Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.07.2005. Im Espresso erklärt Umberto Eco, wie Priester die Katholiken vom Fundamentalismus abhalten. Outlook India erklärt den Briten, warum es keine britischen Asiaten gibt. Ozon grübelt über Tony Blair. Im Spiegel ärgert sich Ian McEwan über die Selbstgefälligkeit der Gegner des Irakkriegs. Der Spectator zeichnet die kommunistische Karriere des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare nach. Im Nouvel Obs erklärt der Ethnologe Philippe Descola, was wir von den Jivaro lernen können. Das TLS stellt den Wittgenstein der Musikgeschichte vor. Das ES-Magazin feiert den Siebenbürger Schriftsteller Jehan Calvus. Im New York Times Magazine muss sich Michael Ignatieff von iranischen Studentinnen über die Universalität der Menschenrechte aufklären lassen.

Espresso (Italien), 21.07.2005

Relativismus, Fundamentalismus, Integralismus: Umberto Eco versucht begriffliche Klarheit in die gegenwärtigen Debatten um Evolution, Gott und die Welt zu bringen und erklärt, warum die Probleme derzeit nicht von den Katholiken ausgehen. "Es kann keinen katholischen Fundamentalismus geben - und darum ging es bei den Auseinandersetzungen in der Reformation - weil bei den Katholiken die Interpretation der Schrift der Kirche überlassen wird. Schon bei den Kirchenvätern gab es Diskussionen zwischen den Anhängern einer schriftgetreuen Übertragung und einer offeneren Hermeneutik, wie jener von Augustin, der ohne Probleme anerkannte, dass die Bibel oft in Metaphern und Allegorien spricht. Er kam deshalb auch bestens damit zurecht, dass die sieben Tage der Schöpfung auch siebentausend Jahre gewesen sein könnten. Und die Kirche hat diese Position akzeptiert."
Archiv: Espresso

Outlook India (Indien), 25.07.2005

Sanjay Suri ist nicht überrascht, dass die Attentäter von London Pakistaner waren, und versucht den naiven Engländern die Augen zu öffnen über die immensen Unterschiede zwischen den sogenannten "britischen Asiaten". "Hinter dieser schwammigen Bezeichnung bewohnen Inder, Sri-Lanker und Bangladescher sehr unterschiedliche Welten. Die pakistanische Welt gleicht dabei keiner anderen", meint Suri. Vor allem seien die Pakistaner nicht mit den erfolgreichen Indern zu verwechseln. "Tests an den Schulen verorten regelmäßig die Pakistaner am unteren Ende der Skala, diametral entgegengesetzt zu den Indern. 'Im nationalen Durchschnitt erreichen 50 Prozent der Schüler die besten fünf Noten in GCSE-Examen', sagt Professor Muhammed Anwar vom Centre of Research in Ethnic Relations der Warwick University. ''Bei den Pakistanern und Bangladeschern schaffen das nur 30 Prozent, während Inder und Chinesen weit über dem landesweiten Schnitt liegen.'"

Der indische Premierminister Manmohan Singh hat sich mit einem Akt "selbstmörderischer politischer Unkorrektheit" ins Fettnäpfchen gesetzt: Als ihm am 8. Juli die Ehrendoktorwürde der Oxford University verliehen wurde, lobte er in seiner Dankesrede ausgiebig die Segnungen der britischen Kolonialherrschaft und löste damit einen mittleren Historikerstreit aus. Sheela Reddy stellt die Argumente gegenüber.
Archiv: Outlook India

Gazeta Wyborcza (Polen), 16.07.2005

"Wir versuchen das Verhalten und die Denkweise der Terroristen zu sehr zu rationalisieren", meint der französische Islam-Kenner Olivier Roy im Interview mit der polnischen Tageszeitung. "Klar, jetzt berufen sie sich auf die Besatzung des Iraks, um ihre Angriffe zu legitimieren und die Unterstützung unter Muslimen zu gewinnen ... Aber die Terroristen wollen keine Rache an uns nehmen, und wollen uns auch nicht dafür bestrafen, was wir sind. Ihre Aggression richtet sich dagegen, dass sie werden, wie wir sind. Sie leben im Westen, im Käfig der westlichen Werte und Rechte, mit denen sie sich nicht identifizieren. Wir haben es hier seit einem Vierteljahrhundert mit einem revolutionären Chaos zu tun, einem Generationskonflikt in der muslimischen Welt. Es ist auch eine Globalisierung des Islams." Nebenbei beruhigt Roy seine polnischen Gesprächspartner: "Mit allem Respekt für Warschau - Ihre Stadt ist nicht so prominent, dass sich ein Anschlag dort lohnen würde."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Economist (UK), 18.07.2005

