretchen Reynolds fragt sich, ob Spenderorgane von verstorbenen Drogensüchtigen oder Fettleibigen kommen dürfen. Und Rob Walker stellt Marc Ecko vor, der mit Ecko Unltd. Kleider für HipHopper und solche, die es werden wollen, verkauft.

Die Book Review: "Wir vermissen Rudy, sogar einige der Leute, die ihn nicht ausstehen konnten, vermissen ihn." Rudolph Giuliani könnte seinem Londoner Kollegen Ken Livingstone als Vorbild dafür dienen, wie man eine terrorgeplagte Stadt wieder aufrichtet. Gerade rechtzeitig stellt James Traub mit Fred Siegels "The Prince of the City" (erstes Kapitel) das erste ausführliche und dabei "aufschlussreiche" Porträt des New Yorker Ex-Bürgermeisters vor (hier eine mulitmediale Zusammenfassung). Ein wundervolles Buch für den Liegestuhl auf dem Sonnendeck, meint Henry Alford zu Elizabeth Kostovas Geschichte über die zeitgenössiche Jagd nach dem Urvampir Vlad, den Pfähler. Wäre "The Historian" (erstes Kapitel) bloß nicht so unglaubwürdig überladen! Scott Eyman lässt den legendären Hollywood-Mogul Louis B. Mayer (der hinter Metro-Goldwyn Mayer) mit "Lion of Hollywood" (erstes Kapitel) in Fleisch und Blut wieder auferstehen, wenn man Manohla Dargis' Lobeshymnen glauben darf. Steve Leveens Leseanleitung ''The Little Guide to Your Well-Read Life" kommt Ruth Franklin dagegen lebensfremd und konsumorientiert vor, ebenso wie Leveens Firma Levenger, die alles anbietet, was man zum Lesen (nicht) braucht.
Archiv: New York Times