Eine Woche nach den Londonder Bombenattentaten zieht der Economist eine vorläufige Bilanz und berichtet vom gestörten Verhältnis der Londoner zu ihrem Verkehrsmittel Nummer Eins. "Rucksäcke ziehen nervöse Blicke auf sich. Die Leute sind äußerst bemüht, jungen Männern mit dunkler Haut nicht in die Augen zu sehen. Es wurde viel geredet vom Blitzkrieg-Geist, den die Londoner im Lauf der letzten Woche gezeigt hätten. Doch der Vergleich hinkt: Während der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg stiegen die Menschen in die U-Bahn hinab, um dort Schutz zu suchen. Jetzt ist es die Rolltreppe nach oben, die Sicherheit verspricht."

Weiterhin berichtet der Economist über die Reaktionen im Ausland. Nachdem zwei der drei im Irak involvierten "Bs" - Bush, Blair und Berlusconi - von Terrorattentaten heimgesucht wurden, glaube sich nun auch Rom im Visier der Terroristen, und rüste auf. Auch in den USA reagiert man laut Economist mit erhöhter Anspannung auf die Attentate. Denn einerseits habe es seit dem 11. September keine nennenswerten Attentate auf dem amerikanischen Boden gegeben, doch andererseits könnte es sich dabei lediglich um die Ruhe vor einem Sturm katastrophalen Ausmaßes handeln.

Außerdem zu lesen: Zunächst ein verspielter Nachruf auf den englischen Dichter und Theaterautor Christopher Fry. Dann sieht der Economist sich genötigt, eine Art Nachruf auf einen Nachruf zu schreiben. In seiner Würdigung des südafrikanischen Arztes Hamilton Naki (siehe die Magazinrundschau vom 14. Juni) ist er einer beschönigenden (und in seinen Augen geschmacklosen) Legende der Post-Apartheid aufgesessen. In weitaus bessere Laune hat den Economist Lucy Kellaways Business-Satire "Martin Lukes: Who Moved My BlackBerry?" versetzt.

Und schließlich: Besorgt schaut der Economist nach Amerika, wo das Prinzip der Meritokratie sich insofern zu verselbstständigen beginnt, als es zunehmend zur dynastischen Machterhaltung der Eliten beiträgt. Wie sich die USA vom Melting Pot zur Zentrifuge wandeln, erläutert im Einzelnen das Dossier.
Archiv: Economist

London Review of Books (UK), 21.07.2005

Sehr interessant und präzise findet Maya Jasanoff Gautam Chakravartys Monografie "The Indian Mutiny and the British Imagination" über den indischen Aufstand von 1857 und dessen Darstellung in der britischen Historiografie und Literatur. Besonders pikant erscheint Jasanoff dabei die Figur des als Inder verkleideten Briten, die der Autor mit dem britischen Selbstverherrlichungsdiskurs in Zusammenhang setzt. "Der 'kulturell verkleidete Spion-Held' schreit förmlich nach postkolonialistischer Analyse. Um diese Charaktere einzuschätzen, beruft sich Chakravarty auf Homi Bhabhas einflussreichen Essay 'Of Mimicry and Man', der davon handelt, wie kolonisierte Subjekte die Kultur ihrer Kolonisierer nachahmten oder annahmen. Doch während Bhabhas mimische Menschen die imperiale Autorität herausforderten, indem sie sie nachäfften, behauptet Chakravarty, dass die verkleideten Briten daran arbeiteten, die imperiale Macht zu stärken und eine 'Fantasie von Herrschaft und kolonialem Wissen' auszuleben. In die Haut der Inder zu schlüpfen ist die ultimative Bekundung der Herrschaft, nämlich sie besser zu kennen als sie es selbst tun."

Weitere Artikel: Enttäuscht stellt Tim Parks fest, dass Daniel Picks Versuch, Garibaldis zwanghafte Faszination für Rom psychohistorisch zu begründen ("Rome or Death: The Obsessions of General Garibaldi"), zum historiografischen Gemeinplatz gerät: Wie schon unter seinen Zeitgenossen werde Garibaldi von Pick einerseits als nationaler Held gefeiert und andererseits politisch nicht ernstgenommen. Sicher hat James Meek schon in früheren Werken das Seltsame zelebriert, schreibt Michael Wood. Doch die nüchterne Art von Seltsamkeit, die bei der Lektüre von "The People's Act of Love" - die Geschichte einer revolutionären tschechischen Kastraten-Gemeinschaft in Sibirien - zutage tritt, hat Wood völlig unvorbereitet getroffen. John Sturrock warnt die britische Regierung davor, die Londoner Bombenattentate als Vorwand zu einer noch strikteren Einwanderungspolitik zu benutzen. Und Peter Campbell stellt ein Potpourri von Londoner Ausstellungen zusammen, die zeigen, wie Architekten denken.

New Yorker (USA), 25.07.2005

Der unaufhaltsame Seymour Hersh folgt wieder einmal der "Spur des Geldes", diesmal der verdeckten Wahlkampfhilfe, mit der gewisse Abteilungen der amerikanischen Regierung ihren Kandidaten, Ijad Allawi, im irakischen Wahlkampf unterstützen wollten. Offiziell hatte Präsident Bush Einmischungen untersagt: "Ein früherer Geheimdienstler sagte mir: 'Die Uhr lief ab, die Leute gerieten in Panik. Umfragen zeigten, dass die Schiiten den ganzen Laden abräumen werden. Die Regierung musst was tun. Nur wie?' Die Männer bei der CIA waren 'nur zu bereit auszuhelfen und sicherzustellen, dass die Wahlen in die richtige Richtung laufen', sagt mir der kürzlich pensionierte CIA-Mann. Innerhalb der Geheimdienst-Gemeinde war bekannt, fügte er hinzu, dass die Iraner und andere unterm Tisch verschiedenen Fraktionen halfen. Alle waren besorgt, dass die Bösen Jungs gewinnen würden.'"

Weitere Artikel: James Wood stellt den Schriftsteller Cormac McCarthy vor, dessen literarische Qualitäten sehr unterschiedlich beurteilt würden; ein Umstand, den sein neuer Roman "No Country for Old Men" (Knopf) noch verstärken werde: das Buch sei ein "bedeutungsloser, einfach runtergeschriebener" Thriller. Joan Acocella bespricht den Roman "Beyond Black" der britischen Schriftstellerin Hilary Mantel. Und die Kurzbesprechungen widmen sich zwei Büchern über J. Robert Oppenheimer: einer "beachtlichen" Biografie und einer Studie, die sich mit den Befragungsprotokollen des Physikers durch das FBI befasst. Anthony Lane sah im Kino "Charlie and the Chocolate Factory" von Tim Burton nach einem Buch von Roald Dahl und "Wedding Crashers" von David Dobkin. Ausnahmsweise einmal online ist auch die Erzählung: "Awaiting Orders" von Tobias Wolff.

Nur in der Printausgabe: ein Artikel über die theologischen Schriften des neuen Papstes, eine Reportage über die Sicherheitskommandozentrale New Yorks, eine Bericht über Lychees, die aus irgendeinem Grund nur "trotzdem" gesund sein sollen, und Lyrik von Billy Collins und William Logan.
Archiv: New Yorker

Elet es Irodalom (Ungarn), 15.07.2005

Der Schriftsteller Istvan Eörsi meint, dass der globale Terrorismus nicht auf religiöse oder ideologische Konflikte, sondern vor allem auf die Armut der Dritten Welt zurückzuführen sei: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es neben unserer europäisch-amerikanischen Perspektive auch eine andere Perspektive gibt, die davon ausgeht, dass die Notwehr berechtigt ist. Vielleicht ekeln wir uns vor ihren Mitteln, vielleicht verachten ihren Fanatismus, aber eines muss klar sein: unsere Mittel sind auch nicht schöner, unser lukrativer Zynismus ist zwar vielleicht unterhaltsamer, aber keineswegs moralischer als mörderischer Fanatismus."

Der Literaturwissenschaftler Laszlo Bedecs feiert den neuen Roman, "Bumgartesz", von Jehan Calvus, ein aus dem multiethnischen Siebenbürgen stammender, in Wien lebender Autor. Auf den Spuren von Jorge Luis Borges schrieb Calvus "einen Roman in essayistischer Form über die Suche nach der idealen Sprache". Der Rezensent verlor sich sichtlich gern im Labyrinth der Assoziationen "von den Ateliers der mittelalterlichen Malerei zu den Bahnhöfen der Zukunft", denn "in diesem umfangreichen und dichten Textgefüge wird in einer ironischen Art und Weise kein Satz zu Ende geschrieben, kein Gedanke zu Ende gedacht, keine Frage endgültig gestellt. ... Die Bilder des Romans beschwören die bunte, überfüllte, fast surreale Welt der Filme von Peter Greenaway herauf, die ganzseitigen Grafiken, Kalligrafien, und Marionettenfotos fordern den sinnierenden, essayistischen, gleichzeitig spielerischen und ironischen Text heraus."

Ozon (Polen), 14.07.2005

"Ich weiß nicht, was ich mit Tony Blair anfangen soll", gesteht im polnischen Magazin Ozon Jacek Karnowski. "Ich kann diesen Menschen nicht knacken. Wenn ich denke, ich weiß, wer er ist, geschieht etwas Unvorhergesehens, das ihn in ein neues Licht stellt. Auch die britischen Kommentatoren und seine Nation wissen nicht recht, was sie mit ihm anfangen sollen. Bis vor kurzem konnte ihn keiner leiden. Dank der französischen und holländischen Wähler, dem IOC und den islamistischen Terroristen ist er wieder der Anführer der Nation."

In Polen macht eine neue Art von Kulturtouristik Furore - berichtet Cezary Polak. Statt wie früher auf den Spuren Sienkiewicz' durch das Land zu reisen, fährt der moderne Kulturfan in die Plattenbauvierteln von Wejherowo, wo Dorota Maslowskas vielgepriesenes Debüt "Schneeweiß und Russenrot" spielt.
Archiv: Ozon
Stichwörter: Blair, Tony

Spiegel (Deutschland), 18.07.2005

In seinem neuen Roman "Saturday" schildert Ian McEwan eine Londoner Demonstration gegen den Irakkrieg. Während die Tochter des Helden auf der Seite der Demonstranten steht, ärgert sich ihr Vater über deren Selbstgefälligkeit. Im Interview erklärt McEwan, warum er ganz für den Vater ist: "Es ging bei dieser Diskussion nie allein um die Frage von Krieg oder Frieden. Zur Debatte standen Krieg oder Fortsetzung von Folter, Völkermord und Missachtung der Menschenrechte in einem faschistischen Staat. Davon war im Friedenslager nicht die Rede. Zwar war ich auch damals schon der Meinung, dass die Amerikaner nicht unbedingt ideale Voraussetzungen zum Aufbau einer Nation mitbringen würden, aber wenn man sich einmal ausmalt, man hätte Saddam auf seinem Platz belassen ... Es schien mir ein moralisches Problem darin zu liegen, dass Hunderttausende in der Absicht auf die Straße gingen, den Krieg gegen einen faschistischen Staat zu verhindern - und sich dabei so wohl fühlten."

Nur im Print: Islamischer Terror basiert auf dem Koran, behauptet Leon de Winter in einem Essay.
Archiv: Spiegel

Spectator (UK), 16.07.2005

Der albanische Schriftsteller, Lyriker und erste Träger des Internationalen Man-Booker-Preises Ismail Kadare war unter Enver Hodscha beileibe nicht der tapfere Oppositionelle, als den ihn die Presse überall feiert, weiß Stephen Schwartz. "Während des Kommunismus war er einer der emsigsten Totengräber des kulturellen und literarischen Erbes Albaniens, in besonderer Weise des Teils, der religiös inspiriert war. Herr Kadare posiert nun als 'Dissident', aber seine Karriere als Nonkonformist im Kommunismus ist gänzlich erfunden, und sorgt für erregte und wütende Debatten unter seinen Landsleuten. 1990, als der Kommunismus am Ende war, 'floh' Herr Kadare aus Albanien nach Frankreich. Aber zum Zeitpunkt seines Bruchs mit dem Regime hatte er den Posten des Vizevorsitzenden von Albaniens offizieller politischer Struktur inne, der sogenannten Demokratischen Front. Sein Abgang aus den Zimmern der Macht geschah aus Bequemlichkeit, nicht aus Prinzipientreue."

Die jämmerliche Wohnungssituation der Briten, ausgelöst durch die restriktive Baupolitik der Regierung, verdammt James O'Shaughnessy mit biblisch anmutendem Furor. "Unser sowjetmäßiges Planungssystem hat dafür gesorgt, dass auch der Standard des Architekturdesigns gelitten hat. Tag für Tag sind wir mit den verfaulten Früchten des sozialen Wohnungsbaus aus der Nachkriegszeit konfrontiert, aber ein System, das den Nachschub begrenzt, lässt auch Design und Innovation verkümmern. Die unbefriedigte Nachfrage hat einen derart hohen Stand erreicht, dass alles verkauft wird, was gebaut wird. Die rein körperliche Notwendigkeit, ein Dach über dem Kopf zu haben, verdrängt die Gestaltungsfrage auf einen abgeschlagenen zweiten Platz. Einige der Neubauten im Thames Gateway Entwicklungsgebiet - angekündigt als großes Projekt des Wohnungsbaus - sind wenig mehr als Fertig-Hasenställe mit Legoland-Elementen. Keine Häuser für Helden, sondern Hütten für Verlierer."

Was die Attentäter von London getrieben hat, weiß Boris Johnson nicht. Aber einen Fehler hat auch der Westen gemacht, findet er: Der Versuch, den Irakkrieg als Krieg gegen den Terror auszugeben. "Für den paranoiden muslimischen Verstand legt der propagandahafte Begriff 'Krieg gegen den Terror' - sofern er auf den Irak gemünzt ist - nahe, dass dieser Krieg in Wirklichkeit um etwas anderes ging: um Öl, um Erniedrigung und Beherrschung der islamischen Welt. Und weil sie keinen Unterschied machen zwischen Religion und Politik, scheint der Schwindel vom 'Krieg gegen den Terror' einen unerklärten Krieg gegen den Islam zu implizieren. Das war ein Eindruck, den weder Bush noch Blair je wirklich korrigiert haben. Wenn das Projekt der Neocons Demokratie für den Mittleren Osten, Starbucks und Führerscheine für Frauen bedeutet, dann bin ich ein begeisterter Neocon. Nur sprecht nicht von Krieg."
Archiv: Spectator

Nouvel Observateur (Frankreich), 14.07.2005

Der Nouvel Obs eröffnet in seinem Debattenteil eine Sommerserie: Sechs Wochen lang werden Wissenschaftler und Forscher aus fünf Kontinenten berichten, was uns die Auseinandersetzung mit andere Kulturen und Gesellschaften heute noch bringen kann. Den Auftakt macht der ehemalige Schüler und nun Nachfolger von Claude Levi-Strauss am College de France, der Ethnologe und Sozialanthropologe Philippe Descola (mehr zu seiner Arbeit hier). Er erzählt in seinem Text von seinen Forschungsreisen zu den Jivaros, einem Amazonasstamm in Ecuador. Descola, der sich vor allem mit dem Gegensatz von Natur und Kultur beschäftigt, schreibt unter anderem: "Die Unterscheidung von Natur und Kultur ist uns eigen. (...) Andere Gesellschaften haben die Rollen indes anders verteilt. Wenn ein Indio ein Tier jagt, kann es vorkommen, dass dieses zu den geschützten Arten gehört. Aber für einen Jivaro ist die Vorstellung, ein Tier zu schützen genau so absurd, wie einen Nachbarn zu beschützen. Wovor denn? Der Nachbar, mit dem man Krieg führt, ist eben da, das ist alles. Er ist nicht vom Aussterben bedroht." In den kommenden Folgen geht es dann um Japan, Afrika, China, Australien und Indien.

In einem Artikel beschreibt Aude Lancelin das intellektuelle und literarische Netzwerk, mit dem sich der französische Premierminister Dominque de Villepin umgibt. Es reicht von Bernard-Henri Levy über die Schriftsteller Maurice Druon, Francois Nourissier, Jean-Christophe Rufin, Daniel Rondeau und den ehemaligen Chefredakteur von Le Monde Edwy Plenel. Etwas despektierlich schreibt Lancelin, das Image des dichtenden Präsidenten hinterlasse bei ihm den "unauslöschlichen Eindruck von einem Kitschästheten, der jederzeit imstande ist, vor Gewerkschaftern seinen Lautreamont zu schwingen".

Und wer will, kann auch in diesem Jahr dieses absolut demoralisierende Sommer-Quiz zur französischen Sprache machen. Immerhin: Die Auflösung befinden sich im gleichen Heft.

Times Literary Supplement (UK), 15.07.2005

Wie ein Komet auf die Erde oder wie Wittgenstein in die Philosophie wird Richard Taruskins sechsbändige "History of Western Music" in die Musikgeschichte einschlagen, prophezeit der britische Autor und Philosoph Roger Scruton: "Altes Leben wird ausgelöscht, neues befördert und die Landschaft für immer verändert." Denn: "Dies ist nicht nur ein Werk akademischer Musikwissenschaft. Es ist auch, und zuallerst, ein Werk der Kulturkritik, das westliche Musik in ihren vollen historischen und literarischen Kontext setzt... Stellen Sie sich Heinrich Wölfflins kunstgeschichtliche Vorstellungskraft vor, Donald Toveys analytisches Genie und Hugo Riemanns Verständnis von harmonischen Funktionen, und dies alles mit der kritischen Intelligenz eines T.S. Eliot angewandt. Und stellen Sie sich diese Kombination auf den aktuellen Stand gebracht vor, mit einem kritischen Blick auf modische Mantras (von Meta-Narrativ bis zur Hermeneutik des Verdachts). Dann haben Sie Taruskin."

Benjamin Markovits quittiert die Geschichte des wegen eines unsauberen Berichts gefeuerten New-York-Times-Reporters Michael Finkel, der später herausfand, dass sich ein gesuchter Mörder unter seinem Namen in Mexiko versteckte, mit dem Witz: "Wenn ein Mann erst einmal anfängt zu morden, dann dauert es nicht lange, bis er auch Raub nicht so schlimm findet. Und vom Raub ist es nicht weit zum Trinken und dem Brechen des Sabbaths. Und dann fehlt nicht mehr viel zur Unhöflichkeit und Unpünktlichkeit."

Weitere Artikel: Eine tolle Geschichte erzählt Lorna Gibb mit ihrer Biografie der Lady Hester Stanhope, berichtet Annette Kobak: Die sehr geistreiche, etwas wahnsinnige Dame, ritt 1806 in den Libanon, wo sie sich in einem verlassenen Bergkloster niederließ und dort bis zu ihrem Tod 1839 als "Königin der Wüste" über ihr kleines Reich herrschte. Jonathan Keates meditiert über veraltete Reiseführer und die Ungeduld des Weltenlaufs. Außerdem präsentiert das TLS englische Übertragungen des jüngst entdeckten Sappho-Gedichts.

HVG (Ungarn), 13.07.2005

In Budapest ist gerade eine große Ausstellung mit Street Art eröffnet worden. Mit dabei sind international etablierte Künstler, aber auch unbekanntere Gruppen wie 'M-City' und 'Vlep(v)net' aus Polen, Ziga Aljaz aus Slowenien, 'Romanian Stencil Archive' und 'Gerilla Propaganda' aus Ungarn. Der Publizist Geza Hars nimmt das zum Anlass, eine Lanze für Graffiti-Kunst zu brechen: "Wieso regt sich eigentlich niemand über die Dummheit von Riesenplakaten und U-Bahn-Werbungen auf und über die scheußliche Ästhetik mancher Geschäftsfassaden? Es gibt immer weniger werbefreie Flächen um uns herum, wir können uns immer seltener umgucken, ohne dass uns jemand etwas verkaufen möchte, uns seinen Geschmack und seine Weltanschauung aufdrängen will. Und dann sind wir auf die sauer, die ein Stück des von Werbung beherrschten Raumes zurückerobern wollen?"
Archiv: HVG

New York Times (USA), 17.07.2005

Während der Präsidentenwahlen war Michael Ignatieff im Iran, um Vorlesungen über Demokratie und Menschenrechte zu halten. Im New York Times Magazine berichtet er von überraschend selbstbewussten Diskussionspartnern, Professoren, die über seinen gottlosen Glauben an die Menschenrechte nur lächeln, und Studenten, denen seine Reformvorschläge zu vorsichtig waren. "Die Frauen in der Klasse waren nicht sehr erfreut über meine Bemerkung, dass sie die Scharia von innen heraus verändern sollten. 'Es muss ein Recht für alle geben, nicht zwei Systeme, ein islamisches Gesetz und daneben ein säkulares', meinte eine Studentin. Ich sagte, dass ich übereinstimme, aber es sei unklar, wie man das im derzeitigen Iran erreichen könne. Die Studentinnen fanden dies zu defätistisch. 'Wir sind sehr froh, dass sie in unseren Kurs gekommen sind, Professor', sagte eine zu mir, 'aber Sie sind zu nett zum Gesetz der Scharia. Es muss abgeschafft werden, nicht verändert.'"

John Hodgman stellt eine Science-fiction-Serie vor, die das konservative Genre mit weltlichen Bezügen auf den Kopf stellt. In der Neuauflage der Siebziger-Serie Kampfstern Galactica sind die Bösen wunderschön und gläubig, und die Guten betrügen, wo es nur geht. "Die meisten der teuflischen Cylonen sehen aus wie Menschen und haben Gott gefunden. Skrupellos prinzipientreu und tiefreligiös, werden die Cylonen von Fans sowohl mit Al Qaida als auch der evangelischen Rechten verglichen. Und die Menschen, denen sie unermüdlich nachstellen, sind fehlbar und komplex. Ihre Shirts sind nicht hauteng oder farblich codiert; Weltraumreisende tragen Krawatte."

Weiteres: Im Aufmacher rät Matt Bai den Demokraten, ihre Themen wie die Republikaner als Geschichten zu verpacken. Und Christopher Caldwell sinniert im Zusammenhang mit Datensammlern wie Amazon darüber, ob die Freiheit letztlich gegen die Bequemlichkeit verliert.

Vorerst nur im Netz wird der neue Harry Potter besprochen. Schnellrezensent Michiko Kakutani applaudiert brav und stellt Rowlings Zyklus schon mal in eine Reihe mit Baums "Wizard of Oz" und Tolkiens "Lord of the Rings".

In der New York Times Book Review: Paul Gray vermisst in John Irvings neuem Roman "Until I Find You" (erstes Kapitel) die Konflikte und damit auch das Leben: "Nichts fordert Jack Burns heraus oder verwundert ihn, keine schicksalsträchtigen Entscheidungen prüfen seine Seele oder scheuern sie auf." Vom platten ersten Satz noch abgeschreckt, hat David Carr in John Dickers "The United States of Wal Mart" dann doch ein "nuanciertes" Porträt des Konsumgiganten vorgefunden, der mit seinem Umsatz von 288 Milliarden Dollar mehr Geld bewegt als viele Staaten. William F. Buckley Jr. hat seine 1976 begonnene Reihe rund um den Superspion Blackford Oakes nun abgeschlossen, und Charlie Rubin preist "Last Call for Blackford Oates" (erstes Kapitel) als würdiges Finale und einen der besten Bände der Serie. Fantastisch findet Lou Cannon, wie Laurence Leamer in seiner Biografie "Fantastic" Arnold Schwarzeneggers siegreiche Kampagne um den Gouverneursposten in Kalifornien beschreibt, die ausführliche Schilderung der Bodybuilderzeit gefällt ihm weniger gut (erstes Kapitel).
Archiv: New York Times